Freitag, 26. April 2024

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EU-Türkei-Gipfel
Ferber (CSU): "Die EU macht sich erpressbar"

Die EU macht sich in der Flüchtlingskrise nach den Worten des CSU-Europapolitikers Ferber von der Türkei erpressbar. Man begebe sich in Abhängigkeit, sagte er im "Interview der Woche" des Deutschlandfunks. Man dürfe nicht auf jede Forderung aus Ankara sofort eingehen. Die Türkei sei Puzzleteil einer europäischen Lösung, nicht die alleinige Lösung.

Markus Ferber im Gespräch mit Christoph Heinemann | 06.03.2016
    Markus Ferber (CSU), Mitglied des Europaparlaments.
    Markus Ferber (CSU), Mitglied des Europaparlaments. (picture alliance / dpa / Frank Leonhardt)
    Christoph Heinemann: Herr Ferber, heute ist Sonntag. Winfried Kretschmann betet für Angela Merkel – Sie auch?
    Markus Ferber: Ich glaube, das ist eine sehr private Geschichte, wer für wen betet. Ich glaube, dass Herr Kretschmann auch eher Wahlkampf gemacht hat, als dass er wirklich uns eingeweiht hat, wen er ins Morgen- oder ins Abendgebet einschließt.
    Heinemann: Wenn Sie beten würden, mit Blick auf die Flüchtlingspolitik, würde das dann auch die Formel beinhalten: Und segne, was sie uns bescheret hat?
    Ferber: Also mir geht es darum, unabhängig von beten oder nicht beten, ob es uns gelingt, dass wir in Europa eine gemeinschaftliche Lösung erreichen, wo jedes Land, gemäß seiner Leistungsfähigkeit, einen Beitrag leistet und wo es uns gelingt, die europäischen Spielregeln auch in Gesamteuropa wieder zum Laufen zu bringen. Da haben wir noch einiges zu tun auf der Wegstrecke. Das ist aber jede Anstrengung und auch jedes Gebet wert.
    Heinemann: Und erreichen wir die?
    "Das ist für Europa unwürdig"
    Ferber: Die müssen wir erreichen. Die Alternative sehen wir ja gerade, dass sich eine Handvoll Staaten auf der Balkanroute unter der Führung von Österreich zusammengeschlossen haben, um eine einzelstaatliche Lösung zu erreichen. Und was das an humanitären Verwerfungen hervorruft, das können wir gerade an der Grenze zwischen Griechenland und Mazedonien sehen. Und das ist keine gute Lösung. Das ist für Europa unwürdig.
    Heinemann: Apropos, gute Lösung: Morgen sucht eine gespaltene EU mit einer isolierten Türkei eine gemeinsame Migrationspolitik. Mit welchem Ergebnis rechnen Sie?
    Ferber: Ich gehe davon aus, dass man an ein paar Stellen erste Vereinbarungen treffen kann. Aber ich gehe nicht davon aus, dass bei diesem Treffen schon die Musterlösung für alle Fragen erfunden werden wird. Natürlich haben Sie Recht in Ihrer Frage, die Türkei ist etwas isoliert. Die hatten sich vor ein paar Jahren eine andere Konstellation gewünscht als Führungsmacht, hinein in die arabische Welt – mindestens als Führungsmacht im Bereich der Turkvölker. Das ist misslungen. Und jetzt findet wieder eine Westorientierung statt, allerdings unter den Spielregeln des Herrn Erdoğan, das ja mehr an ein Kalifat erinnert als an einen demokratischen Rechtsstaat. Auf der anderen Seite weiß auch die türkische Seite, dass Europa ohne die Türkei die Probleme nicht lösen kann. Und deswegen kann es gar nicht im türkischen Interesse liegen – so sehr ich das bedauere –, dass jetzt morgen schon eine Einigung erzielt wird. Aber ich hoffe, dass wir an ein paar Stellen vorankommen. Europa gewährt Hilfen für die Menschen in den Flüchtlingslagern in der Türkei. Türkei fängt an, die Grenze nach Griechenland wieder zu sichern – was sie momentan nicht tun – und vielleicht auch mal die eigenen Grenzen zu den anderen Nachbarländern zu sichern, um mal so ein Grundgerüst zu skizzieren.
