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EU-Parlamentspräsident: Aufstockung des ESM wird kommen

Die Kanzlerin lehnt bislang eine Aufstockung des europäischen Stabilitätsmechanismus ESM von 500 auf 750 Milliarden Euro ab. EU-Parlamentspräsident Schulz argumentiert, eine Aufstockung sei ein entscheidendes psychologisches Signal für die Stärke der Euro-Zone: "Deshalb wird sie kommen".

Das Gespräch führte Christiane Kaess | 01.03.2012
    Christiane Kaess: In Brüssel kommen heute wieder die Staats- und Regierungschefs zum EU-Frühjahrsgipfel zusammen. Offiziell steht das Thema einer Aufstockung des künftigen Euro-Rettungsfonds ESM nicht mehr auf der Agenda. In der Zwischenzeit wird aber heftig weiterdiskutiert. Die EU-Kommission, der Internationale Währungsfonds und einige EU-Länder fordern, dass der ESM aufgestockt wird von bisher vorgesehenen 500 Milliarden Euro auf etwa 750 Milliarden Euro. Dazu könnten die 250 Milliarden Euro aus dem EFSF genutzt werden, die dort noch übrig sind. Die Bundesregierung möchte an der vereinbarten Obergrenze der beiden Rettungsschirme von insgesamt 500 Milliarden Euro festhalten, oder – so berichtet heute die "Süddeutsche Zeitung" – zumindest erst Ende März darüber entscheiden. Bundeskanzlerin Angela Merkel begründet ihre Haltung so:

    O-Ton Angela Merkel: "Die Refinanzierungsbedingungen für Italien und Spanien haben sich dank der dortigen Reformanstrengungen sichtlich verbessert. Mit der Umschuldung Griechenlands, der freiwilligen Umschuldung – das will ich allerdings sagen -, betreten wir Neuland. Verläuft sie erfolgreich, sinkt die Ansteckungsgefahr für andere Euro-Staaten weiter."

    Kaess: Bundeskanzlerin Angela Merkel und am Telefon ist der Präsident des EU-Parlaments, der Sozialdemokrat Martin Schulz, und er ist gerade aus Griechenland zurück. Guten Morgen, Herr Schulz.

    Martin Schulz: Guten Morgen, Frau Kaess.

    Kaess: Herr Schulz, die Entscheidung über eine Aufstockung des ESM auf dem EU-Gipfel heute soll wegen der deutschen Position verschoben werden. Setzt sich also die Haltung der deutschen Regierung letztendlich doch noch durch, zumindest erst mal zu prüfen, ob eine Aufstockung überhaupt sinnvoll ist?

    Schulz: Ja sie hat sich insofern durchgesetzt, dass genau das geprüft wird, und deshalb ist das ja auch verschoben worden. Aber ich glaube, die Prüfung wird zu einem klaren Ergebnis kommen, nämlich dem Ergebnis, dass die Aufstockung sinnvoll ist, und deshalb wird sie auch kommen. Sie haben ja an den Äußerungen, die die Bundeskanzlerin gemacht hat, gesehen, dass sie das nicht prinzipiell ausschließt.
    Ich will hinzufügen: Das ist auch vernünftig, dass sie es nicht ausschließt, denn es geht dabei weniger um Geld, als um Psychologie. Die Ansteckungsgefahr, von der die Kanzlerin spricht, die sinkt, wenn sich Staaten wie Spanien und Italien besser refinanzieren können, aber es heißt ja nicht, dass sie verschwindet. Und der entscheidende Punkt ist – und das ist ein psychologischer -, gelingt es der Euro-Zone und den Staaten der Euro-Zone, den internationalen Börsen zu signalisieren, den Spekulanten dort zu signalisieren, wir sind stark genug, alle Angriffe auf den Euro abzuwehren. Das ist die entscheidende Frage, die hinter dieser Aufstockung steckt, und diese Frage positiv zu beantworten, da ist eigentlich die Bundesregierung zurzeit die einzige, die da noch zögert.

