Manfred Götzke: Medizin gehört in Deutschland mit 13 Semestern zu den längsten Studiengängen, die EU-Kommission findet, das geht schneller. Vier Jahre Uni-Ausbildung und ein Jahr Praxis, das muss doch ausreichen. Britische und irische Medizinstudenten bekämen das schließlich auch so hin. In der entsprechenden EU-Richtlinie soll die Mindeststudiendauer für Medizin deshalb von sechs auf fünf Jahre abgesenkt werden. Deutsche Mediziner, die sind von diesen Plänen allerdings überhaupt nicht begeistert, sie fürchten, dass mit der Mindeststudiendauer auch die Qualität des Medizinstudiums abnimmt. So auch Hayo Kroemer, Präsident des Medizinischen Fakultätentages. Herr Kroemer, Sie sind Dekan an der Uniklinik Göttingen, würden Sie da einen englischen Arzt einstellen?
Heyo Kroemer: Das würde ich jederzeit machen, wenn ich mich von seiner Qualifikation überzeugt hätte.
Götzke: Aber der englische Arzt studiert ja nur fünf Jahre in der Regel.
Kroemer: Ja, und es bestünde die Möglichkeit, den englischen Arzt auch noch besser auszubilden, wenn er nach dem deutschen System ausgebildet würde.
Götzke: Das heißt, Sie sagen schon, dass die englischen Ärzte schlechter sind als die deutschen Ärzte aufgrund des kürzeren Studiums?
Kroemer: Das würde ich deswegen nicht sagen, weil die englischen Ärzte, wenn sie in England bleiben, in einem völlig anderen Gesundheitssystem arbeiten. Wir sind der Überzeugung, dass das Medizinstudium in Deutschland sehr, sehr gut ankommt – auf der einen Seite in Richtung des Versorgungsauftrags gegenüber der Bevölkerung, wie uns auf der anderen Seite aber auch in der Pflicht gegenüber den Studierenden, die diesen Beruf ergreifen wollen und für die wir dieses Studium in irgendeiner Form so attraktiv wie möglich halten müssen.
Götzke: Und da ist ein Studium, das möglicherweise nur fünf Jahre dauert, für diejenigen, die das schaffen können, das ist ja keine Pflicht, nicht attraktiv?
Kroemer: Ich halte es für deutlich weniger attraktiv. Es gibt praktisch keinen Studiengang, der eine höhere Erfolgsquote hat in der Bundesrepublik als das Medizinstudium. Wir liegen ganz deutlich über 90 Prozent. Dabei belasten wir unsere Studierenden zeitlich gesehen und vom Arbeitseinsatz her schon ganz enorm. Wenn Sie berechnen, mit Vor- und Nachbereitung der Vorlesungen und der Seminare gehen wir im Moment davon aus, dass ein Medizin-Studierender in der Woche etwa auf 72 Arbeitsstunden kommt. Wenn Sie das Ganze verkürzen um ein ganzes Jahr bei gleicher Stundenzahl – das ist ja der Vorschlag, 5500 Stunden nicht mehr in sechs, sondern in fünf Jahren zu machen –, dann würden Sie die Arbeitsbelastung ganz deutlich erhöhen, dann kommen wir in eine Größenordnung von fast 90 Wochenstunden für Medizin-Studierende. Das halten wir für wenig attraktiv. Diese extrem noch mal höheren Stundenzahlen werden nicht erlauben, dass man nebenbei noch irgendwelchen Tätigkeiten nachgeht, sodass wir auch eine soziale Selektion, die wir nicht wollen, noch weiter verschärfen.
Götzke: Nun handelt es sich bei dem Vorschlag der EU-Kommission ja nicht um die Maximalstudiendauer, sondern um eine Mindeststudiendauer. In Deutschland könnte doch alles beim Alten bleiben, warum also die Aufregung?
