Freitag, 26. April 2024

Archiv

Von Vorbetern und Vorstehern
Was ist eigentlich ein Imam?

Wer eine Moschee leitet, wer in Religionsfragen das Sagen hat - auf diese Fragen gibt es viele Antworten. Nicht alle stimmen. Ist der Imam der Moschee-Chef oder nur der Vorbeter? Heißt es Iman oder Imam? Und kann er auch eine Frau sein?

Von Abdul Ahmad Rashid | 27.04.2021
Ein Imam steht auf einem kleinen verzierten Balkon und spricht zu einer Gruppe Männer. An der Wand befinden sich arabische Schriftzeichen.
Der Imam ist der Vorbeter, aber nicht automatisch der 'Chef' der Moschee (dpa / Christian Charisius)
Vor einiger Zeit fragte ich einen Kollegen, ob er wisse, was ein Imam sei. Na, der Chef von einer Moschee, war seine lakonische Antwort. Knapp daneben, aber eben auch vorbei, dachte ich. In den Moscheen in der islamischen Welt sind die Imame die Chefs. Jedoch nicht in Deutschland. Aber dazu später mehr.

'Iman' heißt Glaube

Was ist eigentlich ein Imam? Übrigens, bitte nicht verwechseln mit Iman – was oft geschieht. Also, nicht Iman mit "n". Iman mit 'n' das heißt auf Arabisch 'Glaube' und ist ein beliebter weiblicher Vorname. Imam – also Imam mit 'm' am Ende - das ist zunächst einmal eine Person, die vorne steht. Beim Gebet der Muslime. In der Funktion des Vorbeters.
Muslime kennen zwei Formen von Gebeten: a. das rituelle Gebet und b. das freiwillige Gebet. Das rituelle Gebet lebt von festen Abläufen: Stehen, verbeugen, niederwerfen, wieder aufstehen. Diese Gebete sind als Pflicht festgelegt: Fünf Mal am Tag, zu bestimmten festgelegten Zeiten. Man kann sie gemeinsam beten oder auch einzeln. Bei Gemeinschaftsgebeten kommen oft sehr viele Menschen zusammen. Damit nicht alle durcheinander beten und um die einzelnen Änderungen in der Körperhaltung zu koordinieren, braucht es eine Person, die das Kommando übernimmt. Das macht der Imam, der Vorbeter oder Vorsteher. So die Bedeutung des Wortes. Es leitet sich ab von dem arabischen Wort für "vorne": amam. "Imam" ist eine männliche Person, die vorne steht.
Ein Parkplatzschild - Pastor - an einer Kirche in Essen.
Evangelische und katholische Amtsbezeichnungen - Pfarrer oder Pastor?
Wie die Person, die einen christlichen Gottesdienst leitet, angesprochen wird, hängt von ihrer Konfession ab, aber auch von der Region: Die "Pfarrer-Pastor-Grenze" verläuft in etwa vom Saarland zur Ostsee. Und entgegen weit verbreiteter Annahmen gibt es auch katholische Pastoren.

Wie ein Dirigent

Er steht an der Spitze, mit dem Rücken zu der Gruppe der Betenden. Er agiert dabei wie eine Art Dirigent: Er gibt die Abläufe vor, markiert die Wechsel in der Körperhaltung durch den Ruf "Allahu akbar", "Gott ist größer". Die Gemeinde macht es ihm nach. Er garantiert die Synchronität des Gebets. Beim Gebet kann jeder Imam sein - also Vorbeter. Es braucht keine Weihe, keine besondere Ausbildung, keine Wahl oder Ernennung. Wer vorbeten will, muss die geistige und religiöse Reife haben, die Abläufe beim Gebet kennen und Verse des Korans beim Gebet rezitieren können. Mehr nicht. Einmal erlebte ich in einer Moschee in Deutschland, wie der Koch der Gemeinde das Gebet leitete. Ein anderes Mal verständigten sich die anwesenden Männer per Handzeichen, wer vorbeten sollte. Auch der Islam kennt so etwas wie die Priesterschaft aller Gläubigen.

