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EU-Konvent legt Entwurf für EU-Verfassung vor

Müller: In Brüssel sind wir nun verbunden mit Klaus Hänsch, sozialdemokratischer Europa-Parlamentarier und Mitglied im Konventspräsidium. Guten Morgen!

    Hänsch: Guten Morgen!

    Müller: Herr Hänsch, 18 Monate mühselige, harte Arbeit, über 100 Sitzungen. Ist das Treffen heute auch für Sie eine Art Erlösung?

    Hänsch: Ja, ich glaube, man kann erlöst sein, weil wir nach diesen 18 Monaten wirklich schwerer und zum Teil sehr strittiger Arbeit zu einem Ergebnis kommen werden, das sich sehen lassen kann. Das wird Europa auf eine neue Grundlage stellen. Es wird tatsächlich dafür sorgen, dass europäische Politik durchsichtiger wird, dass man endlich verstehen kann, wer wann was in Brüssel und Straßburg beschließt, und - was genauso wichtig ist - dass Europa führbar wird sowohl nach Innen in der Innenpolitik als auch und vor allem nach Außen in der Welt.

    Müller: Für Sie gilt also die Formel: Europa wird europäischer und effizienter?

    Hänsch: Europa wird europäischer, effizienter und transparenter.

    Müller: Woran machen Sie das denn fest? Es hat ja viele Rückschläge gegeben bei den Beratungen, wir haben das eine oder andere Beispiel ja schon aufgeführt.

    Hänsch: Natürlich hat es Rückschläge gegeben, das kann ja gar nicht anders sein, wenn man eine Verfassung für 25 Staaten entwirft. Dafür gibt es ja kein historisches Beispiel, wir haben uns ja alles selbst erfinden müssen sowohl in der Arbeitsweise als auch in den Zielen, die wir uns setzen mussten. Also, ich denke da kann man sehr zufrieden sein. Was hat es an Problemen gegeben? Natürlich ist die Tatsache, dass in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik nicht durchgängig mit qualifizierter Mehrheit entschieden werden kann, ein Mangel an der künftigen Verfassung. Aber wir werden - und da bin ich sehr zuversichtlich - im Juli bei den Aufräumarbeiten es hinbekommen, dass wir die Tür einen Spalt breit aufmachen in Richtung auf Mehrheitsentscheidungen auch in der Außen- und Sicherheitspolitik.

    Müller: Aber können wir festhalten, Herr Hänsch, zu diesem Zeitpunkt hat es in der Außenpolitik in keiner Weise Bewegung gegeben?

    Hänsch: Ja doch, die Schaffung des europäischen Außenministers, eines solchen Amtes, wird ein Prozess der ständigen Annäherung der nationalen Position in Gang setzen und vor allen Dingen - das ist genauso wichtig - in Gang halten. Gemeinsamkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik, die wird nicht durch einen Beschluss hergestellt, sondern das ist ein Prozess, der immer wieder neue Anstöße, immer wieder neue Koordinationsbemühungen braucht. Und dafür schaffen wir dieses Amt des europäischen Außenministers.

    Müller: Aber das ist ein Außenminister, der gegebenenfalls am Veto Maltas scheitert.

    Hänsch: Das sehe ich nicht so. Ich glaube, dass man sich jedenfalls in den normalen Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik einigen wird. Ich glaube nicht, dass es einer der Kleinen - wenn Sie gerade Malta oder Zypern oder Estland im Blick haben - auf eine längere Zeit riskieren wird, die Gemeinsamkeit in der Außen- und Sicherheitspolitik aufzuhalten. Dass es in solchen Grundsatzfragen wie Krieg und Frieden in den nächsten Jahren ohnehin nicht zu gemeinsamen Positionen kommen kann, das liegt an der unterschiedlichen Geschichte der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, das gilt ja auch für Deutschland. Da brauchen wir noch einen längeren Prozess der gegenseitigen Annäherung.

    Müller: Sie Sind, Herr Hänsch, seit vielen Jahren Parlamentarier. Sie waren ja auch Präsident des Europäischen Parlaments. Über diese gemeinsame Außenpolitik - das war ja ein Schlagwort in der Vergangenheit - wird seit zwei Jahrzehnten, ja mindestens, sehr heftig diskutiert. Jetzt ist man in punkto Entscheidungsverfahren ja nicht wirklich weiter gekommen. Sie haben das mit dem Außenminister erwähnt, aber das eigentliche Entscheidungsprozedere liegt ja nach wie vor auf Eis. Es gibt diese Blockademöglichkeit. Herr Hänsch, welche Rolle hat denn der Irak-Krieg dabei gespielt?

