Einspielung O-Ton Bundeskanzlerin Angela Merkel: Wir haben dieses Urteil des Europäischen Gerichtshofs umgesetzt, sind aber der Meinung, dass bei den wichtigen Unternehmensentscheidungen es bei der Sperrminorität von 20 Prozent bleiben soll, nach dem Urteil auch bleiben kann. Das ist die Haltung der gesamten Bundesregierung nach sorgfältiger Prüfung, und diese Haltung werden wir auch vor der Europäischen Kommission mit aller Kraft und aller Klarheit vertreten, meine Damen und Herren.
Dirk Müller: Eine unmissverständliche Geste an die mehr als 20.000 anwesenden Beschäftigten und an die Unternehmensführung. Eine hoch politische Geste von Wolfsburg nach Brüssel. Angela Merkel gestern zu Gast bei Volkswagen mit einem klaren Bekenntnis zum umstrittenen VW-Gesetz. Die Bundesregierung hält also ebenfalls fest an der Sperrminorität des Großaktionärs Niedersachsen. Das heißt, die niedersächsische Landesregierung soll ihr faktisches Vetorecht bei allen wichtigen Entscheidungen von VW behalten - gegen den Widerstand der Europäischen Kommission, gegen den Widerstand von Porsche, gegen den Widerstand von Baden-Württemberg. So wird der EU-Kommission offenbar nichts anderes übrig bleiben, als noch einmal gegen das VW-Gesetz zu klagen. - Darüber sprechen wollen wir nun mit dem CDU-Politiker Klaus-Heiner Lehne, Rechtspolitischer Sprecher der konservativen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament. Guten Morgen!
Klaus-Heiner Lehne: Guten Morgen! Ich grüße Sie.
Müller: Herr Lehne, ist die Kanzlerin auf dem Holzweg?
Lehne: Ich befürchte ja, denn ich denke, der Europäische Gerichtshof hat ja in seiner Entscheidung zu Volkswagen - aber nicht nur in dieser, sondern auch in anderen Entscheidungen - ziemlich klar und eindeutig gesagt, dass alle nationalen Regelungen, die abweichen vom normalen Gesellschaftsrecht und von daher Investoren abhalten könnten, in ein solches Unternehmen zu investieren, nicht mit den Regeln der europäischen Niederlassungsfreiheit zu vereinbaren sind. Vor diesem Hintergrund wird es deshalb nach meiner Einschätzung und das ist eigentlich die Einschätzung ziemlich aller Experten, die hier in Brüssel unterwegs sind, falls die Kommission - das wird ja so kommen - erneut gegen das VW-Gesetz klagen wird, am Ende zu einer EuGH-Entscheidung kommen, bei der die Bundesregierung das zweite Mal unterliegen wird.
Müller: Warum begreift das Angela Merkel offenbar nicht?
Lehne: Ich weiß nicht, wie die Strukturen dort innerhalb der Bundesregierung abschließend gewesen sind. Aber Sie wissen ja, dass es hier in der Bundesregierung unterschiedliche Meinungen zwischen Bundeswirtschaftsministerium und Justizministerium gegeben hat. Welche Prozesse dann am Ende zu höheren Weisheiten im Kanzleramt geführt haben, dazu kann ich wenig sagen. Das weiß ich nicht.
Müller: Ist das eine Politik des nationalen Egoismus?
Lehne: Ich würde sagen höchstens des niedersächsischen Egoismus, wobei ich durchaus nachvollziehen kann, dass das Land Niedersachsen natürlich seine eigenen Interessen so gut wahren will wie das nur möglich ist. Nur aus nationaler Sicht heraus gibt es nach meiner Überzeugung eigentlich keinen Grund, am VW-Gesetz festzuhalten. Warum hat man denn diese Sperrminorität zu Gunsten Niedersachsens in das Gesetz hinein geschrieben? Um niedersächsische Standorte zu sichern. Nur es gibt auch Standorte von Volkswagen außerhalb Niedersachsens in Deutschland. Das niedersächsische Interesse ist mir wie gesagt klar, aber warum es ein nationales Interesse an der Beibehaltung des VW-Gesetzes geben soll, das vollzieht sich für mich nicht. Das kann ich nicht nachvollziehen.
