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EU-Industrieverbände plädieren für Europäischen Währungsfonds

Eine gemeinsame EU-Wirtschafts- und Währungspolitik - eine Fiskalunion - ist auch aus Sicht der europäischen Industrie der richtige Weg, sagt Markus Kerber, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Kern einer solchen Union könne ein gemeinsamer Währungsfonds sein.

Markus Kerber im Gespräch mit Dirk Müller | 07.12.2011
    Dirk Müller: So weit ist es also gekommen: Jetzt müssen wir selbst befürchten, dass deutsche Staatsanleihen von den Investoren links liegen gelassen werden. Heute sollen weitere fünf Milliarden Euro auf den Weg gebracht werden und den Weg in die Märkte finden. Bereits vor zwei Wochen waren zwei Milliarden auf keinen interessierten Käufer gestoßen. Die Drohung von Standard & Poor's, die Bonität herabzustufen, geht nicht nur in Richtung des Musterknaben, sondern betrifft alle Euro-Staaten und seit gestern Nachmittag auch den Euro-Rettungsschirm. Dabei hatten Angela Merkel und Nicolas Sarkozy am Montag in Paris noch gedacht, durch ihre Vorschläge, die die Schuldenregeln massiv verschärfen sollen, mal wieder das richtige Signal an die Finanzmärkte gegeben zu haben. Doch wie immer in den vergangenen Monaten: weit gefehlt. Kommt jetzt auch Deutschland unter die Räder? – Am Telefon ist BDI-Hauptgeschäftsführer Markus Kerber, zuvor zuständig für wirtschaftliche Grundsatzfragen im Bundesfinanzministerium. Guten Morgen!

    Markus Kerber: Guten Morgen, Herr Müller.

    Müller: Herr Kerber, geht es uns jetzt auch an den Kragen?

    Kerber: Nein, das glaube ich nicht. Man muss es jetzt aus der zeitlichen Koinzidenz zwischen dem neuen Verlautbaren einer Ratingagentur und dem, was sich am Freitag in Brüssel ereignen soll, keine zu negativen Schlüsse ziehen. Ich glaube ganz im Gegenteil: Die Warnung, die die Ratingagentur ausgesprochen hat, kann man auch als einen gewissen Arbeitsauftrag für die Staats- und Regierungschefs am Freitag sehen – nach dem Motto, ähnlich wie Sie das im Einspieler auch den Bundesfinanzminister haben sagen lassen -, trefft jetzt bitte die richtigen, die nachhaltigen Entscheidungen, dann wird auch das Vertrauen der Märkte in die Bonität, in die Handlungsfähigkeit der Euro-Zone wieder steigen und dann wird auch die angedrohte Rating-Herabstufung nicht passieren.

    Müller: Wie viele Arbeitsaufträge, Herr Kerber, brauchen wir denn noch, damit die Regierungspolitiker kapieren, worum es geht?

    Kerber: Ja, gut. Die Erkenntnis, dass die Euro-Zone-Volkswirtschaften unterschiedlicher Stärke, unterschiedlicher Wettbewerbsfähigkeit unveränderlich zusammenbindet, hat in den unterschiedlichen Staaten etwas länger gedauert. Wir sind jetzt am Ende des zweiten Jahres dieser Krise. Aber wenn man sich die Entwicklung der europäischen Einigung zurückblickend in Erinnerung ruft, dass ganz zu Beginn, als man die Kohle- und Montanunion gegründet hat, das auch ein mehrjähriger Prozess war, dann sollte man jetzt guten Mutes nach Brüssel blicken und darauf vertrauen, dass auch dieses Mal die europäischen Staats- und Regierungschefs letztlich dann die richtige Entscheidung treffen werden.

    Müller: Sie sagen, es gibt da einige Stärkere, es gibt einige Schwächere, wir sind vermeintlich der Stärkste. Warum trifft es uns denn jetzt auch?

