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EU-Haushalt
"Man kann nicht mehr tun mit weniger Geld"

Die Positionen einzelner Regierungen gegenüber der Europäischen Union seien verhärtet, sagte der SPD-Politiker Jens Geier im Dlf. Das sei ein Symptom der EU, das sich auch jetzt beim Scheitern der Haushaltsverhandlungen gezeigt habe. Einige Regierungen würden ihren Bürgern vermitteln, dass das Geld in der EU nur für Unsinn ausgegeben werde.

Jens Geier im Gespräch Philipp May |
    Europafahnen vor dem Gebäude der Europäischen Kommission, Berlaymont Gebäude, Brüssel.
    Die Haushaltsverhandlungen der EU sind vorerst gescheitert. (imago stock&people)
    Philipp May: Haushaltswoche im Bundestag. Die schwarze Null steht auch bei SPD-Finanzminister Olaf Scholz, aber nur noch so gerade, denn die Ausgaben sind so hoch wie nie und die Konjunkturaussichten verdüstern sich. Dementsprechend heftig wurde gestern im Bundestag gestritten, aber nicht nur da. Auch in der EU. Dort konnte der Europäische Rat, die Mitgliedsstaaten, sich vorerst nicht mit dem EU-Parlament auf einen Haushaltsentwurf verständigen. Das Erstaunliche daran: Am Ende scheiterten die Verhandlungen offenbar an 400 Millionen Euro. Klingt jetzt viel für den Normalbürger, ist aber im Verhältnis sehr wenig bei einem Haushalt, der 166 Milliarden Euro schwer ist.
    Was war da los? Das schreit nach einer Erklärung und die kann uns möglicherweise Jens Geier geben, Vorsitzender der SPD-Abgeordneten im Europaparlament und dort Vizevorsitzender im Haushaltsausschuss. Er ist jetzt am Telefon. Herr Geier, guten Morgen!
    Jens Geier: Guten Morgen aus Brüssel!
    "Dieser Haushalt ist unterfinanziert"
    May: Herr Geier, laut einem EU-Diplomaten sind Sie beziehungsweise Ihre Mitstreiter einfach aufgestanden und haben den Verhandlungstisch verlassen. Hatten Sie keine Lust mehr?
    Geier: Nein. Die Verhandlungen waren von vornherein durch eine Situation belastet, dass die Mitgliedsstaaten uns, salopp gesprochen, in die Tasche gegriffen haben. Bei der Fortsetzung der Türkei-Fazilität, der Hilfen für Flüchtlinge vor allen Dingen aus Syrien, die in der Türkei untergekommen sind, wo es um Ernährung und Beschulung geht, hatten die sehr einseitig beschlossen, dass sie zwei Milliarden aus dem EU-Haushalt nehmen wollen gegenüber einer Milliarde bei der ersten Tranche. Das war inhaltlich eigentlich kein Problem. Wir sind uns einig darüber, dass das finanziert werden soll. Dass wir aber so halsbrecherische Konstruktionen brauchen wie diese Türkei-Fazilität, das zeigt, dass dieser Haushalt unterfinanziert ist. Das ist ja noch nicht mal die Hälfte des Bundeshaushalts für die ganze EU. Also ist eine Milliarde oder die 400 Millionen, von denen Sie gesprochen haben, für uns schon ein Haufen Geld und wir haben den Rat damit konfrontiert und gesagt, es geht darum, dass wir mit der Milliarde auch was Nettes angestellt hätten, nämlich zum Beispiel die Forschungspolitik verstärkt. Da gibt es ein Instrument aus der Haushaltsordnung, was das gestattet. Das ist ein bisschen technisch, das kann ich erklären, führt aber vielleicht zu weit. Der Rat hat sich dagegen mit Händen und Füßen gewehrt. Die Kommission hat gesagt, das ist alles rechtlich in Ordnung, das entspricht der Haushaltsordnung, und das hat die Situation dann irgendwann mal so verfestigt, dass wir gesagt haben, okay, wisst ihr was, der Herr Oettinger kann auch einen neuen Vorschlag vorlegen und jetzt gehen wir mal besser, um euch zu zeigen, dass wir auf die Inanspruchnahme dieses Instruments beharren, weil wir mehr Geld für Innovation und Forschung in der EU ausgeben wollen.
