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EU-Troika nach Rußland - wie kann die Europäische Union helfen?

Engels: Die Außenminister Deutschlands und Österreichs und die Europaministerin Großbritanniens reisen heute nach Moskau. Ihr zentrales Thema, das sie mit Staatspräsident Jelzin und der neuen Regierung diskutieren wollen: die Wege aus der Finanz- und Wirtschaftskrise Russlands. Gestern ist der Rubel im Vergleich zum Dollar erneut ins Bodenlose gefallen. Russisches Geld wird immer weniger wert; immer mehr Rubel muß Russland aufbringen, um seine Schulden im Ausland zu bezahlen. Frage an Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank: Wie ist diese Spirale aufzuhalten?

    Walter: Sie kann nur aufgehalten werden, indem man von innen die Reformen, die Primakow andeutet, und die Konsolidierung, die sich politisch mit seiner Funktion nunmehr angebahnt hat, entschlossen fortsetzt und indem die westlichen Länder, falls sie helfen und falls die internationalen Organisationen helfen, auf die Einhaltung von Reformen und Reformschritten und nicht nur Ankündigungen achten. Das ganze ist natürlich ein wirklicher Balanceakt ganz hoch in der Kuppel des Zirkusses.

    Engels: Bundeskanzler Kohl hat der russischen Regierung ein Expertenteam angeboten, das helfen könne, die richtigen Sritte zur Konsolidierung der russischen Wirtschaft zu treffen. Neues Geld aber gebe es nicht. Braucht Russland mehr Kapital oder mehr Berater?

    Walter: Am Ende wird es so sein, daß dann, wenn das Schiff leck ist, man auch noch wieder Liquidität dort hinpumpen muß. Das wird sich am Ende nicht vermeiden lassen. Es muß aber der Eindruck entstehen, daß am Leck etwas geschieht. Dieser Eindruck ist eben zuletzt nicht entstanden, und die Politiker schienen eher auf die internationalen Organisationen wie den Währungsfonds und auf die internationalen Kreditgeber zu schimpfen, als sich der Bedeutung dieser Hilfe bewußt zu sein. Insofern sind natürlich auch diejenigen, die Steuergeld verwenden oder die Mittel aus Banken verwenden, in einer äußerst schwierigen Lage, diesem ertrinkenden Russland jetzt zu helfen. Aber ich denke mir, am Ende wird die konstruktive Haltung in der politischen Führung Russlands ebenso dominieren wie die Erkenntnis, daß uns allen ein wild um sich schlagender Riese mitten im europäischen Kontinent und in der Nachbarschaft für unsere osteuropäischen Nachbarn nicht eine Hilfe darstellt.

    Engels: Das ehemalige Mitglied im russischen Kabinett, Cubas, hat jetzt erklärt, die russische Seite habe den IWF über die wirkliche finanzielle Situation im Land belogen, denn sonst hätte man kein Geld bekommen. Was bedeutet dies Ihrer Meinung nach jetzt für die laufenden Verhandlungen mit dem IWF? Ist Russland noch zu trauen?

    Walter: Ich bin mir ganz sicher, daß auch vorher schon Skepsis bei denjenigen, die längere Zeit mit Russland zu tun hatten, herrschte. Diejenigen, die mit Russland verhandelt haben, haben immer gewußt, daß die Zahlen selbst bei gutem Willen der anderen Seite nicht gut waren, geschweige denn daß man immer darauf setzen konnte, daß der gute Wille, der manche beselt haben mag, sich auch endgültig in den Zahlen ausdrückte. Insofern glaube ich nicht, daß das eine ganz große Überraschung ist, daß diese Zahlen nicht in Ordnung waren. Auf der anderen Seite ist aber klar, ein ohnehin erschüttertes Vertrauen, ein insbesondere mit Russland erschüttertes Vertrauen wird die nächste Runde von Verhandlungen ganz schwer machen. Der Internationale Währungsfonds hat ja auch selber kaum mehr Mittel, weil sehr viele hilfsbedürftige Länder mittlerweile angeklopft haben und damit natürlich die vergleichsweise genoröse Behandlung Russland unter den neuen Umständen immer schwieriger wird.

    Engels: Die deutsche Exportwirtschaft, Herr Walter, forderte gestern einen festen Wechselkurs zum Rubel über mehrere Jahre hinweg, damit Projekte mit Russland finanziell kalkulierbar wären. Wäre das eine Lösung?

    Walter: Das wäre eine Lösung, wenn es dafür eine wirtschaftliche Basis gäbe, aber genau das hat ja bis zum Schluß die Regierung Kirijenko versucht, und dann ist sie eben mit diesem Konzept gescheitert. Ich glaube nicht, daß die Äußerungen mancher Offizieller, daß dies die Spekulation sei, die richtige Antwort ist. Man sollte, wenn man sagt, es sei die Spekulation, das Kind beim Namen nennen. Aus Russland flossen Mittel durch mafiotische Organisationen so schnell heraus, daß der Zufluß gar nicht hoch genug sein konnte, um diesem entgegenzusteuern. Dann die internationale Spekulation zu beschuldigen, den Rubel zu destabilisieren, ist eine zu einfache Sache.

