Dienstag, 23. April 2024

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EU-Kommission
"Ein großer Kuhhandel"

Die neue EU-Kommission sei eine starke Kommission, sagte Sven Giegold, finanz-und wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament, im DLF. Aber Sozialdemokraten und Konservative im Parlament hätten zu viele fragwürdige Kandidaten durchgewunken - weil diese das richtige Parteibuch haben.

Sven Giegold im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 23.10.2014
    Grünen-Politiker Sven Giegold bei der Präsentation der Europawahlkampagne im April 2014
    Grünen-Politiker Sven Giegold (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    Vor den Abstimmungen in den jeweiligen Ausschüssen des Europaparlaments hätten die Fraktionsführungen großen Druck aufgebaut - sodass auch Kandidaten mit starken Interessenkonflikten oder geringen Kompetenzen in ihrem Bereich bestätigt worden seien. Giegold nannte als Beispiel den designierten Kommissar für Klimaschutz, Miguel Arias Cañete, einen ehemaligen Ölunternehmer.
    "Ich habe die große Hoffnung, dass die Kommission wieder eine starke Rolle einnimmt, wie unter Delors", sagte der Grünen-Politiker. "Dass sie Vorschläge macht, die Europa voranbringen." Die Frage sei allerdings auch, wofür sich die Kommission einsetze. So habe der neue Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker zwar "mehr soziales Europa im Blut", aber weniger Nachhaltigkeit und Ökologie.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Das Europaparlament hat gestern grünes Licht gegeben für die nächste EU-Kommission unter dem neuen Präsidenten Jean-Claude Juncker. Es war allerdings grünes Licht mit so einigen Grauschattierungen, denn nach wie vor gibt es Kritik an der Eignung einiger dieser EU-Kommissare in ihrem neuen Job. Über die neue Kommission und ihre wichtigsten Aufgaben hat mein Kollege Jürgen Zurheide gestern Abend mit Sven Giegold gesprochen, dem finanz- und wirtschaftspolitischen Sprecher der Grünen im Europaparlament. Erste Frage an ihn: Warum lehnen die Grünen diese Kommission ab?
    Sven Giegold: Wir haben mit Nein gestimmt. Das ist uns nicht leicht gefallen, denn die Juncker-Kommission ist eine starke Kommission. Sie ist stärker als die Barroso-Kommission. Sie hat den Anspruch zu gestalten, das finden wir gut. Aber was für uns nicht möglich ist, ist zu akzeptieren, dass die beiden großen Parteifamilien, Christdemokraten und Sozialdemokraten, auch fragwürdige Kandidaten durchgewunken haben. Wir haben eine sehr scharfe Anhörung für die einzelnen Kommissare gemacht. Dabei ist offengelegt worden, dass wir mehrere schwere Interessenskonflikte oder, sage ich mal, nur sehr begrenzte Fähigkeiten in ihrem jeweiligen Kompetenzbereich haben, den sie jetzt übernehmen sollen, und das wurde alles in einem großen Kuhhandel durchgewunken, und da sind wir Grünen nicht mit dabei.
    Jürgen Zurheide: Wiederum, wenn ich genau zuhöre, was Sie jetzt gerade gesagt haben, müsste man doch eher darauf drängen, dass das nächste Europäische Parlament einzelne Kommissare respektive Kommissarinnen dann auch vielleicht ablehnt, gar nicht immer die ganze Kommission und gar nichts. Reicht vielleicht das System der Anhörungen nicht aus?
    Giegold: Ja. Sicherlich muss an dem Verfahren auch was geändert werden. Aber das war nicht das Hauptproblem, denn es gab ja in den Ausschüssen ganz klar eine Stimmungslage und es gab die Möglichkeit, für die einzelnen Kommissare praktisch einzeln abzustimmen. Am Schluss ist zwar die formale Abstimmung für alle, aber die Ausschüsse haben sich sehr wohl einzeln positioniert und dort wurde vor den Abstimmungen so großer Druck vonseiten der Fraktionsführungen aufgebaut, auf der einen Seite Parlamentspräsident Herr Schulz, auf der anderen Seite Herr Juncker und Herr Weber für die Christdemokraten, dass letztlich alle Kandidaten, die das richtige Parteibuch hatten, durchgewunken wurden. Das Opfer war dann eine Liberale, Frau Bratusek. Die hatte auch eine schlechte Anhörung, aber sie hatte das falsche Parteibuch. Deshalb ist sie jetzt auch nicht Kommissarin.
