Samstag, 04. Mai 2024

Archiv

EU-Gipfel in Brüssel
Wie polnische Journalisten den Überblick behalten

Das Ergebnis beim EU-Gipfel in Brüssel war deutlich: Mit 27 von 28 Stimmen wurde EU-Ratspräsident Donald Tusk in seinem Amt bestätigt. Nur Polen stimmte dagegen und blockierte anschließend alle weiteren Entscheidungen der Staats- und Regierungschefs. Der Streit sorgte auch bei vielen polnischen Journalisten vor Ort für Diskussion.

Von Peter Sawicki | 10.03.2017
    Sie sehen die polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo bei ihrer Ankunft auf dem EU-Gipfel.
    Die polnische Ministerpräsidentin Beata Szydlo bei ihrer Ankunft auf dem EU-Gipfel. (picture-alliance / dpa / Thierry Roge)
    Wenn im Brüsseler Justus-Lipsius-Gebäude der Europäische Rat seinen Gipfel abhält, entsteht in der imposanten Atriumhalle auch Europas wohl größter Newsroom.
    Der Saal ist dank der 50 Meter hohen Glasdecke lichtdurchflutet, überall sind lange Tischreihen aufgestellt. Die anwesenden Korrespondenten tippen ihre Texte, nehmen in ruhigen Ecken Radiobeiträge auf und sprechen live in Fernsehkameras.
    Die Medienvertreter aus Polen sitzen alle in derselben Tischreihe. Rafal Potocki, ein forscher junger Fernsehreporter vom konservativen Sender Telewizja Republika, sitzt außen und formuliert seine Moderationen. Für ihn und seine Kollegen ist die Wahl des Ratspräsidenten von größtem Interesse:
    "Das ist in den polnischen Medien das Thema Nummer 1. Vor allem deshalb, weil Donald Tusk als EU-Ratschef sehr oft die polnische Regierung kritisiert hat. Er hat sich nicht neutral verhalten. Neulich während der Parlamentskrise unterstützte er offen die Opposition. Und ich finde, dass er als hoher Vertreter der EU in diesem Fall objektiv bleiben müsste – speziell weil er Pole ist."
    Großes Interesse für EU-Themen
    Potocki und sein Team sind an Bord der polnischen Regierungsmaschine angereist. EU-Themen, erklärt er, stoßen in Polen auf großes Interesse. Umso wichtiger sei es, gründlich darüber zu berichten. Mit Blick auf die Wahl des Ratspräsidenten, bei der Warschau den Gegenkandidaten Jacek Saryusz-Wolski aufgestellt hatte, macht Potocki aus seiner Meinung keinen Hehl.
    "Fast alle polnischen Journalisten fragen sich: Wessen Kandidat ist Donald Tusk eigentlich? Deutschlands Kandidat? Polens jedenfalls nicht. Er hat sich nicht geschert, sich die Unterstützung der polnischen Regierung einzuholen, weshalb diese auch das Recht hatte, einen eigenen Mann aufzustellen. Aus unserer Sicht wäre das aber eigentlich der normale Weg gewesen."
    Die Causa Tusk ist in Polen ein Reizthema. Viele sehen darin vor allem eine persönliche Fehde zwischen Tusk und PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski. Katarzyna Szymanska lässt sich von den Emotionen nicht aus der Ruhe bringen. Sie ist EU-Korrespondentin des privaten Radiosenders RMF FM – und hat, wie sie sagt, eine gesunde Distanz zu innerpolnischen Querelen aufgebaut:
    "Natürlich kann man darüber ausgewogen berichten. Speziell hier in Brüssel gibt es so viele verschiedene Quellen. Ich arbeite hier schon seit 20 Jahren und mich interessiert eher die Frage, wie Polen in der EU wahrgenommen wird. Wenn es sich so isoliert wie heute, dann berührt mich das mehr als so ein Männerstreit."
    "Wir sind alle Freunde hier. Egal, für welchen Sender wir arbeiten"
    Dieser Streit wird mittlerweile offen auf der europäischen Ebene ausgetragen. Katarzyna Szymanska hält das für falsch. Sie macht vor allem Warschau Vorwürfe:
    "Ich glaube, dass die Regierung ohne Not einen eigenen Kandidaten aufgestellt hat – noch dazu jemanden, den keiner richtig kennt. Vor allem hat sie zu viel Kraft für so eine Kampagne verschwendet, und das nur um so einen Posten. Anstatt sich zum Beispiel stärker in ökonomischen Fragen zu engagieren."
    Nach Donald Tusks Wiederwahl nimmt Rafal Potocki seinen Bericht auf. Das Ergebnis ist für ihn mit Blick auf Polens Rolle in der EU problematisch.
    "Ich denke, das könnte in Zukunft viel Streit auslösen, zwischen Polen und der gesamten EU. Wir haben zur EU eine positive Einstellung, aber wir wollen, dass wir dort gleich behandelt werden und nicht schlechter als zum Beispiel die westeuropäischen Staaten."
    Doch so sehr das Thema in Polen politisch für Streit sorgt – die Brüsseler Reportergruppe bleibt davon unberührt, versichert Katarzyna Szymanska.
    "Also, wir sind alle Freunde hier. Egal, für welchen Sender wir arbeiten – ob öffentlich-rechtlich oder privat. Da sind wir einfach ein großes Team."