Donnerstag, 18. April 2024

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EU-Rüstungsfonds
"Ich glaube nicht, dass das gut investiertes Geld ist"

Der Grünen-Verteidigungspolitiker Tobias Lindner hält einen gemeinsamen EU-Rüstungsfonds momentan nicht für sinnvoll. In der EU mangele es nicht an Geld, sondern an effektiver Zusammenarbeit und Vertrauen, sagte er im DLF. Binationale Kooperationen funktionierten schon gut, das müsse ausgeweitet werden.

Tobias Lindner im Gespräch mit Jasper Barenberg | 01.12.2016
    Tobias Lindner, verteidigungspolitischer Sprecher von Bündnis90/Die Grünen im Deutschen Bundestag.
    Lindner: "Europa wird nie so stark sein können, dass man auf die Vereinigten Staaten verzichten könnte" (Imago / Metodi Popow)
    Vor einem gemeinsamen Fonds müssten ein Planungsprozess stehen und die Arbeit klar verteilt werden, sagte Tobias Lindner im DLF. Nach wie vor gebe es viele Egoismen in der EU. Viele Länder betrachteten Rüstung als Industriepolitik und gingen nicht danach, was ihre Streitkräfte wirklich brauchten, beschreibt Lindner die Situation.
    Außerdem forderte er gemeinsame Sicherheitsstandards. Zurzeit habe man in der EU den gleichen Hubschrauber in 27 Versionen, das müsse sich ändern, sagte der Verteidigungspolitiker. Wildwuchs müsse beendet und Verschwendung verhindert werden. Auch eine europäische Armee könne erst am Ende eines solchen Prozesses stehen.

    Das vollständige Interview:
    Jasper Barenberg: Soft Power allein reicht nicht mehr. Europa muss auch über härtere Mittel verfügen, um die eigenen Interessen zur Geltung zu bringen. Diesen Gedanken gibt es natürlich schon länger, aber nach der Wahl von Donald Trump könnte er eine neue Dringlichkeit bekommen, wenn er als US-Präsident ernst machen sollte und es den Schutz der Alliierten künftig nur noch gegen Cash gibt. Vor diesem Hintergrund schlägt die EU-Kommission jetzt vor, einen gemeinsamen Verteidigungsfonds aufzulegen, um Rüstungsprojekte besser und effizienter zu stemmen oder Militärforschung gemeinsam zu finanzieren. Konkret schlägt die Kommission vor, dass die EU-Staaten zunächst etwa fünf Milliarden Euro im Jahr für diesen Verteidigungsfonds bereitstellen. - Am Telefon ist Tobias Lindner, für die Grünen sitzt er im Verteidigungsausschuss und im Haushaltsausschuss des Bundestages. Schönen guten Morgen.
    Tobias Lindner: Guten Morgen.
    Barenberg: Fünf Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt für diesen Verteidigungsfonds, ist das gut investiertes Geld?
    Lindner: Ich glaube nicht, dass das gut investiertes Geld ist. Natürlich braucht Europa mehr Gemeinsamkeit. Allein wenn man sieht, wieviel Geld bereits die europäischen Staaten in ihre Verteidigung stecken, dann ist es natürlich vernünftig zu gucken, wie kann man das effizienter auch einsetzen. Aber ich glaube, da ist der Fonds im Moment der falsche Weg. Was wir in Europa tatsächlich brauchen, ist erst mal einen sogenannten gemeinsamen Planungsprozess. Das heißt, bevor man Geld bereitstellt, um irgendwelche Dinge zu erforschen, zu entwickeln oder zu kaufen, muss doch erst mal die Frage beantwortet werden, wie läuft innerhalb der europäischen Partner die Arbeitsteilung ab. Das heißt konkret, welche Nation soll was können, und was können dann auch andere, und auf die Frage gibt es nach wie vor keine Antwort.
