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EU-Sanktionen gegen Österreich

Heinemann: In der Zeit der Habsburger war Österreich berühmt für seine Heiratspolitik. Unter der schwarzblauen Bundesregierung hagelt es Körbe. 14 EU-Staaten wollen die Sanktionen gegen Nummer 15 noch nicht aufheben. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte soll die Lage in Österreich nun überprüfen. Maßstab sind gemeinsame europäische Werte. Dazu gehören die Rechte von Minderheiten, Flüchtlingen und Einwanderern sowie die Entwicklung der politischen Natur der FPÖ. Bundeskanzler Schüssel teilte gestern mit, er werde mit den drei Beobachtern des Gerichtshofs, den sogenannten Weisen, zusammenarbeiten. Heute endet die portugiesische EU-Ratspräsidentschaft. Um Mitternacht übernimmt Frankreich das Zepter. Da Jörg Haider keine Gelegenheit auslässt, um den französischen Staatspräsidenten Chirac zu beleidigen, gilt Paris nicht gerade als Fürsprecher der schwarzblauen Regierung in Wien. Die EU und die Sanktionen, die offiziell keine EU-Sanktionen, sondern bilaterale Maßnahmen sind, das ist jetzt unser Thema, über das ich vor dieser Sendung mit Alexander von der Bellen gesprochen habe, dem Vorsitzenden der österreichischen Grünen. Erste Frage: Wie bewerten Sie die Haltung der 14 EU-Staaten zum Ende der portugiesischen Ratspräsidentschaft?

    Von der Bellen: Grundsätzlich positiv, auch wenn ich sagen muss, besonders berauschend ist das Ergebnis ja nicht. Aber es ist immerhin ein Schritt, der es ermöglicht, unter Gesichtswahrung aller Beteiligten aus diesem Schlamassel herauszufinden, wobei das Krisenmanagement auf beiden Seiten sehr zu wünschen übrig gelassen hat, insbesondere auf österreichischer Seite wie auch auf Seite der EU-14.

    Heinemann: Inwiefern?

    Von der Bellen: Österreich beziehungsweise vor allem die Funktionäre der freiheitlichen Partei haben immer wieder Öl ins Feuer gegossen und die Situation eskaliert statt deeskaliert mit so obskuren Vorschlägen wie zum Beispiel der strafrechtlichen Verfolgung oppositioneller Abgeordneter, ein Vorschlag, der von der Regierung insgesamt nicht aufgegriffen wurde, aber allein dass über so etwas diskutiert wird innerhalb einer Regierungspartei, das ist schon schlimm genug.

    Heinemann: Hat sich die Lage der Menschenrechte in Österreich unter der ÖVP/FPÖ-Koalition verändert?

    Von der Bellen: Nein. Was die Rechtslage betrifft würde ich sagen hat die Regierung im großen und ganzen Maßnahmen beschlossen, die man von einer rechtskonservativen Regierung erwarten kann, die aber noch nicht wirklich die ärgsten Befürchtungen bestätigen. Stichwort: die Staatspolizei bei uns bekommt das Instrument der erweiterten Gefahrenerforschung. Das heißt, sie kann schon im Vorfeld eines vermuteten Verbrechens oder Vergehens ermitteln und nicht erst, wenn es passiert ist. Darüber kann man geteilter Meinung sein, vor allem was die rechtsstaatliche Absicherung von Menschen betrifft, die unschuldig in so eine Überwachung hineingeraten. Aber zum Beispiel im Ausländerbereich sind in der Zwischenzeit weder positive noch negative Maßnahmen beschlossen worden. Es ist noch der Status Quo von '99 in Kraft. In der allgemeinen Atmosphäre, also nicht auf der parlamentarischen Gesetzesebene, sondern in der allgemeinen Atmosphäre hat sich das Klima sicherlich etwas verschärft. Das war auch zu erwarten.

    Heinemann: Haben die Sanktionen der europäischen Staaten Österreich gegenüber der Opposition gegen Haider geschadet?

    Von der Bellen: Für die Grünen kann ich das nicht sagen. Wir sind in den Meinungsumfragen seit Januar konstant schwankend, wenn der Ausdruck gestattet ist. Das tendiert so zwischen 11 und 15 Prozent oder 12 und 14 Prozent, was für uns sehr gut ist, denn bei den letzten Wahlen hatten wir 7,5 Prozent. Die zweite Oppositionspartei, die Sozialdemokraten, haben ihre Schwierigkeiten, sich auf ihre neue Rolle umzustellen. Das hat aber auch mit den Sanktionen weniger zu tun als mit ihren internen Umstellungsproblemen.

    Heinemann: Herr von der Bellen, rechnen Sie damit, dass die geplante Volksbefragung ein Abstimmungserfolg für die Regierungsparteien im allgemeinen und speziell für Haider wird?

    Von der Bellen: Ich hoffe nicht. Eine Volksbefragung ist ein sehr problematisches Instrument im Zusammenhang mit den sogenannten Sanktionen. Außenpolitisch denke ich kann das Österreich nur schaden, kann das nicht zur Beruhigung der Situation beitragen, sondern eher eine Zuspitzung bewirken. Innenpolitisch liegt es natürlich für die FPÖ nahe, hier eine Emotionalisierung der Diskussion zu bewirken und dadurch bei den Wahlen etwa in der Steiermark, die im Oktober stattfinden werden, damit zu punkten. Ich hoffe immer noch, dass die Volkspartei, der andere Partner in der Regierung, die richtige Entscheidung bei der Abwägung trifft. Innenpolitischer Gewinn vielleicht, aber hohes außenpolitisches Risiko.

    Heinemann: Wie bewerten Sie in der Frage der Sanktionen die Haltung der deutschen Bundesregierung?

    Von der Bellen: Es stand ja von Anfang an fest und es hat sich immer wieder bestätigt, dass die deutsche Bundesregierung hier keine Initiative in welche Richtung auch immer entfalten wird, sondern den Vortritt der französischen Regierung überlassen wird. Aus historischen Gründen kann ich das auch verstehen.

    Heinemann: Wieso?

    Von der Bellen: Man muss anerkennen, obwohl man das in Österreich häufig nicht gerne hört, dass bei allem, was irgendwie verstanden werden könnte als Verharmlosung oder Trivialisierung des Nationalsozialismus, Sprüchen, die in diesem Zusammenhang gefallen sind, leider hier in Österreich wie zuletzt von einem FPÖ-Politiker, der bei einem Parteitag gesagt hat, unsere Ehre heißt Treue, und behauptet hat, er weiß gar nicht, dass das SS-Jargon ist, dass in allen solchen Dingen Deutschland und Österreich besonders vorsichtig sind. Ich verstehe, dass die deutsche Regierung sich hier nicht unmittelbar an die Seite einer Regierung stellen kann, in der die FPÖ vertreten ist, sondern sich zurückhält und abwartet, was der Rest der EU-14 macht.

    Heinemann: Herr von der Bellen, in Deutschland ist vor wenigen Wochen abermals ein ausländischer Mitbürger erschlagen worden. Müsste man die Bundesrepublik nach den für Österreich gültigen Kriterien nun auch unter Beobachtung stellen?

    Von der Bellen: Das ist eine gute Frage, denn es ist ja so, dass man zwar in der Atmosphäre in Österreich sehr viel fremdenfeindliche und xenophobische Tendenzen wahrnehmen kann, die glaube ich auch zugenommen haben in den letzten Jahren und sich im Wahlkampf der FPÖ in Wien besonders verdeutlicht haben. Aber Mordfälle, echte Todesfälle hat es im Gegensatz zu anderen Ländern hier nicht gegeben. Ich meine tatsächlich, dass die Sorgen, die aus der Regierungsbeteiligung der FPÖ entstanden sind, sehr ernst zu nehmen sind, aber es handelt sich nicht um ein rein österreichisches Phänomen, sondern das sind europäische Fragen. Wir haben von Anfang an kritisiert, dass die EU insgesamt dieses Thema verschläft und sich nur auf Österreich konzentriert, sondern was wir brauchen ist ein geordnetes, transparentes Verfahren auf EU-Ebene, mit solchen Dingen umzugehen. Denn ich frage Sie, was wird denn sein, wenn etwa Berlusconi und Bossi die Wahlen in Italien gewinnen, eine Regierung bilden, wobei doch allgemein bekannt ist, dass die Lega Nord in bezug auf Fremdenfeindlichkeit zumindest im Vergleich zur FPÖ schlimmere Positionen vertritt. Was ist dann?