    Engels: Die neue russische Regierung sucht nach einer Wirtschaftspolitik zwischenstaatlicher Plan- und kapitalistischer Marktwirtschaft. Ist ein solcher Weg machbar?

    Walter: eutschlan ist in der Nachkriegszeit nicht über Nacht zu freiem Kapitalverkehr übergegangen. Insofern gibt es tatsächlich Sequenzen zu nicht vollständiger Offenheit, beispielsweise bei Kapitalmärkten, die man vertreten kann. Das Unglück aber ist, daß man im Falle Russlands, solange das Kapital freiwillig zuströmte, sich sehr, sehr öffnete und nunmehr, nachdem die Situation politisch und wirtschaftlich nicht so stabil war, wie sich das vorher darstellte, und dieses Kapital abfließt, man das Kapital geißelt. Vorher begrüßte man es ohne große Töne, und nunmehr verurteilt man das abschließende Kapital. Hier wäre es gut, wenn man etwas balancierter wäre. Kapitalverkehrskontrollen sind allerdings etwas, das sollte man ganz klar sagen, was eine äußerst effiziente staatliche Verwaltung voraussetzt. Wenn es aber genau daran fehlt, wie man ja an den fehlenden Steuereinnahmen in Russland sieht, dann sollte man auch nicht so tun, als ob Kapitalverkehrskontrollen nunmehr eine effektive Lösung wären. Das suggerieren einige Äußerungen in Moskau; das ist unrealistisch. Russland müßte zu einem sehr stark kontrollierten, durch einen Sicherheitsdienst wirklich effektiv kontrolliertem System zurückkehren, und dazu fehlt materiell die Voraussetzung. Die Verwaltung ist nicht so effizient.

    Engels: Das heißt, ohne Verwaltung kein wirtschaftlicher Aufbau?

    Walter: Ich glaube, das ist genau die richtige Bemerkung. Wenn wir Russland helfen wollen, müssen wir in der Tat nicht mit einem Expertenteam dort eingreifen. Das hört sich so an, als ob 17 Leute dort hinreisen, die Antworten geben können. Russland braucht ebenso wie andere, die unterentwickelte Organisationen, beispielsweise unterentwickelte Finanzsektoren haben, Tausende, ja zehn Tausende von Experten, die jahrelang vor Ort mitarbeiten, um diese Probleme zu beseitigen. Es wäre an der Zeit, daß dieses natürlich von Russland gewünscht wird, denn es hat keinen Sinn, daß wir Russland versuchen, eine solche Bereitschaft aufzuzwingen. Wir brauchen die Nachfrage von Russland, daß sie diese Expertise von außen haben wollen, und wenn das der Fall ist, dann müssen wir immer noch auch westliche Spezialisten finden, die dann über Jahre vor Ort tätig sind. Genau diese Ernsthaftigkeit ist auf beiden Seiten nicht zu erkennen.

    Engels: Das war Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank, und zugehört hat Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Amt. Herr Hoyer, auch an Sie die Frage: Braucht Russland westliche Berater oder braucht es westliches Geld?

    Hoyer: Nun, man kann das sicherlich nicht so verkürzen. Ich kann Herrn Walter nur nachträglich darin zustimmen, daß die Umstellungsnotwendigkeiten in Russland so tiefgehend sind, daß man das nicht mit einem kurzfristigen Berateraufenthalt erledigen kann, obwohl dieser letztendlich doch sehr sinnvoll sein kann.

    Engels: Der ehemalige Kartellamtspräsident Wolfgang Harte er war für den Westen Berater in Russland hat die Russlandhilfe des Westens scharf angegriffen und er hat gesagt, es sei verbrecherisch gewesen, den Russen die reine Lehre von der Marktwirtschaft aufzubürden.

    Hoyer: Das ist leicht gesagt. Richtig daran ist sicherlich, daß Russland oder die Russinnen und Russen von der Marktwirtschaft insbesondere die häßlichen Seiten kennengelernt haben und daß es zu wenig Bemühungen gegeben hat, das in dieses Konzept einzubauen, was wir als konstitutiven Bestandteil von Marktwirtschaft verstehen, nämlich soziale Gerechtigkeit. Davon haben die Bürger in Russland wenig mitbekommen, und von daher sind sie auf dieses Experiment auch so schlecht zu sprechen.

    Engels: Wenn die Außenminister der Europäischen Union heute nach Russland reisen, welches konkrete Angebot haben sie im Gepäck?

