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EU-Beitrittsverhandlungen
Busek: "Richtiger Zeitpunkt" für Serbien

Die Serben müssten beweisen, dass sie den Beitritt wollen, sagt Erhard Busek, ehemaliger EU-Sonderkoordinator des Stabilitätspakts für Südosteuropa, im Deutschlandfunk. Es sei richtig, dem Land eine Chance zu geben.

Erhard Busek im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 21.01.2014
    Dirk-Oliver Heckmann: Es ist noch gar nicht lange her, da glich der Balkan einem furchtbaren Schlachtfeld. Ein Jahrzehnt lang folgte ein schrecklicher Krieg dem nächsten. Wenn man durch die Gegend reist, ist die Feindschaft zwischen Serben, Kroaten und Kosovaren immer noch häufig zu spüren. In vielen Städten wie in Sarajevo sind die Zerstörungen noch überall zu sehen. Nach dem Zerfall Jugoslawiens könnte es aber sein, dass man sich bald wieder unter einem Dach wiederfindet, denn heute beginnen die Beitrittsgespräche der EU mit Serbien – für die Serben sicher ein historisches Darum, aber auch ein Prozess mit ungewissem Ausgang, denn von Versöhnung zwischen Serben und Kosovaren kann nach wie vor keine Rede sein.
    – Am Telefon ist jetzt Erhard Busek, ehemals EU-Sonderkoordinator des Stabilitätspakts für Südosteuropa. Guten Morgen, Herr Busek.
    Erhard Busek: Guten Morgen.
    Heckmann: Herr Busek, ist die Zeit reif, Serbien in den Kreis europäischer Staaten wieder aufzunehmen?
    Busek: Ich glaube, das ist der richtige Zeitpunkt, die Verhandlungen zu beginnen. Gelaufen ist die Sache selbstverständlich noch nicht, weil gerade jene Regierung, die mehr oder weniger in die Richtung am Zug ist – also vor allem ist es der stellvertretende Ministerpräsident Vucic -, haben eine ganz andere nationalistische Vergangenheit und haben uns alle überrascht mit einer wirklich, man kann sagen, kopernikanischen Wende, indem sie eigentlich in der Kosovo-Frage bislang am meisten weitergebracht haben in der Relation zu Serbien. Aber ich glaube, dass man diesen Prozess unterstützen muss, wobei es ja nicht nur um Kosovo geht, sondern auch um Maßnahmen in Serbien, um das Land für die EU reif zu machen.
    Heckmann: Da kommen wir gleich noch drauf, auf die verschiedenen Punkte, die da noch zu erledigen sind. Aber ich möchte trotzdem noch einmal auf das Verhältnis zwischen Serben und Kosovaren zu sprechen kommen. Sie sagen gerade, das ist der richtige Zeitpunkt, diese Verhandlungen zu beginnen. Im April 2013, da haben sich ja Serben und Kosovaren auf einen 15-Punkte-Plan geeinigt. Seitdem wurde intensiv verhandelt, aber mit wenig Erfolg. Sind die Beitrittsgespräche insofern nicht doch verfrüht?
    Busek: Es ist eine alte serbische Taktik, alles im letzten Moment zu machen. Das ist etwas, was man, glaube ich, den Serben ein bisschen abgewöhnen muss. Ich nehme an, dass an der Realisierung hier noch einiges drin ist, vor allem, wenn man den Serben klar macht, dass man es ernst meint. Da hat insbesondere Deutschland eigentlich immer eine klare Haltung gehabt. Ich glaube, diese Linie kann man hier weitergehen, also quasi den Serben eine Chance geben. Aber sie müssen beweisen, dass sie es wollen.
    Heckmann: Wie groß ist denn die Bereitschaft der serbischen Bevölkerung, sich mit den Kosovaren zu versöhnen, wenn Sie sagen, es ist an den Serben zu beweisen, dass sie es wirklich wollen? Denn erst in der vergangenen Woche beispielsweise, da ist ein Stadtrat aus Mitrovica ermordet worden.
    Busek: Mitrovica oder dieses Nordwest-Eck vom Kosovo ist eben die heikle Angelegenheit. Hier gibt es fünf Gemeinden mit einer großen serbischen Mehrheit, die in der Hand der Nationalisten sind, die eigentlich das immer versuchen, zu blockieren. Aber es ist sozusagen die Frage: Wedelt der Hund mit dem Schweif oder der Schweif mit dem Hund? Bislang ist es den Serben im Kosovo gelungen, also in Kosovska Mitrovica und Umgebung, die serbische Regierung hier unter Druck zu setzen. Ich glaube, jetzt müsste es umgekehrt sein. Und da sind EU-Verhandlungen eine gute Gelegenheit. In Serbien selber ist es ja so, dass die große Mehrheit der Serben eigentlich die Kosovo-Frage ignoriert. Es gibt aber bestimmte politische Gruppen, die davon leben. Ich glaube, dass die meisten Serben die Selbstständigkeit vom Kosovo zur Kenntnis genommen haben, aber es ist natürlich immer wieder ein politisches Argument, das hier verwendet wird, um die Gemüter aufzuheizen. Serbien lebt sehr stark von Mythologien und Kosovo ist eine dieser Mythologien, deren Ausgang völlig unendlich ist.
    Erhard Busek
    Geboren 1941 in Wien, Österreich. Der Politiker der konservativen Österreichischen Volkspartei (ÖVP) studierte Rechtswissenschaften an der Universität Wien und promovierte 1963. Busek übernahm zahlreiche Führungs- und Ministerposten in Parlament und Partei. Von 2002 bis 2008 war er Sonderkoordinator des Stabilitätspakts für Südosteuropa.
    Heckmann: Sie haben es gerade schon angedeutet, Herr Busek: Justiz und Rechtsstaatlichkeit sind nach wie vor ein großes Problem in Serbien, auch das Thema Korruption. Haben Sie den Eindruck, dass Premier Dacic und Vizepremier Vucic dieses Problem ernst nehmen?
    Busek: Vucic nimmt es sehr ernst. Er ist einer der stärksten Vertreter hier und hat auch einiges auffliegen lassen. Ich glaube, dass er eigentlich Wahlen anstrebt, um sich noch mehr Möglichkeiten zu schaffen, auch da aufzuräumen. Dass die serbische Rechtsordnung noch äußerst problematisch ist, ist außer Frage, aber hier muss es auch den entsprechenden Druck geben. Natürlich gibt es ein gewisses Wettrennen mit den Russen, neuerdings mit den Chinesen. Wer Belgrad eine Brücke baut, macht sozusagen eine Option, das Land selber zu beeinflussen. Aber ich glaube, die Europäische Union ist der eigentliche Partner von Serbien.
    Heckmann: In Brüssel beginnen heute Aufnahmegespräche mit Serbien. Wir haben darüber gesprochen mit Erhard Busek. Er war EU-Sonderkoordinator des Stabilitätspakts für Südosteuropa. Herzlichen Dank, Herr Busek, für das Gespräch und für die schlechte Tonqualität bitten wir um Verzeihung.
    Busek: Ihnen besten Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.