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"EU-Flüchtlingslager in Nordafrika sind bedenkenswert"

Durak: EU-Auffanglager für Flüchtlinge aus Nordafrika, diese Überlegungen von Bundesinnenminister Otto Schily werden heftig und kontrovers quer durch die Parteien diskutiert, vom Kanzler wird ein Machtwort gegen Schily gefordert, auch von Grünen-Politikern die Rückkehr zum humanitären Flüchtlingsschutz und auch die EU-Kommission, sie lehnt ab, mit Verweis übrigens auf EU-Verhandlungen vom Juni 2003, auf das Fehlen eines einheitlichen europäischen Asylrechtes und auf die Flüchtlingskonvention selbst. Nun haben wir von der Vorsitzenden des Innenausschusses im Bundestag, Cornelie Sonntag-Wolgast, gehört, der Vorschlag Schilys sei, sagen wir mal, bedenkenswert. Darüber will ich mit ihr sprechen, also nachfragen. Guten Morgen, Frau Sonntag-Wolgast.

Moderation: Elke Durak |
    Sonntag-Wolgast: Guten Morgen, Frau Durak.

    Durak: Viele Kritiker halten Schilys Überlegungen sogar für verwerflich, Sie offenbar nicht. Weshalb?

    Sonntag-Wolgast: Ich will mal vom Ansatz her sagen, was ich für bedenkenswert halte. Erstens finde ich es schon legitim, zu fragen, wie wir verhindern, dass Armutsflüchtlinge sich in brüchige Boote begeben, in Nussschalen, sich in die Hände von kriminellen Schleusern begeben, um bei Gefahr für Leib und Leben über die Meere zu kommen in eine unsichere Zukunft. Das zweite ist, dass ein heimatnaher Aufenthalt als Möglichkeit, eine heimatnahe Zufluchtsstätte für Menschen, die ihre Heimat verlassen müssen als Prinzip für Flüchtlingsschutz ja durchaus sinnvoll ist und von uns schon praktiziert worden ist, zum Beispiel bei der zeitweisen Unterbringung von Kosovo-Flüchtlingen und dann errinne ich noch daran, dass zum Beispiel Ruppert Neudeck, der langjährige Chef der Hilfsorganisation Cap Anamur auch eine solche Lösung für denkbar hält. Allerdings, Frau Durak, schon anders und da muss ich dann auch sagen, für mich geht es natürlich darum, dass die Standards unseres europäischen und unseres deutschen Flüchtlingsschutzes und Flüchtlingsrechtes durch sozusagen extreme, externe Vorposten nicht außer Kraft gesetzt werden dürfen. Da geht es dann auch um Distanzierung von dem, was Otto Schily will.

    Durak: Ich will mal noch mal zum Anfang zurückkommen. Sie sagten, es müsse verhindert werden, dass Armutsflüchtlinge auf unsicheren Wegen, unter Gefährdung des eigenen Lebens über die Meere segeln. Politische Flüchtlinge, die sollten das schon tun können?

    Sonntag-Wolgast: Es ist ja völlig klar, dass Menschen, die politisch verfolgt sind, dass die eine Möglichkeit haben müssen, in Staaten Zuflucht zu suchen und ihre Anträge auf Asyl prüfen zu lassen, das muss auch weiter so sein. Wenn Sie auf politische Verfolgung anspielen, dann spielen Sie natürlich auch auf die Anerkennung der so genannten nicht-staatlichen Verfolgung als asylrelevant an. Das ist in unserem europäischen Flüchtlingsrecht ja inzwischen Konsens und auch in unserem neuen Zuwanderungsgesetz, das wir ja nun extra in diesem Punkt gesetzlich, sagen wir einmal, erweitert, beziehungsweise das genauer fixiert haben, dass also auch diese Menschen einen Anspruch auf Schutz haben müssen. Das muss auch dabei bleiben, das haben wir nun extra durchgekämpft und darf nicht durch solch eine vorgelagerte Instanz außerhalb des europäischen Territoriums ausgehebelt werden.

    Durak: Das gehört zu den Standards des europäischen Flüchtlingsschutzes, den Sie nicht verletzt sehen wollen?