    "Wenn man erst mal einen Fonds schafft und Geld da ist, kann es auch für unsinniges Zeug ausgegeben werden"
    Barenberg: Aber ich habe immer noch nicht verstanden, was dann dagegen spricht, mal anzufangen mit einem sehr kleinen Betrag, gemessen an den Gesamtausgaben für Verteidigung in Europa, den in einen Topf zu tun und dann zu gucken, in welchen Projekten können wir uns darauf einigen, zusammenzuarbeiten.
    Lindner: Wenn Sie sich die Realität anschauen, dann läuft das heute eigentlich ganz anders. Meistens tun sich zwei, drei Nationen in einem Projekt zusammen, finanzieren das dann auch gemeinsam - das findet ja bereits statt - und legen Standards fest. Meine Sorge ist, ehrlich gesagt, wenn man jetzt erst mal einen Fonds schafft und das Geld da ist, dann kann es am Ende auch für ziemlich unsinniges Zeug ausgegeben werden. Zumal man sagen muss, mit den fünf Milliarden, die da drin sind, da bekommen Sie weder ein Projekt wie beispielsweise einen A400M, einen Militärtransporter, oder einen Hubschrauber gestemmt.
    Ich glaube, was wir wirklich machen müssen ist, in Europa zu einer vernünftigen Arbeitsteilung kommen und erst mal die Frage beantworten, welche Nation setzt welche Schwerpunkte. Und wenn man das beantwortet hat, dann kann man natürlich auch darüber reden, entwickelt man und beschafft man gemeinsam Dinge.
    Barenberg: Aber das Grundproblem bestreiten Sie nicht, und das liegt darin, dass jedenfalls nach Schätzungen der Kommission im Moment im Jahr irgendwas zwischen 25 und 100 Milliarden Euro verloren gehen, weil es diese Zusammenarbeit, diese Arbeitsteilung, die Sie ja auch wollen, nicht gibt?
    Lindner: Richtig ist: In Europa mangelt es, vor allem was Rüstung betrifft, überhaupt nicht an Geld. Wenn sich die Nationen zusammentun würden und das Geld vernünftiger einsetzen, dann käme man im Übrigen, glaube ich, auch damit aus. Ich will Ihnen nur ein Beispiel geben. Man hat einen Transporthubschrauber, den NATO-Hubschrauber 90 entwickelt, gemeinsam europäisch. Das Problem am Ende ist nur, dass es diesen Hubschrauber jetzt in 27 verschiedenen Versionen gibt, weil sich die Nationen haben nicht einigen können, wie genau Spezifikationen ausgeführt werden. Was ein guter Schritt wäre - und das ist ein Teil des Vorschlags der Kommission, den ich gar nicht so falsch finde -, ist wirklich zu schauen, dass man da zu einem Binnenmarkt kommt, auch zu gemeinsamen Standards, zu gemeinsamen Sicherheitsstandards, Zertifizierungsrichtlinien und anderem, damit man diesen Wildwuchs an verschiedenen beispielsweise Hubschraubern und Panzern, wo das Rad wirklich sprichwörtlich ständig neu erfunden wird, dass man den beendet. Dann kann man das Geld wirklich auch vernünftiger einsetzen und damit unterbindet man auch Verschwendung in dem Bereich.
    Barenberg: Wem geben Sie denn die Verantwortung dafür, dass es diese Arbeitsteilung, die Sie für notwendig halten, derzeit nicht gibt?
    Lindner: Ehrlich gesagt gibt es nach wie vor eine Menge an Egoismen. Gerade wenn es um Rüstungsprojekte geht, betrachten das viele Staaten in Europa erst mal als Industriepolitik, und sie beantworten nicht die Frage, was brauchen denn eigentlich unsere Streitkräfte, und was ist das beste Produkt am Markt, und was ist der beste Preis dafür. Sondern es geht eher um die Frage Industriepolitik an der Stelle. Ich persönlich glaube, dass man das nur wirklich hinkriegt, wenn man da in Europa sich einheitliche Regeln für Beschaffung, für Wettbewerb an der Stelle auch setzt und endlich auch mal versucht, solche industriepolitischen Egoismen zu überwinden. Ganz konkret wäre meine Vermutung, das geht aber nur, wenn mal ein großes Land wie Deutschland voranschreitet und sagt, das kaufen wir jetzt mal nicht bei der heimischen Industrie, weil es zu teuer ist, da setzen wir auf einen anderen Partner, während vielleicht bei manch anderen Produkten dann deutsche Firmen wiederum gute Sachen anbieten.