Müller: Aber das würden Sie auch so interpretieren. Gestern war die Kanzlerin demonstrativ dort, hat den Rücken für das VW-Gesetz gestärkt. Also ist das plötzlich auch ein nationales Thema?
Lehne: So scheint sie es zu definieren. Aber ich stehe eigentlich nach wie vor auf dem Standpunkt, dass für mich nicht nachvollziehbar ist, wo das nationale Interesse an der Beibehaltung des VW-Gesetzes stehen soll.
Müller: Herr Lehne, jetzt argumentieren diejenigen, die für die Beibehaltung des Gesetzes sind, VW geht es nicht schlecht, das hat auch etwas mit der vernünftigen Kontrolle oder Mitkontrolle des Landes Niedersachsen zu tun. Ist das falsch?
Lehne: Das will ich ja gar nicht bestreiten. Das ist sicherlich richtig. Das Land Niedersachsen hat natürlich seinen positiven Einfluss auf die Entwicklung von Volkswagen, gar kein Thema. Aber ich meine, Porsche ist doch keine Heuschrecke. Porsche ist ein ganz normales Familienunternehmen, das ebenfalls sehr nachhaltig wirtschaftet. Ich meine, die Ergebnisse sprechen ja für sich. Letztendlich ist diese ganze Auseinandersetzung ein Disput zwischen zwei Eigentümern unter Beteiligung der Arbeitnehmervertreter und ob es wirklich klug ist, sich aus bundespolitischer Sicht heraus dort einzumischen und sozusagen Partei zu beziehen für eine Seite, statt einfach die normalen Regeln des Aktienrechtes gelten zu lassen, des Mitbestimmungsrechtes, wie sie überall woanders auch gelten, das kann ich immer noch nicht nachvollziehen.
Müller: Herr Lehne, es ist ja im Moment etwas schwierig, in diesen Zeiten zu argumentieren mit den normalen Regeln des Aktienrechtes. Die sind ja nun umstritten und gerade international kann man von denen ja offenbar auch nicht sprechen. Was spricht also wiederum dafür, dass Niedersachsen diese Sperrminorität behält? Es geht dort ja um 20 Prozent der Stimmen. Das scheint doch offenbar dem Unternehmen sehr gut getan zu haben.
Lehne: Aber das normale Aktienrecht sieht eine Sperrminorität von 25 Prozent für die Beteiligung vor. Warum erhöht einfach nicht Niedersachsen seine Anteile? Es gibt doch ganz einfache Mechanismen, mit denen man diese Dinge auch anders lösen könnte, wenn man eigene Interessen hat. Dafür braucht man doch kein Spezialgesetz. Ich frage mich, was unterscheidet eigentlich Volkswagen von einem Unternehmen wie Siemens oder von Daimler oder anderen? Mit dem gleichen Argument könnte man doch so etwas woanders auch machen.
Müller: Aber die Niedersachsen haben das eben schon etabliert und sind gut damit gefahren. Warum sollte man das jetzt ändern?
Lehne: Es geht ja nicht um ändern. Es geht darum, dass der EuGH in aller Klarheit und Deutlichkeit festgestellt hat, dass solche Sonderregeln zu Gunsten der öffentlichen Hand in bestimmten Unternehmen in dieser Form nicht zulässig sind. Vor dem Hintergrund noch einmal: Was hat es für einen Zweck, hier Regelungen zu haben, die es bei anderen Unternehmen nicht gibt, und warum soll es eine Sonderbehandlung für Volkswagen geben im Verhältnis zu anderen Unternehmen? Ich kann das wie gesagt nicht nachvollziehen. Aber gut: wir werden jetzt sehen, wie das ausgeht. Die Bundesregierung ist ja in der Frage festgelegt. Ich gehe auch sicher davon aus, dass es entsprechende Mehrheiten im Bundestag dafür geben wird. Die Kommission hat angekündigt, dass sie dann klagen wird, und dann werden wir eine Wiederholung der Entscheidung vor dem EuGH in schätzungsweise drei Jahren haben. Dann stehen wir wieder da, wo wir vor ein paar Monaten auch schon gestanden haben.