    Sonntag-Wolgast: Dazu gehört, dass man schon ein Recht haben muss, dass geprüft werden muss, ob die so genannte nicht-staatliche Verfolgung ein derartiges Ausmaß erreicht hat, dass man den Menschen Zuflucht gewähren muss und vielleicht auch längerfristig. Dazu gehört außerdem auch die Möglichkeit und darum geht ja auch der Streit im Moment, dass eine negative Entscheidung, wenn also eine Instanz zu dem Ergebnis kommt, so ist der Fall nicht, dass dann der Betroffene noch die Möglichkeit hat, dagegen rechtlich vorzugehen. Ich glaube, dass kann man nicht ausschalten, dass kann man auch nicht in einer afrikanischen, sozusagen europa-externen Anlaufstelle ausschalten.

    Durak: Genau das ist der Punkt. Exterritoriales Gebiet und dort soll EU-Recht vertreten werden, wenn es sich denn überhaupt noch um Recht handelt. Geht das überhaupt?

    Sonntag-Wolgast: EU-Recht muss vertreten werden, der Meinung bin ich ganz dezidiert, man kann aber sicherlich darüber nachdenken, dass man in einem Staat, mit dem etwa Deutschland ein Abkommen trifft über solche einheitlichen Standards, das Wissen um die Lage in einem Land, aus dem ein Flüchtling kommt so verwertet wird, dass man diesem Flüchtling eine Alternative anbieten kann, die ihn eben vielleicht etwas näher an seiner Heimat bleiben lässt. Das halte ich schon für sinnvoll, weil viele, viele Armutsflüchtlinge ja mit Illusionen ihren Weg antreten und wenn da Sachverstand und Fachverstand und Wissen, das auch die EU gesammelt hat, und übrigens muss sie dazu auch den Sachverstand etwa des hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen nehmen, also des UNHCR und anderer Hilfsorganisationen, wenn dies in Anspruch genommen und ausgewertet werden kann, halte ich eine Anlaufstelle für nicht völlig abwegig.

    Durak: Es wird kritisiert, Otto Schily würde mit seiner Erklärung, die Entscheidung in den Lagern über ein Einreiserecht für die Flüchtlinge, die müssten nicht zwangsläufig gerichtlich geprüft werden, dass dies Guantánamo ähnliche Zustände bedeuten würde?

    Sonntag-Wolgast: Guantánamo ist natürlich ein schrecklicher Vergleich, wenn Sie sich die Bilder von Guantánamo anschauen, da werden Menschen in einem rechtlosen Raum gehalten. Hier wurde kritisiert, dass Otto Schily zwar vorhätte, sozusagen den Menschen zwar einen Raum einzuräumen, aber ihnen dann den Zugang zum Rechtsschutz zu verbieten. Ich glaube, soweit darf man auch gar nicht denken. Es sollte meiner Meinung nach, wir sind ja im Moment sozusagen noch in Überlegungen, in Ideen drin, wir haben es ja alles überhaupt noch nicht innenpolitisch, parlamentarisch behandelt, darüber nachgedacht werden dürfen, dass es Orientierungs- oder Clearingstellen gibt außerhalb Europas, in denen, wie gesagt, mit Sach- und Fachverstand, Flüchtlingen eine Alternative angeboten werden kann. Dass damit nicht völlig diejenigen, die sich jetzt trotzdem auf die Wanderschaft begeben oder die sich Schleppern und Schleusern anvertrauen, nicht völlig ausgeschaltet werden kann, das weiß ich auch, aber vielleicht kann das Risiko eingedämmt werden und vielleicht kann man den Menschen ein bisschen mehr Orientierung auf diesem Wege geben.

    Durak: Noch einmal zum Prozedere selbst, was ja politische Rückwirkungen hat. Ein Asylantrag für ein bestimmtes Land kann auf ausländischem Boden nicht gestellt werden, heißt es?

    Sonntag-Wolgast: Nein, ein Asylantrag kann erst da gestellt werden, wo der Asylantragsteller angekommen ist, so haben wir das ja inzwischen innerhalb der EU beschlossen. Es wird dann allerdings zu entscheiden sein, ob er über einen so genannten Drittstaat, einen sicheren Drittstaat gekommen ist. Der Drittstaat muss wiederum die Kriterien der Genfer Flüchtlingskonvention, der Europäischen Menschenrechtskonvention erfüllen, er muss ein ordnungsgemäßes Asylverfahren gewährleisten. So ist ja zum Beispiel unser Asylrecht schon seit 1993, das sind aber die Mindestkriterien.

    Durak: Frau Sonntag-Wolgast, genau das ist es aber. Das würde ja zu Ende gedacht bedeuten, in den EU-Auffanglagern auf afrikanischem Boden würde die Prüfung vollzogen werden und die Guten ins Töpfchen oder ins Kröpfchen und die anderen anderswo hin. Also, die politischen Flüchtlinge, wo man meint, das könnte ein Asylantrag werden, denen müsste man dann ja auch eine Überfahrt besorgen und nach der Drittstaatenregelung begänne ja dann ein munteres Flüchtlingsverteilen?