    Kaess: Aber Herr Schulz, Sie haben es gerade schon angesprochen: Die anderen Sorgenkinder, Irland und Portugal, denen werden ja von der Troika gute Fortschritte bescheinigt und Spanien und Italien haben keine Probleme mehr mit ihren Anleihen. Warum dennoch eine Aufstockung?

    Schulz: Ja wenn das so wäre, dass Spanien und Italien dauerhaft keine Probleme mehr haben, dann bräuchte man die ganze Diskussion nicht führen, aber das ist ja nicht so. Es ist ja so, dass nach wie vor darauf gehofft wird von bestimmten Leuten, die halt ihr Geld auf das Auseinanderbrechen der Euro-Zone verwetten, dass es in der Euro-Zone zu unterschiedlichen Auffassungen kommt, und Sie werden sehen: Wenn sich ein Streit zum Beispiel über den ESM fortsetzen würde, wenn es darüber wieder zu kontroversen Auseinandersetzungen und Hängepartien im Inneren der EU kommt, dann werden Sie sehen, dass die Spreads für die gefährdeten Staaten, für die Krisenstaaten auch wieder steigen. Deshalb ein entscheidender Punkt in der Euro-Krise, im Euro-Management ist das Signalisieren des unbedingten Willens, für den Fall der Fälle genügend Geld zur Verfügung zu haben, um die Finanzierbarkeit dieser Staaten zu gewährleisten, notfalls eben auch ohne die Kapitalmärkte, sondern über diesen Weg. Das ist das entscheidende Signal und ich hoffe, dass es da bald zu einer Einigung kommt.

    Kaess: Aber setzen Sie da nicht auf das falsche Pferd, denn momentan ist es doch die EZB, die die Lage stabilisiert, weil sie den Banken so viel Geld zur Verfügung gestellt hat?

    Schulz: Das ist sicher richtig, dass die EZB zurzeit eine entscheidende Rolle spielt, und über das, was sich da abspielt, muss man sicher auch reden, nämlich dass sich Banken für ein Prozent bei der EZB Geld leihen können, um es anschließend zu enorm höheren Zinsen wieder auszuleihen. Aber das ist eine andere Seite, eine andere Seite dieser Medaille. Es geht ja zunächst noch einmal darum, dass es nicht nur Leute innerhalb der EU gibt, die beteiligt sind an dem, was wir machen, sondern auch Leute, große Hedgefonds vor allen Dingen, die mit Milliarden, hunderten Milliarden in der Tasche darauf wetten, dass der Euro auseinanderbricht, und denen zu signalisieren, es gibt einen Schutzwall, es gibt einen Abwehrmechanismus, das ist ja der Sinn auch des Stabilitätsmechanismus und da sollte man nicht mit spielen. Da muss man in jedem Fall signalisieren, wir stehen zusammen.

    Kaess: Aber Herr Schulz, es geht ja auch um die Umsetzung bei der Forderung nach einer Aufstockung des ESM. Wer bezahlt es denn, künftige Generationen?

    Schulz: Der ESM ist ja ein Fonds, bei dem ein Stabilitätscharakter erreicht werden soll, und da werden Kredite ausgeliehen, damit die Staaten, die sich am Kapitalmarkt hohe Zinsen einhandeln, sich zu besseren Zinsen refinanzieren können, damit die Sanierungseffekte, die in den Ländern über Haushaltskürzungen, über Steuererhöhungen, über Umstrukturierungen erreicht werden, nicht in die Kassen eben dieser Banken oder der Anleger führen, sondern dass damit Effekte erzielt werden, zu günstigeren Zinsen auf der einen Seite und Haushaltskonsolidierung auf der anderen Seite Gelder freizumachen, die man dringend braucht für die Investition in den Ländern. Was wir doch erleben – ich war gerade in Griechenland, Sie haben das gesagt – ist, wir diskutieren immer nur über die Haushaltsdisziplin und über die Refinanzierung von Haushalten, wir diskutieren nicht über das, was eine Wirtschaft zwingend braucht, nämlich Investition in Wachstum und insbesondere in Beschäftigung. Wir haben Länder mit 40prozentiger Arbeitslosigkeit unter jungen Menschen unter 25 Jahren, da muss dringend investiert werden. Aber wenn alle Konsolidierungsschritte immer nur dazu genutzt werden, dass wir über höhere Zinsen diskutieren, dann können wir nicht investieren, und dazu ist natürlich ein Stabilitätsmechanismus ein hilfreiches Instrument.