Kroemer: Wenn es zu einer europaweiten Harmonisierung auf vier Jahre kommt, dann hören sich einfach vier Jahre billiger an als fünf Jahre der universitären Ausbildung. Natürlich sehen wir auch, dass das keinen unmittelbar bindenden Charakter für die Bundesrepublik hätte, wir sind aber sehr in Sorge, dass das Einsparungen nach sich ziehen könnte oder Einsparungsvorschläge, die dazu führen, dass man das Studium dann deutlich reduziert. Außerdem ist es ja ein scheinbar naheliegendes Argument, durch Verkürzung der Ausbildungszeiten die Zahl der verfügbaren Ärzte zu erhöhen. Und wir haben ja in Deutschland in Teilen einen Ärztemangel, wobei der Medizinische Fakultätentag überzeugt ist, dass das nichts damit zu tun hat, dass wir zu wenig Ärzte ausbilden – Deutschland bildet im internationalen Vergleich mit die meisten Ärzte aus –, sondern dass es ein Allokationsproblem ist. Das heißt, wir würden auch dieses Problem nicht durch die Verkürzung der Ausbildungszeiten lösen können.
Götzke: Aber wo sehen Sie jetzt noch mal genau die Gefahr' Also wenn die Medizinerausbildung in Deutschland so gut ist, wie Sie sagen, dann müsste sich doch eher diese europaweit durchsetzen als ein Turbostudium aus Irland oder aus Großbritannien.
Kroemer: Die Erfahrung spricht leider dagegen. Man geht davon aus – das sehen Sie bei den ganzen Reformierungen des Universitätssystems der letzten Jahre –, dass eine Komprimierung der Studienzeit, eine Reduktion der Studiendauer als sinnvoll angesehen wird. Und wir sehen das Risiko, dass wenn diese Option sich durchsetzt in Europa, dass es dann einen zweiten Schritt der Harmonisierung geben wird, der dann einen sehr hohen Druck auf Deutschland ausüben wird und auf die einzelnen Bundesländer, deren materielle Lage ja bekannt ist, ihre Studiengänge letztendlich auch entsprechend zu verkürzen.
Götzke: Noch kurz zum Schluss: Die Kommission will die Anerkennung von Abschlüssen ja auch beschleunigen. Berufsqualifikationen sollen künftig automatisch als anerkennt gelten, wenn innerhalb bestimmter Fristen keine Entscheidung gefallen ist über die Anerkennung. Wie beurteilen Sie diesen Vorschlag?
Kroemer: Ich stehe der Grundidee der europäischen Harmonisierung extrem positiv gegenüber, und wir sollten in einem vernünftigen, in Teilen möglicherweise strittigen Diskurs die besten Wege herausfinden, wie man junge Ärzte ausbildet. Wenn das gelingt und man das in Europa harmonisiert, hätten wir einen im Bereich der ärztlichen Ausbildung wirklich idealen Zustand erreicht, dass jemand mit einer ärztlichen Approbation oder einem Äquivalent dazu in Europa ganz frei arbeiten kann. Davor steht aber die 100-prozentige Sicherung der Qualität.
Götzke: Schon jetzt sind ja sehr viele Ärzte aus dem Ausland in Deutschland in vielen Krankenhäusern, die zum Teil anerkannte Berufsabschlüsse haben, aber sprachlich nicht ganz auf der Höhe sind. Wie groß schätzen Sie dieses Problem ein?
Kroemer: Wenn Sie sich die Landschaft in der Bundesrepublik angucken, ist die absolute Zahl ausländischer Ärzte noch nicht sehr hoch, das heißt, insbesondere im ländlichen Raum haben Sie das Problem, was Sie gerade skizziert haben. Und nach meinem Dafürhalten wäre es Sache jedes verantwortlichen Arbeitgebers, der sieht, dass der jeweilige Arzt zwar über die formale Qualifikation verfügt, aber möglicherweise nicht die kommunikativen Fähigkeiten hat, die Sie gerade in diesem sensiblen zwischenmenschlichen Bereich der Arzt-Patienten-Beziehung ja unbedingt brauchen, dass der Arbeitgeber dafür Sorge trägt, eine entsprechende Verbesserung der sprachlichen Fähigkeiten herbeizuführen. Das halte ich im Sinne einfach der Sorge für die Patienten, die den jeweiligen Ärzten anvertraut sind, für unverzichtbar.
