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EU-Experte befürchtet keine "nationale Süppchen"

Joachim Fritz Vannahme hält sowohl den Belgier Herman Van Rompuy, als auch den Luxemburger Jean-Claude Juncker für geeignet, den Job als EU-Ratspräsident auszufüllen. Beide beherrschten "die hohe Kunst des Vermittelns meisterlich".

Joachim Fritz Vannahme im Gespräch mit Bettina Klein | 19.11.2009
    Bettina Klein: Das Wort "Casting" ist inzwischen häufig eher abwertend gemeint, als ein Beispiel für Trivialisierung der Politik, die Anwendung von Showkriterien, dort wo sie eigentlich nichts zu suchen haben. Bei allen Einwänden: wenn man es doch einmal anwenden möchte, dann würde es vielleicht im Augenblick zutreffen auf den verzweifelten Versuch der EU-Ratspräsidentschaft, zwei neue Spitzenposten in der Europäischen Union zu besetzen. Heute Abend soll es eigentlich geschehen beim Sondergipfel der EU-Staats- und –Regierungschefs. Joachim Fritz Vannahme war unter anderem Korrespondent in Brüssel für die Wochenzeitung "Die Zeit". Er arbeitet jetzt für die Bertelsmann-Stiftung und leitet dort das Europaprojekt. Ihn begrüße ich jetzt in einem Studio in Bielefeld. Guten Morgen!

    Joachim Fritz Vannahme: Guten Morgen, Frau Klein.

    Klein: Herr Vannahme, beginnen wir mit der Frage nach dem künftigen EU-Ratspräsidenten. Wie stellt sich die Gemengelage im Augenblick für Sie dar?

    Vannahme: Genauso unübersichtlich, wie die Korrespondentin das eben aus Brüssel geschildert hat. Das ist aber nicht sehr verwunderlich, denn bei Personalentscheidungen hat die Europäische Union immer erst im letzten Augenblick mitunter nach dem Nachtisch beim Abendessen entschieden, zumal wenn es wie dieses Mal ja um mindestens zwei Posten geht. Da wird das Ganze noch etwas komplizierter. Erschwert wird die Suche auch durch eine Vorgabe, die sich die beteiligten Politiker irgendwann einmal auf dieser Wegstrecke selber gemacht haben, nämlich dass der Ratspräsident eher aus einer Mitte-Rechts-Familie kommen sollte und der Außenminister deswegen aus einer Mitte-Links-Familie kommen sollte, das Ganze dann natürlich noch überlagert von den traditionellen Verwerfungen, die da heißen groß und klein oder groß gegen klein, Nord gegen Süd, Ost gegen West, alt gegen neu und neuerdings auch Mann gegen Frau.

    Klein: Der Sozialdemokrat Martin Schulz, Vorsitzender seiner Fraktion im Europaparlament, hat vor genau einer Stunde sich hier im Deutschlandfunk beinahe ein wenig darauf festlegen wollen, dass es ein Kandidat aus den Beneluxstaaten werden wird. Die Namen Rompuy, Juncker, Balkenende haben wir eben auch gerade noch mal gehört. Wovon hängt das ab, ob das jetzt so kommt?

    Vannahme: Auch da muss man sehr vorsichtig sein. Die Kanzlerin scheint sich ja nun wirklich festgelegt zu haben, da sind ja alle Meldungen sehr eindeutig. Die zweite Information, die sicher gesetzt und wohl auch in der Wirklichkeit längst so ausgeführt ist, ist die Einigkeit zwischen Deutschland und Frankreich. Wenn Berlin sagt: Rompuy, dann sagt Paris stillschweigend auch Rompuy. Nur ob die beiden dann zusammen sich gegen 25 auch schon durchgesetzt haben, das wird man sehen.

    Klein: Gibt es nach Ihrer Beobachtung Lager, die man etwa so beschreiben könnte, die osteuropäischen Staaten, die kleinen Staaten insgesamt, oder kocht im Grunde mit Verlaub jeder dann doch sein eigenes nationales Süppchen?