Müller: Versuchen wir es, Herr Lehne, mit einem Gewerkschaftsargument, natürlich als Frage formuliert. Gibt es für Mitarbeiter einen besseren Schutz, wenn der Staat in irgendeiner Form mit kontrolliert?
Lehne: Sicher gibt es einen besseren Schutz. Ich meine, wir haben eine Mitbestimmung, die wir auch alle gemeinsam in Deutschland verteidigen. Vor dem Hintergrund noch einmal wiederholt: die Arbeitnehmer sind geschützt durch ihre Beteiligungsmechanismen, die existieren, doch nicht dadurch, dass irgendein Eigentümer (sei es der Staat oder ein privater) bestimmte Anteile hält. Ich glaube, kein Mensch bedroht die Situation bei Volkswagen mit Blick auf die Arbeitnehmer. Dafür gibt es keine Veranlassung, das anzunehmen. Ich halte das wie gesagt für einen Machtkampf, der hier im Augenblick stattfindet, und ich habe meine geregelten Zweifel, ob es richtig ist, dass man sich auf der nationalen Ebene in diesen Machtkampf einmischt.
Müller: Halten Sie das für richtig unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten?
Lehne: Ich will Ihnen mal aus europapolitischer Sicht sagen, was hier unser Problem ist. Wir haben einen langen Kampf. Wir führen immer noch einen langen Kampf auf europäischer Ebene darum, ein so genanntes "level playing field", also gleiche Bedingungen für Unternehmen in Europa zu schaffen, und wenden uns dabei immer wieder gerade als Deutsche auch gezielt gegen gesetzliche Bestimmungen, anderen Mitgliedsstaaten die Zugänge für deutsches Kapital zu verhindern oder dies zu erschweren. Die Europäische Kommission geht wie gesagt gegen diese Beschränkungen vor. Nur wenn wir argumentieren, wird uns immer vorgehalten, Leute, ihr habt doch Volkswagen. Volkswagen ist also - das will ich ganz deutlich sagen - auch ein negatives Beispiel bei der Durchsetzung deutscher Interessen auf europäischer Ebene, weil wir immer auf dieser Sonderregelung beharren. Hilfreich ist das für unsere Argumentation hier in Brüssel nicht, was da im Augenblick passiert.
Müller: Dann könnten wir, Herr Lehne, umgekehrt vielleicht festhalten, Europa weiß es besser?
Lehne: Ob Europa es besser weiß, die Frage will ich hier nicht so klar beantworten. Aber was die rechtliche Beurteilung der Situation angeht, ist Europa mit hoher Wahrscheinlichkeit auf der sicheren Seite.
Müller: Und liegt etwas an dieser zentralen Beurteilung der Dinge aus Brüsseler Sicht vielleicht auch darin begründet, dass Europa zunehmend weniger Zustimmung in der Bevölkerung bekommt?
Lehne: Ich glaube, das hat mit der Frage der Zustimmung für Europa nichts zu tun. Wir haben eine gemeinsame Rechtsordnung, die wir uns gegeben haben seit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957 und an die sind wir genauso gezwungen uns zu halten wie alle anderen auch. Ich meine, Deutschland profitiert massiv von Europa. Wir sind die größte Exportnation auf der Welt und die Masse unserer Exporte (übrigens auch gerade des Verkaufens von Volkswagen, die in Niedersachsen hergestellt werden) geht in die Europäische Union. Vor dem Hintergrund, glaube ich, stellt sich die Frage, ob man für oder gegen Europa im Zusammenhang mit dieser Debatte sein soll, überhaupt nicht. Die Kommission hat eine Aufgabe, die ihr auch vom deutschen Gesetzgeber übertragen worden ist, nämlich durch den Vertrag, dafür zu sorgen, dass das Recht in Europa eingehalten wird. Und die tun das! Die tun genau das und nichts anderes.