    "Schade, dass man sich nicht hat einigen können auf ein gemeinsames Hauptquartier für zivil-militärische Missionen"
    Barenberg: Kann sich Europa, kann sich die Europäische Union diese Form von Egoismus noch leisten, wenn wir in die USA gucken und zuschauen müssen, dass Donald Trump vielleicht eine ganz andere Interessenpolitik macht, die darauf hinausläuft, dass wir mehr für unsere eigene Sicherheit sorgen müssen?
    Lindner: Was sich Europa mit Sicherheit in Zukunft nicht leisten kann ist, irgendwie das Thema gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik auszublenden. Da kann Europa auch eine Menge machen. Vor allem, wenn man die EU, die Europäische Union mit der NATO vergleicht, dann ist der große Vorteil der Europäischen Union, dass sie Missionen nicht nur rein militärisch ausführen kann, sondern eine Menge auch machen kann im Zivilen, im Entwicklungspolitischen, was die NATO alles nicht kann. Und ich glaube, diesen Standortvorteil muss Europa wirklich auch nutzen in den kommenden Monaten, in den kommenden Jahren. Was ich vor dem Hintergrund natürlich schade finde ist, dass man sich auf europäischer Ebene jetzt erst mal nicht hat einigen können auf ein gemeinsames Hauptquartier für solche zivil-militärischen Missionen.
    Barenberg: Gehört für Sie zu dieser strategischen Autonomie, die ja Ziel der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik unter anderem ist, gehört zu einer solchen strategischen Autonomie auch eine EU-Armee?
    Lindner: Na ja, eine EU-Armee, wenn sie jemals kommen sollte - ich persönlich hätte damit kein Problem, wenn man Dinge, die einen Parlamentsvorbehalt haben, durch ein EU-Parlament dann auch ausübt -, die kann ja nur am Ende eines solchen Prozesses stehen und nicht am Anfang. Ich denke, jetzt im Moment kommt es wirklich darauf an, dass die Staaten in Europa in ganz konkreten Schritten stärker miteinander kooperieren, auch bereit sind, dem anderen zu vertrauen, wenn es um die Bereitstellung beispielsweise von militärischen Fähigkeiten geht. Da erleben wir eine Menge an binationalen Kooperationen, die ganz gut funktionieren: Deutschland/Frankreich, Deutschland/Niederlande, Deutschland mit Polen. Ich denke, die Herausforderung ist, aus diesen kleinen Dingen, wo Sachen wachsen, jetzt was Größeres wachsen zu lassen und zu gucken, dass sich mehr Staaten zusammentun und sagen, auf dem und jenem Feld gehen wir voran.
    Barenberg: Und kann das weiter im Schneckentempo gehen wie bisher, oder müssen wir nicht - noch mal der Hinweis auf die USA - jetzt wirklich an Tempo zulegen?
    Lindner: Was die USA machen werden jetzt als Außen- und Sicherheitspolitik, ich glaube, das wissen die im Moment teilweise selbst noch nicht so genau.
    Barenberg: Eben!
    Lindner: Deswegen rate ich da zu einer gewissen Vorsicht. Man wird auch der neuen Administration in Washington erst mal 100 Tage geben, um rauszufinden, was wollen die denn tatsächlich. Aber für mich gibt es noch einen ganz anderen Grund. Man hat in Europa nur zwei Strategien: Entweder man gibt mehr Geld in den Bereich Verteidigung rein. Das wird schwer werden. Das ist auch was, was ich nicht unbedingt für sinnvoll halte, um ehrlich zu sein. Oder man setzt das vorhandene Geld besser und effizienter ein. Das heißt, man kooperiert und nutzt da Vorteile. Wenn man das macht, bin ich überzeugt, dann kann man auch mit den bestehenden Finanzmitteln viel mehr erreichen.
