
Die Waschmaschine geht plötzlich kaputt und muss ersetzt werden, eine größere Autoreparatur droht: Das stellt viele vor große Schwierigkeiten. Ausgaben von mehr als 940 Euro konnten 2012 von einem Drittel aller Deutschen nicht aus eigenen Finanzmitteln gestemmt werden. Nach einer Erhebung der EU, die das Statistische Bundesamt für Deutschland ausgewertet hat, verzichtete außerdem gut ein Fünftel der Bevölkerung auf Urlaubsreisen, in der gesamten EU sogar zwei Fünftel der Menschen. Das sind keine ganz überraschenden Erkenntnisse.
Die Reichen haben an der Krise verdient
Denn schon der vierte Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung, der im Frühjahr des vergangenen Jahres veröffentlicht wurde, hatte darauf verwiesen, dass die reichsten zehn Prozent der privaten Haushalte mehr als die Hälfte des gesamten Nettovermögens besitzen, die untere Hälfte aber nur über gut ein Prozent verfüge. Die Reichen hätten also an der Krise verdient, kommentierte das damals schon Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands:
"Es ist so, dass dieser private Reichtum, der sich da angehäuft hat, der hat natürlich auch irgendwo Verlierer produziert. Wir haben in Deutschland nach wie vor einen Rekordstand an Armut."
Rekordstand an Armut in Deutschland
Nach der jüngsten EU-Erhebung können 8,2 Prozent der Deutschen sich nicht einmal jeden zweiten Tag eine vollwertige Mahlzeit mit Fleisch, Geflügel oder Fisch oder vegetarisch leisten. EU-weit seien das sogar 11 Prozent. Unter der armutsgefährdeten Bevölkerung in Deutschland lag der Anteil sogar bei einem Viertel. Armutsgefährdet ist derjenige, der weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Gesamtbevölkerung zur Verfügung hat, für Eltern mit zwei Kindern lag dieser Wert 2011 bei 2058 Euro. Sozialrichter und Politik-Berater Jürgen Borchert wundern die jüngsten Auswertungen nicht. Er sieht strukturelle Gründe dafür:
"Deutsche Arbeitnehmerhaushalte werden durch die Sozialversicherung in einem Ausmaß zur Kasse für öffentliche Verantwortlichkeiten gebeten, die kein anderes Industrieland so pervers organisiert wie wir, dass nämlich, je kleiner die Einkommen, je größer die Kinderzahl, desto härter die relative Belastung ist. Und das schlägt durch in alle übrigen ökonomischen Kreisläufe."
Verzerrung der Beitragsgerechtigkeit
Denn der Staat versäume es, bei der Sozialversicherung einen Ausgleich zu schaffen:
"Wir finanzieren die Sozialversicherung im Wesentlichen aus den Löhnen. Und bei den Beiträgen unterscheiden wir nicht nach der Haushaltsgröße, und wir unterscheiden nicht danach, dass die Eltern mit ihrer Kindererziehung gleichzeitig für die Kinderlosen ihrer Jahrgänge die gesamte Altersvorsorge auf Privatkosten finanzieren. Und durch diese enorme Verzerrung in der Beitragsgerechtigkeit der Sozialversicherung entstehen die Armutsprobleme, vor denen der Sozialstaat eigentlich selbst schützen soll. Wir produzieren Armut im großen Stil durch unsere Sozialsysteme, die wir ausgerechnet als Solidarsysteme bezeichnen."
Das Bundesverfassungsgericht hatte in zwei Urteilen den Gesetzgeber gemahnt, dies zu ändern. Passiert sei bisher nichts, sagt Borchert:
"Der Gesetzgeber behandelt diese Entscheidungen aus Karlsruhe wie feuchten Kehricht. Und da müsste man erneut klagen, diese Klagen laufen. Man wird sehen, was das Bundesverfassungsgericht als Antwort demnächst findet auf dieses gesetzgeberische Unterlassen."