Müller: Klaus-Heiner Lehne war das, Rechtspolitischer Sprecher der konservativen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Lehne.
Lehne: Danke schön!
Müller: Auf Wiederhören.
Lehne: Tschüß! Auf Wiederhören.
Dirk Müller: Eine unmissverständliche Geste an die mehr als 20.000 anwesenden Beschäftigten und an die Unternehmensführung. Eine hoch politische Geste von Wolfsburg nach Brüssel. Angela Merkel gestern zu Gast bei Volkswagen mit einem klaren Bekenntnis zum umstrittenen VW-Gesetz. Die Bundesregierung hält also ebenfalls fest an der Sperrminorität des Großaktionärs Niedersachsen. Das heißt, die niedersächsische Landesregierung soll ihr faktisches Vetorecht bei allen wichtigen Entscheidungen von VW behalten - gegen den Widerstand der Europäischen Kommission, gegen den Widerstand von Porsche, gegen den Widerstand von Baden-Württemberg. So wird der EU-Kommission offenbar nichts anderes übrig bleiben, als noch einmal gegen das VW-Gesetz zu klagen. - Darüber sprechen wollen wir nun mit dem CDU-Politiker Klaus-Heiner Lehne, Rechtspolitischer Sprecher der konservativen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament. Guten Morgen!
Klaus-Heiner Lehne: Guten Morgen! Ich grüße Sie.
Müller: Herr Lehne, ist die Kanzlerin auf dem Holzweg?
Lehne: Ich befürchte ja, denn ich denke, der Europäische Gerichtshof hat ja in seiner Entscheidung zu Volkswagen - aber nicht nur in dieser, sondern auch in anderen Entscheidungen - ziemlich klar und eindeutig gesagt, dass alle nationalen Regelungen, die abweichen vom normalen Gesellschaftsrecht und von daher Investoren abhalten könnten, in ein solches Unternehmen zu investieren, nicht mit den Regeln der europäischen Niederlassungsfreiheit zu vereinbaren sind. Vor diesem Hintergrund wird es deshalb nach meiner Einschätzung und das ist eigentlich die Einschätzung ziemlich aller Experten, die hier in Brüssel unterwegs sind, falls die Kommission - das wird ja so kommen - erneut gegen das VW-Gesetz klagen wird, am Ende zu einer EuGH-Entscheidung kommen, bei der die Bundesregierung das zweite Mal unterliegen wird.
Müller: Warum begreift das Angela Merkel offenbar nicht?
Lehne: Ich weiß nicht, wie die Strukturen dort innerhalb der Bundesregierung abschließend gewesen sind. Aber Sie wissen ja, dass es hier in der Bundesregierung unterschiedliche Meinungen zwischen Bundeswirtschaftsministerium und Justizministerium gegeben hat. Welche Prozesse dann am Ende zu höheren Weisheiten im Kanzleramt geführt haben, dazu kann ich wenig sagen. Das weiß ich nicht.
Müller: Ist das eine Politik des nationalen Egoismus?
Lehne: Ich würde sagen höchstens des niedersächsischen Egoismus, wobei ich durchaus nachvollziehen kann, dass das Land Niedersachsen natürlich seine eigenen Interessen so gut wahren will wie das nur möglich ist. Nur aus nationaler Sicht heraus gibt es nach meiner Überzeugung eigentlich keinen Grund, am VW-Gesetz festzuhalten. Warum hat man denn diese Sperrminorität zu Gunsten Niedersachsens in das Gesetz hinein geschrieben? Um niedersächsische Standorte zu sichern. Nur es gibt auch Standorte von Volkswagen außerhalb Niedersachsens in Deutschland. Das niedersächsische Interesse ist mir wie gesagt klar, aber warum es ein nationales Interesse an der Beibehaltung des VW-Gesetzes geben soll, das vollzieht sich für mich nicht. Das kann ich nicht nachvollziehen.
Müller: Aber das würden Sie auch so interpretieren. Gestern war die Kanzlerin demonstrativ dort, hat den Rücken für das VW-Gesetz gestärkt. Also ist das plötzlich auch ein nationales Thema?
Lehne: So scheint sie es zu definieren. Aber ich stehe eigentlich nach wie vor auf dem Standpunkt, dass für mich nicht nachvollziehbar ist, wo das nationale Interesse an der Beibehaltung des VW-Gesetzes stehen soll.
Müller: Herr Lehne, jetzt argumentieren diejenigen, die für die Beibehaltung des Gesetzes sind, VW geht es nicht schlecht, das hat auch etwas mit der vernünftigen Kontrolle oder Mitkontrolle des Landes Niedersachsen zu tun. Ist das falsch?
Lehne: Das will ich ja gar nicht bestreiten. Das ist sicherlich richtig. Das Land Niedersachsen hat natürlich seinen positiven Einfluss auf die Entwicklung von Volkswagen, gar kein Thema. Aber ich meine, Porsche ist doch keine Heuschrecke. Porsche ist ein ganz normales Familienunternehmen, das ebenfalls sehr nachhaltig wirtschaftet. Ich meine, die Ergebnisse sprechen ja für sich. Letztendlich ist diese ganze Auseinandersetzung ein Disput zwischen zwei Eigentümern unter Beteiligung der Arbeitnehmervertreter und ob es wirklich klug ist, sich aus bundespolitischer Sicht heraus dort einzumischen und sozusagen Partei zu beziehen für eine Seite, statt einfach die normalen Regeln des Aktienrechtes gelten zu lassen, des Mitbestimmungsrechtes, wie sie überall woanders auch gelten, das kann ich immer noch nicht nachvollziehen.
Müller: Herr Lehne, es ist ja im Moment etwas schwierig, in diesen Zeiten zu argumentieren mit den normalen Regeln des Aktienrechtes. Die sind ja nun umstritten und gerade international kann man von denen ja offenbar auch nicht sprechen. Was spricht also wiederum dafür, dass Niedersachsen diese Sperrminorität behält? Es geht dort ja um 20 Prozent der Stimmen. Das scheint doch offenbar dem Unternehmen sehr gut getan zu haben.
Lehne: Aber das normale Aktienrecht sieht eine Sperrminorität von 25 Prozent für die Beteiligung vor. Warum erhöht einfach nicht Niedersachsen seine Anteile? Es gibt doch ganz einfache Mechanismen, mit denen man diese Dinge auch anders lösen könnte, wenn man eigene Interessen hat. Dafür braucht man doch kein Spezialgesetz. Ich frage mich, was unterscheidet eigentlich Volkswagen von einem Unternehmen wie Siemens oder von Daimler oder anderen? Mit dem gleichen Argument könnte man doch so etwas woanders auch machen.
Müller: Aber die Niedersachsen haben das eben schon etabliert und sind gut damit gefahren. Warum sollte man das jetzt ändern?
Lehne: Es geht ja nicht um ändern. Es geht darum, dass der EuGH in aller Klarheit und Deutlichkeit festgestellt hat, dass solche Sonderregeln zu Gunsten der öffentlichen Hand in bestimmten Unternehmen in dieser Form nicht zulässig sind. Vor dem Hintergrund noch einmal: Was hat es für einen Zweck, hier Regelungen zu haben, die es bei anderen Unternehmen nicht gibt, und warum soll es eine Sonderbehandlung für Volkswagen geben im Verhältnis zu anderen Unternehmen? Ich kann das wie gesagt nicht nachvollziehen. Aber gut: wir werden jetzt sehen, wie das ausgeht. Die Bundesregierung ist ja in der Frage festgelegt. Ich gehe auch sicher davon aus, dass es entsprechende Mehrheiten im Bundestag dafür geben wird. Die Kommission hat angekündigt, dass sie dann klagen wird, und dann werden wir eine Wiederholung der Entscheidung vor dem EuGH in schätzungsweise drei Jahren haben. Dann stehen wir wieder da, wo wir vor ein paar Monaten auch schon gestanden haben.