    "Wo Europa tatsächlich mehr tun kann, ist bei Friedensmissionen, bei friedenserhaltenden Maßnahmen"
    Barenberg: Effizienz ist ja immer gut, die zu steigern. Aber wenn man sich mal das große Bild anguckt, da hat Europa 550 Millionen Einwohner, gibt aber nicht mal halb so viel für Verteidigung und Sicherheitspolitik aus wie die USA. Muss sich das nicht auch insgesamt deutlich ändern?
    Lindner: Ich bin da immer ein bisschen vorsichtig, wenn man gute Außen- und Sicherheitspolitik danach bemisst, wieviel Truppen ein Land hat oder wieviel für Verteidigung ausgegeben wird. Wenn man einfach mal zusammenzählt, was die europäischen Staaten, was die EU-Staaten an Soldatinnen und Soldaten haben, was für Verteidigung ausgegeben wird, und das beispielsweise mit Russland vergleicht, dann, finde ich, muss man sich überhaupt keine Angst machen. Da ist Europa bereits heute gut aufgestellt. Es muss nur besser miteinander zusammenarbeiten, dann kann man das auch vernünftiger nutzen.
    Barenberg: Na ja, es haben ja einige Missionen gezeigt, dass man dann am Ende - Stichwort Jugoslawien-Krieg - auf die Unterstützung der USA dringend angewiesen war. Sonst hätte Europa das gar nicht stemmen können. Ist das nicht auch im Rückblick Anlass genug da nachzulegen?
    Lindner: Man darf sich nichts vormachen. Europa wird nie so stark sein können, dass man auf die Vereinigten Staaten, vor allem, wenn es um Bündnisverteidigung geht, verzichten können wird. Ich warne vor solchen Illusionen zu glauben, man macht sich jetzt komplett von den Vereinigten Staaten autark und sorgt völlig allein für die eigene Sicherheit. Gerade deswegen gibt es ja die NATO, dass die Vereinigten Staaten da auch im Bündnis mit drin sind. Aber wo Europa tatsächlich mehr tun kann, ist bei Friedensmissionen, bei friedenserhaltenden Maßnahmen. Wenn man da die Strukturen verbessert, wenn man da auch mehr Mittel bereitstellen würde für einen ganzheitlichen Ansatz, wofür ja Europa steht, nicht nur Militär, sondern die ganzen anderen Elemente, Rechtsstaatsaufbau, Polizeiaufbau, Entwicklungszusammenarbeit, da kann Europa mehr tun. Ich glaube, da muss Europa in Zukunft auch mehr tun.
    Barenberg: Aber was nützt das alles, Herr Lindner zum Schluss, wenn sich in Afrika bei den Missionen zeigt, dass man nicht mehr in der Lage ist, einige Hubschrauber zu liefern und zu betreiben, sondern große Schwierigkeiten damit hat? Da fehlt es doch schlicht an militärischem Material und an den Fähigkeiten.
    Lindner: Es fehlt noch nicht mal unbedingt an der Zahl der Hubschrauber, sondern konkret an der Zahl der Hubschrauber, die auch fliegen können. Und da sind wir wieder beim Anfang unseres Gesprächs. Wenn ich den Hubschrauber in 27 Versionen habe, muss ich mich auch nicht wundern, dass der Materialerhalt und die Wartung extrem schwierig ist. Da kann Europa mehr tun, wenn man sich einfach auf ein Modell einigt. Dann wird man mit der gleichen Zahl der Hubschrauber mehr funktionierende haben und dann genau das von Ihnen angesprochene Problem auch lösen können.
    Barenberg: Tobias Lindner von Bündnis 90/Die Grünen hier live im Deutschlandfunk im Gespräch. Ich bedanke mich!
    Lindner: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.