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EU-Kommission
Wirtschaftsweiser befürwortet Reform

In der Fiskalpolitik müsse auf EU-Ebene eine Gewaltenteilung diskutiert werden, sagte Lars Feld, Ökonom und Mitglied des Sachverständigenrats im DLF. Er betonte, dass die EU-Kommission nicht ihrer wettbewerbsrechtlichen Rolle gerecht werde.

Lars Feld im Gespräch mit Bettina Klein | 31.07.2015
    Lars Feld, Wirtschaftsweiser und Leiter des Walter-Eucken-Instituts in Freiburg.
    Lars Feld, Wirtschaftsweiser und Leiter des Walter-Eucken-Instituts in Freiburg. (picture alliance / dpa / Patrick Seeger)
    Wenn Fiskalregeln nicht richtig anwendet werden, gebe es Probleme vor der nächsten Rezession, sagte er weiter. Er sprach sich auch für eine Austrittsoption aus der Währungsunion aus, wenn ein Mitgliedsstaat Regeln nicht einhalte. "Mitgliedsstaaten dürfen nicht erpressbar sein", begründete er seine Haltung. Dennoch sagte er, dass ein Grexit (Griechenland-Austritt aus der Eurozone) für Athen nicht besser gewesen wäre. "Griechenland kann sich nur über Strukturreformen aus der Misere befreien. Dafür benötigen sie mehr Freiräume. "Das schafft Griechenland nur mit Hilfe von außen."
    Über das Bestreben des Internationalen Währungsfonds (IWF), aus dem Unterstützerkreis für das dritte Hilfspaket für Athen aussteigen zu wollen, sagte Feld: "Wenn der IWF nicht will, hat man Probleme bei diesem dritten Hilfspaket für Griechenland." Der IWF solle seine Bedenken noch etwas zurückstellen, sagte Feld.
    Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble schlägt laut einem Bericht der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vor, dass die EU-Kommission ihre Kernkompetenzen abgibt. Zu den Vorschlägen gehören, dass die Rechtsaufsicht über den Binnenmarkt und die Wettbewerbsregeln in politisch unabhängige Behörden ausgelagert werde könnten.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: "Entmachten will man das nicht nennen." Die Schlagzeile der "FAZ" im gestrigen Wirtschaftsteil dementierte das Bundesfinanzministerium. Im Kern aber hat wohl Bestand, was seit gestern öffentlich vermehrt diskutiert wird: Die EU-Kommission soll Aufgaben abgeben, weil sie inzwischen viel politischer agiert, Stichwort Gewaltenteilung, das ist es wohl unter anderem, was Wolfgang Schäuble da vorschwebt. Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung hat seinerseits in dieser Woche ein Sondergutachten vorgelegt und darin Vorstellungen skizziert, welche Reformen zumindest in der Eurozone jetzt als Konsequenz aus der Griechenlandkrise seiner Meinung nach umgesetzt werden müssten. Und am Telefon ist Lars Feld, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg, Mitglied im Sachverständigenrat, also einer der Wirtschaftsweisen. Schönen guten Morgen!
    Lars Feld: Schönen guten Morgen, Frau Klein!
    Klein: Herr Feld, wenn Sie die ganze aktuelle Diskussion im Augenblick hören, mit Blick auf die EU-Kommission, um damit mal zu beginnen, was halten Sie davon?
    Feld: Ich habe sehr viel Verständnis dafür, dass man die mittlerweile doch sehr politisch gewordene Kommission ein wenig reformieren möchte, vor allen Dingen im Hinblick auf den Stabilitäts- und Wachstumspakt und die fiskalpolitischen Regeln. Was ja zunächst diskutiert worden ist in der Öffentlichkeit gestern war die Frage, inwiefern die Kommission noch ihrer wettbewerbspolitischen Rolle gerecht wird und inwiefern sie den Binnenmarkt schützt. Ich glaube, in diesen beiden Dimensionen hat man kaum die Notwendigkeit, eine Art Gewaltenteilung herbeizuführen, aber in fiskalpolitischen Fragen sehr wohl. Man sieht ja, wie die Kommission den Stabilitäts- und Wachstumspakt auslegt und dabei auch in gewisser Weise die Regeln dehnt im Hinblick auf Frankreich oder Italien.
    Austritt aus der Währungsunion nicht ausschließen
    Klein: Und Sie halten nicht als zentrales Motiv dahinter den Ärger über Jean-Claude Juncker, der sich aufgebaut hatte jetzt im Zuge der Griechenland-Verhandlungen?
    Feld: Ich kann mir vorstellen, dass Unionsabgeordnete verärgert sind, aber Wolfgang Schäuble lässt sich von solchen Dingen nicht leiten. Es geht ihm darum, die Regeln, die in der EU existieren, vernünftig anzuwenden. Er weiß ganz genau, wie jeder andere auch, dass die großen Probleme im Moment in der EU neben dem Sonderfall Griechenland vor allen Dingen in der weiterhin übermäßigen Verschuldung der öffentlichen Haushalte liegen. Und wenn man die Fiskalregeln nicht vernünftig anwendet, dann haben wir auch keine Chance, diese Schulden rechtzeitig vor der nächsten Rezession abgebaut zu haben.
    Klein: Herr Feld, man hat mit Interesse ja wahrgenommen Ihr Statement, Ihr Sondergutachten, es gab eine abweichende Meinung von Peter Bofinger, sollten wir auch mit dazu sagen, aber die Mehrheitsmeinung lautete eben anders, und da geht es auch noch mal um die Möglichkeit eines Austritts aus der Eurozone. Wir erinnern uns, als Wolfgang Schäuble vorgeschlagen hat, den Griechen sollte es möglich sein, für fünf Jahre auszutreten, dann wieder einzutreten, gab es einen ziemlich lauten Aufschrei, und man hat wieder gesagt, also Deutschland als dominierende Macht in Europa ist wieder zurück und der hässliche Deutsche sei da. Jetzt schreiben Sie, es muss nach Ihrer Ansicht der Austritt eines Mitgliedsstaates aus der Währungsunion als Ultima Ratio möglich sein. Wie das? Das ist nach den bisherigen Verträgen ja ausgeschlossen.
    Feld: Das ist nach den Verträgen bisher ausgeschlossen, wobei man sicherlich auch sagen muss, faktisch gibt es nun mal dieses Problem, das haben wir ja in der Griechenland-Krise gesehen. Wir sprechen uns nicht dafür aus, einen Mechanismus zu schaffen, der den Austritt erleichtert. Das würde sicherlich die Währungsunion und das Versprechen ihrer Irreversibilität infrage stellen. Aber man kann nicht letztendlich ausschließen, dass so etwas passiert, wenn ein Staat überhaupt nicht bereit ist, die Grundregeln der Währungsunion und damit der Europäischen Union einzuhalten.
    Klein: Praktisch möglich ist es ja jetzt auch, wir haben ja auch darüber gesprochen, es könnte eben sein, dass de facto dieser Austritt passiert. Sie fordern jetzt, das in den Verträgen festzuschreiben?
    Feld: Nein, wir fordern nicht, es in den Verträgen festzuschreiben. Wir wollen nicht einen solchen Mechanismus im Vertrag drin haben. Aber wir wollen doch klar sagen, dass da politisch, pragmatisch gesehen, ein solcher Austritt als letzte Lösung in einem Konflikt möglich sein muss in dem Sinne, dass die Mitgliedsstaaten nicht erpressbar sind und ganz klar sagen können, das ist nun mal die letzte Alternative, die dann bleibt.
    IWF sollte seine Bedenken zurückstellen
    Klein: Wäre das dann jetzt im Falle Griechenland der bessere Weg gewesen, Ihrer Meinung nach?
    Feld: Für Griechenland wäre das nicht der bessere Weg. Meines Erachtens kann Griechenland sich nur aus dieser Misere befreien, wenn es ihm gelingt, über eine umfassende Reformtätigkeit, also diese berühmten Strukturreformen, indem die Produktmärkte liberalisiert werden, indem der Arbeitsmarkt weiter liberalisiert wird, Wachstum zu generieren. Da kommt im Wesentlichen Wachstum her. Die Investoren, die privaten Investoren investieren nur, wenn sie Rendite-Chancen sehen. Und dafür benötigen sie mehr Freiräume. Das schafft Griechenland nicht ohne die Hilfe von außen gegenwärtig. Und genau das können die europäischen Partner bieten.
    Klein: Und das heißt, im Grunde genommen ist jetzt eigentlich alles richtig gemacht worden, Ihrer Meinung nach?
    Feld: Na ja, wir sind ja immer noch nicht am Ende dieses Prozesses. Wir sehen deutlich, dass Griechenland große Schwierigkeiten hat, die zunächst mal angedeuteten Reformen im dritten Hilfspaket umzusetzen. Das dritte Hilfspaket muss ausgehandelt werden. Der Internationale Währungsfonds hat größte Bedenken, möchte eigentlich da raus. Insbesondere die Bundesregierung will den IWF in der Gruppe halten, was eine ganz Reihe von Gründen hat. Insbesondere, weil der IWF ähnlich hart ist wie die Bundesregierung, während die anderen europäischen Partner ja doch in letzter Minute mal einknicken.
    Klein: Und der IWF hat jetzt auch sozusagen noch mal angedeutet, dass er da eigentlich raus möchte. Ist das sozusagen der Weg, der jetzt beschritten werden wird?
    Feld: Wenn der IWF gar nicht will, dann hat man natürlich schon ein Problem bei diesem dritten Hilfspaket. Auf der anderen Seite muss man klar sehen, diese Argumente hinsichtlich der Schuldentragfähigkeit, die sind schon etwas weiter zu betrachten, als es der IWF im Moment in der Diskussion tut. Man kann sehr wohl ausrechnen mit Schuldenquoten, angenommenen Zinssätzen und Wachstumsraten, ob denn die Verschuldung tragfähig ist. Aber man muss schon auch sehen, dass auf der anderen Seite Griechenland eine relativ niedrige Zinslast hat. Das sind ein bisschen mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Wenn da ein bisschen mehr Wachstum als diese zwei Prozent zustande kommt, dann hat Griechenland schon ein geringeres Problem. Also man kann eigentlich nur in Richtung IWF appellieren, stellt jetzt doch bitte eure Bedenken noch ein bisschen zurück, lasst uns mal sehen, was passiert. Der IWF will ja selber auch an einem Schuldenschnitt gar nicht mitmachen. Man möchte nur, dass die anderen auf ihr Kapital verzichten. Die haben aber schon zu einem erheblichen Teil verzichtet im Jahr 2012. Also ich sehe im Moment nicht den Grund, da weiterzumachen.
    Mitgliedsstaaten wollen keine Haushaltsautonomie abgeben
    Klein: Sie sprechen auch von einer Insolvenzordnung, die künftig sozusagen das stärker sanktionieren sollte, wenn sich eben Staaten nicht an die vorgegebenen Regeln halten, und damit eben auch einen Austritt aus der Eurozone dann zu ermöglichen. Peter Bofinger, ich habe es schon angesprochen, ein anderer Vertreter Ihres Gremiums, hat noch mal erneut gesagt, er glaubt nicht an die Vorteile eines Insolvenzverfahrens, und er hält Eurobonds, also dann den Weg in die Transferunion, für eine richtige Option. Da steht ja der Nicht-Wirtschaftswissenschaftler staunend davor wieder einmal und fragt sich, wem er folgen soll, Herr Feld.
    Feld: Na ja, das Schöne ist ja, dass, wenn schwierige Fragen diskutiert werden, auch unterschiedliche Positionen existieren. Und wir dokumentieren regelmäßig vonseiten des Sachverständigenrates diese unterschiedlichen Positionen.
    Klein: Und so eindeutig ist die Antwort dann eben nicht. So eindeutig ist der Weg auch nicht.
    Feld: Nein. Eindeutig ist es nicht. Es ist halt klar, dass man in solchen schwierigen Fragen differenzieren muss und klar sehen muss, was die Knackpunkte solcher Vorschläge sind, und die arbeiten wir in dem Dissens heraus. Man sieht ganz klar, dass die Mehrheit des Sachverständigenrates deswegen skeptisch ist, weil eine solche Fiskalkapazität auf EU-Ebene oder Eurobonds auf EU-Ebene nur funktionieren, wenn auf der anderen Seite diese europäische Ebene wirklich die weitgehenden Durchgriffsrechte bekommt, die sich Wolfgang Schäuble schon mal vorgestellt hat. Und da ist die Bereitschaft bislang bei den Mitgliedsstaaten, Haushaltsautonomie an die EU abzugeben, äußerst gering. Also, wir sind sehr, sehr skeptisch, dass es tatsächlich gelingt, gerade diejenigen, die diszipliniert werden müssten, dazu zu bewegen, Souveränitätsverzicht zu üben.
    Klein: Sagt Lars Feld, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Freiburg und Mitglied im Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung. Herr Feld, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch heute Morgen!
    Feld: Vielen Dank, Frau Klein, tschüs!
    Klein: Tschüs!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.