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Esther Freud: "Mein Jahr mit Mr Mac"
Wie Kunst funktioniert

Das Leben von Charles Rennie Mackintosh war so vielschichtig wie die Disziplinen, in denen er arbeitete: Er war Designer, Maler, Architekt und seiner Zeit zu weit voraus. In ihrem neuen Roman lässt ihn die britische Autorin Esther Freud auf einen Jungen treffen und zeichnet damit ein ungewöhnliches Porträt des Künstlers.

Von Johannes Kaiser | 07.10.2016
    Ein Geschäft in Edinburgh, das sich auf den Verkauf von Bilderrahmen und Schmuck im Stil von Charles Rennie Mackintosh spezialisiert hat.
    Ein Geschäft in Edinburgh, das sich auf den Verkauf von Bilderrahmen und Schmuck im Stil von Charles Rennie Mackintosh spezialisiert hat. (imago / ANE Edition)
    Gleich vorweg das Geständnis: Nein, ich hatte vor Esther Freuds neuem Roman "Mein Jahr mit Mr. Mac" noch nie von dem britischen Designer, Maler und Architekten Charles Rennie Mackintosh gehört. Dabei ist der 1928 völlig verarmt gestorbene Künstler auf der Insel eine Berühmtheit, so Esther Freud:
    "Er ist der bekannte Designer der Glasgow School of Art, eines der beliebtesten Gebäuden, die jemals in Großbritannien gebaut wurden. Wir sehen ihn als sehr erfolgreichen Architekten. Aber bei meinen Nachforschungen entdeckte ich: Ja, er hatte als sehr junger Mann eine unglaubliche Glückssträhne, mit 28 bekam er den Auftrag, die Kunstschule zu entwerfen, aber es war eine sehr schwierige Karriere. Er war für seine Zeit zu modern, ihr weit voraus. In England und Schottland hielt man ihn für einen schwierigen Menschen und schätzte die Sachen, die er entwarf, nicht besonders. Letztendlich wurde er arbeitslos und verarmte total. Wenn sie heute nach Glasgow kommen, dann können Sie eine Mackintosh-Tour buchen, da gibt es ein Mackintosh-Museum, ein Mackintosh-Haus. Unglaublich. Er ist ein Star."
    Roman spielt in dem Küstenort, an den sich Mackintosh gerne zurückzog
    Auf Charles Rennie Mackintosh stieß die britische Schriftstellerin Esther Freud eher durch Zufall. Sie besaß in einem kleinen Dorf an der Westküste Englands, in Suffolk ein kleines Haus, ein umgebautes Pub. Dort hatte sie bereits ihren vorigen Roman "Das Haus am Meer" angesiedelt, ebenfalls die Geschichte eines Malers und eines Architekten. Ihr neuer Roman sollte in der gleichen Umgebung spielen. Nun hatte ihr der Vorbesitzer erzählt, dass in ihrem Haus, dem gut zweihundert Jahre alten Pub einst ein Geist gewohnt habe. Also beschloss die Schriftstellerin eine Geistergeschichte zu schreiben. Doch das wollte nicht so recht klappen, wie Freud erzählt:
    "Eines Tages hatte ich dann die Idee, alles vom Standpunkt dieses Geistes aufzuschreiben und ich schrieb: mein Name ist Thomas Maggs. Ich bin im ersten Stock in einem kleinen Raum geboren. Ich sagte mir: ich weiß, wo das ist. Ich kenne diesen Jungen besser als meine Hauptfigur und peu à peu drehte ich den gesamten Roman um und erzählte die Geschichte aus dem Blickwinkel des Jungen, der wirklich und lebendig wurde. Und dann brachte ich Charles Rennie Mackintosh in die Geschichte mit ein, als ich entdeckte, dass er in diesem Pub gewesen war; und damit hatte ich meine Geschichte. Das war’s."
    Der Roman spielt 1914. Der erste Weltkrieg bricht aus und Mr. Mac, wie ihn alle in dem kleinen Dorf nennen, hat sich damals tatsächlich mit seiner Frau hierher geflüchtet, weil ihm mal wieder das Geld ausgegangen war. Thomas, der Sohn des Wirtshausbesitzers, freundet sich mit dem Fremden an. Ihm gegenüber traut er sich, seine Leidenschaft für das Zeichnen zuzugeben. Er malt Schiffsmodelle aus der Seemannsbibliothek und Fischerboote aus dem kleinen Fischereihafen ab. Während alle anderen das für nutzlose Zeitverschwendung halten, insbesondere sein prügelnder, hartherziger Vater, ein Alkoholiker, ermutigt ihn Mr. Mac, weiterzumalen. Aus Thomas Mund erfahren wir, wie es um den Künstler und seine ebenfalls malende Frau steht. Er stöbert sogar in ihrem Privatleben, durchsucht heimlich ihre Hütte.
