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EU-Flüchtlingspolitik
Brennpunkt Bulgarien

Nicht nur der Bürgerkrieg in Syrien hat weitreichende Auswirkungen auf Bulgarien. Auch mehr und mehr Flüchtlinge aus anderen Nationen erreichen das Land. Die bulgarischen Behörden müssen sich um die Menschen kümmern, aber sind zunehmend überfordert.

Von Stephan Ozsváth | 09.01.2014
    Ein Zeltcamp für Flüchtlinge in Harmanli, Bulgarien. Zu sehen sind mehrere Kinder und zwei Erwachsene.
    Das Flüchtlingscamp Harmanli in Bulgarien ist für viele syrische Flüchtlinge der erste Eindruck von Europa (Stephan Ozsváth)
    Das Flüchtlingsheim "Owtscha Kupel", zu deutsch: Schafshügel, in der bulgarischen Hauptstadt Sofia. Vor den vergitterten Fenstern hängt bunte Wäsche – Hunderte leben in dem heruntergekommenen Heim. Der junge Syrer Ali Sipan ist hier, um sich registrieren zu lassen. Seit Mitte Oktober ist er in Bulgarien. Türkische Schlepper brachten ihn her.
    "Wir kamen mit anderen Syrern über die Grenze, die Polizei fing uns ein und brachte uns zu einem geschlossenen Camp in Harmanli. Da gibt es keine Elektrizität, kein Essen, kein Wasser, keinen Herd, wir haben auf dem Boden geschlafen. Miese Situation dort."
    Er ist vor dem Krieg geflohen, alleine, erzählt der junge Mann inmitten einer Gruppe anderer Syrer.
    Das soll Europa sein?, schimpft er. Er hat es sich besser vorgestellt. Er will nach Deutschland – er hat gehört, dass man syrische Flüchtlinge da aufnimmt, sagt er.
    Die Wände im Flüchtlingsheim sind voll gekritzelt, es ist laut. Schwarzafrikaner lungern im Treppenhaus herum, Araber, Asiaten – junge Männer, verschleierte Frauen mit Kindern im Arm. Jedes Mal, wenn jemand durch den Metalldetektor am Eingang geht, ist ein lautes Piepsen zu hören.
    Anton Mitkow hat tiefe Ringe unter den Augen, der stellvertretende Leiter des Flüchtlingsheims hat 26 Kollegen, 9 von ihnen führen die Interviews mit den Flüchtlingen: Wo kommt Ihr her? Wo wollt Ihr hin? Eine Sisyphusarbeit.
    Aufnahmekapazitäten überschritten
    "Die Kapazität des Zentrums liegt bei 840, hier sind aber etwa 1000 Menschen. Im Sommer mussten wir sogar den Büroteil zur Verfügung stellen, wir haben jetzt zwei Etagen mit Flüchtlingen oben. Die meisten kommen aus Syrien, aber auch aus dem Maghreb, Zentralafrika, und in der letzten Zeit auch aus Afghanistan."
    In einem winzigen Zimmer lebt eine Familie aus dem syrischen Aleppo. Etagenbetten, Matratzen auf dem Boden ringsum. Die Menschen, die hier wohnen, sind Jesiden, eine kurdische Minderheit. Familienoberhaupt ist Bakarat Scheich Nabo – braune Cord-Schiebermütze und rötlicher Schnurrbart. Der 50-Jährige ist ein geduldiger Mann.
    "Es gibt hier viele Spannungen - aber das ist klar: Es gibt Leute aus der ganzen Welt hier. Da gibt es Spannungen. Deswegen versuchen wir möglichst in unserem Zimmer zu bleiben und uns nicht so sehr unter die Leute zu mischen."
    Bakarat Scheich Nabo hat fünf Kinder, seine älteste Tochter Hannah ist gerade 22 Jahre alt. Im Arm wiegt sie auch schon ein Kind, Rozin heißt die Kleine, gerade mal ein halbes Jahr alt.
    "Das Kind ist in Syrien geboren, der Vater lebt auch hier im Zimmer."
    Der Vater der Kleinen sei gerade im „Interview“, erzählt sie. Am Kühlschrank bahnt sich eine Kakerlake den Weg zu den Essensresten, kleinen Brocken Schafskäse, etwas Brot.