    Kerber: Weil ich glaube, dass die Finanzmärkte, exemplifiziert durch die Ratingagentur, die Angst haben, dass eine einseitige unausgewogene Lösung der Krise am Freitag selbst das stärkste Land oder die beiden stärksten Länder, nämlich Deutschland und Frankreich, überlasten könnte und dass dann diese beiden Länder nicht mehr die Last alleine tragen könnten, die die anderen ihnen vermeintlich aufbürden. Aber ich glaube, genau dazu wird es nicht kommen. Die Vorschläge der deutschen und der französischen Regierung zielen meines Erachtens in die richtige Richtung, verteilen die Last und auch die Anpassungslast, die Rückgewinnung der Wettbewerbsfähigkeit fair und gerecht auf alle 17 Euro-Zonen-Mitgliedsstaaten, und ich bin deswegen recht optimistisch.

    Müller: Könnte diese Angst nicht auch berechtigt sein?

    Kerber: Nein, ich glaube nicht, denn wenn Sie sich den wesentlichen Kern der deutschen und französischen Vorschläge anschauen, dann scheint mir das ein ausgewogener Mix von Maßnahmen zu sein, in dessen Kern eben eine engere wirtschafts- und finanzpolitische Zusammenarbeit steht. Die nennt der eine eine Fiskalunion, der andere nennt sie die "Union Budgeter", aber im Wesentlichen geht es darauf hinaus, dass die wirtschafts- und finanzpolitischen Maßnahmen der Euro-Zonen-Mitglieder stärker angepasst, stärker überwacht und in einem bislang nicht gekannten Ausmaße im Falle der Zuwiderhandlung für die gemeinschaftlichen Regelungen auch automatisch sanktioniert werden. Das müsste eigentlich das Vertrauen der Anleger in die Euro-Zone nachhaltig stärken.

    Müller: Jetzt geht es, Herr Kerber, um die Schuldenbremse, es geht um automatische Strafmaßnahmen, es geht um Verfassungsänderungen. Wird das Europa mittragen und mittragen können?

    Kerber: Wenn man in den letzten Wochen der Bundeskanzlerin und dem französischen Staatspräsidenten zugehört hat, dann arbeiten beide mit derselben Verhandlungsfigur. Sie werden primär probieren, eine Einigung auf der Ebene der 27 zu erhalten, auf der Basis des bestehenden Lissabon-Vertrages. Sollte dies aus zeitlichen oder politischen Gründen nicht möglich sein, wollen die beiden eine neue vertragliche Regelung der 17 hinbekommen. Hier kommt immer wieder das Argument, das würde doch so lange dauern. Da bin ich ganz der Meinung der Bundeskanzlerin, die mit dem Verweis auf das Beispiel ZweiplusVier-Vertrag im Jahre 1990 oder dem von Herrn Schäuble verhandelten deutschen Wiedervereinigungsvertrag darauf verweist, dass der auch in drei bis vier Monaten durchverhandelt war.

    Müller: Aber wir haben alle den Lissaboner Vertrag in Erinnerung, und der hat Jahre gedauert.

    Kerber: Ja, aber der Lissabon-Vertrag wurde in einer Zeit verhandelt und letztlich geschlossen, die von Sonnenschein und blauem Himmel geprägt war. Jetzt im Moment ist die Not groß, der Druck der Finanzmärkte, eben wie diese Woche durch Standard & Poor's eindeutig, und ich glaube, die 17 Länder der Euro-Zone werden sich hier sehr schnell und mit politischer Transparenz und Nachvollziehbarkeit auf eine neue Einigung verständigen und vielleicht sogar die anderen zehn mitbekommen.

    Müller: Die anderen zehn, wollte ich gerade fragen, bleiben auf der Strecke?

