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EU-Umfrage zur Zeitumstellung
Bütikofer: EU-Parlament mehrheitlich für Abschaffung

EU-Grünen-Politker Reinhard Bütikofer geht davon aus, dass es im Parlament eine klare Mehrheit für die Abschaffung der Zeitumstellung geben wird. Noch sei allerdings nichts entschieden - auch wenn sich EU-Kommissionspräsident Juncker nach dem Ausgang der EU-weiten Online-Umfrage dafür ausgesprochen hat.

Reinhard Bütikofer im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Der Europaabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, Reinhard Bütikofer, spricht auf einem Grünen-Parteitag
    Der Grünen-Europaabgeordnete Reinhard Bütikofer (picture alliance / dpa / Peter Endig)
    Mario Dobovisek: Die Zeitumstellung, zweimal im Jahr, ursprünglich eine deutsche Idee, um Energie zu sparen. Mit der Sommerzeit bleibt es am Abend länger hell und im Winter kann man dafür das Licht am Morgen früher ausschalten. Doch in Zeiten von sparsamen LED-Beleuchtungen zieht das Energieargument kaum noch. Kritiker bemängeln den großen Aufwand, zum Beispiel für Verkehrsbetriebe, und den Einfluss auf den Biorhythmus. Im Internet ließ die EU-Kommission Europas Bürger darüber abstimmen, mit einem eindeutigen Ergebnis: 80 Prozent der Befragten sind gegen die Zeitumstellung.
    Am Telefon mitgehört hat Reinhard Bütikofer. Er ist Co-Vorsitzender der europäischen Grünen. Guten Tag, Herr Bütikofer.
    Reinhard Bütikofer: Ich grüße Sie.
    "Ein bisschen hemdsärmelig argumentiert"
    Dobovisek: 3,7 Millionen Menschen in Europa stimmen gegen die Zeitumstellung und die Kommission folgt diesem Votum. Wir haben es gehört: Die Menschen wollen das, wir machen das. Ist das ein guter Tag für Europa?
    Bütikofer: Ach wissen Sie, man sollte die Kirche im Dorf lassen. Natürlich hat der Jean-Claude Juncker da ein bisschen hemdsärmelig argumentiert. Aber ich erinnere mich ja noch an die Diskussion im Europäischen Parlament und auch bei uns in der Fraktion damals. Bei uns in der Fraktion hätte es, wenn es zu einer Abstimmung gekommen wäre, eine klare Mehrheit gegeben für die Abschaffung dieses Wechsels von Winterzeit und Sommerzeit. Ich habe mich damals dafür ausgesprochen zu sagen, jetzt fragen wir doch mal die Bürger. Insofern hat man jetzt eine Antwort.
    Ich glaube nicht, dass irgendjemand ernsthaft fürchten muss oder erwarten muss, dass jetzt bei jeder anderen Frage auch Meinungsumfragen gemacht werden und dann hoppla-hopp das dann einfach verbindlich wird. Das ist ja nicht in irgendeinem Sinne verbindlich. Die Kommission hat jetzt heute beschlossen, nach meiner Information, dass sie einen solchen Vorschlag machen wird, und dann müssen nach der guten europäischen Ordnung das Parlament und die Mitgliedsstaaten darüber entscheiden. Ich gehe davon aus, dass es im Parlament dafür eine klare Mehrheit geben wird. Das hat sich mehrfach abgezeichnet. Insofern kommt das jetzt auch nicht aus dem heiteren Himmel. Es ist jetzt kein Donnerschlag, wo es noch vorher gar keine Diskussion gegeben hätte.
    Ich vermute auch mal, dass die Mitgliedsländer jetzt da nicht so furchtbar große Schwierigkeiten haben werden, sich darauf einzulassen. Ich finde, das ist eine interessante Entwicklung, aber man muss jetzt nicht fürchten, dass der Parlamentarismus abgeschafft wird.
    Ende der Zeitumstellung noch nicht in Stein gemeißelt
    Dobovisek: Gucken wir uns doch, Herr Bütikofer, einmal gemeinsam einen Teil dieser, wie Sie sagen, interessanten Entwicklung an, nämlich die Online-Befragung. Beteiligt haben sich am Ende 4,6 Millionen Menschen – wir haben es gehört – von gut 500 Millionen Einwohnern, die die Europäische Union zählt, also weniger als ein Prozent. Die meisten davon – auch das haben wir gehört – sind Deutsche. Wie aussagekräftig kann so etwas sein?