    "Es ist hart, aber wir müssen damit klarkommen. Ich muss mich um mein Baby kümmern. Wir bekommen Dinge von Hilfsorganisationen, und alles, was wir übrig haben, brauchen wir für das Baby. Das kostet viel, aber das ist das Wichtigste. Wir haben keine Wahl."
    Kaum Geld zum Überleben
    Umgerechnet einen Euro pro Tag bekommt ein Flüchtling vom bulgarischen Staat. Das ist zu wenig – für Windeln, Essen, Trinken für eine Familie, die auf engstem Raum lebt. Vater Bakarat Scheich Nabo versucht, Jobs zu finden. Das ist schwer, denn viele Bulgaren suchen selbst einen – die offizielle Arbeitslosenquote liegt um die 12 Prozent, inoffiziell ist sie viel höher. Kein gutes Umfeld für Flüchtlinge, die die Sprache nicht sprechen.
    "Es ist wirklich hart, Arbeit zu finden. Wenn ich jemand sehe, der einen LKW belädt, dann frage ich, ob ich helfen kann. Aber das ist dann Arbeit für eine Stunde. Wir haben wirklich Angst, dass wir vor dem Nichts stehen."
    Aber, sagt er, auch wenn die Flucht beschwerlich war, Dusche und WC im Heim kaum menschenwürdig sind: Es ist immer noch besser als in Syrien.
    "Wir sind vor den Bombardements geflohen. Es war die Hölle. Also haben wir alles zurückgelassen. Und sind hierher gekommen."
    Das Einfallstor für die Flüchtlinge ist die türkisch-bulgarische Grenze: Ein paar Scheine helfen bei der illegalen Einreise. Der Familienvater schildert die Odyssee.
    "Wir verließen Aleppo, über Kilis sind wir mit dem Bus nach Istanbul gekommen. Von dort sind wir mit dem Bus weiter nach Edirne, an der bulgarischen Grenze. Am Bahnhof fragten wir Taxifahrer nach jemand, der uns über die Grenze schmuggeln könnte. Die haben uns zur Grenze gebracht, haben gesagt, wie wir laufen müssen, das hat uns etwa 200 Euro pro Person gekostet. Und dann haben wir mit unseren Handys Zeichen gegeben und die Grenzpolizei hat uns aufgegriffen."
    Viele wollen nach Deutschland
    Die bulgarischen Grenzer haben sie dann ins Lager Harmanli an der türkischen Grenze gebracht. Von dort kamen sie sehr schnell nach Sofia, weil das Kind krank wurde, erzählt der Jeside. Und nun? Will die Familie in Bulgarien bleiben?
    "Wir wollen nicht hier bleiben. Denn wir können hier nichts tun. Wenn wir rausgehen, finden wir keine Arbeit. Warum sollten wir hier bleiben? Wir wollen irgendwohin, wo wir leben können. Unser Sohn studiert in Deutschland, vielleicht können wir dorthin."
    Reiseziel Deutschland. Das geben die meisten syrischen Flüchtlinge an. Der ehemalige Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich von der CSU hatte ja auch zugesagt, mindestens 5000 von ihnen aufzunehmen.
    Werbewirksam ließ er sich auf dem Flughafen Hannover mit syrischen Flüchtlingen ablichten. Friedrich – der Flüchtlingsfreund – das sah gut aus. Und sollte die schlechte Presse neutralisieren. Denn innerhalb der EU galt Friedrich als Hardliner. Als einer, der die Flüchtlinge lieber draußen halten wollte.
    Zu Besuch in Elkhovo, bei der bulgarischen Grenzpolizei. Die türkische Grenze ist hier nur wenige Kilometer entfernt, insgesamt ist die gemeinsame Grenze mit Bulgarien 274 Kilometer lang. Die Gegend um Elkhovo ist ärmlich. Viele einzelne Häuser in dem hügeligen Gebiet sind verlassen. Scheiben sind kaputt. Viele der Flüchtlinge kommen hier an. Hristo Stefanov leitet das Grenzpolizeirevier in Elkhovo.
    Vier syrische Flüchtlingskinder in einem Flüchtlingslager in Bulgarien. Sie stehen vor einem heruntergekommenen Gebäude.
    Viele syrische Familien leben in heruntergekommenen Heimen in Bulgarien (Stephan Ozsváth) (Stephan Ozsváth)
    "Schauen Sie sich eine Karte von Afrika an, suchen Sie sich ein Land aus, garantiert haben wir jemand von dort hier. Die größten Gruppen sind Afghanen und Syrer, aber auch Nord- und Schwarzafrikaner."