Müller: Versuchen wir es, Herr Lehne, mit einem Gewerkschaftsargument, natürlich als Frage formuliert. Gibt es für Mitarbeiter einen besseren Schutz, wenn der Staat in irgendeiner Form mit kontrolliert?
Lehne: Sicher gibt es einen besseren Schutz. Ich meine, wir haben eine Mitbestimmung, die wir auch alle gemeinsam in Deutschland verteidigen. Vor dem Hintergrund noch einmal wiederholt: die Arbeitnehmer sind geschützt durch ihre Beteiligungsmechanismen, die existieren, doch nicht dadurch, dass irgendein Eigentümer (sei es der Staat oder ein privater) bestimmte Anteile hält. Ich glaube, kein Mensch bedroht die Situation bei Volkswagen mit Blick auf die Arbeitnehmer. Dafür gibt es keine Veranlassung, das anzunehmen. Ich halte das wie gesagt für einen Machtkampf, der hier im Augenblick stattfindet, und ich habe meine geregelten Zweifel, ob es richtig ist, dass man sich auf der nationalen Ebene in diesen Machtkampf einmischt.
Müller: Halten Sie das für richtig unter wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten?
Lehne: Ich will Ihnen mal aus europapolitischer Sicht sagen, was hier unser Problem ist. Wir haben einen langen Kampf. Wir führen immer noch einen langen Kampf auf europäischer Ebene darum, ein so genanntes "level playing field", also gleiche Bedingungen für Unternehmen in Europa zu schaffen, und wenden uns dabei immer wieder gerade als Deutsche auch gezielt gegen gesetzliche Bestimmungen, anderen Mitgliedsstaaten die Zugänge für deutsches Kapital zu verhindern oder dies zu erschweren. Die Europäische Kommission geht wie gesagt gegen diese Beschränkungen vor. Nur wenn wir argumentieren, wird uns immer vorgehalten, Leute, ihr habt doch Volkswagen. Volkswagen ist also - das will ich ganz deutlich sagen - auch ein negatives Beispiel bei der Durchsetzung deutscher Interessen auf europäischer Ebene, weil wir immer auf dieser Sonderregelung beharren. Hilfreich ist das für unsere Argumentation hier in Brüssel nicht, was da im Augenblick passiert.
Müller: Dann könnten wir, Herr Lehne, umgekehrt vielleicht festhalten, Europa weiß es besser?
Lehne: Ob Europa es besser weiß, die Frage will ich hier nicht so klar beantworten. Aber was die rechtliche Beurteilung der Situation angeht, ist Europa mit hoher Wahrscheinlichkeit auf der sicheren Seite.
Müller: Und liegt etwas an dieser zentralen Beurteilung der Dinge aus Brüsseler Sicht vielleicht auch darin begründet, dass Europa zunehmend weniger Zustimmung in der Bevölkerung bekommt?
Lehne: Ich glaube, das hat mit der Frage der Zustimmung für Europa nichts zu tun. Wir haben eine gemeinsame Rechtsordnung, die wir uns gegeben haben seit der Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957 und an die sind wir genauso gezwungen uns zu halten wie alle anderen auch. Ich meine, Deutschland profitiert massiv von Europa. Wir sind die größte Exportnation auf der Welt und die Masse unserer Exporte (übrigens auch gerade des Verkaufens von Volkswagen, die in Niedersachsen hergestellt werden) geht in die Europäische Union. Vor dem Hintergrund, glaube ich, stellt sich die Frage, ob man für oder gegen Europa im Zusammenhang mit dieser Debatte sein soll, überhaupt nicht. Die Kommission hat eine Aufgabe, die ihr auch vom deutschen Gesetzgeber übertragen worden ist, nämlich durch den Vertrag, dafür zu sorgen, dass das Recht in Europa eingehalten wird. Und die tun das! Die tun genau das und nichts anderes.
Müller: Klaus-Heiner Lehne war das, Rechtspolitischer Sprecher der konservativen EVP-Fraktion im Europäischen Parlament. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Lehne.
Lehne: Danke schön!
Müller: Auf Wiederhören.
Lehne: Tschüß! Auf Wiederhören.