    Kerber: Nein. Ich glaube nicht, dass die auf der Strecke bleiben. Wir hatten als BDI Donnerstag und Freitag der vergangenen Woche unser europäisches Spitzentreffen im Rahmen von Business Europe, dem großen europäischen Industrieverband. Dort sind sogar 35 Mitgliedsstaaten, also mehr als die EU27 Europas organisiert. Und wir waren uns alle einig, dass aus einer klugen Verhandlungsführung eine Fiskalunion entstehen könnte mit im Kern einem Europäischen Währungsfonds, der prinzipiell allen europäischen EU27-Staaten offen sein sollte. Wir hielten das für ein wichtiges und starkes Signal, eine Institution zu schaffen, die die Fiskalunion regelt für die 17 Euro-Zonen-Staaten, an der sich aber theoretisch auch die von der Kraft der Euro-Zone betroffenen Volkswirtschaften wie Tschechien, Dänemark und wer da noch so in der Gruppe ist, Polen, ein ganz wichtiges und starkes und reformfähiges EU27-Mitgliedsland, beteiligen können, um eine Mitsprache zu haben, wenn sie sie denn wollen, in dieser Fiskalunion. Und ich glaube, es gibt genügend Lösungen institutioneller Art, die die 17 machen müssen, aber nicht automatisch die anderen zehn exkludiert, sondern dass wir hier zu einer Lösung kommen können, die sogar die anderen zehn beinhaltet auf freiwilliger Basis.

    Müller: Herr Kerber, reden wir auch noch mal über die Rolle der deutschen Industrie, die Rolle der deutschen Wirtschaft. Da wird seit Jahren von außen, also von den anderen europäischen Mitgliedsstaaten, kritisiert, wir exportieren zu viel, wir sind im Grunde auf Deutsch gesagt zu erfolgreich. Ist da was dran?

    Kerber: Also ich glaube, diese Vorwürfe kommen ja nur von einzelnen und dort auch nur von einzelnen politischen Vertretern.

    Müller: Auch aus Frankreich!

    Kerber: Auch dort nur von einzelnen. Man muss sehen, dass die in der Euro-Zone zusammengeschlossenen Volkswirtschaften eben aufgrund ihrer Historie ganz unterschiedliche Wirtschaftsmodelle fahren. Wir sind traditionell ein exportstarkes industriestarkes Land. Das gilt nicht für alle anderen 16 gleichermaßen. Aber ich glaube, die vor eineinhalb bis einem Jahr noch zu hörenden Vorwürfe, wir würden zu viel exportieren, haben sich mittlerweile beruhigt, und das, was wir in den bisherigen Beratungen der Euro-Zonen-Länder gesehen haben, verständigt man sich zwar darauf und will sich auch in Zukunft stärker darum kümmern, im Kern dieser Fiskalunion, dass es keine großen makroökonomischen Ungleichgewichte mehr geben soll, ...

    Müller: Aber es gibt dieses Ungleichgewicht!

    Kerber: Ja, es gibt auch ein Ungleichgewicht zwischen Bayern und Bremen, oder zwischen Berlin und Baden-Württemberg. Das ist völlig normal in einem föderalen Gebilde. Deswegen müssen die unterschiedlichen Wettbewerbsfähigkeiten angepasst werden. Und ich glaube, wir haben bislang – auch dort war Warschau für uns im Rahmen der Familie der Industrieverbände ein wichtiges Signal – uns alle in die Augen geschaut, Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Irland, und wir waren uns alle einig: wir müssen gemeinsam die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. Dass Deutschland mit seinem starken Industrieanteil hier einen gewissen Vorbildcharakter hat, war allen klar. Aber ich glaube, der Weg kann erfolgreich beschritten werden. Und wenn Sie mir den Gedanken noch erlauben: Ich glaube, dass wir auch die große Chance haben, bei den Mitgliedern der Euro-Zone, die im Süden liegen, eine Wettbewerbsfähigkeit über einen verstärkten Anteil erneuerbarer Energien in diesen Ländern zu erhalten, und dann kriegen wir einen automatischen Ausgleich der Ungleichgewichte.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk BDI-Hauptgeschäftsführer Markus Kerber. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.