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EU-Kommission
Spanien drohen Sanktionen wegen Haushaltsdefizit

Spanien hat sich nicht an die EU-Haushaltsregeln gehalten. Das Haushaltsdefizit liegt bei mehr als fünf Prozent - erlaubt sind drei. Die EU-Kommission diskutiert deswegen über Strafen. Doch die amtierende spanische Regierung kontert, dass die Wirtschaft wachse und Sanktionen oder Strafen zu diesem Zeitpunkt kontraproduktiv wären.

Von Hans-Günter Kellner | 07.07.2016
    Spaniens Finanzminister Luis de Guindos könnte bald die Eurogruppe leiten.
    Spanien hat das Abkommen zum Haushaltsdefizit deutlich verletzt. Darin sind sich Spaniens Wirtschaftsminister Luis de Guindos und Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble einig. (afp / Eric Piermont)
    Im vornehmen Madrider Salamanca-Viertel ist für Spaniens Konservative die Welt noch in Ordnung. Hier gewinnen sie jede Wahl, Kritiker an der Sparpolitik würde man hier nicht vermuten. Aber auch hier verstehen viele die Rolle der Europäischen Union nicht mehr:
    "Warum wurde Deutschland denn nicht bestraft, als es nach der Einführung des Euro den Stabilitätspakt verletzt hat? Und warum soll jetzt Spanien bestraft werden? Es gibt ein Europa erster Klasse und ein Europa zweiter Klasse. Spanien fährt nur zweite Klasse."
    "Wir folgen zu sehr der deutschen Politik. Das muss sich in Europa wie in Spanien ändern."
    Spanien hat das Abkommen zum Haushaltsdefizit deutlich verletzt. Darin sind sich Spaniens Wirtschaftsminister Luis de Guindos und Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble einig. Beide meinen auch: Bei der Debatte um Sanktionen gegen den Defizitsünder geht es um die Glaubwürdigkeit der Eurozone.
    "Wir haben das stärkste Wachstum der Eurozone"
    Doch während der Deutsche darin ein Argument für eine Strafe sieht, ist es für den Spanier genau umgekehrt:
    "Spaniens Wirtschaft geht es gut. Wir haben das Defizit reduziert, wir haben das stärkste Wachstum der Eurozone, schaffen am meisten Arbeitsplätze, haben unsere Ungleichgewichte wie sonst niemand beseitigt. Wenn die Union uns in dieser Situation bestraft, würde das die Glaubwürdigkeit der gesamten Eurozone beeinträchtigen."
    Juan Ignacio Crespo, einer der anerkanntesten Finanzmarktanalysten Spaniens findet, dass die Debatte die Situation der Weltwirtschaft außer Acht lasse. Die Konjunktur werde deutlich abschwächen, er hält sogar eine weltweite Rezession für möglich:
    "Ich sehe dafür drei Gründe: Die Unternehmensgewinne in den USA wie in Europa fallen, die Rohstoffpreise ebenso, die Produktion und der Handel stagnieren weltweit. 2017 müsste die spanische Regierung die Kürzungen von zwei Jahren vornehmen, wir hatten in den Wahljahren 2015 und 2016 ja praktisch politischen Stillstand. Wenn wir nächstes Jahr acht Milliarden Euro kürzen, wie es der Stabilitätspakt vorsieht, hätten wir sofort eine Rezession."
    Auch Federico Steinberg, Volkswirt am regierungsberatenden Elcano-Institut, hält Sanktionen in der derzeitigen Situation für wenig sinnvoll. Er erinnert daran, dass der 2011 beschlossene Stabilitäts- und Wachstumspakt nicht nur Regeln zu Haushaltsdefiziten und zur Staatverschuldung aufstellt:
    "Wenn wir schon über Regeln sprechen: Deutschland verletzt seit Jahren das Abkommen zur Vermeidung makroökonomischer Ungleichgewichte."
    Der Überschuss in der deutschen Zahlungsbilanz wächst von Jahr zu Jahr. Das verstößt ganz klar gegen die Regeln zur Vermeidung solcher Ungleichgewichte. Aber es gibt keine Sanktionen, weil Deutschland sich damals bei den Verhandlungen über diese Spielregeln geweigert hat, das es dafür Strafen gibt.
    Schäuble steht in der Kritik
    Denn wenn ein Land deutlich mehr exportiert, müssen andere mehr importieren. Das führt dazu, dass Kapital abfließt, was den Kampf gegen Schulden erschwert. Die Bundesregierung könnte dagegen etwas tun und selbst mehr investieren. Doch dafür müsste sie das Credo von der schwarzen Null aufgeben, meinen spanische Ökonomen. Wieder steht damit Bundesfinanzminister Schäuble in der Kritik. Das macht es Populisten leicht. So schimpfte etwa Pablo Iglesias, Generalsekretär der links-populistischen Podemos vor den Parlamentswahlen am 26. Juni:
    "Das Europa Deutschlands, das Europa der Sozialkürzungen, das Flüchtlinge erniedrigt und Menschenrechte missachtet, nützt nichts und gefällt niemandem. Das Europa, das die Menschen bezaubert, ist das Europa der sozialen Rechte und der Menschenrechte. Eine andere europäische Identität gibt es nicht. Entweder kehren wir zu diesem Europa zurück oder Europa ist am Ende. Die Verfechter der Austerität sind die Totengräber Europas."
    Am Ende landete Podemos damit zwar nur auf dem dritten Platz in der Wählergunst, bekam aber immerhin mehr als 20 Prozent der Stimmen. Die Konservativen sind zwar stärkste Kraft, aber weit entfernt von einer Regierungsmehrheit. Spanische Regierungsmitglieder klagen seit Langem in vertraulichen Gesprächen: Die Spardiktate haben das Land instabil gemacht.