Keine geschützte Berufsbezeichnung

Doch auch wenn Imam - ähnlich wie Journalist - keine geschützte Berufsbezeichnung darstellt – Imam ist auch ein Lehrberuf mit einer soliden, mehrjährigen Ausbildung. Ein religiöser Würdenträger, vergleichbar einem Pfarrer. Mit vielfältigen Aufgaben, die mehr umfassen, als nur das Gebet zu leiten. Diese Imame sind in den Moscheen angestellt, auch in Deutschland. Die meisten von ihnen werden in der islamischen Welt ausgebildet. In Deutschland sind sie Angestellte in den Moscheen, die in erster Linie Vereine sind. Dort gibt es meistens einen Vorsitzenden, und der ist der Chef in der Moschee. Der Imam leitet lediglich den religiösen Bereich: Er ist neben der Leitung des Gebets verantwortlich für die religiöse Unterweisung der Kinder am Wochenende. Er leitet die Zirkel für die Koranrezitation mit den Älteren. Er verrichtet das Totengebet und spricht den Angehörigen Trost zu. Er geht in die Krankenhäuser und kümmert sich um die Kranken. Und er berät die Menschen in religiösen Fragen.

Die Frage nach den Imaminnen

Immer wieder wird die Frage gestellt, ob es auch weibliche Imame gibt. Ja, es gibt sie. Doch Männer tun sich schwer, hinter ihnen zu beten. Denn nach klassischer islamischer Theologie dürfen Frauen nur in reinen Frauengemeinschaften vorbeten. Das Gebet vor Männern ist ihnen verboten. Doch warum? Die Gründe, die genannt werden, sind vielfältig, jedoch nicht eindeutig. Ein Grund, der oft vorgetragen wird: Frauen könnten aufgrund ihrer monatlichen Periode nicht jene rituelle Reinheit garantieren, die für das Gebet erforderlich sei. Daher wären sie als Vorbeterinnen ungeeignet. Eine andere Begründung: Eine Frau an der Spitze könnte die dahinterstehenden Männer beim Gebet ablenken. Doch: Kann dies nicht auch umgekehrt passieren, wenn Frauen hinter einem Mann beten?
Aus der Frühzeit des Islam wissen wir, dass es auch Frauen gab, die Gebete geleitet haben – vor Männern und Frauen. Wie ist es zu der Ansicht gekommen, dass Frauen nur für Frauen vorbeten sollen? Ist der Prophet Mohammed eines Tages in die Moschee gekommen und hat gesagt: "Liebe Gemeinde, ab heute machen wir das jetzt mal ganz anders! Ab jetzt beten die Frauen nur noch den Frauen vor!" Es liegt viel mehr die Erklärung nahe, dass Frauen irgendwann aus der Gemeindeführung ausgegrenzt wurden, um den Machterhalt der Männer zu stabilisieren.

Große Aufregung

Große Aufregung gab es im Jahre 2005: Die muslimische Predigerin Amina Wadud betete in New York vor einer gemischten Gemeinde – öffentlich und in einer Kirche. Vorher war ihr dies in Moscheen untersagt worden. Eine Imamin in einer Kirche - ein Tabubruch für viele Muslime weltweit! Seitdem hat das gemischte Gebet, von einer Frau geleitet, viele Nachahmer gefunden, auch in Deutschland. Der Liberal-Islamische Bund hat schon länger Frauen in seinen Gemeinden, die vorbeten. Die Berliner Anwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ates gründete 2017 mit einigen Mitstreiterinnen und –streitern die erste liberale Moschee in Berlin und leitet dort selber Gebete als Imamin. Dafür gab es viel Zustimmung, aber auch viel Missfallen, bis hin zu Morddrohungen. Heute lebt die streitbare und mutige Juristin unter Polizeischutz. Doch ihr Projekt findet viele Nachahmer: Mittlerweile gibt es Moscheen in Dänemark und Frankreich, die von Frauen als Imaminnen geleitet werden. Aber ob sie sich nun wirklich Imamin nennen dürfen – das lassen wir an dieser Stelle einfach mal offen. Das überlassen wir dem Lehramt, das es im Islam nicht gibt.