    Heinemann: Welche Forderungen, aus europäischer Sicht, muss die Türkei erfüllen?
    Markus Ferber (CSU): Österreichisches Verhalten ist zynisch.
    Markus Ferber (CSU): Österreichisches Verhalten ist zynisch. (Deutschlandradio - Jörg Stroisch)
    Ferber: Wir erwarten von der Türkei, dass sie die Menschen, die keinen Fluchtgrund haben und deswegen eigentlich schon in Griechenland wieder abgewiesen werden müssten, auch zurücknimmt, um mal die Kernforderung anzusprechen. Das Kernproblem, was wir heute mit der Türkei haben ist, dass sie auch Menschen aus dem Maghreb-Bereich, also aus Nordafrika, Menschen aus Pakistan, aus Afghanistan oder selbst aus Zentralafrika, die diese Route wählen, nicht zurücknimmt – und das muss Kernbestandteil eines solchen Abkommens sein. Wenn die Rückführung – das ist der juristische Begriff dazu – nicht gelingt, dann wäre der morgige Gipfel kein Erfolg.
    Heinemann: Warum sollte sie Flüchtlinge zurücknehmen?
    Ferber: Die Gegenfrage ist ja die: Warum sollten wir Menschen aufnehmen, die keinen Fluchtgrund haben?
    Heinemann: Wenn sie kommen, wenn sie da sind, ist das kein türkisches Problem.
    Ferber: Nein, aber Sie müssen schon mal ein bisschen unterscheiden: Was gibt es für Gründe, in die Europäische Union zu kommen, die auch einen Aufenthalt in der Europäischen Union rechtfertigen und was gibt es für Gründe, die keinen Aufenthalt rechtfertigen. Und ich will schon diese Unterscheidung mal generell machen. Wir haben Menschen, die einer individuellen Verfolgung unterliegen, die einen Anspruch auf Asyl haben und damit auch ein dauerhaftes Bleiberecht – Eritrea, um mal eine solche Personengruppe zu benennen. Wir haben Menschen, die aus einer Bürgerkriegssituation kommen, die also gemäß Genfer Flüchtlingskonvention einen zeitweiligen Aufenthalt in der Europäischen Union bekommen können. Und wir haben Menschen, denen es ökonomisch nicht so gut geht und die sich erhoffen, in Europa eine persönliche Zukunft zu finden. Und genau diese Personengruppe hat keinen Rechtsanspruch darauf, in Europa aufgenommen zu werden. Und die müssen auch wieder zurückgeführt werden.
    Heinemann: Diese Gemengelage kennt natürlich auch die türkische Regierung. Umgekehrt gefragt: Was muss die EU bieten?
    "EU hat moralische Verpflichtung, den Menschen zu helfen"
    Ferber: Ich denke, dass die EU die moralische Verpflichtung hat, der Türkei zu helfen. Die zwei Millionen Menschen, die in der Türkei Schutz gefunden haben, Syrer, die dort Schutz gefunden haben, eine menschenwürdige Unterbringung, Ausbildungsmöglichkeiten, Beschulung der Kinder und Ähnliches mehr anzubieten. Dazu hat die Türkei ja drei Milliarden Euro gefordert. Diese drei Milliarden sind auch jetzt zusammengekratzt worden. Eine Milliarde kommt aus dem Gemeinschaftshaushalt der Europäischen Union, zwei Milliarden werden von den Mitgliedsstaaten der EU geliefert. Ich denke, das ist eine wichtige, schnelle, wirksame Hilfe. Wir geben dieses Geld auch nicht dem türkischen Staat, um das mal deutlich zu sagen, sondern über das UNHCR, also dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen, dass es wirklich bei den Menschen in den Lagern ankommt und nicht irgendwo im türkischen Haushalt verschwendet wird.
    Heinemann: Und dann noch politische Zusagen, also Beitrittsverhandlungen, Visa-Freiheit für türkische Staatsbürger. Ist das auch im europäischen Interesse?
