Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


EU stellt sechs Milliarden Euro gegen Jugendarbeitslosigkeit bereit

Die Jugendarbeitslosigkeit ist gerade in den Krisenländern Europas ein großes Problem, weshalb die EU nun Gelder zur Verfügung stellt. Raimund Becker, Mitglied des Vorstands der Bundesagentur für Arbeit, unterstützt auch die Idee einer europaweiten Job- oder Ausbildungsgarantie für Jugendliche.

Raimund Becker im Gespräch mit Christiane Kaess | 11.04.2013
    Christiane Kaess: Ich habe vor der Sendung mit Raimund Becker gesprochen, er ist Mitglied des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit. Ich habe ihn zuerst gefragt, ob uns das europäische Ausland angesichts der guten Zahlen hierzulande egal sein kann.

    Raimund Becker: Nein, mit Sicherheit nicht. Wir sind in die Europäische Union eingebunden und ich sehe auch, dass viele Aktivitäten, politische Bemühungen und selbst auch wir als Bundesagentur für Arbeit ja versuchen, den Staaten im Süden Europas zu helfen mit Arbeitslosigkeitsquoten bei Jugendlichen über 50 Prozent.

    Kaess: Reichen die mehreren Milliarden Euro, die EU-Ratspräsident Herman van Rompuy jetzt in Aussicht gestellt hat, um dieses Problem anzugehen?

    Becker: Ich glaube, sie sind ein wichtiger Schritt, um auch Perspektive zu geben, um auch Hoffnung zu geben und auch konkret etwas zu tun. Denn viele junge Menschen brauchen berufliche Weiterbildung, brauchen auch Unterstützung bei der Integration in den Arbeitsmarkt. Und da glaube ich, dass diese sechs Milliarden, die verteilt werden auf die unterschiedlichen Länder, ein wichtiger Baustein dabei sind.

    Kaess: Sie nennen jetzt die Zahl sechs Milliarden. Die ILO hat ausgerechnet, es wären eigentlich mehr als 150 Milliarden Euro für arbeitslose Jugendliche nötig. Da ist doch eine ziemlich große Differenz?

    Becker: Gut, es ist natürlich die Frage, was zur Verfügung steht und wie man es rechnet. Wenn man natürlich alle Infrastrukturprogramme, alle Programme, die notwendig sind, um wirtschaftlich dann auch wieder in die Richtung zu kommen, hinzurechnet, wird das Budget sicherlich größer sein. Aber jetzt ist ja mal Fakt, dass die Europäische Union diese Größenordnung von sechs Milliarden zur Verfügung stellt. Und ich glaube, das ist schon ein richtiger guter Beitrag, um auch die Jugendarbeitslosigkeit in den entsprechenden Staaten auch mit zu lindern.

    Kaess: Dazu gehört auch eine sogenannte Jugendgarantie. Das heißt, die Länder verpflichten sich, junge Arbeitslose spätestens nach vier Monaten entweder in eine Ausbildung oder in einen konkreten Arbeitsplatz zu bringen. Kann das in der Praxis funktionieren?

    Becker: Ich glaube, es ist ein wichtiger Schritt, denn wenn ich auf Deutschland schaue, haben wir ein solches System ja in Deutschland. Wir betreuen ja alle jungen Menschen, die die Schule verlassen und in eine Ausbildung gehen, mit den verschiedenen arbeitsmarktpolitischen Akteuren – ob das die Kammern, ob das die Arbeitgeberverbände sind - durch Berufsorientierung schon in der Schule. Wir suchen, über Praktika zu vermitteln, dass junge Menschen dann eine Ausbildung finden und nach der Ausbildung in den Beruf kommen. Sodass ich glaube, wenn alle Staaten, die momentan Probleme mit Jugendarbeitslosigkeit haben, ein entsprechendes System haben und junge Menschen nach vier Monaten Angebote zur Verfügung stellen, Praktika, Arbeitsstellen, Ausbildungsstellen, glaube ich, dann ist das der richtige Schritt, um den jungen Menschen eine Perspektive zu geben.

    Kaess: Aber eine Garantie gibt es ja auch in Deutschland nicht?

    Becker: Eine Garantie gibt es in Deutschland nicht. Aber das System hat sich so entwickelt, dass es eine Quasi-Garantie ist.

