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EU-Beitritt
Serbiens Schritte Richtung Westen

Serbien will schnellstmöglich der EU beitreten. Doch die Arbeitslosigkeit ist hoch, die Wirtschaft läuft nur schleppend und viele junge Menschen wollen dem Land am liebsten noch heute den Rücken kehren. Dazu kommt ein heikler Streit mit einem Nachbarn.

Von Andrea Beer | 19.09.2017
    Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel (l.) bei ihrem Besuch in Belgrad mit dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vucic 2015.
    Serbien will in die EU - aber ein Beitritt vor 2019 ist nicht realistisch (picture alliance / dpa / Koca Sulejmanovic)
    Ein paar Rentner spielen Schach in einem Park in Belgrad. Nicht nur sie brüten über den nächsten Zug, auch Johannes Hahn macht sich dort regelmäßig Gedanken. Denn als EU-Kommissar ist der Österreicher für die Erweiterung der Union zuständig und damit auch in Serbien ein häufiger Gast. Ende letzter Woche kritisierte er einmal mehr fehlende Gewaltenteilung oder die mangelnde Justizreform und Johannes Hahn hatte noch mehr in petto.
    "Gegen Korruption und organisierte Kriminalität muss Serbien viel stärker vorgehen, doch auch freie Meinungsäußerung oder die Pressefreiheit müssen garantiert werden und sind damit ein genauso wichtiges Thema."
    In Serbien ist nur einer der Chef
    Hier könnte sich auch Aleksandar Vučić angesprochen fühlen, der serbische Präsident. Laut Oppositionellen, regierungsunabhängigen Organisationen oder nicht Vucic treuen Journalisten, nimmt dieser viel zu viel Einfluss auf Justiz, Geheimdienst, Wirtschaft oder serbische Medien. Doch der angestrebte EU-Beitritt ist Chefsache und als Chef versteht sich nun mal vor allem einer in Serbien; Aleksandar Vučić. Der wandelbare 47-Jährige diente schon dem serbisch-nationalistischen Milošević-Regime und besetzt nach außen inzwischen gekonnt die Rolle des geläuterten Hardliners. Was den EU-Beitritt angeht, pocht Vučić immer wieder auf ein genaues Datum.
    Der serbische Präsident Aleksandar Vučic.
    Der serbische Präsident Aleksandar Vučic. (imago)
    "Wir haben einen bedeutenden Teil der Reformen umgesetzt und obwohl wir wissen, dass noch viel vor uns liegt, fordert Serbien eine klare EU-Beitrittsperspektive, damit die Bürger wissen wo und wann wir dieses Ziel erreichen."
    EU-Beitritt frühestens 2019 bis 2025
    Ein EU-Beitritt ist allerdings frühestens zwischen 2019 und 2025 drin. Gemeinsam mit Montenegro. Das hat EU-Kommissionspräsident Juncker in einer Grundsatzrede gerade in Aussicht gestellt. Serbiens Regierungschefin Ana Brnabić will nun Tempo machen, vor allem im Bereich Wirtschaft, öffentliche Verwaltung und Rechtsstaatlichkeit.
    "Wir lassen uns absolut nicht entmutigen und konzentrieren uns auf uns selbst und auf niemand anderen."
    Die Wirtschaft in Serbien läuft schleppend
    Das wird allerdings kaum möglich sein, denn Dreh- und Angelpunkt der Beitrittsgespräche sind auch die anderen, Stichwort Kosovo. Serbien erkennt den jüngsten Staat Europas nach wie vor nicht an und die EU-geführten Normalisierungsgespräche zwischen Belgrad und Pristina laufen genauso schleppend wie die Wirtschaft. Die Arbeitslosigkeit liegt bei knapp zwölf Prozent bei jungen Serben, unter 24 sogar bei rund 15 Prozent. Viele sind zudem frustriert, weil es ohne Beziehungen kaum gut bezahlte Arbeit und Perspektiven gibt.
    Ein Mann bettelt barfuß um Geld in in Pristina, der Hauptstadt des Kosovo.
    Eine Straße in Pristina - der Kosovo-Konflikt ist noch ungelöst. (picture alliance / dpa / Valerie Plesch)
    Diese junge serbische Psychologin trinkt gerade ein Bier mit Bekannten und sie würde lieber heute als morgen ins Ausland gehen. "Das wird hier noch Jahre dauern, auch um den Konflikt mit dem Kosovo zu lösen, das weiß ich. Aber Schritt für Schritt wird es dann ok sein. Irgendwann in der Zukunft."
    Vučić sucht in Kosovo-Frage den Dialog mit Albanien
    Was den Kosovo angehe, dürfe man den Kopf nicht in den Sand stecken, sondern müsse realistisch sein, schrieb Serbiens Präsident Vučić neulich in einer serbischen Zeitung und bekam dafür prompt lobt von EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn.
    "Ich möchte das aber nicht weiter kommentieren, denn es liegt alleine an Serbien diese Diskussion zu führen. Aber ich bin sehr dankbar dafür und das zeigt die Führungsstärke des Präsidenten."
    Vučić kann es sich inzwischen also sogar erlauben, die heikle Kosovo-Frage zu stellen und er sucht den Dialog mit den Albanern in seinem Artikel. Die Kosovo-Frage habe das Verhältnis über Generationen hinweg vergiftet und müsse ohne Gewaltanwendung gelöst werden. Der albanische Premier Edi Rama postete das Ganze sogar auf seiner Facebookseite und auch im Kosovo selbst gab es positive Reaktionen.
    Russland mit viel Einfluss
    Doch Kritiker sehen darin die Doppelstrategie des ausgefuchsten Politikers Vučić der nach allen Seiten offen bleibt. Denn Serbien ist ebenso an guten Beziehungen mit China, der Türkei oder Russland interessiert. Moskau zum Beispiel liefert ja nicht nur Energie, sondern auch verlässlich ein Veto in Sachen Kosovo, etwa gegen die Aufnahme des Landes in die UNESCO.
    Eines scheint also sicher. Die schachspielenden Rentner in Belgrad kommen deutlich schneller zum Zug, als Serbien in die EU.