    Ferber: Das sind die Forderungen der Türkei, um das mal ganz deutlich zu sagen. Beim Thema Visumsfreiheit will ich nur darauf hinweisen, dass wir gerade mit den Ländern des westlichen Balkans Riesenprobleme hatten. Als der Visumszwang aufgehoben wurde, kam auch eine richtige Welle von Flüchtlingen, also die dann bei uns Asyl beantragt haben. Was dann erst gelöst wurde, als diese Länder zu sicheren Drittstaaten erklärt wurden.
    Heinemann: Also keine gute Idee.
    Ferber: Die Visumsfreiheit ist für mich – sage ich in aller Deutlichkeit – ein sehr kritischer Punkt, der weit über das hinausgeht, was man eigentlich seriöserweise der Türkei anbieten kann, weil es nicht nur um Fragen geht, wie wir für Wirtschaftsleute oder im Transportbereich hier zu Lösungen kommen. Das war die ursprüngliche Forderung der Türken. Wenn wir eine generelle Visumsfreiheit einführen, habe ich schon die Sorge, dass wir hier eine zusätzliche Welle an Menschen haben, die nicht nur 90 Tage sich in Europa aufhalten wollen aus der Türkei, sondern länger.
    Heinemann: Herr Ferber, Sie haben gerade zweierlei gesagt: Sie sprachen von dem Kalifen Erdoğan und Sie haben gesagt, die Türkei sitzt letztendlich am längeren Hebel. Was sagt das aus über eine Außenpolitik, die sich in Abhängigkeit einer solchen Persönlichkeit gibt?
    "Europa macht sich erpressbar"
    Ferber: Das ist ein Punkt, der mir persönlich große Sorge macht, weil sich Europa damit erpressbar macht.
    Heinemann: Tatsächlich erpressbar?
    Ferber: Ja, Sie müssen sich doch ganz nüchtern mit der Frage auseinandersetzen: Warum hat die Türkei zum Beispiel – das wissen wir durch eigene Ermittlungen von Frontex, zum Beispiel – die Polizeikräfte aus dem Westen abgezogen? Das heißt, alles was hier Schlepperbanden machen, um Menschen über mehr oder weniger sichere Boote auf die griechischen Inseln zu bringen, wird von der Türkei nicht mehr bekämpft, obwohl es da ja auch Rechtsverletzungen gibt nach türkischem Recht. Die Türkei kann ziemlich leicht steuern, wie viele Menschen Richtung Europa sich auf den Weg machen. Und insofern begeben wir uns da schon in eine gewisse Abhängigkeit. Und deswegen dürfen wir auch nicht auf jede Forderung der Türkei sofort eingehen, sonst wird das dauerhaft nicht dazu führen, dass wir zu einer Lösung kommen. Wir brauchen die Türkei als ein Puzzleteil in einem größeren Kontext einer europäischen Lösung, aber die Türkei ist nicht der alleinige Löser des Problems. Wir müssen die Türkei auch dazu bringen, ihre eigenen Außengrenzen entsprechend zu kontrollieren, weil die Politik des Durchwinkens, wo Frau Merkel zurecht gesagt hat, die soll zu einem Ende kommen, oder diese Zeit des Durchwinkens sollte vorbei sein, das gilt ja mittlerweile schon in der Türkei.
    Heinemann: Dass das zu Ende sein soll, sagt zum Beispiel auch die österreichische Regierung. Bundeskanzler Faymann fordert, es solle eine Tagesquote festgelegt werden. Und nach dieser sollen dann Flüchtlinge direkt von Griechenland, von der Türkei oder Jordanien aus nach Deutschland gebracht werden. Wäre das die menschlichere, vielleicht die politisch auch unverfänglichere Lösung, eben weil dieses Erpressungspotenzial dann entfiele?