    Grenzzaun gegen Flüchtlinge
    Jede Woche sind bislang drei- bis vierhundert Flüchtlinge über die bulgarische Grenze gekommen, so die Statistik der bulgarischen Flüchtlingsagentur. Im November 2013 zog Verteidigungsminister Anju Angelow Bilanz.
    "Bisher haben wir 10 000 ausländische Bürger, von denen 60 Prozent das Recht auf Asyl haben. Welche finanzielle Last bedeutet das? 75 Millionen Euro - nur für ein Jahr."
    Damit der Flüchtlingsstrom aus Syrien abebbt, hat Bulgarien einiges unternommen: Ein 30-Kilometer-Grenzzaun wird gebaut. Zusätzlich patrouillierten jetzt 1500 Polizisten entlang der Grenze zur Türkei. Unterstützt werden sie von zwei Dutzend Beamten der europäischen Grenzschutzagentur Frontex. Hundestaffeln sind im Einsatz. Und auch technisch wird aufgerüstet: Wärmebildkameras – fix installiert oder mobil auf Autos montiert, schauen tief in die Türkei hinein.
    Grenzschützer Hristo Stefanov führt ins Allerheiligste: Die Überwachungszentrale der Grenzpolizei von Elkhovo. Wärmebildaufnahmen zeigen illegale Einwanderer – weiße Lichtgestalten auf einem Computerbildschirm. Die Rechner sind vernetzt mit Sofia.
    "In unserem Abschnitt ist die Grenze ein dichter Wald. Auch auf türkischer Seite ist das so. Das ist günstig für die Schlepper, sie bringen die Leute durch den Wald zu uns. Mit Personal und Technik lenken wir diese Leute jetzt dorthin, wo wir sie besser beobachten können. Durch den Wald können sie nicht mehr, sie müssen anderswo einen Weg suchen. Aber dort werden sie besser überwacht. Wir können sie jetzt sehen. Sogar, wenn sie noch tief in der Türkei sind. Wir melden das der türkischen Polizei - und die soll sie dann festnehmen."
    Türkei im Visier
    Die Türkei wird auch in Brüssel zum Dreh- und Angelpunkt in den Überlegungen, um die Grenze für Flüchtlinge dichtzumachen. Der Österreicher Hubert Pirker sitzt im Europaparlament. Der konservative Abgeordnete beschreibt die Lage so.
    "Früher war der Hotspot die griechische Grenze, jetzt ist es die bulgarische Grenze. Jetzt kann man dazu sagen: Wir sind in der glücklichen Lage, dass Bulgarien noch kein Schengen-Land ist. Was wir erreichen müssen, ist aber, dass die Illegalität an der Grenze überhaupt bekämpft wird und dass v. a. die Türkei Maßnahmen ergreift, dass die illegalen Menschenströme nicht durch die Türkei durchgelotst werden in Richtung Europa, sondern bereits an der türkischen Grenze abgefangen werden."
    Das Zuckerbrot für die Türken: ein jüngst geschlossenes Abkommen mit der Regierung Erdogan. Der Deal: Türken dürfen Visa-frei in die EU einreisen. Dafür sollen sie illegale Einwanderer zurücknehmen. EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström sagte dazu anlässlich der Vereinbarung.
    "Die Türkei trägt schon jetzt sehr viel in der Migrationsfrage bei: durch die großzügige Gastfreundschaft gegenüber Hunderttausenden Syrern, die jetzt auf türkischem Boden leben. Es ist noch zu früh, um über Summen zu reden, aber es gibt Mittel und eine Kooperation, wie bisher schon. Wir werden mit unseren türkischen Kollegen über einen möglichen Bedarf sprechen, was wir tun können und über die künftige Zusammenarbeit im Bereich Migration, Asyl und Grenzen."
    Bulgarien indes bekomme für die syrischen Flüchtlinge 5,6 Millionen Euro aus Brüssel, versprach Malmström. Dafür muss es seine Pflicht erfüllen: Die Ankommenden müssen vor Ort betreut werden – so sieht es das Dublin-Abkommen vor. Für Cornelia Ernst, Europaparlamentarierin der Linkspartei ein Irrweg – sie fordert einen Neustart der EU-Asyl-Politik.