    Bütikofer: Begrenzt aussagekräftig, offenkundig. Auf der anderen Seite kann man sagen: Denjenigen, die sich nicht beteiligt haben, war es offensichtlich nicht besonders wichtig.
    Dobovisek: Oder sie waren offensichtlich nicht genug informiert zum Beispiel auch in anderen Ländern.
    Bütikofer: Kann auch sein. Aber alle die, die jetzt fürchten, dass da was ganz Schlimmes passiert, und jetzt kommt ein deutsches Diktat über Europa bei der Sommerzeit, die können ja jetzt dann mobilisieren und sagen, das wollen wir auf gar keinen Fall. Da ist alles noch offen.
    Dobovisek: Aber die Europäische Kommission – und das ist ja der Vorwurf, der auch ein bisschen dahinter steckt, hinter dem, was Jean-Claude Juncker heute mit seinem Vorpreschen ausgelöst hat. Eine populistische Aktion, ist zu hören, nach dem Motto, seht her, wir setzen um, was ihr wollt. Ist das gut oder sehen Sie das mit Bauchschmerzen?
    Bütikofer: Wenn das jetzt eine Umfrage gewesen wäre, bei der erstaunlicherweise rausgekommen wäre, dass wir in Europa und insbesondere in Deutschland dringend mehr Atomwaffen anschaffen müssen, und dann hätte Juncker gesagt, das haben jetzt so und so viele Leute für gut gefunden und das machen wir jetzt, dann hätte ich ein Problem.
    "Keine Frage von Leben und Tod"
    Dobovisek: Aber Sie haben kein Problem, weil es im Grunde unwichtig ist?
    Bütikofer: Es ist keine Frage von Leben und Tod und es ist eine Lebensstil-Frage, über die die Meinungen auseinandergehen. Und alle diejenigen, die jetzt ein Problem damit haben, die können ja – ich habe es schon mal gesagt und ich wiederhole es gerne – in der Ordnung, die gegeben ist, das alles noch zum Tragen bringen. Dadurch, dass Juncker sagt, wir machen das, hat er nur eines angekündigt: Die Kommission macht einen Vorschlag. Mehr kann er gar nicht machen. Der kann nicht verkünden, das wird so. Er kann einen Vorschlag machen. Das hat er gemacht. Die Kommission hat ihn dabei unterstützt.
    Wer jetzt unbedingt nicht will, dass das kommt, der soll sich ans Europäische Parlament wenden. Da gibt es 751 Abgeordnete, dem er sagen kann, das wollen wir nicht. Oder an seine jeweilige Regierung wenden und sagen, das wollen wir nicht. Das heißt, das wird ja nicht über Nacht mit einem Zauberstab jetzt alles verändert, sondern das geht seinen normalen institutionellen Gang.
    Dobovisek: Nun war diese Online-Befragung ja ein Novum in der Europäischen Union, zumindest in dieser Dimension – ein Test-Ballon bei einer Sache, die vielleicht emotional betrachtet wird, aber nicht besonders wichtig ist. Das kommt ja auch bei dem heraus, was Sie sagen. Ist das ein Beispiel, das Schule machen sollte auch für andere Themen, die vielleicht ein bisschen wichtiger sind?
    Bütikofer: Ich finde, keiner hat einen Nachteil davon, wenn man die Bürger fragt, was sie meinen. Bei so einem Thema wie dem hier, das wir gerade am Wickel haben, muss jetzt keiner eine große Informationskampagne machen, damit irgendein Bürger versteht, oder eine Bürgerin, worum es geht. Jeder weiß das, jeder hat entweder gesundheitliche Schwierigkeiten damit gehabt oder nicht, oder gemeint, er spart damit Energie oder nicht. Das ist so offenkundig im Bereich dessen, was jeder überblickt, dass ich da nicht sagen kann, bevor ich da die Bürger dran lasse, muss ich die jetzt alle erst mal richtig schulen. – Bei einer anderen Debatte, die über sehr komplexe Fragen gehen würde …
    Verpflichtung für die Behörden zu informieren
    Dobovisek: Zum Beispiel um die Erweiterung der Europäischen Union. Das wäre ja auch ein Beispiel für ein Stimmungsbild.