    Sonntag-Wolgast: Denen müsste man schon sagen, demjenigen Personenkreis, den Sie eben beschrieben haben, es besteht durchaus Aussicht, ihre Gründe die sie angeben sind legitim und überzeugend.

    Durak: Und dann?

    Sonntag-Wolgast: Dann müsste man tatsächlich zumindest ein ordnungsgemäßes Weiterverreisen oder Weiterfahren unterstützend mitbegleiten, das müsste dann tatsächlich funktionieren. Frau Durak, das ist ein weiter Weg und ich könnte mir auch denken, dass schon auf europäischer Ebene, diese Initiative Schilys ist zunächst einmal auf der europäischen Ebene andiskutiert worden, dass das vielleicht insofern vorgeklärt wird, dass wir irgendwann einmal weitersehen. Wir haben uns innenpolitisch überhaupt noch nicht mit der Sache auseinandergesetzt, aber ich muss noch einmal zum Anfang zurückkommen, dass wir uns alle Gedanken darüber machen, dass diese Flüchtlingsbewegung, diese riskanten, diese gefährdeten, von kriminellen Schleusern begleiteten Flüchtlingsbewegungen vielleicht anders gesteuert werden müssten, das halte ich für insgesamt im Ansatz richtig, darüber nachzudenken.

    Durak: Den Ansatz, den teilen sicherlich viele Leute. Aber halten Sie es eigentlich für besonders angenehm, Sie als Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, dass, in Ihren Kreisen ist das noch nicht einmal richtig diskutiert, aber der Innenminister via Zeitung lang und breit darüber meditiert und ja irgendwie auch Stimmungen bedient?

    Sonntag-Wolgast. Das mit dem Stimmungen bedienen, das hoffe ich, dass das nicht eintritt. Es ist natürlich auch ein Einwand, den wir dieser Tage hören. Ich muss Ihnen sagen, wir haben innerhalb Deutschland im Moment eine Asylsituation, in der alle Menschen das Thema sehr ruhig behandeln müssten. Wir werden in diesem Jahr, was Neuzugänge von Asylanträgen betrifft in Deutschland, gerade eben die Zahl von 40.000 erreichen, für das ganze Jahr. Das war vor zehn, zwölf Jahren das zehnfache. Die meisten Menschen, die bei uns Asyl suchen, sind Kurden aus der Türkei, sind Menschen aus dem Iran, sind Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, es ist eine völlig andere Klientel und es sind sehr viel weniger Menschen, die dann auch, meine ich, in ihren Fällen, qualitativ besser betreut und beurteilt werden können. Wir können uns in Deutschland eine sehr ruhige, eine ohne Stimmungsmache laufende Debatte nun wirklich leisten.

    Durak: Der Innenminister hat gesprochen sozusagen, das Problem ist in der Welt, wann werden Sie mit dem Innenausschuss darüber weitersprechen können und wollen?

    Sonntag-Wolgast: Wir kommen erst mal Ende des Monats in einer gemeinsamen Klausur mit den Innenpolitikern aus der Koalition zusammen, da wird das sicherlich eine Rolle spielen. Und im Ausschuss? Wir sind ständige Begleiter der europäischen Asyl- und Flüchtlingspolitik. Wir haben ständig Gespräche mit dem Innenminister ...

    Durak: Der Sie aber, pardon, irgendwie überrollt hat, oder?

    Sonntag-Wolgast: Europäische Asylpolitik hat es an sich, dass das eher immer noch von den Regierenden ausgeht, dass das Parlament eher eine kritisch begleitende, auch manchmal eine vorsorglich begleitende Rolle spielt. Aber, das muss man immer wieder sagen, europäische Asyl- und Flüchtlingspolitik wird nicht allein in den Ausschüssen des deutschen Parlaments gemacht. Das mag man bedauern, das möchten wir auch gerne verstärken, wir möchten uns früher und intensiver einschalten, aber eine kritische Begleitung, die findet natürlich statt und ein Nachfragen dessen, was da vorgeschlagen und angedacht wird.

    Durak: Cornelia Sonntag-Wolgast, die Vorsitzende des Bundestagsinnenausschusses, Mitglied der SPD. Herzlichen Dank, Frau Sonntag-Wolgast, für das Gespräch.

    Sonntag-Wolgast: Danke, Frau Durak.