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EU-Innenminister-Treffen
Ringen um Flüchtlingsquote und faire Verteilung

Grenzkontrollen in der EU und ein nicht enden wollender Zustrom von Asylsuchenden: Die EU-Innenminister treffen sich heute in Brüssel, um über Verteilerschlüssel, Quoten und Aufnahmepflicht für Flüchtlinge zu diskutieren. Einige Osteuropäische Ländern sträuben sich jedoch weiterhin gegen solche Vereinbarungen.

Von Annette Riedel, Studio Brüssel | 14.09.2015
    Die EU-Kommission hat in der vergangenen Woche den Aufschlag gemacht mit einer Reihe von Vorschlägen, wie Europa mit der Flüchtlingskrise umgehen soll. Darunter die umstrittene Umverteilung von insgesamt 160.000 Schutzbedürftigen aus Griechenland, Italien und Ungarn. Wenn heute in Brüssel die EU-Innenminister zu einem Sondertreffen zusammenkommen, stehen sie unter einigem Handlungs- und Erwartungsdruck. Zum Beispiel von Kommissionspräsident Juncker.
    "Ich fordere die EU-Länder auf, die Vorschläge der EU-Kommission zur Umverteilung beim Sondertreffen der Innenminister anzunehmen. Ich hoffe wirklich, dass diesmal jeder dabei ist. Wir brauchen keine Rhetorik. Wir brauchen Taten."
    Dass es dazu kommt, ist keineswegs ausgemacht. Zwar könnten die Innenminister mit qualifizierter Mehrheit entscheiden. Die zu erreichen scheint über den Ereignissen und Bildern der letzten Tage zwar möglicher geworden zu sein. Aber eigentlich möchte man einen Verteilungsschlüssel, vorzugsweise eine verbindliche Quote, nicht gegen erklärten Widerstand einiger Länder beschließen. Vor allem Ungarn, Polen, Tschechien und die Slowakei bleiben bei ihrer Ablehnung eines verbindlichen Umverteilungssystems.
    Slowakei mit Roma-Integration überfordert
    "Die Premierminister mehrerer östlicher Länder haben klar gesagt, dass sie gegen diese Pflichtquoten sind. Und es ist das gute Recht eines jeden souveränen Landes zu sagen: Nein, wir lehnen das ab."
    Sagt der konservative slowakische Europaparlamentarier, Richard Sulik. Und begründet die ablehnende Haltung seines Landes, der Slowakei, so.
    "Die Slowakei ist ein kleines Land mit 5 ½ Millionen Einwohnern. Davon sind fast 500.000 Roma und Sinti. Und unsere Gesellschaft ist nicht in der Lage, diese zu integrieren. Ich habe keine Illusion, dass das mit anderen Flüchtlingen gelingen wird."
    Die Bundesregierung ist für die Quote bei der Umverteilung, ist für Lastenteilung, ist für eine europäische Lösung. Die Bundeskanzlerin hat das zuletzt wiederholt betont und auch Bundesaußenminister Steinmeier.
    "Wenn wir das Problem, das uns alle betrifft, gegeneinander und im Streit miteinander diskutieren – gegenseitige Schuldzuweisungen werden uns nicht zu Lösungen bringen."
    Weniger umstritten aber nicht völlig unumstritten ist der Vorschlag der EU-Kommission für eine gemeinsame europäische Liste der sogenannten "sicheren Herkunftsländer". Für Asylbewerber aus diesen Ländern soll zwar weiterhin im Prinzip ein individuell zu prüfendes Anrecht auf Asyl bestehen. Da die Wahrscheinlichkeit aber gering ist, dass sie als Flüchtlinge anerkannt werden, wenn sie aus einem sicheren Land kommen, könnten Verfahren beschleunigt und diese Ankömmlinge dann gegebenenfalls schneller abgeschobene werden. EU-Kommissionsvizepräsident Timmermans.
    EU-Beitrittskandidaten gelten als sichere Länder
    "Einige Länder, vor allem manche Balkanländer, sind EU-Beitrittskandidaten. Als solche sind sie sichere Länder. Also können wir Asyl-Anträge von Menschen, die aus diesen Ländern kommen, deutlich schneller abwickeln und uns auf die konzentrieren, die wirklich Schutzbedürftige sind."
    Was die Westbalkanländer angeht, dürften sich die Innenminister schnell einig sein. Wenn in einem Land, das der EU beitreten will, Menschen tatsächlich nicht vor Verfolgung sicher wären, müsste vielmehr deren Status als EU-Kandidat überdacht werden. Allerdings findet sich in dem Vorschlag für eine Liste ‚sicherer' Länder auch Beitrittskandidat Türkei wieder. Einige EU-Länder, auch Deutschland, haben da Bedenken - nicht zuletzt vor dem Hintergrund des jüngsten Vorgehens der türkischen Regierung gegen Kurden. Weshalb sich eine Sprecherin der EU-Kommission am Freitag beeilte zu versichern:
    "Es gibt in unserem Vorschlag eine spezielle Klausel, die die EU-Kommission ermächtigt, die sich verändernde Lage in einem Land zu berücksichtigen und gegebenenfalls vorzuschlagen, dass ein Land sofort von der Liste sicherer Länder gestrichen werden kann."
    Sollten sich die EU-Innenminister heute nicht abschließend zumindest auf einen Modus für die Umverteilung von tendenziell Asylberechtigten im aktuellen Notfall einigen können, dürften Rufe nach einem Sondergipfel wieder laut werden. Entsprechendes deutete Ratspräsident Tusk am Freitag an. Der Bundesaußenminister hatte das schon vergangene Woche genauso gefordert wie sein österreichischer Amtskollege Kurz. Er verlangte in unserem Sender:
    "Dass es dringend einen Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs zu dieser Krise gibt. Denn wir dürfen nicht den Fehler machen zu glauben, dass wir diese Krise aussitzen können oder dass ohnehin bald die kalte Jahreszeit kommt und dann die Flüchtlingsströme wieder zurückgehen."