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EU-Russland-Gipfel in Brüssel

Simon: Wenn Polen und Litauen nach der Osterweiterung 2004 zur Europäischen Union gehören, dann wird Kaliningrad von EU-Gebiet umgeben und von Russland abgeschnitten sein. Monatelang hatte es deshalb Streit gegeben. Moskau verlangte den ungehinderten Zugang zu seinem Staatsgebiet, die Europäische Union wollte verhindern, dass Kaliningrad das Schlupfloch für illegale Einwanderer in die EU wird. Nun könnte es nach einer Einigung aussehen. Russlands Präsident Putin könnte heute auf dem EU-Russland-Gipfel in Brüssel ein spezielles Visum für Reisen nach Kaliningrad akzeptieren. Ausstellen würden diesen Passierschein die dann EU-Mitglieder Polen und Litauen. Außerdem soll es eine direkte Zugverbindung zwischen Russland und seiner Exklave geben. Am Telefon bin ich nun mit Hannes Swoboda verbunden. Er ist der Ost-Experte der Sozialisten im Europaparlament und deren parlamentarischer Geschäftsführer. Guten Tag.

    Swoboda: Guten Tag.

    Simon: Herr Swoboda, ist das mit dem Passierschein eine gute Lösung für beide Seiten?

    Swoboda: Ich glaube, es ist eine akzeptable Lösung. Sie ist nie optimal, aber es gibt keine Lösung, die alle Seiten gleichermaßen befriedigt, weil, wie schon erwähnt, wir dafür Sorge tragen müssen, dass nicht illegale Einwanderung, Kriminalität, etc. aus dem Gebiet Kaliningrad überspringt in das EU-Gebiet, obwohl wir auf der anderen Seite Russland durchaus entgegenkommen und einen möglichst reibungslosen Verkehr zwischen den Teilen Russlands garantieren und dafür Sorge tragen müssen. Das müssen die Russen aber auch selber tun, denn die Grenzabfertigung durch die russischen Behörden ist ja zum Teil katastrophal, zum Teil von Bestechung unterwandert. Also, es liegt auch an der russischen Seite, das ihrige dazu beizutragen, dass es zu einer möglichst reibungslosen Situation an den Grenzen Russlands kommt.

    Simon: Wie schwierig waren die Gespräche mit Russland? Man wollte ja vor allem Präsident Putin nicht beschädigen.

    Swoboda: Das ist richtig. Auf der anderen Seite muss man aber zumindest genau so handeln wie die Russen. Man muss hart bleiben und man darf nicht vorzeitig faule Kompromisse eingehen. Bei allem Respekt für Putin und für seine Rolle in Russland muss man auf der anderen Seite aber auch unsere eigenen Interessen wahren und Putin muss sehen, wo die Grenzen sind, bis zu denen die Europäische Union gehen kann.

    Simon: Was halten Sie eigentlich von dem Projekt der direkten Zugverbindung? Die EU möchte ja, dass dieser Zug möglichst mit schnellem Tempo fährt, damit nicht Leute abspringen können während der Fahrt. Viele munkeln ja, dass in diesen Zügen zum Beispiel Militärtransporte stattfinden sollen. Ist das eine Sache, mit der die EU gut leben kann?

    Swoboda: Ich denke immer, dass zwischen den verschiedenen Teilen Österreichs, auch durch Deutschland hindurch, Züge gefahren sind, die vielleicht nicht so schnell gefahren sind. Wenn man heute davon ausgeht, dass es unbedingt ein Hochgeschwindigkeitszug sein muss, dann wird das ein Projekt in weiter Ferne sein. Es ist auch möglich, sich auf gemeinsame Kontrollen in diesen Zügen zu einigen, das heißt, dass zum Beispiel litauische und russische Polizei, im Notfall auch Militär mitfahren, um das zu kontrollieren. Ich glaube, wenn man an diese Sache pragmatischer herangeht und weniger ideologisch, dann findet man durchaus auch eine Lösung, was Zugfahrten betrifft.