    "Österreichs Politik äußerst zynisch"
    Ferber: Nein, das ist nicht die bessere Lösung. Die beste Lösung heißt, dass wir den Menschen, die dem syrischen Bürgerkrieg zu entrinnen versuchen, in möglichst nächster Nähe ihrer angestammten Heimat Schutz und Unterkunft gewähren. Und dass wir dann als Europäer auch helfen und dass wir als Europäer dann auch bereit sind, um den Druck von Jordanien, vom Libanon, von der Türkei etwas zu nehmen. Dass wir dort innerhalb eines bestimmten Kontingents. Und zwar nicht nach Tagesquoten, sondern eines bestimmten Kontingents Bürgerkriegsflüchtlinge abnehmen, die wir in der Europäischen Union unterbringen und ihnen dann in der Europäischen Union Schutz gewähren. Das ist der richtige Ansatz. Das, was die Tagesquoten bedeutet, heißt ja, dass wir weiterhin Menschen zwingen, Leben und Geld aufs Spiel zu setzen, um sich durch Schlepper über waghalsige Bootsfahrten Richtung Europa zu bringen, durch waghalsige Wanderungsbewegungen durch den Balkan Richtung Österreich, Deutschland zu kommen. Das halte ich nicht für den menschlichen Ansatz. Insofern halte ich die Politik, die hier von Österreich momentan betrieben wird, für äußerst zynisch.
    Heinemann: Aber erledigen Österreicher und Mazedonier nicht gerade die unangenehmen Folgen der Merkelschen Flüchtlingspolitik?
    Ferber: Aber es ist doch ein hoher Preis, der da humanitär bezahlt wird. Wenn Sie sich die furchtbaren Bilder an der Grenze zu Mazedonien anschauen, das ist ja nicht das Bild, das Europa abgeben sollte.
    Heinemann: Klingt jetzt nicht nach CSU, was Sie sagen.
    Ferber: Nein. Das geht jetzt aber nicht darum, ob das eine CSU oder CDU Meinung ist. Ich bin sicherlich nicht im Verdacht, ein Grüner zu sein, aber die Europäische Union hat schon eine Gesamtverantwortung, dafür zu sorgen, dass den Menschen, die schutzbedürftig sind, auch ein Schutz gewährt wird. Das ist auch von der CSU unbestritten. Was wir vermissen ist, dass schon die Griechen diese Aufgabe übernehmen. Viele Menschen, die an der griechisch-mazedonischen Grenze stehen, über die Hälfte davon kommen nicht aus Bürgerkriegsregionen, sondern kommen eigentlich aus sicheren Staaten, die nur ihr ökonomisches Glück in Europa finden wollen. Und diese Kontrollfunktion muss natürlich Griechenland wahrnehmen.
    Heinemann: Warum ist Angela Merkel so einsam in der EU?
    Ferber: Ich denke, das sind zwei Phänomene, die man einfach sehen muss. Das Phänomen 1 ist, dass wir Deutsche und die Bundesregierung, gerade im Süden Europas, ein schlechtes Image hat, weil wir denen angeblich die Sparpolitik aufgezwungen hätten. Ich sage aber ganz deutlich: Deutschland hat denen gar nichts aufgezwungen. Die haben zu viel Schulden gemacht und konnten sich ihren eigenen Sozialstaat nicht mehr leisten. Wir haben ihnen geholfen, dass sie überhaupt über die Runden kommen.
    Heinemann: Mit einem gewissen Druck.
    Ferber: Ja, gut, aber dass der, der Geld leiht zu Konditionen, die am Markt nicht erzielbar sind, auch ein paar Forderungen stellt – ich will das nur noch mal in Erinnerung rufen – das ist ja nichts Unanständiges. Aber das ist so eine kleine Retourkutsche aus der Ecke. Und das Zweite ist natürlich schon so die Wahrnehmung: Als die Flüchtlinge nur ein italienisches und griechisches Problem waren, hat sich niemand darum gekümmert. Jetzt sind die Flüchtlinge ein deutsches Problem, jetzt muss sich plötzlich ganz Europa darum kümmern. So denken auch die Osteuropäer: Es ist doch ein deutsches Problem und kein europäisches, also soll Deutschland sich darum kümmern. Das sind so die zwei Elemente, die ein bisschen beschreiben, wie es zu dieser Isoliersituation Deutschlands gekommen ist.
    Heinemann: Die schon tatsächlich eine Isoliersituation ist.