    "Zunächst einmal muss man solche Systeme wie Frontex abschaffen oder umfunktionieren zur Rettung von Flüchtlingen. Auch die Abschaffung des Dublin-Systems. Es ist völlig abartig, dass Länder wie Griechenland, wenn die Flüchtlinge dort ankommen, dass eben ausschließlich dieses Land für die Bearbeitung von Asylanträgen zuständig ist."
    Mehr Überwachung und Abschottung
    Die EU-Kommission setzt aber auf noch mehr Überwachung und Abschottung: So investiert sie bis 2020 mehr als 200 Millionen Euro in die Schaffung einer riesigen Datenbank, genannt Eurosur. Informationen von Hafenbehörden, Polizei, Grenzschutz, Küstenwachen, aber auch von Satelliten und Drohnen, sollen besser vernetzt werden – unter der Federführung der Grenzsicherungsagentur Frontex – mit Sitz in Warschau. Der falsche Schwerpunkt, findet die Migrationsexpertin der Grünen im Europa-Parlament, Ska Keller.
    "Die Logik der Abschottung und des Dichtmachens hat dazu geführt, dass Migranten immer weitere und gefährlichere Wege in Kauf genommen haben. Mit dieser Politik bereiten wir Schleusern erst ihre Geschäftsgrundlage. Wir brauchen einen legalen Zugang zu Asyl in Europa. Wer Schutz sucht, darf nicht erst gezwungen sein, sein Leben zu riskieren. Ein humanitäres Visum ist bereits jetzt möglich. Nur so können wir kriminellen Schleusern das Handwerk legen."
    In Harmanli - etwa 300 Kilometer südlich von Sofia landen viele der illegalen Flüchtlinge, die über die Türkei nach Bulgarien kommen: Harmanli ist eine kleine Stadt mit 18.000 Einwohnern, 35 Kilometer weiter ist schon Türkei. Hos geldiniz – ein türkischer Willkommensgruß an der Tankstelle. Auf die Flüchtlinge sind die Leute hier nicht gut zu sprechen.
    "Wir haben nicht den besten Eindruck von ihnen, sagt diese Frau. Sie bekommen gute Bedingungen, aber sie zerstören alles. Sie sind schlimmer als unsere Zigeuner hier im Getto. Es sind zu viele. Und es dürfen nur Syrer, kommen: keine Afghanen und andere, die uns die Türkei schickt, damit wir ihre Probleme lösen."
    Rassisten nutzen Situation aus
    Wir haben unsere eigenen Sorgen, ergänzt ihre Bekannte auf dem Platz vor dem Rathaus.
    "Allen geht es schlecht: uns und ihnen. Es ist für alle besser, wenn sie nicht hier sind."
    Rassistische Parteien profitieren von dieser Stimmung. Weil ein Algerier eine Kassiererin in der Hauptstadt Sofia niedergestochen hatte, gingen die Rechtsextremen auf die Straße. Angel Jambaski von einer neuen Rechtsaußen-Partei setzte der Regierung aus Sozialisten und Türkenpartei in der Hauptstadt Sofia ein Ultimatum.
    "Wenn in einer Woche keine Ordnung herrscht, wenn die illegalen Migranten, die kriminell geworden sind, nicht zurückgeschickt werden, werden wir Leben, Gesundheit und Besitz unserer Nächsten so schützen, wie wir wollen. Wir lehnen jede Verantwortung ab, für Ereignisse, die in diesem Zusammenhang geschehen könnten."
    Eine unverhohlene Drohung, Lynchjustiz zu üben. Im Norden Bulgariens gingen die Bewohner einer Ortschaft auf die Straße, weil ein Flüchtlingsheim eingerichtet werden sollte. Im Parlament forderte Magdalena Taschewa, Abgeordnete der Nationalistenpartei „Ataka“ im ARD-Interview.
    "Wir bestehen darauf, dass die illegalen Einwanderer abgeschoben werden. Warum gibt es denn in Katar und Saudi-Arabien keine Flüchtlingslager? Warum gehen die Leute aus Afghanistan, Syrien, dem Maghreb, aus ganz Afrika nicht dorthin? Dort gibt es keine kulturellen und sprachlichen Barrieren."
    Die Rechtsextremen behaupten: Die Flüchtlinge bekämen viel mehr Geld als die Bulgaren. Die Ataka-Abgeordnete schwadroniert von Flüchtlingen aus Syrien, die die Taschen voller Dollars hätten. Solche Parolen fallen auf fruchtbaren Boden, erzählt Krassimir Kanev, Vorsitzender des bulgarischen Helsinki-Komitees.