    Kaess: Es gibt auch Kritik an diesem Vorschlag der Garantie. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung sagt zum Beispiel, diese Arbeitsplatz- und Ausbildungsplatzgarantie ist Quatsch, weil Länder wie Griechenland haben nicht mal die Kapazität dazu. Und überhaupt: Öffentliche Beschäftigungsprogramme sind sowieso nicht nachhaltig.

    Becker: Ja gut, man muss ja mal differenzieren. Ich glaube, man muss es ja in einem Gesamtkonzept zusammendenken. Ich glaube, all diese Staaten haben jetzt genügend zu tun, um die Wirtschaft wieder auf die Beine zu bringen. Das ist ja die Voraussetzung, dass auch junge Menschen nach arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen wieder einmünden können. Ich glaube, wenn das die Verknüpfung ist, Wirtschaft auf die Beine bringen, arbeitsmarktpolitisch junge Menschen zu betreuen, damit sie eine Perspektive auf dem Arbeitsmarkt haben, ist das der richtige Weg. Reine öffentliche Beschäftigungsprogramme bringen im Kern nichts, das haben wir in Deutschland auch gesehen. Aber wenn diese arbeitsmarktpolitischen Programme dazu führen, zum Beispiel mit Lohnkostenzuschüssen junge Menschen in die Betriebe zu bringen oder sie in ihrer beruflichen Befähigung zu verbessern, sind das die richtigen Anreize.

    Kaess: Warum ist die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland so viel geringer?

    Becker: Das hängt mit dem traditionellen System zusammen, dass hier doch eine sehr starke Solidarpartnerschaft da ist, dass wir hier dieses duale Ausbildungssystem haben. Und Sie müssen natürlich sehen, dass diese Berufsbilder bei allen Arbeitgebern bekannt sind. Wenn heute jemand KFZ-Mechatroniker ist, weiß jeder Arbeitgeber, was hinter diesem Berufsbild steht. Und das führt natürlich auch dazu, dass nach dieser Ausbildung die jungen Menschen gute Perspektiven haben auf dem Arbeitsmarkt. Und das haben Sie zum Beispiel in den südlichen Ländern nicht, weil dort überwiegend schulisch ausgebildet wird, wenig Verzahnung mit betrieblicher Praxis da ist. Und die Arbeitgeber dann eigentlich nicht so richtig wissen, was kommt denn da von der Schule auf mich zu. Ich muss wieder investieren in den jungen Menschen, bevor der mal wirklich weiß, was in meinem Betrieb an Realität, an Praxis läuft.

    Kaess: Herr Becker, bei allen positiven Arbeitsmarktzahlen in Deutschland – wir haben einen Fachkräftemangel und der ist in keinem Bereich so schlimm wie in der Pflege. Es sollen Fachkräfte aus dem Ausland angeworben werden, zum Beispiel auch aus den Philippinen. Warum bildet man nicht im Inland stärker aus?

    Becker: Ich glaube, man muss bei der Pflege eine sogenannte Doppelstrategie fahren. Das eine ist, das inländische Erwerbspersonenpotenzial zu nutzen, und ich glaube, hier bietet der Pflegepakt, der im Dezember geschlossen wurde, die richtige Grundlage. Weil es soll das Ausbildungssystem verbessert werden, es sollen die Arbeitsbedingungen verbessert werden.

    Kaess: Aber kurzfristig wird das nichts bringen?

    Becker: Nein! Das ist wie jedes Ausbildungssystem, da brauchen Sie drei bis vier Jahre, bis die jungen Menschen dann auch tatsächlich zur Verfügung stehen. Dann muss für das Berufsbild begeistert werden und dann muss man schon mal sehen: Viele junge Menschen entscheiden sich auch nicht so für dieses Berufsbild, weil es schon ein schwieriger, ein sehr, sehr schwieriger Beruf ist. Wenn junge Menschen mal sehen, dass andere Menschen auch sterben, das belastet sie. Das heißt aber, dennoch müssen wir alles tun, um das inländische Potenzial zu heben. Und da gibt es durchaus viele Menschen im mittleren Lebensalter, die bereit sind, so was zu machen. Und da gibt es jetzt auch die Möglichkeit der verkürzten Ausbildung, was wir sehr begrüßen. Da haben wir Potenziale, die wir zur Verfügung stellen. Das Problem ist aber auch, dass der Bedarf so hoch ist, dass wir alleine durch die inländischen Ressourcen das nicht stillen können. Und deshalb ist es, glaube ich, wichtig, diese Doppelstrategie zu fahren, auch Menschen aus anderen Ländern für die Pflege in Deutschland zu begeistern.