    Ferber: Wir stellen das an anderen Themen auch fest. Ich könnte jetzt da aus dem Nähkästchen plaudern, wie das im Rat zum Beispiel beim Thema Einlagensicherung zugeht – ganz ein anderes Thema.
    Heinemann: Das wäre Helmut Kohl nie passiert, so etwas.
    Ferber: Das können Sie so nicht sagen. Helmut Kohl hatte diese Situation nie. Aber wenn Sie die Zeit von Helmut Kohl nehmen, der natürlich gerade Ende der 80er-Jahre, als es '89 Richtung Wiedervereinigung ging, ja auch nicht nur Freunde in Europa hatte. Und da gibt es ja diesen netten Satz von François Mitterrand, den er zwar hinterher geleugnet hat, aber der hat immer gesagt: Deutschland ist mir so lieb, dass ich am liebsten zwei davon haben möchte. Das hat da alles eine Rolle gespielt. Da war Deutschland auch anfänglich isoliert. Aber was Helmut Kohl verstanden hat, ist immer wieder die Kurve zu kriegen. Und das hat Angela Merkel auch immer wieder verstanden. Deutschland war ja unter Gerhard Schröder auch schon mal isoliert in Europa und das hat Frau Merkel wieder in Ordnung gebracht.
    Heinemann: Sie hören das Interview der Woche im Deutschlandfunk mit dem CSU-Europapolitiker Markus Ferber, stellvertretender Vorsitzender des Wirtschafts- und Währungssauschusses im Europäischen Parlament. Herr Ferber, ganz konkret: Wenn Montag, wenn morgen bei dem EU-Türkei-Gipfel nichts herauskommt, was dann?
    Ferber: Klage vor dem Bundesverfassungsgericht ist letzter Schritt.
    Ferber: Klage vor dem Bundesverfassungsgericht ist letzter Schritt. (Deutschlandradio - Jörg Stroisch)
    Ferber: Dann wird es wieder einen Gipfel geben. Aber wir werden uns irgendwann in Deutschland mit der Frage auseinandersetzen müssen: Wenn es auf europäischer Ebene keine Fortschritte gibt, was können wir dann an nationalen Maßnahmen ergreifen?
    Heinemann: Nämlich was?
    Ferber: Wir müssen dann selber auch mal die Aufgabe erfüllen, die eigentlich an der europäischen Außengrenze erfüllt werden müsste, zu schauen, wer kommt eigentlich in unser Land. Ich will das schon noch mal sagen: Ich halte es für hochgradig unmenschlich und für hochgradig zynisch, dass wir Menschen Schutz gewähren, die es geschafft haben, mit Schlepperbandenhilfe und unter Risiko des eigenen Lebens an die deutsche Grenze zu kommen, egal woher, dass wir die dann dezentral in Deutschland unterbringen und im Laufe eines halben Jahres anfangen zu überprüfen, wo kommen die eigentlich her, haben die überhaupt ein Aufenthaltsrecht aufgrund des Asylrechts oder der Genfer Flüchtlingskonvention. Das ist eigentlich die Aufgabe, die an der Außengrenze erfüllt werden muss. Wenn das dauerhaft nicht funktioniert – und da ist der morgige Gipfel ein wichtiger Meilenstein, ob das erreicht werden kann oder nicht –, dann müssen wir diese Kontrollen an unserer Grenze wahrnehmen. Und das bedeutet dann auch, dass die, die keinen Nachweis erbringen können, dass sie aus einer Bedrohungssituation kommen, weil sie entweder aus sicheren Drittstaaten kommen oder weil sie aus Staaten kommen, die kurz davorstehen, ein solcher zu werden, wie Marokko, Algerien und Tunesien, dass die dann auch abgewiesen werden an der Grenze.
    Heinemann: Wird die CSU klagen?
    "Frage einer Klage stellt sich noch nicht"
    Ferber: Das ist eine Frage, die sich momentan noch nicht stellt. Wir sind momentan in der Vorbereitung, um Grenzkontrollen zur Grenze zu Österreich durchführen zu können. An der gesamten Grenze von Vorarlberg über Tirol bis nach Oberösterreich – also die gesamte bayerisch-österreichische Grenze. Und in dem Maße, wie es aus europäischer Ebene keine Fortschritte gibt, werden wir mit dem Bundesinnenministerium weiter Gespräche führen, inwieweit in einer Zusammenarbeit zwischen Bundespolizei und bayerischer Polizei hier entsprechende Kontrollen stattfinden können.