    Heinemann: Eine weitere Frage ist: wer sitzt am längeren Hebel? Beim EU-Gipfel in Feira gab es eine erste Kostprobe in der Frage der Zinsbesteuerung. Die klassische Vetodrohung stehe nicht im Raum, hat Benita Ferrero-Waldner gestern gesagt und vielsagend hinzugefügt, bei der EU-Reform gehe es um Kompromisse. Dazu bedürfe es aber einer gewissen Atmosphäre. Sie hoffe deshalb, dass das Problem der Sanktionen bis zum EU-Gipfel in Nizza gelöst sei. - Muss man das als Drohung verstehen?

    Von der Bellen: Das kann man schon als Drohung verstehen, wobei die Frage sich ja generell stellt. Mit einstimmigen Beschlüssen kann man keine europäische Politik machen. Gerade die EU-14 haben ja erlebt, wie schwierig es ist, einen einstimmigen Beschluss herbeizuführen bei der Frage des Ausstiegs aus den Sanktionen gegenüber Österreich. Es ist in der Tat so, dass auch Politiker der ÖVP leider immer wieder ins Spiel gebracht haben, dass man ja mittels der Ankündigung eines häufigeren Vetos die Haltung der EU-14 aufweichen könnte. Ich halte das für die falsche Strategie. Generell muss ich sagen, dass in den letzten fünf Monaten zu viel schrille und zu wenig stille Diplomatie auf beiden Seiten betrieben worden ist.

    Heinemann: Rechnen Sie damit, dass, wenn alles beim jetzigen Zustand bleiben wird, Wien in Nizza mauern wird?

    Von der Bellen: Das Risiko ist gegeben und ich muss doch annehmen und hoffen, dass auch die französische Präsidentschaft sich dieses Risikos bewusst ist. Ich hoffe natürlich nicht, dass die Institutionenreform der EU, die absolut notwendig ist im Hinblick auf die Erweiterungsabsichten der Union, von Österreich blockiert wird, denn Österreich sollte gerade ein Befürworter der EU-Erweiterung sein aus langfristigen ökonomischen und sozialen Gründen und das jetzt nicht kurzfristig zu sabotieren versuchen. Das hoffe ich!

    Heinemann: Noch einmal zurück ins Innland, Herr von der Bellen. Christoph Schlingensief, der in Wien Asylbewerber in einem Container ausgestellt hat, hat jetzt sinngemäß gesagt, das Problem sei nicht Haider oder jedenfalls nicht nur Haider, sondern das Problem sei die österreichische Gesellschaft. Greift der Protest gegen die FPÖ zu kurz?

    Von der Bellen: Na ja, das kann man immer sagen, wenn sich eine Partei oder ein einzelner Funktionär sich unentschuldbare Äußerungen haben zu Schulden kommen lassen, dass das nur in einem Milieu wachsen und gedeihen kann. Das ist schon so, und ich gestehe gerne zu, dass in Fragen der Vergangenheitsbewältigung, glaube ich, Österreich viel nachzuholen hat, auch und besonders im Vergleich zu Deutschland. Das hört man hier nicht gern, aber das ist sicher so.

    Heinemann: Das Gespräch mit Alexander von der Bellen, dem Vorsitzenden der österreichischen Grünen, haben wir vor dieser Sendung aufgezeichnet.

    Link: Interview als RealAudio