    Hoyer: Ich denke, es ist wichtig, daß man den Handelnden in Moskau klarmacht, daß wir uns um die weitere Entwicklung in Russland nicht nur Sorgen machen, sondern uns darum kümmern, daß wir uns jetzt deshalb einen konkreten persönlichen Eindruck verschaffen wollen und daß wir an einer Kooperationsstrategie zur Überwindung der Krise interessiert sind. Es ist ja auch ganz beachtlich, daß die Russen diese schwierige Krise der letzten Wochen zunächst einmal überstanden haben, ohne den verfassungsgemäßen Weg zu verlassen, und insofern einen ganz wichtigen Schritt zur Stabilisierung erst einmal vollzogen haben. Jetzt kommt es aber darauf an, daß ein Prozeß eingeleitet wird, in dem alle politischen Kräfte Russlands auf breiter Basis auch zusammenarbeiten können, um diesen schwierigen und tiefen Reformprozeß tatsächlich auch durchzusetzen, von dem Herr Walter eben gesprochen hat.

    Engels: Vertreter der Kommunistischen Partei, Herr Hoyer, wie auch gemäßigte Reformer hat sich der neue Regierungschef Primakow in sein Kabinett geholt. Für welche Politik stehen die Namen Schochin, Ryschkow oder zum Beispiel Masljukow?

    Hoyer: Nun, es ist ja das Problem, daß Masljukow zum Beispiel sicherlich nicht gerade ein marktwirtschaftlicher Reformer zu sein scheint. Auf der anderen Seite ist es ja doch ganz bemerkenswert, daß der neue Ministerpräsident sich nicht nur auf die alten Kräfte jetzt besinnt, sondern durchaus auch einigen der Reformer eine Chance gegeben hat. Er scheint also den sehr schwierigen Balanceakt in der Duma bestehen zu wollen, und dabei kann man ihm nur sehr viel Glück wünschen, denn eine Rolle rückwärts in Russland wäre eine Katastrophe.

    Engels: Auch ein Ministerpräsident Primakow, so politische Beobachter in Moskau und Bonn, werde wohl nicht lange im Amt sein. Es werde wohl eher auch ein Übergangskandidat sein. Worauf muß sich der Westen einstellen: auf wechselnde Regierungen in Russland?

    Hoyer: Das finde ich jetzt hochgradig spekulativ. Wir haben jetzt einen Ministerpräsidenten in Russland, der für Stabilität steht, und von daher würde ich nicht von vornherein die Spekulation nähren wollen, es sei nur eine kurzfristige Übergangslösung. Er hat die Chance, die Kräfte in der Duma zusammenzubringen, die dadurch, daß sie ihn in dieser schwierigen Situation mit diesem Amt jetzt beauftragt haben, auch ein Stück weit in der Verantwortung stehen. Deswegen muß man die Hoffnung haben, daß Ministerpräsident Primakow in der nächsten Zeit die notwendigen und wie gesagt harten Entscheidungen zustandebringt.

    Engels: Wie einig ist der Westen, wie einig ist Europa in Bezug auf Russland? NATO-Generalsekretär Sulana hat am Wochenende kritisiert, daß der Westen Führungsschwäche zeige und eine Strategie im Umgang mit Russland fehle.

    Hoyer: Ich kann es nicht ganz nachvollziehen, denn gerade was die NATO angeht, haben wir ja eine klare Haltung gegenüber Russland. Und daß wir in den letzten Jahren dort eine neue Basis der Zusammenarbeit mit Russland gefunden haben, ist ja in dieser jetzigen Situation auch durchaus hilfreich. Es sind auf diese Weise Gesprächsebenen geschaffen worden, die es vor wenigen Jahren nicht gab und die sich in einer solchen Krisensituation jetzt auch bewähren können. Was die Europäische Union angeht, sind wir zweifellos handlungsfähig. Das wird auch dieser Besuch der Troika heute in Moskau zeigen.

    Engels: Wie lange rechnet der Westen müssen die westlichen Regierungen damit rechnen, bis sich in Russland wieder so eine Stabilisierung nicht nur eine politische, sondern auch eine wirtschaftliche Stabilisierung zeigt? Wieviel Geduld müssen wir haben?

    Hoyer: Geduld muß man haben, und ich bewundere die Menschen in Russland, wie sehr sie sich durch Geduld auszeichnen. Klar ist, daß der Umgestaltungsprozeß sehr schwierig und sehr lang werden wird, bis wieder Vertrauen da ist: Vertrauen der Menschen in die Regierung und in das hoffentlich gestärkte marktwirtschaftliche System, was auch soziale Gerechtigkeit zu erkennen gibt, Vertrauen insbesondere aber auch der Märkte gegenüber einem Land, was in ganz großen finanziellen Schwierigkeiten steckt und ohne Vertrauen der Märkte in dieses Land aus diesen Schwierigkeiten auch nicht herauskommt.

    Engels: Die EU-Außenminister auf dem Weg nach Moskau. Das war Werner Hoyer, Staatsminister im Auswärtigen Amt.