    Heinemann: Und wenn das alles nichts nutzt, befürworten Sie persönlich dann eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht?
    Ferber: Ich will das mal ganz deutlich sagen: Ein Staat hat eine Schutzfunktion für seine Bürgerinnen und Bürger. Wenn der Staat, wie wir das in Europa gemacht haben, diese Schutzfunktion, nämlich Außengrenzenschutz, auf die europäische Ebene überträgt und die europäische Ebene diesen Schutz nicht mehr gewährleisten kann, dann hat ein Staat die Pflicht und die Schuldigkeit gegenüber seinen Bürgerinnen und Bürgern, diese Schutzfunktionen für sich selbst wahrzunehmen. Und das heißt: Ja, dann müssen wir auch Grenzkontrollen zu Österreich einführen.
    Heinemann: Markus Ferber ist für eine Klage in einem solchen Fall, können wir das so festhalten?
    Ferber: Das ist der nächste Schritt. Der erste Schritt ist ja zunächst mal, gelingt es, eine europäische Lösung zu finden. Der zweite Schritt ist, wenn das nicht gelingt, gelingt es uns, den Bund zu überzeugen, an der Grenze zu Österreich – ich will das mal ausdrücklich sagen, nicht an der Grenze zu Belgien oder zu den Niederlanden, nur an der Grenze zu Österreich – wieder Grenzkontrollen einzuführen. Und wenn das mit dem Bund nicht gelingt, dann ist die nächste Stufe natürlich eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht, dass der Staat seine Schutzfunktion gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern auch wahrnimmt.
    Heinemann: Schauen wir ins Inland. Was antworten Sie, Herr Ferber, jenen, die da sagen: Die Flüchtlinge bekommen das ganze Geld und wir schauen in die Röhre?
    Ferber: Es wäre schlimm, wenn es so wäre. Und man muss natürlich auch was dagegen tun, dass so ein Stimmungsbild nicht entsteht. Insofern habe ich wenig Verständnis, dass der Vorsitzende der SPD die Formulierung gewählt hat, man müsse jetzt auch was für die Menschen in Deutschland tun. Wir tun viel für die Menschen in Deutschland. Wir müssen aber schon aufpassen – wenn Sie mal das Thema Wohnraum ansprechen oder andere Dinge –, dass wir nicht nur aufgrund der Flüchtlinge tätig werden, sondern wir haben auch Menschen in Deutschland, die Wohnraum suchen. Wir haben in den Ballungsräumen in ganz Deutschland Wartelisten von Menschen, die sozialen Wohnungsbau benötigen, weil sie sich auf dem freien Markt nichts leisten können.
    Heinemann: Aber genau das sagt Herr Gabriel, genauso spricht er.
    Ferber: Ja, Nein. Also, erstens einmal hat er selber unter seinen Fittichen, mit Frau Hendricks, das zuständige Ministerium, da könnte er mal Vorschläge auch ins Kabinett einbringen. Und zum Zweiten haben wir, unabhängig von der Flüchtlingsproblematik einen Wohnungsbau in Deutschland, der zu gering ist, als das, was wirklich die Bedürfnisse sind. Wir bauen im Jahr momentan ungefähr 270.000 Wohnungen und bräuchten 350.000 – ohne Flüchtlinge. Das heißt, da kann Frau Hendricks gerne was auflegen, aber sie sollte es nicht mit den Flüchtlingen begründen. Es gibt eben auch auf dem Wohnungsmarkt Menschen in Deutschland, die schon lange auf Wartelisten stehen, auf günstigen Wohnraum warten und denen sollte das auch ermöglicht werden.
    Heinemann: Diese Rhetorik des "die einen kriegen alles und wir kriegen nichts" hören wir vor allem auch aus einer anderen Partei. Wieso gibt es eine erfolgreiche demokratisch legitimierte Partei rechts von der CSU?