    Simon: Manchen mag die Lösung, die jetzt gefunden wurde, ein wenig an den polnischen Korridor der Zwischenkriegszeit erinnern, und in Deutschland und Polen verbinden sich ja damit alles andere als gute Erinnerungen. Können Sie sich für die Zukunft auch eine ganz andere EU-Lösung für Kaliningrad vorstellen?

    Swoboda: Natürlich ist es möglich, wenn es dann ordentliche Pässe gibt, die auch international anerkannt und fälschungssicher sind - nämlich auf der russischen Seite - ,dann zu flexibleren Lösungen zu kommen. Ich sehe darin, was wir jetzt finden, eine Übergangslösung. Da ist noch Misstrauen vorhanden. Da ist noch eine Situation in Kaliningrad vorhanden, die leider Gottes durch Armut auf der einen Seite und, damit verbunden, zum Teil durch Kriminalität gekennzeichnet ist. In fünf bis zehn Jahren, wenn Russland bereit ist, unsere Hilfe, unsere Unterstützung anzunehmen und wirklich aus Kaliningrad – ich will nicht gerade sagen, ein Hongkong der Zukunft – eine Stadt, ein Gebiet zu machen, das mithält mit der regionalen Entwicklung, also Litauens, Polens, etc. Wenn also diese krassen Unterschiede verschwinden, dann sind durchaus flexiblere und offenere Lösungen möglich. Aber das bedarf eben auch der Mithilfe Russlands.

    Simon: Herr Swoboda, die EU hat den Gipfel heute von Kopenhagen nach Brüssel verlegt. Grund war ja Moskaus Verärgerung, dass auch nach dem Geiseldrama in Moskau ein Tschetschenen-Kongress in Kopenhagen stattfinden durfte. War so viel Entgegenkommen gegen Moskau nötig?

    Swoboda: Ich meine, es ist richtig, den Dialog mit Russland fortzusetzen. Wir sind in einer schwierigen Lage, denn der Krieg in Tschetschenien ist einerseits ein Krieg gegen Terroristen, ist aber andererseits auch ein Krieg gegen die Zivilbevölkerung, geht also weit über das hinaus, was notwendig ist, um gegen den Terrorismus zu kämpfen. Aber Russland ist für uns ein wichtiger Partner. Wir haben eine Reihe von Problemen und wir müssen dieses Land stabilisieren. Derzeit – so traurig das klingt – ist es ohne Putin nicht möglich, dem Land zu einer größeren Stabilität beizutragen. Daher halte ich ein solches Entgegenkommen für richtig, wenngleich wir natürlich noch einmal ganz deutlich machen müssen: Die Entschuldigung für alles und jenes mit dem Argument, dass ist der Kampf gegen den Terrorismus im Bereiche Tschetscheniens, die dürfen wir Russland nicht durchgehen lassen.

    Simon: Sie sprechen das gerade an: Es wird ja bei jedem Gipfel ein wenig Tschetschenien angesprochen, einmal mehr für eine politische Lösung plädiert, aber reicht das wirklich in der bisherigen Lautstärke?

    Swoboda: Wir haben es natürlich viel schwieriger als die Amerikaner. Die Amerikaner haben keinen moralischen Skrupel. Wir versuchen immer mehr, die Menschenrechtsfrage durchzubringen. Wir haben vom Europäischen Parlament gemeinsam verlangt, dass die Kommission und der Rat eine Art Friedensplan entwickeln sollen, um Russland auch zu drängen, dass letztendlich nur eine Verhandlungslösung neben der natürlich berechtigten Abwehr von terroristischen Maßnahmen Frieden bringen kann. Schließlich kostet der Krieg ja auch Russland vieles. Es kann nicht zu einer guten, wirtschaftlichen Entwicklung kommen, wenn so viel in das Militär und in den Krieg gesteckt wird. Ich hoffe, dass zum Zeitpunkt des Rates, insbesondere von Solana einiges entwickelt wird, um Russland die Chance zu geben, die Friedenslösung auch als eine Lösung im eigenen Kreis zu sehen.

    Simon: Das war Hannes Swoboda, der Parlamentarische Geschäftsführer der Sozialisten im Europaparlament. Vielen Dank für das Gespräch.

    Link: Interview als RealAudio