    May: Aber am Ende gilt trotzdem der alte Satz Ihres Parteigenossen Herbert Wehner: Wer rausgeht, muss am Ende auch wieder reinkommen?
    Geier: Ja, richtig. Das ist jetzt so. Der Haushaltsentwurf, wie Sie richtig gesagt haben, von der EU-Kommission ist gescheitert. Das heißt, die Kommission, Herr Oettinger muss einen neuen vorlegen. Das ist kein Hexenwerk, denn über 95 Prozent der Haushaltszahlen besteht ja Einigkeit. Nur wie wir die Streitpunkte vom Eis holen, das wird jetzt seine Kunst sein, auch ein bisschen Lockerungsübungen beim Rat zu erzeugen, dass da diese Sperre - Obwohl wir gegangen sind, glauben wir, dass eigentlich die Halsstarrigkeit auf der anderen Seite liegt - gelöst wird.
    May: Jetzt sagen die Verhandler der EU-Staaten, dass sie Ihnen schon weit entgegengekommen seien, sogar mehr zahlen wollten, als der Vorschlag von Oettinger ursprünglich vorsah. Warum lassen Sie das nicht gelten?
    Geier: Das ist korrekt. Wenn es um die Zahlen geht, wenn es um die Volumina geht, ist uns der Rat tatsächlich ein gutes Stück entgegengekommen. Das ist normal. Leider, muss ich sagen, sind diese Haushaltsverhandlungen hochgradig ritualisiert.
    "Diese 400 Millionen war Geld, was schon bewilligt war"
    May: Das heißt, Oettinger schlägt vor und der Europäische Rat legt immer drauf? Das ist so?
    Geier: Nein, nein. Der kürzt erst mal und dann stellen wir den Haushaltsentwurf der Kommission wieder her und setzen eigene Prioritäten. Dann reden wir am Ende über zwei, drei Milliarden, vielleicht irgendwie zwei Prozent des Haushalts. Da kommt uns der Rat normalerweise ein Stück weit entgegen. Wir haben gesagt, lasst uns doch mehr tun für Innovation, lasst uns doch dieses neue Instrument, das die Haushaltsordnung anbietet, einsetzen. Diese 400 Millionen war Geld, was schon bewilligt war in Projekte, die nicht zustande gekommen sind. Dieses Geld fließt zurück an die Mitgliedsstaaten und davon wollen sie sich ungern trennen. An der Stelle haben wir gesagt, jetzt kommt es aber mal darauf an, deutlich zu machen, dass man über ein besseres Europa nicht nur sonntags redet, sondern es auch montags umsetzt, und nicht sonntags redet und Montags kürzt.
    "Das europäische Forschungsprogramm ist schwach finanziert"
    May: Wenn ich noch mal auf die 400 Millionen Euro zurückkommen darf? Das ist ja Steuergeld aus den Mitgliedsstaaten, die Sie für Forschung ausgeben wollten. Sie sagten, die Projekte sind nicht zustande gekommen. Wenn Sie das nicht schaffen, es auszugeben, ist es dann nicht erst mal fair, wenn das Geld an die Steuerzahler in den Ländern zurückfließt und dann neu verhandelt wird über ein neues Budget?
    Geier: Ja, sicher! Im Rahmen dieses neuen Budgets hätten wir dieses Geld ja gerne wieder aktiviert für andere Forschungsprojekte. Schauen Sie: Das europäische Forschungsprogramm ist hoch gelobt. Aber es ist so schwach finanziert, dass wir nur jedes siebte Erfolg versprechende Projekt überhaupt finanzieren können. Dass von diesen Projekten dann noch mal ein paar auf der Strecke krepieren, liegt in der Natur der Sache. Man hat eine gute Idee für eine Forschung, die lässt sich leider nicht realisieren. Das Geld ist genehmigt im Prinzip und es steht eigentlich dem europäischen Etat Verfügung. Es ist dann am Ende die Frage, wo wollen wir es einsetzen. Soll es zurückfließen und in den nationalen Haushalten verschwinden, oder wollen wir es einsetzen, um Europa und die europäische Forschungslandschaft zu stärken. Das war unsere Idee.