    Ferber: Die Erfolgreichigkeit und die demokratische Legitimation sind jetzt mal zwei Thesen, die Sie da in den Raum stellen.
    Heinemann: Europawahlen – Sie haben doch mit den Kollegen zu tun.
    Ferber: Ja, aber die hat sich ja schon gespalten. Die Mehrheit derer ist ja jetzt in einem neuen Verein, der sich ALFA nennt.
    Heinemann: Gewählt ist gewählt.
    Ferber: Ja, aber ich will da nur mal darauf hinweisen, dass da schon die Spaltung ja vollzogen ist. Die Minderheit derer, die damals als AfD gewählt wurden, sind heute noch AfD. Und die Verfassungsmäßigkeit wird ja erst noch festzustellen sein.
    Heinemann: Halten Sie sie für nicht verfassungsgemäß?
    Ferber: Ich habe schon manche Äußerungen, auch von einer Kollegin bei mir aus dem Europäischen Parlament gehört, wo ich sage, das ist jedenfalls nicht mehr auf dem Boden dessen, was durch den Rechtsstaat konkret abgedeckt ist.
    Heinemann: Welche Äußerung?
    Ferber: Ja, der Einsatz von Schusswaffen an der Grenze ist außerhalb.
    Heinemann: Das hat Frau von Storch bedauert und auch wieder zurückgenommen.
    Ferber: Ja gut, aber es ist mal gesagt worden. Ich habe wirklich nicht die Absicht, diese Partei zu verteidigen, um das mal in aller Deutlichkeit zu sagen. Auf der anderen Seite ist es Aufgabe der Parteien im Meinungsspektrum, auch Antworten auf die Sorgen und Nöte der Menschen zu geben. Und da versuchen wir als CSU – und ich habe schon das Gefühl, nicht ganz unerfolgreich – diese Aufgabe auch wahrzunehmen im Interesse der Menschen in Bayern, aber auch im Interesse der Menschen in der Bundesrepublik Deutschland. Und ich hoffe, dass wir da auch erfolgreich sein werden, wenn es darum geht, die Politik in Berlin mit zu beeinflussen.
    Heinemann: Herr Ferber, kann man die AfD bekämpfen, indem man so redet wie die AfD?
    Ferber: Ich sehe nicht, dass jemand so redet wie die AfD, der nicht in der AfD ist.
    Heinemann: Sie sind aus Brüssel heute zu uns gekommen, wir zeichnen dieses Gespräch in Köln im Funkhaus auf. Haben Sie beim Grenzübertritt die "Herrschaft des Unrechts" zu spüren bekommen?
    Ferber: Ich will es auch mal sagen, dass der, der das gesagt hat, das relativiert hat und auch entsprechend zurückgenommen hat. Aber wir müssen uns schon die Frage stellen: Wird das geltende Recht der Bundesrepublik Deutschland momentan an unseren Grenzen entsprechend eingesetzt, angewendet oder nicht?
    Heinemann: Ja gut, aber "Herrschaft des Unrechts" ist ja noch mal was anderes. Eine Reise zu Putin ist auch etwas anderes. Eine Reise zu Orbán ist etwas anderes. Das sind lauter politische Elemente, die man schon auch der AfD zuordnen könnte.
    Ferber: Also jetzt stellen Sie schon ein paar Zusammenhänge her, die ich jetzt schon mal entschieden zurückweisen möchte. Erstens hat Herr Seehofer diese Formulierung auch entsprechend zurückgenommen, trotzdem gilt, dass an unserer Grenze geltendes Recht zurzeit nicht angewandt wird. Und das sorgt natürlich schon für eine Unsicherheit. Ich kann Ihnen berichten aus meiner Bürgersprechstunde, wo Menschen fragen: Warum muss ich jetzt dieses oder jenes einhalten und an anderer Stelle seid ihr nicht willens oder in der Lage, geltendes Recht auch anzuwenden? Zum Zweiten ist es wichtig und richtig, auch in einer schwierigen außenpolitischen Konstellation, den Gesprächsfaden zum Beispiel mit Herrn Putin, mit Moskau, aufrechtzuerhalten. Insofern war das ein wichtiger Beitrag dazu, im Gespräch zu bleiben. Es ist ja jetzt nicht so, dass die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland deswegen verändert wurde. Aber es war wichtig, dass dieser Gesprächsfaden stattfindet. Mancher in Berlin – habe ich jedenfalls den Eindruck – hat diesen Gesprächsfaden zurzeit nicht so. Und sich in Ungarn mal anzuschauen, wie dort Außengrenzenschutz – Ungarn hat für die Europäische Union eine lange Grenze zu Serbien abzusichern – auch entsprechend angeguckt wird, hier mit den Verantwortlichen gesprochen wird, daran kann ich nichts Kritikwürdiges finden.