    Vannahme: Ich glaube, das eigene nationale Süppchen habe ich dieses Mal nicht so sehr in der Nase gehabt. Was man wirklich bedenken muss, ist, dass die beiden Posten, über die wir hier reden, ja absolute Neuigkeiten sind. Das ist ein Novum. Wir haben ja weder bisher einen Ratspräsidenten dieses Zuschnitts, noch einen Hohen Vertreter, der faktisch immer wieder zurecht auch Außenminister genannt wird. Diese beiden Posten sind ja erst im Zuge des Vertrages von Lissabon im Scherenschnitt sichtbar geworden und jetzt wird man mal sehen müssen, wer könnte denn unter diesen Umständen am besten die Rolle füllen. Da sind nicht so sehr die nationalen Eigenheiten zu bedenken als vielmehr der Mut einzelner Regierungen oder auch der mangelnde Mut einzelner Regierungen, geben wir hier unserem ersten Präsidenten nun ein wirkliches Instrumentarium in die Hand, holen wir uns jemanden, der tatsächlich hier Moderator im Rat sein kann, vielleicht sogar Bürgerpräsident für die halbe Milliarde Menschen der Europäischen Union, oder reicht es uns, wenn – und der Vergleich ist ja heute durchaus statthaft – da eine Art Queen steht, die zur Thronrede heute genau das abliest, was ihr der Premierminister Großbritanniens aufgeschrieben hat.

    Klein: Sie sind kein Politiker, Herr Vannahme; deswegen wage ich, Sie zu fragen. Was wären denn für Sie die beiden geeigneten Kandidaten für die beiden Posten?

    Vannahme: Ich halte sowohl Rompuy als auch Juncker für sehr geeignet, weil sie beide die hohe Kunst des Vermittelns meisterlich beherrschen. Ein belgischer Ministerpräsident muss das von Haus aus, dieses Land ist derartig kompliziert, kompliziert geworden in den letzten 10, 15 Jahren, dass er das sozusagen im Marschgepäck einfach schon mal mitbringt. Und Juncker hat sicherlich an einigen Stellen mit seiner scharfen Zunge und seinem scharfen Verstand auch polarisierend gewirkt, aber in aller Regel immer klar seine eigene Linie verfolgt, die heißt, ich will am Ende 27 zusammenführen und nicht auseinanderdividieren. Da gibt es so ein paar kleine Animositäten zwischen Briten und Luxemburgern, die kann man aber relativ schnell bei Seite schieben, wenn man einfach sagt, der Mann bringt so viel Erfahrung mit wie kein anderer und er hat mehrfach bewiesen, dass er eine wirkliche starke Figur für europäische Politik sein kann.

    Klein: Und mit Blick auf den künftigen Außenbeauftragten? Da gilt als ein Favorit Massimo d'Alema, wenngleich es Widerstand zu geben scheint aus osteuropäischen Staaten, die mit der Tatsache, dass er in der kommunistischen Partei ja aktiv war, die dann später in die demokratische linke Partei überging, ein Problem haben könnten. Was halten Sie davon?

    Vannahme: Ich lese das genau wie Sie auch. Auch das halte ich für ein überwindbares Problem. Wir haben zum Beispiel in der gerade zu Ende gehenden Kommission I von Herrn Barroso mit dem Ungarn Kovác jemanden gehabt, der auch eine kommunistische Vergangenheit mitgebracht hat und der daraufhin höchst penibel in der Anhörung vor fünf Jahren auch befragt worden ist. Der Haupteinwand von damals, der ist sehr, sehr schnell über der Arbeit von Herrn Kovác einfach in den Hintergrund getreten und vollkommen verschwunden. Bei d'Alema kann ich mir das auch vorstellen. Martin Schulz hat ja vorhin angedeutet, dass es da vielleicht auch noch Widerstände im eigenen Land, in Italien gibt, weil dort mit Berlusconi nicht unbedingt ein Freund der Linken regiere. Das ist sicherlich auch nicht auszuschließen, da wird man sehen. Ich ganz persönlich finde eigentlich das Insistieren vor allem von vielen Europaparlamentariern auf einer weiblichen Besetzung durchaus plausibel und man kann sich auch auf dem Posten eines Außenministers sehr wohl eine Frau vorstellen.

    Klein: Wie wichtig ist, wie diese beiden ersten auf diesem Posten das Amt prägen? Werden da unwiderruflich Maßstäbe gesetzt und Weichen gestellt, die später auch nur schwer zu korrigieren sein werden?