    May: Herr Geier, jetzt kommen ja mit dem Ausstieg Großbritanniens – ein Nettozahler, wie wir alle wissen – eh höhere Kosten auf die gesamte EU zu. Kann man dann nicht auch verstehen, dass ganz genau in den Ländern aufs Geld geschaut wird, gerade in den Ländern, wo das Geld erwirtschaftet wird?
    Geier: Jetzt argumentieren Sie so, wie das zum Beispiel die niederländische oder die österreichische Regierung macht, nach dem Motto, die EU wird kleiner, dann muss es auch der Haushalt werden.
    May: Das sollen ja vor allen Dingen die treibenden Kräfte gewesen sein, habe ich entnommen, die jetzt Front gegen Sie gemacht haben.
    Geier: Das liegt ja auch in einer gewissen Tradition, weil die ohnehin, wenn das Geld Richtung Brüssel fließen soll, sich sehr ungern davon trennen. Auf der anderen Seite wachsen aber doch die Anforderungen. Jeder erzählt doch, dass die Europäische Union mehr tun soll, in Innovation nicht zuletzt, weil wir nicht abgehängt werden wollen von den anderen Wachstumsmotoren auf der Welt.
    "Frontex soll in sieben Jahren auf 10.000 Menschen aufwachsen"
    May: Ich höre vor allen Dingen immer nur, beim Grenzschutz soll man mehr tun, Grenzschutz und Rüstung, und dann muss man woanders sparen.
    Geier: Das wäre jetzt mein nächstes Wort gewesen. Die Grenzschutzbehörde Frontex soll ja in sieben Jahren auf 10.000 Menschen aufwachsen. Das ist doch alles nicht Geld, was an den Bäumen hängt, sondern dieses Geld muss in den europäischen Haushalt hinein, wenn man nicht eine Situation haben will, wo man sagt, okay, andere sinnvolle Dinge müssen dann unter den Tisch fallen. Und auch dafür gibt es Vorschläge, die das Europäische Parlament macht. Das Stichwort davon ist Eigenmittel der Europäischen Union. Aber auch da sind einige Staaten – die beiden, die wir genannt haben, gehören dazu – im Moment sehr abwehrend. Aber man kann nicht mehr tun mit weniger Geld. Das funktioniert nun mal nicht.
    May: Jetzt gibt es einen Nothaushalt?
    Geier: Nein. Der Nothaushalt, das wären die provisorischen Zwölftel. Das wäre, wenn wir gar nichts bis Ende des Jahres zusammenkriegen. Jetzt gibt es erst mal einen neuen Vorschlag der Kommission und dann reden wir über den, so wie wir über den ersten Entwurf geredet haben. Wir fangen ja nicht bei null an.
    Viele Regierungen "in innenpolitischen Klemmen"
    May: Sagt dieser Streit denn etwas über die Handlungsfähigkeit innerhalb der EU aus? Oder ist das ein normales demokratisches Prozedere, beziehungsweise bürokratisches Prozedere, würde ich vielleicht eher sagen?
    Geier: Das schon mal ein Haushalt gescheitert ist, ist sicherlich nicht das erste Mal. Insofern ist das jetzt kein Symptom. Dass sich aber Positionen so verhärten, dass man sich nicht mehr traut, mit einem Kompromiss nachhause zu kommen, das hat sicherlich auch etwas mit dem real existierenden Zustand der Europäischen Union zu tun. Es gibt Regierungen in der Europäischen Union, die tun sich ausgesprochen schwer, ihren Bürgerinnen und Bürgern zu erklären, dass die Geld kostet. Die tun im Prinzip immer so, als würden wir das Geld hier nur für Unsinn ausgeben. Die sind mittlerweile teilweise in innenpolitischen Klemmen, wo sie das nicht mehr rechtfertigen können, und das sorgt für zusätzliche Verhärtungen, die wir eigentlich nicht brauchen können. Insofern ist es nicht ungewöhnlich, aber so, wie es im Moment läuft, ja, ist es ein Symptom.
    May: … sagt Jens Geier, Vorsitzender der SPD-Abgeordneten im Europaparlament und Vizevorsitzender im Haushaltsausschuss. Herr Geier, vielen Dank für das Gespräch.
    Geier: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.