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"EU darf Beziehung zum Sudan nicht normalisieren"

Wiese: Gestern begann in Nigeria das zweitägige Gipfeltreffen der Afrikanischen Union AU. Thema der Staats- und Regierungschefs ist unter anderem der Bürgerkrieg in der sudanesischen Provinz Darfur. Dort ist eigentlich ein Waffenstillstand zwischen Regierung und Rebellen in Kraft, der von der AU überwacht werden soll. Immer wieder gibt es aber Berichte über Angriffe der sudanesischen Luftwaffe auf Dörfer in Darfur, denen schon Dutzende Menschen zum Opfer gefallen sein sollen. Am Telefon begrüße ich jetzt den ehemaligen UN-Sonderbeauftragten für den Sudan, Gerhart-Rudolf Baum. Guten Tag.

    Baum: Guten Morgen.

    Wiese: Herr Baum, die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller von den Grünen, ist gestern zu einer Reise in den Sudan aufgebrochen. Sie will sich dort über die Einhaltung des Waffenstillstandes informieren. Wie beurteilen Sie die Rolle der Bundesregierung in diesem Konflikt?

    Baum: Zunächst muss ich sagen, der Waffenstillstand betrifft nur den traditionellen Konflikt zwischen Nord und Süd. Er verschärft dagegen den Konflikt in Darfur, in einem anderen Landesteil. Dort hat sich seit über einem Jahr Wesentliches nicht verbessert. Es sind über 1,7 Millionen vertrieben worden, es hat eine ethnische Säuberung stattgefunden, es werden Leute ermordet. Die Regierung hat dieser Tage wieder Zivilisten bombardiert. Der Sorgenpunkt ist der Krieg im Sudan und im Teil Darfur. Was heute in Brüssel zur Debatte steht, ist Anlass zu ganz großer Sorge. Die EU ist nämlich dabei, trotz dieser Lage die Beziehung zum Sudan zu normalisieren und ein Abkommen zu unterzeichnen, mit dem 400 Millionen Euro an die sudanesische Regierung gegeben werden sollen. Es werden die Kriegsverbrecher belohnt, die auch in der Regierung sitzen. Die Regierung in Khartum ist verantwortlich für diese Verbrechen, ohne dass ihnen harte Bedingungen gestellt werden, damit das Morden in Darfur ein Ende hat.

    Wiese: Die Regierung in Khartum, Herr Baum, bestreitet ja nun vehement, dass sie solche Maßnahmen gegen die Dörfer dort ergreift, wie etwa Bombardierungen. Haben Sie denn verlässliche Informationen, dass das tatsächlich stimmt?

    Baum: Ja, es gibt eine Fülle von verlässlichen Informationen und wir werden in Kürze, in wenigen Tagen die Veröffentlichung eines Reports, einer Untersuchungskommission erleben, die der Sicherheitsrat eingesetzt hat. Dort sind detaillierte Informationen und Dokumentationen über die Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die dort seit einem Jahr stattfinden. Jetzt muss heute darauf gedrungen werden, heute am Tag, dass der europäische Ministerrat ein deutliches Signal gibt und nicht schweigt zu dieser Situation und nicht das Regime aufwertet. Er macht sich sonst mitschuldig. Wenn Europa heute schweigt, ist es eine Schande für Europa. Wir werden uns eines Tages daran erinnern, wie wir uns an Srebeniza erinnern und an Ruanda und anderes Versagen der Völkergemeinschaft.

    Wiese: Ich sagte eingangs, dass die Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kerstin Müller, nun in den Sudan aufgebrochen ist, um sich über den Waffenstillstand zu informieren. Die Rolle der Bundesregierung, auch im Zusammenhang mit der EU, wie beurteilen Sie die?

    Baum: Die EU ist mir seit längerem ein Ärgernis, denn sie unternimmt keine harten Schritte. Das Regime in Khartum ist beeinflussbar. Durch politischen Druck, durch Sanktionen, durch Ölembargo und anderes, wie die Amerikaner das fordern, ist eine Politik des Regimes veränderbar in Richtung Frieden. Die Bundesregierung hat bisher ganz überzeugend operiert, ist aber in Europa isoliert. Ihre Politik steht aber heute auf dem Prüfstand. Ich erwarte ein ganz klares Signal des Außenministers und eigentlich ist es ein Fall für den Regierungschef. Die Sache ist so wichtig, dass hier auf der Ebene der Regierungschefs gehandelt werden muss. Frau Wieczorek-Zeul hat dieser Tage sehr deutliche Worte gesagt. Sie hat auch gesagt, dass sie diese Politik nicht mitmacht. Ich erwarte, dass der Außenminister jetzt heute ganz deutlich in Brüssel sagt, dass eine solche Politik von Deutschland nicht mitgetragen wird.

    Wiese: Sie sagten, Deutschland sei innerhalb der EU in der Sudanpolitik vergleichsweise isoliert. Gibt es denn in der EU andere Staaten, die eigene Interessen im Sudan verfolgen?

    Baum: Ja, das ist ja das Dilemma. Es ist im Sicherheitsrat das Dilemma gewesen. Seit einem Jahr ist eigentlich kein entscheidender Schritt im Sicherheitsrat unternommen worden, mit Ausnahme der Einsetzung der Untersuchungskommission. Da gibt es Interessen, Ölinteressen, Wirtschaftsinteressen, politische Interessen der Chinesen, der Russen. Es gibt auch europäische Interessen. Alles findet auf dem Rücken von Menschen statt, die täglich sterben, das Morden geht weiter, die Leute verhungern, sitzen in Lagern, sind traumatisiert, die Frauen werden vergewaltigt und es wird in den Hauptstädten der Welt so getan, als passiere dort nichts.

    Wiese: Sie sprachen den UN-Sicherheitsrat an. Welche Rolle spielt die UNO innerhalb dieses Konflikts?

    Baum: Die UNO muss jetzt, - und Kofi Annan hat ja sehr gute Erklärungen in den letzten Tagen abgegeben -, die UNO muss jetzt dafür sorgen, dass der internationale Strafgerichtshof tätig wird. Es liegen so viele Beweise für Verbrechen vor, dass dies unumgänglich ist und der Sicherheitsrat muss endlich zu Sanktionen kommen. Die droht er seit einem Jahr an, aber er spricht sie nicht aus. Es muss dafür gesorgt werde, dass ein Waffenstillstand, der seit 8. April letzten Jahres besteht, durchgesetzt wird. Im Sudan sind jetzt nur 1100 Beobachter der Afrikanischen Union. Auch dort ist ein Versagen festzustellen. Experten sagen, wir brauchen mindestens 10.000. Die Regierung weigert sich, die beschlossenen 3300 Beobachter der Afrikanischen Union tätig werden zu lassen. Überall wird die Politik nicht konsequent durchgeführt, ohne Rücksicht auf das Schicksal der Menschen.

    Wiese: Ich danke Ihnen, das war in den Informationen am Morgen im Deutschlandfunk der ehemalige Sonderbeauftragte der UNO für den Sudan, Gerhart Rudolf Baum.