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EU-Wiederaufbauplan
Visegrad-Staaten suchen gemeinsame Position

Geschichte, geografische Lage und Ablehnung der EU-Migrationspolitik - das sind die Gemeinsamkeiten die Visegrad-Staaten, Polen, Tschechien, Ungarn und die Slowakei, eint. Ansonsten verfolgen sie oft unterschiedliche Interessen - wie auch aktuell bei den EU-Wirtschaftshilfen für die Nach-Coronazeit.

Von Kilian Kirchgeßner | 11.06.2020
Der tschechische Premierminister Andrej Babis (rechts im Bild) und der slowakische Ministerpräsident Igor Matovic, beide mit Gesichtsmasken, am 3.6.2020 in Prag.
Der slowakische Ministerpräsident Igor Matovic und der tschechische Premier Andrej Babis haben unterschiedliche Ansichten zum EU-Wiederaufbauplan (AFP/Michal Cizek )
Ein großer Empfang für den slowakischen Premierminister in Prag – vergangene Woche war das, der neu gewählte Igor Matovic kam zum Antrittsbesuch ins Nachbarland. Eng und herzlich ist der Kontakt zwischen Tschechien und der Slowakei – und schon bei diesem Treffen warf der Prager Premierminister Andrej Babis einen Blick voraus auf das Treffen in der Visegrad-Gruppe am heutigen Donnerstag. Um die europäischen Wirtschaftshilfen für die Zeit nach Corona werde es bei dem Visegrad-Treffen gehen, kündigte er an:
"Die Kriterien des Recovery-Fonds sind maßgeschneidert für die Länder, die nicht so verantwortungsvoll waren wie wir – aus Sicht der Verschuldung, der Haushaltsdisziplin, der Arbeitslosigkeit. Das ist eine sehr schwierige Materie. Wir werden uns damit einen halben Tag oder mehr beschäftigen und gemeinsam an einer Position feilen."
Zum EU-Wiederaufbauplan stehen die Länder unterschiedlich
Das ist das große Thema des heutigen Tages – und zugleich zeigt sich darin das Problem der Visegrad-Länder Tschechien, Slowakei, Ungarn und Polen: Sie sind sich in vielerlei Hinsicht ähnlich; dabei haben sie aber nicht immer die gleichen Interessen. Die europäische Wirtschaftshilfe für die Nach-Corona-Zeit ist dafür ein gutes Beispiel: Tschechien und Ungarn haben große Vorbehalte gegenüber den Plänen, weil sie fürchten, dabei in Vergessenheit zu geraten; für die Slowakei und Polen sind die Kriterien vorteilhafter.
So ähnlich sei das häufig, hat Jakub Eberle beobachtet, Politologe am Prager Institut für Auswärtige Politik. Man müsse eigentlich von zwei Visegrads sprechen, sagt er: "Ein Visegrad ist jenes auf der Ebene der politischen Leader; das ist die sichtbare Ebene, auf der auch das Treffen heute stattfindet. Das zweite Visegrad sind die Kontakte auf der Arbeitsebene, also zwischen Diplomaten und Ministerialbeamten."
Regierungskonstellationen entscheidend für die Zusammenarbeit
Eben weil die vier Länder so ähnlich sind, funktioniere dieser informelle Kontakt sehr gut. Auf der politischen Ebene aber ist die gemeinsame Interessenvertretung schon allein deshalb schwierig, weil sich nach Wahlen häufig das Spitzenpersonal ändert und damit auch die politische Orientierung. Je nach Zusammensetzung der Regierungen trafen in der Ländergruppe bisweilen linksorientierte Regierungen auf Nationalisten.
Ursprünglich entstand die Visegrad-Gruppe nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, als die einstigen Ostblock-Länder gemeinsam für ihre Aufnahme in die EU werben wollten. Nachdem das geklappt hatte, wurde die Visegrad-Gruppe erst 2015 wieder europaweit sichtbar – im Streit um die Migration.
Der Politologe Jakub Eberle: "Die Migration war seit dem Beitritt der Länder zu NATO und EU das einzige Thema, wo Visegrad als großer Spieler aufgetreten ist. Bei fast keinem der anderen seither diskutierten großen Themen war das so – nicht beim Klima, nicht bei der Schengen-Frage. Immer gab es jemanden innerhalb der Gruppe, der es etwas anders gesehen hat."
Visegrad-Staaten als Vermittler Richtung Osten
Dass die Visegrad-Länder seither in der EU vielfach als Blockierer wahrgenommen werden, greife aber zu kurz: "Natürlich ist die Trotzhaltung sichtbarer. Konstruktive Politik betreiben die Visegrad-Länder beispielsweise bei der EU-Ostpartnerschaft und der Frage nach dem Westbalkan."
Die Visegrad-Länder verstehen sich selbst als Vermittler zwischen der EU und ihren östlichen Nachbarn und gehören zu den Fürsprechern einer engeren Anbindung. Mit ihren Erfahrungen aus der Transformation wollen sie dort anderen Staaten helfen. Selbst einen eigenen Visegrad-Fonds betreiben sie – eine Plattform, die Innovationen und den Zusammenhalt in Mittel- und Osteuropa fördern soll. Solche Aktivitäten allerdings sind oft kaum wahrnehmbar angesichts der ungleich stärkeren Bilder von gemeinsamen Treffen der Regierungschefs, so wie heute im tschechischen Schloss Lednice.