    Kaess: Aber auch die Zuwanderung reicht im Moment nicht aus. Es gibt Kritik vom Arbeitgeberverband Pflege, der sagt, der bürokratische Aufwand bei der Berufsanerkennung ist viel zu hoch.

    Becker: Das hängt mit unserem System zusammen in Deutschland. Es gibt 16 Länder, die haben 16 unterschiedliche Anerkennungsverfahren der examinierten Pflegekraft. Hier besteht sicherlich Bedarf, dass da dieser bürokratische Aufwand reduziert wird, weil das hemmt so ein Stückchen dann auch die Migration von Menschen aus Drittstaaten nach Deutschland.

    Kaess: Viele ausländische Fachkräfte gehen auch lieber in andere Länder - zum Beispiel Großbritannien - das kann man vielleicht noch verstehen wegen der Sprache -, aber auch zum Beispiel nach Skandinavien. Haben die Deutschen einfach nicht so eine Willkommenskultur?

    Becker: Ich glaube, bei der Pflege würde ich da die Willkommenskultur jetzt nicht so als Argument bemühen. Da ist das Thema Anerkennungsverfahren. Es ist aber natürlich auch das Gehaltsniveau, das Lohnniveau. Andere Länder zahlen mehr für ausgebildete Pflegekräfte als in Deutschland. Das heißt, es ist eine ökonomische Frage, wo ich hingehe. Und hinzukommt, dass in vielen anderen Ländern, wenn Sie jetzt mal die skandinavischen Staaten nehmen oder wenn Sie jetzt mal England nehmen, durchaus Englisch schon die richtige Sprache ist. In Deutschland wir halt das Problem haben mit der deutschen Sprache.

    Kaess: Schauen wir zum Schluss noch kurz auf ein anderes Thema der letzten Tage. Sind für Sie Hartz-IV-Empfänger potenzielle Blaumacher?

    Becker: Ich bin immer gegen diese Generalisierung. Natürlich sind Hartz-IV-Empfänger keine potenziellen Blaumacher. Aber wenn man mal genau reinschaut, gibt es natürlich auch Auffälligkeiten. Es gibt Menschen, die immer dann, wenn man ihnen eine Maßnahme anbietet, quasi einen Krankenschein bringen. Es gibt Menschen, die immer montags oder freitags dann auch einen Krankenschein bringen. Und selbst als Arbeitgeber würden Sie ja mal diese Auffälligkeit in Augenschein nehmen. Und genau um diese Frage geht es ja.

    Kaess: Aber diese Überprüfung war ja bisher auch schon möglich. Warum musste man die Kontrollen verschärfen?

    Becker: Die Kontrollen sind ja nicht im Wesentlichen verschärft worden, sondern es gab über zwei Jahre hinweg Gespräche mit den Krankenkassen oder mit dem ärztlichen Dienst der Krankenkassen, dass wir ein System finden, wenn wir die Auffälligkeiten haben, dass das überprüft wird. Und nach zwei Jahren Gesprächen war es jetzt quasi die Zeit, das auch noch mal intern in die Organisation zu geben. Und wenn Sie das genau anlesen, was da drinsteht: Es sind eigentlich nur diese auffälligen Kunden, wo es einen Hinweis gibt, Mensch, überprüf doch mal, ist da wirklich Krankheit hintendran. Und mal anders gesagt: Oft machen die Leute letztendlich krank, weil noch ein ernsteres Anliegen hintendran steht. Und dann muss man darüber sprechen, weil das hindert ja möglicherweise die Integration in den Arbeitsmarkt.

    Kaess: ... , sagt Raimund Becker. Er ist Mitglied des Vorstandes der Bundesagentur für Arbeit. Danke für das Gespräch!

    Becker: Gerne.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen./