Friedbert Meurer: Österreich stellt seit gestern die Ratspräsidentschaft in der Europäischen Union und will sich dabei unter anderem besonders für die Staaten Südosteuropas verwenden. Bundeskanzler Schüssel sagte gestern in Wien, er wolle Europa neuen Schwung geben. Am Telefon begrüße ich die österreichische EU-Außenkommissarin Benita Ferrero-Waldner. Frau Ferrero-Waldner, eigentlich sind die Menschen in der EU und auch ganz besonders in Österreich ja eher erweiterungsmüde. Wollen Sie trotzdem noch mehr neue Mitglieder aufnehmen?
Benita Ferrero-Waldner: Nun, ich glaube, es ist sehr wichtig erstens das einzuhalten, was wir immer klar gesagt haben, und es gibt einen Beschluss des Europäischen Rates von Thessaloniki, und zweitens muss man natürlich ganz klar auch dieselben Bedingungen fordern. Ich denke, hier geht es vor allem um die Länder des Balkans, und die Länder des Balkans haben eben diese europäische Perspektive, haben aber sicher noch einen sehr langen Weg vor sich. Ich denke, das Österreich und die österreichische Präsidentschaft sich hier darum bemühen werden, diesen Weg besser, klarer vorzuzeichnen.
Meurer: Wie werden Sie das tun? Werden Sie sich also als Anwältin verstehen für die Balkanstaaten?
Ferrero-Waldner: Ich denke, dass die Österreicher sich sehr als Anwälte der Balkanstaaten verstehen, ja, und es ist ja gerade das heurige Jahr ein sehr wichtiges, wenn ich an Kosovo denke, an die Frage, wie kann der Status im Kosovo gelöst werden, an die Frage, wie kann es weitergehen in Bosnien-Herzegowina, wo es schließlich ein Stabilisations- und Assoziationsabkommen gibt, an die Frage, wie wird es weitergehen nach der Verleihung des Kandidatenstatus in Mazedonien, etc. Also da ist viel zu tun, und ich glaube, die Österreicher, die den Balkan gut kennen, werden hier sicher gute Arbeit leisten.
Meurer: Auf der anderen Seite, die EU-Verfassung ist ja auch deswegen abgelehnt worden, weil viele in Europa sagen, Europa wird einfach zu groß und zu unregierbar. Wird hier doch ein falscher Kurs gesteuert?
Ferrero-Waldner: Also es ist sicher richtig, dass auf der einen Seite die Erweiterungsperspektive steht und auf der anderen Seite die große Frage, wie muss diese EU aussehen, damit sie gleichzeitig bereit sein kann, auch neue Mitglieder aufzunehmen? Ich denke, hier geht es auch um die Verfassungsdebatte, die ja parallel weitergeht und wo Sie wissen, dass auch die österreichische Präsidentschaft im Juni dieses Jahres wichtige Informationen vorlegen soll, um diese Reflektionsphase, die derzeit noch stattfindet, positiv abschließen zu können, um Europa, wie der Bundeskanzler sagte, neuen Schwung zu geben.
Meurer: Und was erwarten Sie für den Juni? Welche Vorschläge könnten da kommen?
Ferrero-Waldner: Ich kann Ihnen diese Vorschläge natürlich noch nicht sagen, denn es liegt hier vor allem an den Mitgliedstaaten, aber ich denke, es ist eine große Herausforderung, die man auch dadurch bewältigen muss, dass man den Bürgern neues Vertrauen gibt, neue Hoffnung, neue Dynamik, und dies vor allem dadurch, dass man das europäische Gesellschaftsmodell anspricht, indem man sagt, was heißt denn Lissabonner Strategie eigentlich? Das heißt vor allem, mehr Schwung schaffen für mehr Arbeitsplätze, das heißt aber auch, an den Universitäten Spitzenuniversitäten fördern, das heißt mehr Forschung und Investitionen in Forschung. Ich denke, das wird vor allem beim Europäischen Rat im Frühjahr den Österreichern ein großes Anliegen sein.
Meurer: Besteht eine Möglichkeit darin, dass man die Verfassung vielleicht einfach nicht mehr Verfassung nennt, weil dieser Begriff auf einige Mitgliedsländer provozierend wirkt?
Ferrero-Waldner: Ich glaube, das alleine kann sicherlich nicht mehr die Lösung. Man muss selbstverständlich den Willen des Volkes berücksichtigen. Wir sind alle Demokratien, zwei Länder haben hier "Nein" gesagt. Ich glaube, man muss eben Wege aus dem Dilemma finden, das eigentlich eine Vertrauenskrise war in die Europäischen Union. Daher, denke ich, muss man mehr die Substanzfragen angehen, bevor man zurückkehrt in die Institutionenfrage.
Meurer: Also die Verfassung muss auch substantiell überarbeitet werden, nicht nur kosmetisch, und im Detail?
Ferrero-Waldner: Ich spreche jetzt nicht so sehr von der Institutionenverfassung, sondern ich spreche von der Substanz der Europäischen Union. Was wollen denn die Bürger eigentlich? Sie wollen ein Europa, das ihnen Arbeitsplätze gibt, das schwunghaft, das dynamisch ist, und das, glaube ich, ist ein bisschen verlorengegangen. Daher ist der Lissabon-Prozess, obwohl es ein so aseptischer Name ist, sehr wichtig, weil dahinter einfach steht, Schwung für die Wirtschaft, Dynamik schaffen, und mit dieser Dynamik natürlich den Menschen neue Hoffnung geben.
Meurer: Der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, also der jetzige EU-Ratspräsident, ärgert sich über den Europäischen Gerichtshof, unter anderem weil der Gerichtshof ja österreichische Universitäten sozusagen gezwungen hat, ausländische Studierende aufzunehmen. Plädieren Sie ebenfalls dafür, die Macht des EUGH zu beschränken?
Ferrero-Waldner: Also ganz klar müssen wir natürlich die Entscheidungen des Gerichtshofs respektieren. Aber wenn es in manchen Fällen zu Entscheidungen kommt, die schwer durchführbar sind oder schwer verständlich in einem Land, dann, glaube ich, muss man Lösungen suchen, und es ist ja inzwischen so eine Task Force für diese Frage eingesetzt worden, wo Lösungen gefunden werden sollen, die auf der einen Seite nicht diskriminierend sind, die aber auf der anderen Seite auch berücksichtigen, dass die Fragen der Erziehung und der Ausbildung natürlich Fragen der nationalen Kompetenz sind, und, wie ich weiß natürlich, die Österreicher auch viel in ihre Bildung investieren, und das kann dann natürlich nicht nur ins Ausland gehen. Also ich glaube, hier muss man Lösungsmodelle anstreben, die dann für beide Seiten akzeptabel sind.
Meurer: Aber muss man deswegen gleich, Entschuldigung, die Macht des EUGH einschränken?
Ferrero-Waldner: Nein, selbstverständlich nicht, das habe ich ja auch nicht gesagt.
Meurer: Die Schlagzeilen in diesen Tagen werden beherrscht durch die Vorgänge zwischen Moskau und Kiew, Russland und der Ukraine. Russland oder Gasprom hat gestern tatsächlich der Ukraine den Gashahn abgedreht. Verurteilen Sie das Vorgehen Moskaus?
Ferrero-Waldner: Ich sage Ihnen, Moskau und auch Kiew müssen Lösungen finden. Als wir vor kurzem unseren Gipfel in der Ukraine hatten, haben wir diese Frage auch mit Präsident Juschtschenko besprochen, und dort war er noch zuversichtlich. Ich glaube, es ist enorm wichtig, dass Russland auch auf die Bedenken der Ukraine eingeht, andrerseits eben hier auch weiter verhandelt wird, denn das sind beide enorm wichtige Produzenten von Gas und zum Teil auch von Erdöl, die für uns alle die Energiesicherheit in der Zukunft bedeuten, und ich glaube, jedes Vorgehen, das negativ wäre, würde allenfalls auch dann das Vertrauen der Europäer in diese Lieferanten erschüttern. Daher, denke ich, müssen Lösungen gefunden werden. Sie wissen, es gibt ein Treffen am 4. oder 5. Januar über diese Energiefragen, und ich denke, dabei muss dieses Thema angesprochen werden.
Meurer: Sehen Sie die Gasversorgung in der EU gefährdet?
Ferrero-Waldner: Ich sehe sie nicht gefährdet, aber ich glaube, es würde schon ein Vertrauensschwund eintreffen, wenn Verträge nicht mehr in dieser Form eingehalten werden und man aber auch zu keinen alternativen Lösungen kommt.
Meurer: Herzlichen Dank für das Gespräch.
Benita Ferrero-Waldner: Nun, ich glaube, es ist sehr wichtig erstens das einzuhalten, was wir immer klar gesagt haben, und es gibt einen Beschluss des Europäischen Rates von Thessaloniki, und zweitens muss man natürlich ganz klar auch dieselben Bedingungen fordern. Ich denke, hier geht es vor allem um die Länder des Balkans, und die Länder des Balkans haben eben diese europäische Perspektive, haben aber sicher noch einen sehr langen Weg vor sich. Ich denke, das Österreich und die österreichische Präsidentschaft sich hier darum bemühen werden, diesen Weg besser, klarer vorzuzeichnen.
Meurer: Wie werden Sie das tun? Werden Sie sich also als Anwältin verstehen für die Balkanstaaten?
Ferrero-Waldner: Ich denke, dass die Österreicher sich sehr als Anwälte der Balkanstaaten verstehen, ja, und es ist ja gerade das heurige Jahr ein sehr wichtiges, wenn ich an Kosovo denke, an die Frage, wie kann der Status im Kosovo gelöst werden, an die Frage, wie kann es weitergehen in Bosnien-Herzegowina, wo es schließlich ein Stabilisations- und Assoziationsabkommen gibt, an die Frage, wie wird es weitergehen nach der Verleihung des Kandidatenstatus in Mazedonien, etc. Also da ist viel zu tun, und ich glaube, die Österreicher, die den Balkan gut kennen, werden hier sicher gute Arbeit leisten.
Meurer: Auf der anderen Seite, die EU-Verfassung ist ja auch deswegen abgelehnt worden, weil viele in Europa sagen, Europa wird einfach zu groß und zu unregierbar. Wird hier doch ein falscher Kurs gesteuert?
Ferrero-Waldner: Also es ist sicher richtig, dass auf der einen Seite die Erweiterungsperspektive steht und auf der anderen Seite die große Frage, wie muss diese EU aussehen, damit sie gleichzeitig bereit sein kann, auch neue Mitglieder aufzunehmen? Ich denke, hier geht es auch um die Verfassungsdebatte, die ja parallel weitergeht und wo Sie wissen, dass auch die österreichische Präsidentschaft im Juni dieses Jahres wichtige Informationen vorlegen soll, um diese Reflektionsphase, die derzeit noch stattfindet, positiv abschließen zu können, um Europa, wie der Bundeskanzler sagte, neuen Schwung zu geben.
Meurer: Und was erwarten Sie für den Juni? Welche Vorschläge könnten da kommen?
Ferrero-Waldner: Ich kann Ihnen diese Vorschläge natürlich noch nicht sagen, denn es liegt hier vor allem an den Mitgliedstaaten, aber ich denke, es ist eine große Herausforderung, die man auch dadurch bewältigen muss, dass man den Bürgern neues Vertrauen gibt, neue Hoffnung, neue Dynamik, und dies vor allem dadurch, dass man das europäische Gesellschaftsmodell anspricht, indem man sagt, was heißt denn Lissabonner Strategie eigentlich? Das heißt vor allem, mehr Schwung schaffen für mehr Arbeitsplätze, das heißt aber auch, an den Universitäten Spitzenuniversitäten fördern, das heißt mehr Forschung und Investitionen in Forschung. Ich denke, das wird vor allem beim Europäischen Rat im Frühjahr den Österreichern ein großes Anliegen sein.
Meurer: Besteht eine Möglichkeit darin, dass man die Verfassung vielleicht einfach nicht mehr Verfassung nennt, weil dieser Begriff auf einige Mitgliedsländer provozierend wirkt?
Ferrero-Waldner: Ich glaube, das alleine kann sicherlich nicht mehr die Lösung. Man muss selbstverständlich den Willen des Volkes berücksichtigen. Wir sind alle Demokratien, zwei Länder haben hier "Nein" gesagt. Ich glaube, man muss eben Wege aus dem Dilemma finden, das eigentlich eine Vertrauenskrise war in die Europäischen Union. Daher, denke ich, muss man mehr die Substanzfragen angehen, bevor man zurückkehrt in die Institutionenfrage.