    Kaess: Aber Herr Schulz, damit haben Sie meine Frage nicht beantwortet. Wer bezahlt es denn?

    Schulz: Diejenigen, die die Schulden bezahlen, das sind wir alle gemeinsam. Und der entscheidende Punkt ist doch: zahlen wir sie zu exorbitanten Zinsen zurück, oder zahlen wir sie zu vernünftigen Zinsen zurück? Und der Stabilitätsmechanismus hilft dazu, die Zinslast zu senken. Das hilft zukünftigen Generationen, deshalb wird er ja eingerichtet.

    Kaess: Jetzt muss der Beschluss zum ESM ja auch durchs Parlament. Wir haben gerade gesehen, welchen Widerstand es jetzt schon in den Parlamenten gibt. Das hat sich in Deutschland gerade bei der Abstimmung zum zweiten Hilfspaket für Griechenland gezeigt. Wie viele Abweichler wird es denn erst beim ESM geben?

    Schulz: Ich muss ja noch mal sagen – Sie haben in Ihrer Anmoderation das ja selbst gesagt: Das einzige Land, was zurzeit zögert, nach meinem Kenntnisstand, ist die Bundesrepublik Deutschland. Sie werden bei der Aufstockung nicht viele Widerstände in den Parlamenten finden und ich sage Ihnen, ...

    Kaess: Es gibt in den Niederlanden zum Beispiel gerade auch heftige Diskussionen darüber.

    Schulz: Ja, aber die Niederlande haben sich bis dato nicht - ich treffe Herrn Rutte in wenigen Stunden -, die Niederlande haben sich nie gegen die Aufstockung des ESM ausgesprochen. Die haben ganz andere Probleme, die sie heute diskutieren müssen, zum Beispiel rassistische Webseiten ihres Regierungspartners PVV, der Partei von Herrn Wilders. Das wird heute sicher die Niederlande beschäftigen. Oder das Blockieren von Serbien als Beitrittskandidat, das wird heute eine Rolle spielen. Nur die Niederlande werden auch zustimmen beim ESM. Die einzigen, die da im Augenblick relativ zurückhaltend sind – und da betone ich "noch zurückhaltend sind" -, das sind die Deutschen.

    Kaess: Sie haben eine Rede vor dem griechischen Parlament gehalten. Haben Sie auch darauf hingewiesen, dass das Land verschiedene Hilfen aus EU-Fonds gar nicht abruft?

    Schulz: Sicher. Ich habe in Athen auf zwei Dinge hingewiesen: einmal, dass ich es nicht für richtig halte, dass es ein Deutschen-Bashing in diesem Land gibt, weil ich glaube, dass Deutschland sich sehr solidarisch verhält, habe allerdings auch gesagt, dass ich nicht finde, dass die deutschen Medien sich immer fair mit Griechenland beschäftigen, und ganz sicher habe ich darauf hingewiesen, dass die strukturellen Reformen, die Griechenland jetzt versprochen hat, die die Abrufbarkeit dieser Strukturfonds-Mittel erst ermöglichen, dass die jetzt zwingend umgesetzt werden müssen. Ich habe den griechischen Parlamentariern, den Kolleginnen und Kollegen gesagt, das was sie zugesagt haben müssen sie jetzt zwingend einhalten.

    Kaess: Soll Griechenland seine Haushaltskontrolle abtreten?

    Schulz: Faktisch macht es das ja schon. Ich glaube, wir brauchen da nicht über theoretische Erwägungen zu diskutieren. Faktisch ist es so, dass ja Gelder, die an den griechischen Staat überwiesen werden, auf Sperrkonten überwiesen werden, das ist ja schon eine Art der Vorabkontrolle.

    Kaess: Der Präsident des EU-Parlaments, Martin Schulz, war das. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Schulz.

    Schulz: Danke Ihnen!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.