    Vannahme: Die Posten sind in einem Punkt vergleichbar, weil sie neu sind, und in fast allen anderen Punkten nicht vergleichbar. Der Hohe Repräsentant – nennen wir ihn ruhig Außenminister, auch wenn das die Briten und die Niederländer nicht so gerne hören – bekommt ja einen riesigen Apparat zur Verfügung gestellt, 6000, 7000 Leute, die rund um die Welt ihm zuarbeiten. Zugleich ist er Vizepräsident der EU-Kommission, das ergibt auch noch mal einen Machtzuwachs, der ganz beträchtlich ist. Beim Ratspräsidenten ist die Frage des Apparates noch viel unklarer. Er sitzt dem Rat vor. Das Gebäude steht ja bereits in Brüssel und da sitzen auch viele emsige und kundige Beamte und Beamtinnen, die ihm zuarbeiten können. Aber wie er sich das wirklich hinterher zurechtschneidet, das wird erst mal sehr stark von ihm selber abhängen. Insofern glaube ich, dass beim Außenminister der Apparat ein ganz gewichtiges Wort von Anfang an mitzureden hat und ihn im Zweifelsfall auch stützen kann, wo hingegen der Präsident doch erst noch mal ganz tüchtig an sich und für sich arbeiten muss und das macht die Situation für den Ratspräsidenten einerseits offener, aber andererseits natürlich unter Umständen heikler.

    Klein: Formal würde ja wohl die Mehrheitsentscheidung reichen. Dennoch wird ja jetzt versucht, eine Einstimmigkeit zu erzielen. Muss man sagen, wenn das nicht zustande kommt, dann werden diese beiden Ämter und diese beiden ersten Personen von vornherein in gewisser Weise beschädigt sein, oder besteht diese Gefahr nicht?

    Vannahme: Ich glaube nicht, dass sie per se durch das Auswahlverfahren beschädigt werden, denn wir haben an anderen Stellen im politischen Leben ja auch mühsame Auswahlverfahren kennen gelernt. Wenn wir vielleicht mal einen ganz gewagten Vergleich versuchen: Wie lange hat Obama kämpfen müssen, bis er demokratischer Präsidentschaftskandidat war, und auch gegen wen? Die Partei war sich da ja lange, lange überhaupt nicht einig. Das ist sicherlich in der Politik keine Überraschung, dass man da lange, lange streitet. Ich glaube nicht, dass der Streit, der ja zur Politik als Wesen dazugehört – das muss so sein -, von vornherein eine Beschädigung darstellt. Wenn man dann sagt, die haben sich erst mal sechs oder sieben Stunden mühsamst auf einen einigen können, dann war es halt eben mühsam, aber sie haben sich am Ende einigen können. Schlimm wäre es, wenn sie sich nicht einigen könnten, denn dann müsste man ja nun sagen, erst unterschreiben sie einen Vertrag von Lissabon und tun alles, dass der auch Wirklichkeit wird, in dem Augenblick, in dem er dann aber Wirklichkeit wird, haben sie nicht die richtige Traute und auch nicht die richtige Energie, um die wichtigen Posten zu besetzen. Ich glaube, das wäre eine Beschädigung nicht so sehr der beiden genannten Posten, aber doch der Bemühungen von 27 Staats- und Regierungschefs, mit dem Vertrag von Lissabon die Europäische Union rundzuerneuern.

    Klein: Staatsminister Hoyer wurde Anfang der Woche mit einer Aussage zitiert, Deutschland strebe zwar tatsächlich keinen Top-Job in Brüssel an, sehr wohl aber bedeutende Ämter im EU-Apparat unterhalb der Spitzenebene. Ist das aus strategischen Überlegungen sinnvoll?

    Vannahme: Das kann man durchaus so wollen. Die Franzosen haben das vor vielen, vielen Jahren mit dem Generalsekretär des Rates erfolgreich versucht. Pierre de Boissieu sagt dem großen Publikum nicht sehr viel, aber das war ein Strippenzieher aller erster Güte innerhalb des Ratsgebäudes und eine ganz, ganz wichtige Figur, immer dann, wenn die Staats- und Regierungschefs sich trafen. Er war ja auch immer dabei, konnte im Hintergrund also weiter die entsprechenden Papiere verteilen. Das ist sicherlich nicht falsch, was Europaminister Werner Hoyer da sagt. Es gibt da eine Rückseite des Arguments, die ist etwas dunkler. Heißt das denn dann auch, dass der Ratspräsident und der Außenminister vielleicht für Berlin gar nicht so wichtig sind? Ich hoffe nicht, dass er das gemeint hat.

    Klein: Joachim Fritz Vannahme, Europaexperte, war uns zugeschaltet aus Bielefeld. Ich bedanke mich für das Gespräch.

    Vannahme: Besten Dank.