Meurer: Also die Verfassung muss auch substantiell überarbeitet werden, nicht nur kosmetisch, und im Detail?
Ferrero-Waldner: Ich spreche jetzt nicht so sehr von der Institutionenverfassung, sondern ich spreche von der Substanz der Europäischen Union. Was wollen denn die Bürger eigentlich? Sie wollen ein Europa, das ihnen Arbeitsplätze gibt, das schwunghaft, das dynamisch ist, und das, glaube ich, ist ein bisschen verlorengegangen. Daher ist der Lissabon-Prozess, obwohl es ein so aseptischer Name ist, sehr wichtig, weil dahinter einfach steht, Schwung für die Wirtschaft, Dynamik schaffen, und mit dieser Dynamik natürlich den Menschen neue Hoffnung geben.
Meurer: Der österreichische Bundeskanzler Wolfgang Schüssel, also der jetzige EU-Ratspräsident, ärgert sich über den Europäischen Gerichtshof, unter anderem weil der Gerichtshof ja österreichische Universitäten sozusagen gezwungen hat, ausländische Studierende aufzunehmen. Plädieren Sie ebenfalls dafür, die Macht des EUGH zu beschränken?
Ferrero-Waldner: Also ganz klar müssen wir natürlich die Entscheidungen des Gerichtshofs respektieren. Aber wenn es in manchen Fällen zu Entscheidungen kommt, die schwer durchführbar sind oder schwer verständlich in einem Land, dann, glaube ich, muss man Lösungen suchen, und es ist ja inzwischen so eine Task Force für diese Frage eingesetzt worden, wo Lösungen gefunden werden sollen, die auf der einen Seite nicht diskriminierend sind, die aber auf der anderen Seite auch berücksichtigen, dass die Fragen der Erziehung und der Ausbildung natürlich Fragen der nationalen Kompetenz sind, und, wie ich weiß natürlich, die Österreicher auch viel in ihre Bildung investieren, und das kann dann natürlich nicht nur ins Ausland gehen. Also ich glaube, hier muss man Lösungsmodelle anstreben, die dann für beide Seiten akzeptabel sind.
Meurer: Aber muss man deswegen gleich, Entschuldigung, die Macht des EUGH einschränken?
Ferrero-Waldner: Nein, selbstverständlich nicht, das habe ich ja auch nicht gesagt.
Meurer: Die Schlagzeilen in diesen Tagen werden beherrscht durch die Vorgänge zwischen Moskau und Kiew, Russland und der Ukraine. Russland oder Gasprom hat gestern tatsächlich der Ukraine den Gashahn abgedreht. Verurteilen Sie das Vorgehen Moskaus?
Ferrero-Waldner: Ich sage Ihnen, Moskau und auch Kiew müssen Lösungen finden. Als wir vor kurzem unseren Gipfel in der Ukraine hatten, haben wir diese Frage auch mit Präsident Juschtschenko besprochen, und dort war er noch zuversichtlich. Ich glaube, es ist enorm wichtig, dass Russland auch auf die Bedenken der Ukraine eingeht, andrerseits eben hier auch weiter verhandelt wird, denn das sind beide enorm wichtige Produzenten von Gas und zum Teil auch von Erdöl, die für uns alle die Energiesicherheit in der Zukunft bedeuten, und ich glaube, jedes Vorgehen, das negativ wäre, würde allenfalls auch dann das Vertrauen der Europäer in diese Lieferanten erschüttern. Daher, denke ich, müssen Lösungen gefunden werden. Sie wissen, es gibt ein Treffen am 4. oder 5. Januar über diese Energiefragen, und ich denke, dabei muss dieses Thema angesprochen werden.
Meurer: Sehen Sie die Gasversorgung in der EU gefährdet?
Ferrero-Waldner: Ich sehe sie nicht gefährdet, aber ich glaube, es würde schon ein Vertrauensschwund eintreffen, wenn Verträge nicht mehr in dieser Form eingehalten werden und man aber auch zu keinen alternativen Lösungen kommt.
Meurer: Herzlichen Dank für das Gespräch.