Götzke: Sagt Hayo Kroemer, Präsident des Medizinischen Fakultätentages. Endgültig entschieden wird über eine mögliche Absenkung der Mindeststudiendauer in der Medizin im Europäischen Parlament Anfang des Jahres.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Heyo Kroemer: Das würde ich jederzeit machen, wenn ich mich von seiner Qualifikation überzeugt hätte.
Götzke: Aber der englische Arzt studiert ja nur fünf Jahre in der Regel.
Kroemer: Ja, und es bestünde die Möglichkeit, den englischen Arzt auch noch besser auszubilden, wenn er nach dem deutschen System ausgebildet würde.
Götzke: Das heißt, Sie sagen schon, dass die englischen Ärzte schlechter sind als die deutschen Ärzte aufgrund des kürzeren Studiums?
Kroemer: Das würde ich deswegen nicht sagen, weil die englischen Ärzte, wenn sie in England bleiben, in einem völlig anderen Gesundheitssystem arbeiten. Wir sind der Überzeugung, dass das Medizinstudium in Deutschland sehr, sehr gut ankommt – auf der einen Seite in Richtung des Versorgungsauftrags gegenüber der Bevölkerung, wie uns auf der anderen Seite aber auch in der Pflicht gegenüber den Studierenden, die diesen Beruf ergreifen wollen und für die wir dieses Studium in irgendeiner Form so attraktiv wie möglich halten müssen.
Götzke: Und da ist ein Studium, das möglicherweise nur fünf Jahre dauert, für diejenigen, die das schaffen können, das ist ja keine Pflicht, nicht attraktiv?
Kroemer: Ich halte es für deutlich weniger attraktiv. Es gibt praktisch keinen Studiengang, der eine höhere Erfolgsquote hat in der Bundesrepublik als das Medizinstudium. Wir liegen ganz deutlich über 90 Prozent. Dabei belasten wir unsere Studierenden zeitlich gesehen und vom Arbeitseinsatz her schon ganz enorm. Wenn Sie berechnen, mit Vor- und Nachbereitung der Vorlesungen und der Seminare gehen wir im Moment davon aus, dass ein Medizin-Studierender in der Woche etwa auf 72 Arbeitsstunden kommt. Wenn Sie das Ganze verkürzen um ein ganzes Jahr bei gleicher Stundenzahl – das ist ja der Vorschlag, 5500 Stunden nicht mehr in sechs, sondern in fünf Jahren zu machen –, dann würden Sie die Arbeitsbelastung ganz deutlich erhöhen, dann kommen wir in eine Größenordnung von fast 90 Wochenstunden für Medizin-Studierende. Das halten wir für wenig attraktiv. Diese extrem noch mal höheren Stundenzahlen werden nicht erlauben, dass man nebenbei noch irgendwelchen Tätigkeiten nachgeht, sodass wir auch eine soziale Selektion, die wir nicht wollen, noch weiter verschärfen.
Götzke: Nun handelt es sich bei dem Vorschlag der EU-Kommission ja nicht um die Maximalstudiendauer, sondern um eine Mindeststudiendauer. In Deutschland könnte doch alles beim Alten bleiben, warum also die Aufregung?
Kroemer: Wenn es zu einer europaweiten Harmonisierung auf vier Jahre kommt, dann hören sich einfach vier Jahre billiger an als fünf Jahre der universitären Ausbildung. Natürlich sehen wir auch, dass das keinen unmittelbar bindenden Charakter für die Bundesrepublik hätte, wir sind aber sehr in Sorge, dass das Einsparungen nach sich ziehen könnte oder Einsparungsvorschläge, die dazu führen, dass man das Studium dann deutlich reduziert. Außerdem ist es ja ein scheinbar naheliegendes Argument, durch Verkürzung der Ausbildungszeiten die Zahl der verfügbaren Ärzte zu erhöhen. Und wir haben ja in Deutschland in Teilen einen Ärztemangel, wobei der Medizinische Fakultätentag überzeugt ist, dass das nichts damit zu tun hat, dass wir zu wenig Ärzte ausbilden – Deutschland bildet im internationalen Vergleich mit die meisten Ärzte aus –, sondern dass es ein Allokationsproblem ist. Das heißt, wir würden auch dieses Problem nicht durch die Verkürzung der Ausbildungszeiten lösen können.