    Bütikofer: Zum Beispiel. Da müsste ich natürlich schon mal, glaube ich, viel mehr mit Informationen aufwarten. Deswegen gibt es ja überall dort, in der Schweiz, um ein hervorragendes Beispiel zu nennen, wo es Volksentscheide gibt, auch die Verpflichtung für die Behörden, die Positionen der unterschiedlichen Seiten jeweils sehr ausführlich für die Bürger darzulegen, damit die Bürger wirklich Gelegenheit haben, gut informiert an so einem Referendum teilzunehmen.
    Dobovisek: Bräuchten wir solche Referenden auch auf europäischer Ebene?
    Bütikofer: Ich würde sagen, als erstes sollten wir als Deutsche mal keine Vorschriften für Europa machen, sondern auf uns selbst schauen. Europa ist, was die Bürgerbeteiligung betrifft, weiter als die Bundesrepublik. In Europa haben wir die europäische Bürgerinitiative, mit der Menschen sich verschiedentlich sehr vernehmlich zu Wort gemeldet haben. Zum Beispiel die ganze Kritik an dem TTIP-Abkommen, was mit Obama jahrelang verhandelt wurde, wurde sehr stark getrieben und befördert durch eine solche europäische Bürgerinitiative. Das heißt, es ist nicht zum ersten Mal, dass die Bürger sich einmischen, und ich finde, das ist gut so. Aber in Deutschland gibt es ja keine Möglichkeit zum nationalen Bürgerentscheid. Da sollten wir uns erst mal an die eigene Nase fassen.
    Wer folgt auch Jean-Claude Juncker?
    Dobovisek: Mit den Wahlen zum Europäischen Parlament im nächsten Jahr endet auch die Amtszeit der EU-Kommission und ihres Präsidenten Jean-Claude Juncker. Ein potenzieller Nachfolger bringt sich offenbar in Stellung: der deutsche CSU-Mann Manfred Weber will Spitzenkandidat werden. Abgesehen davon, dass auch die Grünen natürlich Spitzenkandidaten aufstellen werden; Sie kennen Manfred Weber schon lange. Wäre er eine gute Wahl für die Spitze der EU-Kommission?
    Bütikofer: Erst mal muss die Europäische Volkspartei entscheiden, ob sie Manfred Weber will. Und dann muss Manfred Weber den Bürgern gegenüber sagen, für welchen konservativen Kurs er eigentlich steht. In der Europäischen Volkspartei gibt es Unterschiede, die gehen von einer Seite des Horizonts bis zur anderen. Es gibt liberale Leute dort und es gibt einen Herrn Orbán dort. Jetzt hat aktuell die Europäische Kommission gerade gesagt, sie muss Orbán offensichtlich mehr auf die Finger schauen, weil er eine Sondersteuer eingeführt hat für Nichtregierungsorganisationen in Ungarn, die sich um Flüchtlinge kümmern zum Beispiel. Die Kommission bezweifelt, dass das mit europäischem Recht vereinbar ist, und überlegt, ob sie ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Orbán initiiert. Das ist zum Beispiel ein schöner Punkt, an dem Herr Weber jetzt mal Farbe bekennen muss, weil er will der Chef sein.
    Er will der Spitzenkandidat sein der Parteigruppe, die sich nicht einigen kann, ob sie zu einer freiheitlichen Demokratie steht oder eine illiberale Ordnung will wie Herr Orbán. Deswegen, finde ich, muss jetzt erst mal darüber geredet werden, wofür Herr Weber denn dann tatsächlich steht, bevor man irgendwelche Posten verteilt.
    Im Übrigen halte ich es für überhaupt nicht ausgemacht, dass unbedingt alle führenden Posten in Europa immer bei der Europäischen Volkspartei liegen. Das hat uns in den letzten Jahren …
    Dobovisek: Das werden wir sehen in den Wahlen, vor allen Dingen nach den Wahlen. Herr Bütikofer, wir müssen gleich weitermachen. Deshalb an dieser Stelle das Ende unseres Gesprächs.
    Bütikofer: Na gut! Dann machen Sie weiter. – Schönen Tag!
    Dobovisek: Reinhard Bütikofer, Chef der europäischen Grünen und Abgeordneter im EU-Parlament. Ich danke Ihnen ganz herzlich.
    Bütikofer: Jo!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.