    Heinemann: Noch mal zurück zur AfD. Das wäre ja jetzt die genuine Aufgabe, jedenfalls nach Franz Josef Strauß, dem früheren bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Chef, das zu verhindern, dass eine solche Partei zum Beispiel am nächsten Sonntag in drei Landtagen erfolgreich sein könnte. Wie bekämpft man diese AfD?
    "AfD durch Problemlösungen bekämpfen"
    Ferber: Am wirksamsten bekämpft man die AfD damit, dass man die Probleme, die von Teilen der Gesellschaft offenkundig gesehen werden, löst. Und ich möchte schon mal darauf hinweisen, dass, als wir Ende der 80er-Jahre das Aufkeimen der Republikaner hatten, mit einem Parteivorsitzenden damals, der übrigens aus Bayern kam, es die Republikaner nie geschafft haben, in den Bayerischen Landtag einzuziehen. Das heißt, die CSU hat hier ihre Verantwortung schon wahrgenommen, während die Republikaner im baden-württembergischen Landtag für zwei Legislaturperioden mit Abgeordneten vertreten waren – nur mal, um diesen Unterschied auch mal herauszuarbeiten. Und die Republikaner kamen damals zum politischen Ende, als das Asylrecht seinerzeit verschärft wurde durch eine Grundgesetzänderung, weil das Problem gelöst wurde. Deswegen ist die wirksamste Bekämpfung der AfD die Lösung der Probleme. Und das Problem Nummer 1 heißt hier ganz konkret: Wie können wir sicherstellen, dass den Menschen, die Schutz benötigen, auch Schutz gewährt wird, aber auch sicherstellen, dass den Menschen, die keinen Schutz benötigen, dieser Schutz nicht gewährt wird. Und das ist die Herausforderung, vor der wir stehen. Und die gehen wir als CSU etwas konkreter an als das vielleicht manchmal in Berlin diskutiert wird.
    Heinemann: Und da gibt es in der CSU ja durchaus Zweifel daran, dass die Merkel-CDU beziehungsweise diese Kanzlerin das hinbekommt. Was heißt das für 2017? Ist sie noch die geeignete Spitzenkandidatin, auch für die CSU?
    Ferber: Also das sind jetzt Fragen, die wir nicht im Frühjahr 2016 diskutieren, sondern im Frühjahr 2017.
    Heinemann: Können wir aber gerne machen. Ihre persönliche Meinung?
    Ferber: Wir wünschen uns eine Bundeskanzlerin Merkel – wenn ich das jetzt mal für die CSU so klar formulieren darf –, die in vielen Bereichen so ist, wie sie ist und in der Flüchtlingspolitik etwas mehr CSU macht. Dann hätte sie auch ganz große Zustimmungswerte.
    Heinemann: Wenn Hörerinnen und Hörer Markus Ferber Fragen stellen möchten, dann haben Sie dazu morgen früh Gelegenheit, nämlich kostenfrei ab 08:00 Uhr auf unserem Hörertelefon, unter der Nummer 0800-44 64 44 64. Denn morgen sind Sie unter anderem Gast meines Kollegen Dirk-Oliver Heckmann, in unserer Diskussionssendung "Kontrovers", ab 10:10 Uhr hier bei uns im Deutschlandfunk. Markus Ferber, für heute, Dankeschön für das Gespräch.
    Ferber: Gerne.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.