Götzke: Aber wo sehen Sie jetzt noch mal genau die Gefahr' Also wenn die Medizinerausbildung in Deutschland so gut ist, wie Sie sagen, dann müsste sich doch eher diese europaweit durchsetzen als ein Turbostudium aus Irland oder aus Großbritannien.
Kroemer: Die Erfahrung spricht leider dagegen. Man geht davon aus – das sehen Sie bei den ganzen Reformierungen des Universitätssystems der letzten Jahre –, dass eine Komprimierung der Studienzeit, eine Reduktion der Studiendauer als sinnvoll angesehen wird. Und wir sehen das Risiko, dass wenn diese Option sich durchsetzt in Europa, dass es dann einen zweiten Schritt der Harmonisierung geben wird, der dann einen sehr hohen Druck auf Deutschland ausüben wird und auf die einzelnen Bundesländer, deren materielle Lage ja bekannt ist, ihre Studiengänge letztendlich auch entsprechend zu verkürzen.
Götzke: Noch kurz zum Schluss: Die Kommission will die Anerkennung von Abschlüssen ja auch beschleunigen. Berufsqualifikationen sollen künftig automatisch als anerkennt gelten, wenn innerhalb bestimmter Fristen keine Entscheidung gefallen ist über die Anerkennung. Wie beurteilen Sie diesen Vorschlag?
Kroemer: Ich stehe der Grundidee der europäischen Harmonisierung extrem positiv gegenüber, und wir sollten in einem vernünftigen, in Teilen möglicherweise strittigen Diskurs die besten Wege herausfinden, wie man junge Ärzte ausbildet. Wenn das gelingt und man das in Europa harmonisiert, hätten wir einen im Bereich der ärztlichen Ausbildung wirklich idealen Zustand erreicht, dass jemand mit einer ärztlichen Approbation oder einem Äquivalent dazu in Europa ganz frei arbeiten kann. Davor steht aber die 100-prozentige Sicherung der Qualität.
Götzke: Schon jetzt sind ja sehr viele Ärzte aus dem Ausland in Deutschland in vielen Krankenhäusern, die zum Teil anerkannte Berufsabschlüsse haben, aber sprachlich nicht ganz auf der Höhe sind. Wie groß schätzen Sie dieses Problem ein?
Kroemer: Wenn Sie sich die Landschaft in der Bundesrepublik angucken, ist die absolute Zahl ausländischer Ärzte noch nicht sehr hoch, das heißt, insbesondere im ländlichen Raum haben Sie das Problem, was Sie gerade skizziert haben. Und nach meinem Dafürhalten wäre es Sache jedes verantwortlichen Arbeitgebers, der sieht, dass der jeweilige Arzt zwar über die formale Qualifikation verfügt, aber möglicherweise nicht die kommunikativen Fähigkeiten hat, die Sie gerade in diesem sensiblen zwischenmenschlichen Bereich der Arzt-Patienten-Beziehung ja unbedingt brauchen, dass der Arbeitgeber dafür Sorge trägt, eine entsprechende Verbesserung der sprachlichen Fähigkeiten herbeizuführen. Das halte ich im Sinne einfach der Sorge für die Patienten, die den jeweiligen Ärzten anvertraut sind, für unverzichtbar.
Götzke: Sagt Hayo Kroemer, Präsident des Medizinischen Fakultätentages. Endgültig entschieden wird über eine mögliche Absenkung der Mindeststudiendauer in der Medizin im Europäischen Parlament Anfang des Jahres.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.