    Hänsch: Er hat das, was wir vorhatten, noch einmal beschleunigt und verstärkt. Es gab ja im Laufe des Konvents gegen die Schaffung dieses Amt des europäischen Außenministers erheblichen Widerstand. Das war ja kein Selbstgänger. Dass wir das überhaupt hinbekommen haben, das hat auch etwas damit zu tun, dass eine ganze Reihe von Regierungen in der EU in der Irak-Krise und vor allem nach dem Irak-Krieg festgestellt haben: Nie wieder Winter und Frühjahr 2002/2003, wir müssen dort etwas tun. Dass dieser Außenminister jetzt einen diplomatischen Dienst aufbauen kann, einen eigenen europäischen, das ist in der Tat in letzter Minute hinein gekommen. Aber das hat auch etwas damit zu tun, dass die Mitgliedsregierungen schon auf der Grundlage und nach den Erfahrungen der Irak-Krise weitere Schritte voran gehen wollten. Dass es noch nicht zu einer durchgängigen und flächendeckenden Mehrheitsentscheidung im Bereich Außen- und Sicherheitspolitik dabei gekommen ist, ist wahr, aber wir werden uns in den nächsten Jahren dahin bewegen, dass wir dazu kommen.

    Müller: Es soll ja auch, in dem Entwurf steht das zumindest so, einen starken Präsidenten geben, einen EU-Präsidenten. Es gibt auch einen EU-Kommissionspräsidenten. Haben die die Möglichkeit, sich wiederum auch gegenseitig auszutricksen und zu blockieren?

    Hänsch: Wir haben die beiden Ämter sehr deutlich voneinander abgegrenzt. Ich glaube, die EU braucht beides: Sie braucht einen Präsidenten des Europäischen Rates, dessen Aufgabe es ist, die Regierungspolitiken in der EU besser zu koordinieren und die Arbeit der Staats- und Regierungschefs auf europäischer Ebene kohärent zu gestalten. Das ist die eine Seite. Und dann haben wir auch das Amt des Kommissionspräsidenten erheblich gestärkt. Er bekommt die politische Richtlinienkompetenz, das war bisher nicht so. Er bekommt die Befugnis, die Verwaltung in Brüssel selbst zu ordnen und zu führen. Das war bisher auch nicht so. Er wird vom Europäischen Parlament gewählt werden, erhält also eine breitere Legitimationsgrundlage. Das stärkt alles diesen Mann oder diese Frau, die das Amt des Kommissionspräsidenten innehat. Die Europäische Union ist eine Union von Mitgliedsstaaten und von Bürgerinnen und Bürgern. Und wenn wir das ernst nehmen, dass auch die Mitgliedsstaaten Europa sind, dann müssen wir auch dafür sorgen, dass ihre Politiken besser koordiniert werden als das in der Vergangenheit der Fall war.

    Müller: Herr Hänsch, bleiben wir noch einmal bei diesem Punkt. Warum bekommt ein demokratisches Europa nicht einen Präsidenten?

    Hänsch: Wir haben auch mehrere Führungspositionen in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union. Wir haben einen Bundespräsidenten, wir haben einen Bundeskanzler, wir haben einen Präsidenten des Bundestages. Auf des europäischen Ebene ist das nicht anders. Wir brauchen für unterschiedliche Funktionen auch unterschiedliche Führungspersonen. Und da wäre es schlecht, wenn wir einen Präsidenten für alles hätten. Ich habe gesagt: Die EU ist eine Union aus Staaten und aus Bürgern. Beides sind konstitutive Elemente dieser Union. Und das bedeutet: Beide müssen sich wieder finden. Die Bürger über das Europäische Parlament und die Kommission. Und die Mitgliedsstaaten über den Ministerrat, den Europäischen Rat und den Präsidenten dieses Europäischen Rates.

    Müller: Das war Klaus Hänsch, sozialdemokratischer Europa-Abgeordneter und Mitglied im Konvents-Präsidium. Vielen Dank für das Gespräch.

    Hänsch: Ich bedanke mich auch.

    Link: Interview als RealAudio