    Bürgermeister fühlt sich von EU im Stich gelassen
    "Wir haben das Problem in der Gesellschaft, dass es ausländerfeindliche, rasstische Gruppierungen gibt, die zu Diskriminierung und Gewalt aufrufen. Und tatsächlich hatten wir einige Attacken gegen Asylbewerber und Ausländer im Zentrum von Sofia, und sogar gegen Leute, die nur so aussehen. Einer war Bulgare, aber ethnischer Türke. Die Ermittlungsbehörden haben nichts unternommen. Das ist die traditionelle Schwäche der bulgarischen Justiz."
    Im ersten Stock des Rathauses von Harmanli an der türkischen Grenze hat der Bürgermeister sein Büro: ein untersetzter Mann mit Designerbrille. Auch Michail Liskow ist nicht glücklich über die Flüchtlinge in seiner kleinen Stadt.
    "Ich war auch gegen ein Flüchtlingszentrum hier angesichts der Zustände dort. Aber nun ist es da und ich habe darauf bestanden, dass sich die Flüchtlinge nicht frei in der Stadt bewegen dürfen. Wenn wir jetzt auch einen Laden dort eröffnen, werden die Flüchtlinge noch eher dort bleiben, und nicht raus wollen. Das heisst: Unsere Bürger haben keinen Grund zur Sorge. Da sie kaum Berührungspunkte mit den Flüchtlingen haben."
    Der Bürgermeister rechnet vor: 1700 Euro kostet ihn die Müllabfuhr, alle drei Tage müsse er für noch mal soviel Geld Brennholz ins Lager liefern, sagt er. Es habe zwei Hepatitisfälle gegeben, und erst kürzlich habe eine Frau ein Kind im Lager geboren. Er habe darauf bestanden, dass ein Kasernengebäude jetzt für den Winter flott gemacht werde. Von der EU fühlt er sich im Stich gelassen.
    "Das Problem ist vor Europas Haustür. Und Europa hilft den den Taifunopfern auf den Philippinen und vergisst uns anscheinend. Hier ist das Problem nicht kleiner als am anderen Ende der Welt."
    Schlechte hygienische Verhältnisse
    Vor dem Flüchtlingslager lungern bulgarische Anwälte. Hilfsorganisationen beklagen, dass windige Gestalten aus der Not der Flüchtlinge ein bulgarisches Business machen. Der Syrer Daula ist aus Köln gekommen, um Verwandte abzuholen, sagt er und grinst dabei. Auch er schimpft auf die Anwälte.
    "Die Anwälte, das ist alles Schauspielerei. Und die nennen sich „Bruder“. Die nehmen pro Kopf 100 Euro – und dann kommen die Leute wieder hier rein. Und das Geld kriegt man nicht zurück. Dann heisst es: Ich hab getan und gemacht."
    Hinter einer Stahltür, die von der Polizei bewacht wird, langweilen sich Hunderte Flüchtlinge: Sie sitzen an Feuern, stieren ins Leere. In den Brandgeruch mischen sich Fäkalausdünstungen. Lagerleiter Schelju Schelev beschreibt die Lage so.
    "Das Lager hier ist für 430 Personen ausgerichtet, aktuell leben hier 1300. Jeden Tag kommen 40 bis 50 neue, manchmal sogar über 200 Menschen."
    Shelev öffnet eine Mülltonne. Sie ist fast leer, der Abfall liegt daneben. Auch Brot. Trotzdem: Hier ist der bessere Teil des Lagers: weiße Wohncontainer, zwei Zimmer. Ein Dach über dem Kopf. Eine junge Afghanin drängt sich vor, sie schimpft lautstark.
    "Das hier sind die weißen Häuser, Sie wissen schon: Weißes Haus, aber wenn Sie das wahre Leben sehen wollen, schauen Sie sich die Zelte an, wir leben wie die Tiere, sagt sie. Das hier ist der sauberste Ort."
    Aus dem Klocontainer dringt unbeschreiblicher Gestank, die Toiletten sind verdreckt, Wasser fließt aus einem Leck. Der Lagerleiter hat dafür eine Erklärung.
    "Das ist Sabotage. Sie versuchen alles, um uns zu diskreditieren. Das hier ist z. B. ein Container nach europäischem Standard, und Sie sehen ja, wie der aussieht. Nach nur einer Woche. Sie verstopfen die Abwasserleitung, sie zerstören alles, in der Hoffnung hier herauszukommen."