    Freud erzählt mit der Stimme des Jungen, wie Kunst funktioniert
    "Ich hätte sicher Mackintosh als Erzähler wählen können, aber ich hab das nicht gemacht, weil es sehr schwierig ist, über Kunst zu schreiben. Ich wollte seine unglaublich schöne Kunst zeigen, die Wasserfarbenbilder, die Blumen, das Design seiner Gebäude. Ich wollte die Möbel, die er entworfen hatte, beschreiben und ich wollte vorführen, wie Kunst funktioniert. Ich dachte, wenn ich das einen Jungen beschreiben lasse, dann klingt das nicht trocken und öde wie eine Lehrstunde oder wie Kunstgeschichte. Ich wusste, wenn es der Künstler selbst beschriebe, würde es nicht funktionieren."
    Esther Freud lässt den Jungen die Geschichte dieses Sommers ganz konventionell in chronologischer Reihenfolge erzählen. Auf sprachliche Experimente verzichtet sie so wie in ihren anderen Büchern. Dass macht ihren Roman zu einem leicht lesbaren Vergnügen, denn ihre Protagonisten, insbesondere die Erlebnisse des jungen Thomas ziehen uns in die Geschichte hinein.
    Dass der sich zu Macintosh hingezogen fühlt, hängt aber nicht nur mit dessen Leidenschaft für das Zeichnen zusammen. Beide sind sie Außenseiter, denn Thomas hat wie auch der Maler einen verkrüppelten Fuß und hinkt.
    Esther Freud beschwört eine untergegangene Zeit so herauf, dass wir ihr leicht folgen können, wenn sie die Atmosphäre des kleinen Fischerdorfes und seine Bewohner schildert. Sie hat viel recherchiert, um selbst kleine Details getreulich wiederzugeben. Dabei hat sie auch manche Kuriosität entdeckt wie die bei Kriegsbeginn verabschiedeten Pubgesetze. Aus dem Buch "Mein Jahr mit Mr. Mac":
    "Ab sofort sind die Öffnungszeiten aller Gaststätten eingeschränkt. Alkohol darf nur zwischen 12.30 und 15.00 sowie 18.30 und 21.30 ausgeschenkt werden.
    Alles Bier muss mit Wasser verdünnt werden... Ab sofortiger Wirkung ist es untersagt, einem anderen Mann ein alkoholisches Getränk zu spendieren"
    Der Kriegseinbruch führt dazu, dass viele Sommerurlauber aus Angst vor einer Invasion der Küste fernbleiben. Dafür quartiert die Armee zahlreiche Soldaten in den Ferienzimmern ein, bevor sie aufs europäische Festland übergesetzt werden. Öffentliche Anschläge warnen vor Spionen und untersagen strengstens jedes Gespräch über alles Militärische. Gerüchte über den Krieg zu verbreiten, ist verboten. Fortan betrachten die Dorfbewohner alles Fremde, Ungewöhnliche mit Argwohn. Das wird Macintosh zum Verhängnis. Er wird als Spion verhaftet, wie Freud erzählt:
    "Er war erschüttert, denn er war ein großer Patriot, aber er war sehr exzentrisch und ein Trinker und fand es nicht leicht, sich an die Regeln zu halten, wie das für viele Künstler gilt. Er zog die Verdunklungsrollos nicht richtig runter, so dass Licht nach außen drang. Es fiel ihm schwer, sich daran zu erinnern, dass er sich, um kein Signal an den Feind zu schicken, keine Zigarette am Strand anzünden sollte und er verbrachte viel Zeit damit, mit seinem Fernglas aufs Meer zu starren, schaute nach Pflanzen. Er war ein leichtes Ziel für die Dorfbewohner. Und dann auch noch sein merkwürdiger schottischer Akzent. Er klang für die Bewohner des Dorfes ein bisschen so wie ein deutscher Akzent."
    Buch enthält Originalbriefe von Macintosh an seine Frau
    Auch hier hilft Esther Freud die Stimme des jungen und daher naiven Erzählers, die aufgeheizte fremdenfeindliche Atmosphäre jener Kriegszeit gut einzufangen. Sie hält den Krieg, bis auf einige deutsche Zeppelinangriffe auf das Hinterland, aus dem Dorfalltag weitgehend heraus. Durch Thomas Augen, das heißt die von ihm heimlich geöffneten Briefe von Macintosh an seine nach London abgereiste Frau, erfahren wir zudem von einer großen, innigen Liebe. Esther Freud hat hier tatsächlich auf die erhaltenen Originalbriefe zurückgreifen können. Ihr gelingt das unaufdringliche wie berührende Porträt eines von vielen Zeitgenossen verkannten Künstlers, der zwischen Hoffnung und Verzweiflung hin und her schwankt, tagsüber wunderschöne Bilder schafft und sich abends in Alkohol ertränkt. Man muss Charles Rennie Macintosh nicht kennen, um sich von diesem Roman gefangen nehmen zu lassen.
    Esther Freud: "Mein Jahr mit Mr Mac"
    Berlin Verlag, 2016 Berlin, 363 Seiten, 22 Euro