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EU-Staaten streiten weiter über Gentechnik

Die Gentechnik ist kompliziert, noch komplizierter ist der Umgang der EU mit ihr. Den bisherigen Zulassungswirrwarr will die EU jetzt neu regeln. Heute haben die Umweltminister das Wort.

Von Ruth Reichstein | 09.03.2012
    Schon seit eineinhalb Jahren streiten die EU-Mitgliedsstaaten über einen Vorschlag der Europäischen Kommission. Er soll den nationalen Regierungen mehr Sicherheit geben, wenn sie ihre Entscheidung für oder gegen Gentechnik vor Gericht verteidigen müssen.

    "Die Mitgliedsstaaten bekommen mehr Spielraum. Bisher müssen sie wissenschaftlich nachweisen, dass die Genpflanzen negative Auswirkungen für Umwelt oder Gesundheit haben, um sie verbieten zu können. Nach unserem Vorschlag reichen aber auch kulturelle oder gesellschaftliche Gründe. Wir glauben, dass das auch auf der internationalen Ebene helfen wird. Es gab immer die Befürchtung, dass ein Mitgliedsstaat im Rahmen der Welthandelsorganisation angegriffen werden könnte, wenn er zum Beispiel den Anbau einer bestimmten Genmaissorte verbietet. Seine Position wird mit dem neuen Vorschlag gestärkt."

    So Frédéric Vincent, Sprecher des zuständigen EU-Kommissars für Gesundheit. Aber genau das bezweifeln Umweltschutzorganisationen. Sie kritisieren den Vorschlag, obwohl es auf den ersten Blick so aussieht, als würden nationale Verbote damit einfacher. Schließlich müssen die Mitgliedsstaaten demnach nicht mehr wissenschaftliche Beweise für Gesundheitsrisiken vorlegen. Aber Marco Contiero, Gentechnikexperte bei Greenpeace sieht genau darin ein Problem:

    "Der Kompromiss, den die dänische Präsidentschaft vorschlägt, hat keine klaren Kriterien für das Verbot von Genpflanzen. Er bleibt sehr wage. Gesellschaftliche oder wirtschaftliche Gründe halten einer Prüfung vor Gericht aber nie stand. Die Staaten werden sich nicht trauen, den Anbau von gentechnisch veränderten Pflanzen zu verbieten, weil sie fürchten müssen, dass sie einen möglichen Prozess gegen die Herstellerfirmen verlieren."

    Auch die Mehrheit der Abgeordneten im Europäischen Parlament sieht das offenbar so. Die Parlamentarier haben im vergangenen Sommer klare Kriterien für ein Verbot gefordert. Sie nannten zum Beispiel den Schutz der heimischen Flora und Fauna oder hohe Zusatzkosten für konventionelle Landwirte, wenn sie weiterhin "gentechnikfrei" produzieren wollen.

    Für Marco Contiero ist es vor allem wichtig, dass die Mitgliedsstaaten dazu angehalten werden, ordentliche wissenschaftliche Untersuchungen durchzuführen, um die Risiken der Genpflanzen tatsächlich beurteilen zu können:

    "Heute können gentechnisch veränderte Pflanzen in der gesamten EU zugelassen werden, auch wenn nur untersucht worden ist, wie sie sich auf die Umwelt und Gesundheit zum Beispiel im Süden Spaniens auswirken. Aber wir wissen, dass das Ökosystem zum Beispiel in Deutschland ganz anders ist als in Spanien. Seit zehn Jahren gibt es keine ordentliche Untersuchungen und dieser Vorschlag ermutigt die Mitgliedsstaaten auch nicht, sie durchzuführen. Im Gegenteil."

    Die deutsche Bundesregierung lehnt den Vorschlag bisher ab und hat eine Entscheidung im Rat – gemeinsam mit Ländern wie Frankreich, Groß-Britannien, Schweden und Belgien – in den vergangenen Monaten blockiert. Berlin befürchtet, dass die neue Regelung den europäischen Binnenmarkt gefährden könnte, weil einzelne Staaten leichter nationale Verbote von Genpflanzen durchsetzen könnten. Die Bundesregierung setzt sich dafür ein, dies weiterhin möglichst auf europäischer Ebene zu regeln, um Wettbewerbsnachteile für einzelne Staaten auszuschließen. Frédéric Vincent von der Europäischen Kommission versteht diesen Einwand nicht.

    "Italien hat sich seit einiger Zeit auf Bio-Produkte spezialisiert und ist da Marktführer geworden. Macht das dem Binnenmarkt Probleme? Nein. Genauso ist das mit den gentechnisch veränderten Pflanzen. Wenn ein Staat solche Pflanzen anbaut oder eben nicht, blockiert das auf keinen Fall den gemeinsamen Binnenmarkt."

    Egal wie die Entscheidung der Minister heute ausfällt - unangetastet davon bleibt in jedem Fall das grundsätzliche Zulassungsverfahren: Auch in Zukunft untersucht zunächst die EU-Agentur für Lebensmittelsicherheit EFSA, ob eine Genpflanze gesundheits- oder umweltschädlich ist und auf Grund dieser Analyse müssen sich dann die Mitgliedsstaaten gemeinsam für oder gegen den Anbau entscheiden.