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EU-Wahl in Frankreich
Inhaltliche Polarisierung, schleppender Wahlkampf

Migration, Klimaschutz, Europa - an kontroversen Themen mangelt es Frankreich vor den Europawahlen nicht. Dennoch kommt der Wahlkampf nicht richtig in Fahrt. Das könnte auch an den Spitzenkandidaten der Parteien liegen.

Von Alexander Moritz | 23.05.2019
Europawahl-Plakate in Frankreich
Viele französische Parteien kämpfen um Stimmen, aber vor allem Emmanuel Macron und Marine le Pen dominieren den Wahlkampf (Eric Cabanis/AFP)
"Bonjour Monsieur. Je vous donne ça: La France Insoumise."
Wahlkampf auf einem Markt im Nordosten von Paris. Wer mit Käse und Gemüse beladen von den Marktständen zurückkommt, bekommt noch einen Flyer in die Hand gedrückt: La France Insoumise - die EU-skeptische linke Partei von Jean-Luc Mélenchon kommt gut an im Arbeiterviertel Belleville.
Doch auch hier werden viele wohl nicht zur Wahl gehen – wie überall in Frankreich. Bei der letzten Europawahl beteiligten sich gerade mal 42 Prozent der Wahlberechtigten. Auch diese Frau auf dem Markt zögert.
"Die EU ist sehr weit weg. Es ist schwierig, sich da zu positionieren. Brüssel hat gefühlt nichts mit dem Alltag zu tun."
Dossier: Europawahlen
Europawahlen (picture alliance / dpa / Kay Nietfeld)
Macron und Le Pen dominieren den Wahlkampf
Ohnehin ist Frankreich politisch mit sich selbst beschäftigt. Seit Emmanuel Macron zum Präsidenten gewählt wurde, ist das alte Parteiensystem implodiert.
Die Linke zerfleischt sich selbst. Die einstige sozialistische Regierungspartei PS könnte an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern. Ihre Stimmen teilen sich nun die in Frankreich traditionell linken Grünen und die linkspopulistische Sammelbewegung La France Insoumise.
Als größere Partei blieb neben Macrons La République En Marche nur der rechtsextreme Front National übrig - inzwischen umbenannt in Rassemblement National, aber weiterhin geführt von Marine Le Pen. Beide kämpfen darum, stärkste Kraft zu werden.
Damit dominieren zwei Personen den Wahlkampf, die gar nicht für das Parlament antreten, analysiert Politikprofessorin Sylvie Strudel.
"Es geht weniger um das Für und Wider von Europa, sondern eher darum, für oder gegen Macron zu sein."
Polarisierende Themen
Macrons Wahlliste "Renaissance" setzt sich weiterhin als führende europäische Kraft in Szene, fordert eine europäische Armee, ein eigenes Budget für die Eurozone - aber auch stärkeren Grenzschutz.
Eine große Rolle im Wahlkampf spielt auch der Klimaschutz, unterstreicht die Renaissance-Kandidatin Fabienne Keller.
"Ökologie muss sich in allen unseren Taten widerspiegeln. Daher hat Präsident Macron darauf bestanden, dass die USA zuerst das Pariser Klimaabkommen einhalten müssen, bevor wir erneute Verhandlungen über ein Handelsabkommen beginnen können."
Selbst der Rassemblement National gibt seinen Protektionismusplänen einen grünen Anstrich. Er fordert höhere Zölle auf Importwaren – der Transport sei schließlich klimaschädlich. Die Grenzen sollen zudem wieder dauerhaft kontrolliert werden. Und die gemeinsamen EU-Institutionen abgeschafft oder zumindest geschwächt werden.
Rechtsruck bei den Konservativen, EU-Kritik von links
Unter dem Druck der Rechtsextremen haben die Konservativen Les Républicains ebenfalls einen Rechtsruck gemacht. Sie polemisieren mit angeblicher "Masseneinwanderung" und wenden sich gegen die Aufnahme Bulgariens und Rumäniens in den Schengenraum. "Grenzverteidigung" heißt das auf dem Flyer, den der Wahlkampfleiter der Konservativen, Geoffroy Didier, mit verantwortet.
"Wir müssen den europäischen Völkern zuhören, die uns heute sagen: Bringt die gemeinsamen Projekte voran, die uns einen Vorteil bringen. Aber stoppt die Erweiterung, weil wir erst noch die Neumitglieder verkraften müssen."
Kritik am Zustand der EU kommt auch von Links. Dort ist man uneins, welche Haltung zu Europa die richtige ist. Mehr und mehr Politiker schwenken auf einen europakritischen Kurs um. Marie-Noëlle Lienemann etwa, Senatorin und jahrzehntelang Mitglied der sozialistischen Partei, sympathisiert nun mit La France Insoumise.
"Seit 1987 warten wir auf ein sozialeres Europa. Stattdessen gibt es immer mehr Lohndumping. La France Insoumise fordert deswegen, aus den bestehenden EU-Verträgen auszutreten und die Grundlagen der Gemeinschaft neu zu verhandeln."
Wahlkampf kommt nicht richtig in Schwung
Doch trotz der inhaltlichen Polarisierung: Richtig in Fahrt kommt der Wahlkampf nicht. Das könnte auch an den Spitzenkandidaten liegen: Für En Marche tritt Nathalie Loiseau an, die bisherige Europaministerin Macrons. Sie gilt als autoritär und verkörpert als ehemalige Leiterin der Elitehochschule ENA noch dazu die Welt der Eliten. Spitzenkandidat des Rassemblement National ist Jordan Bardella, ein 23-Jähriger Regionalabgeordneter aus einem Vorort von Paris.
Nur wenig bekannte Gesichter also – die wohl keine allzu große Begeisterung bei den Wählerinnen und Wählern auslösen werden, befürchtet Martial Foucault, Professor an der Politikhochschule Science Po Paris.
"Die Kandidaten sind nicht mehr die großen Führer. Ich denke, nach dem 26. Mai werden wir sehr schnell wieder vergessen haben, um wen oder was es bei dieser Wahl überhaupt ging."
Transparenzhinweis: Dieser Beitrag ist im Rahmen einer Recherchereise des Deutsch-Französischen Instituts entstanden.