Donnerstag, 02. Mai 2024

Archiv


Estlands Eisenbahn und die misslungene Privatisierung

Vor fünf Jahren war Estland das erste Land in Europa, das sein komplettes Eisenbahnnetz privatisierte. Doch die Veräußerung der Infrastruktur war von Anfang an heftig umstritten. Nach dem Regierungswechsel in Tallinn im vorigen Jahr eskalierte der Streit um geforderte Tariferhöhungen und angeblich nicht erfüllte Zusagen der US-geführten Investorengruppe Baltic Rail Service (BRS).

Von Alexander Budde | 31.01.2007
    Reisende versammeln sich an diesem kalten Winterabend im überschaubaren Bahnhof von Tallinn. Auf Gleis 1 steht der Fernzug E 34 nach Moskau bereit. Der junge Russe Sergej arbeitet in Estland, doch wann immer möglich, reist er für ein paar Tage zu Freunden und Verwandten in die alte Heimat.

    "Ich fahre gern mit dem Zug. Der ist sehr komfortabel. Für russische Verhältnisse dauert die Fahrt nicht lang. Morgen früh um sieben werde ich in Moskau sein. "

    Für Nina, eine dunkelhaarige Mittfünfzigerin im Winterpelz, geht es noch weiter. Sie will bis Nowisibirsk in Sibirien. Für ihren Schlafplatz im Viererabteil muss sie für den ersten Teil der Reise umgerechnet rund 200 Euro berappen.

    "In den letzten vier Jahren haben sie zweimal die Preise erhöht. Seitdem kann ich mir die Reise nicht mehr so oft leisten. Ohnehin gibt es ja kaum noch Möglichkeiten, mit dem Zug ins Ausland zu fahren. "

    Mit Passagieren lässt sich für die Bahn in der kleinen Republik Estland mit ihren gerade einmal 1, 3 Millionen Einwohnern kein Geld verdienen. Es gibt nur eine einzige profitable Strecke, nämlich die zwischen Tallinn und der zweitgrößten Stadt Tartu. Der Personenverkehr werde damit immer auf staatliche Zuschüsse angewiesen sein, prophezeit Raivo Vare. Als Verkehrsminister brachte er Ende der 90er Jahre die Privatisierung der Bahn auf den Weg.

    "Die estnische Eisenbahn verdient ihr Geld im Frachtverkehr. Und da sprechen wir vor allem von russischen Transfergütern: Rohstoffen, die von unseren Häfen an die europäischen Verbraucher weitertransportiert werden. Natürlich hat die russische Transitindustrie kein Interesse an höheren Preisen, die nötig wären, um Gleise und Anlagen zu modernisieren. Und das ist eine der Ursachen für die Krise, mit der wir es jetzt zu tun haben. "

    Vor fünf Jahren klang das alles noch anders: Mit dem US-Amerikaner Edward Burkhardt und der Investmentgruppe Baltic Rail Service (BRS) meinten die Esten einen fachkundigen Partner gefunden zu haben, der sich bereits erfolgreich in Großbritannien, Kanada und Australien an Privatisierungen beteiligt hatte. Schon damals hatten auch russische Finanzgruppen ihr Interesse angemeldet. Doch estnische Infrastruktur in russischen Händen zu sehen, das wollte und will man in Tallinn unbedingt vermeiden.

    "Offen wird niemand darüber reden, aber nach dem Beitritt Estlands zur Europäischen Union und zur NATO gibt es da einen ganz klaren Kurs, der auch etwas mit der Sicherheit des Landes zu tun hat. Insofern hatten die Investoren aus Amerika einen gewissen Vorteil, was bei einigen Mitbewerbern auf Bitterkeit gestoßen ist. "

    Die Amerikaner investierten rund zwei Milliarden Kronen in die marode Infrastruktur, klagten jedoch ständig über die von der Eisenbahnbehörde regulierten Tarife für den Frachtverkehr. Der Konflikt eskalierte, als bei der Regierungsumbildung im vorigen Jahr mit Edgar Savisaar ein entschiedener Gegner der Privatisierung das Wirtschaftsressort übernahm. Der Minister blockierte die geplanten Tariferhöhungen für den Warenverkehr. Überdies wurden Zweifel an der Zuverlässigkeit der gebrauchten amerikanischen Lokomotiven laut, mit denen die BRS die alten russischen Maschinen ersetzen wollte.

    "Nach den ursprünglichen Plänen sollte der Staat auch weiterhin für das Schienennetz und die Anlagen verantwortlich sein. Doch als die Mitte-Links-Parteien an die Macht gelangte, konnten sie unmöglich an einem Plan festhalten, den sie vorher so heftig angefeindet hatte. Nun wollte man die Eisenbahn um beinahe jeden Preis zurückkaufen. Da wurden Gerüchte in die Welt gesetzt, über angeblich nicht erfüllte Zusagen, die einfach nicht wahr sind. Aber der Zweck heiligt ja bekanntlich die Mittel. "

    Dabei hätte die Privatisierung durchaus ein Erfolg werden können, klagt Raivo Vare.
    Und verweist auf allerhand statistische Belege für eine bessere Auslastung der Schiene, die Modernisierung der Leitstände und Einsparungen bei den Personalkosten. Die estnischen Steuerzahler kommt die Renationalisierung ihrer Eisenbahn teuer zu stehen. Ministerpräsident Andrus Ansip kündigte bereits eine Erhöhung der Frachttarife an, um die künftige Wartung des Schienennetzes zu finanzieren. Genau das aber hatte seine Regierung den privaten Eigentümern verboten.