    Giegold: Nachhaltige Entwicklung spielt bei dieser Kommission praktisch keine Rolle
    Zurheide: Kommen wir noch auf etwas zurück, was Sie auch in der ersten Antwort schon gesagt haben, dass Herr Juncker natürlich ein anderes Kaliber ist als möglicherweise Herr Barroso, ohne dem jetzt zu nahe zu treten. Das wird allgemein so kommentiert. Er wird ein politischerer Präsident und wird vielleicht die Regierungen und die Regierungschefs mehr in die Schranken verweisen. Ist das eine Hoffnung, oder eine berechtigte Hoffnung?
    Giegold: Ich glaube, es ist auf jeden Fall ein Stück Hoffnung, dass dadurch die europäische Kommission in ihre alte Rolle wiederfindet, wie sie sie etwa unter Delors hatte, starke Vorschläge zu machen, die Europa voranbringen. Allerdings ist das alleine natürlich nicht genug. Stark zu sein, ist das eine. Das andere ist, wofür ist man stark, und da ist für uns natürlich der Maßstab, ist ökologische Nachhaltigkeit auf der Agenda. Und das kann man auch wieder sehen: Zum Beispiel der nächste Kommissar für den Bereich des Klimaschutzes ist ein ehemaliger Ölunternehmer. Und zudem spielt nachhaltige Entwicklung in den entsprechenden Briefen, die Herr Juncker allen Kommissaren als Aufgaben mitgegeben hat, praktisch kaum eine Rolle. Deshalb muss man auch genau sich fragen: Herr Juncker, glaube ich, hat mehr soziales Europa im Blut als Herr Barroso, aber mit der Ökologie und Zukunftsinvestitionen im ökologischen Bereich hat er es leider nicht.
    Zurheide: Aber das Stichwort Investitionen hat er selbst heute angesprochen, hat auch gesagt, die 300 Milliarden will er möglichst schnell machen. Das müssen Sie ja bei Ihrer wirtschaftspolitischen Grundphilosophie eher richtig finden. Sie sagen nur, es sind die falschen Schwerpunkte, oder wie ist Ihre Haltung?
    Giegold: Ich glaube, die 300 Milliarden und die stärkeren Investitionen - es gibt kaum jemanden, unabhängig von der wirtschaftspolitischen Grundphilosophie, der das nicht teilt, denn die Investitionsquote ist zu niedrig in Europa, um ausreichend Arbeitsplätze zu schaffen. Aber die Frage ist ja in der Tat, welche Investitionen, und dort haben wir ja auch viele Fehlentwicklungen gesehen. Zum Beispiel zeichnet sich ab, dass die Juncker-Kommission sehr stark auf sogenannte öffentlich-private Partnerschaften setzen will, die in der Regel so funktionieren, dass der Staat das Risiko trägt und der Private häufig hohe Gewinne und schöne Honorare einstreichen kann.
    Giegold: Private Unternehmen dürfen sich nicht am Staat bereichern können
    Zurheide: Wie man übrigens gerade, wenn ich Sie unterbrechen darf, bei den französischen Autobahnen sieht. Da gibt es gerade jetzt jüngste Zahlen: Das ist ein wunderbares Geschäft für die Privaten.
    Giegold: Absolut! Die französischen Autobahnen, diese Zahlen waren erschreckend, aber es gibt auch in Deutschland viele Fälle, wo sich der Privatakteur bereichert hat und hinterher der Staat die Scherben aufsammeln muss. Wenn das das Motto wird, wie die Investitionen in die Infrastruktur in Europa auf die Kette gesetzt werden sollen, eben nicht durch Steuern, die man nachhaltig eintreibt - es gibt ja genug hohen Reichtum und Finanzspekulationen, die man besteuern könnte -, wenn das nicht geschieht, sondern man stattdessen das in solche Formen gießt, auch Herr Gabriel hat solche Pläne für Deutschland, dann kann das für den Steuerzahler sehr teuer werden.
    Armbrüster: Der grüne Europaabgeordnete Sven Giegold war das gestern Abend im Gespräch mit meinem Kollegen Jürgen Zurheide.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.