Christiane Kaess: Morgen wollen die EU-Staats- und Regierungschefs die Berliner Erklärung unterschreiben, ein Bekenntnis zu Europas Grundwerten. Streng geheim wurde sie gehalten, denn die verschiedenen Vorstellungen vor allem zu einer Europäischen Verfassung sollten nicht schon vor dem Gipfel zum Streit führen. Jetzt taucht das Wort "Verfassung" in der Berliner Erklärung gar nicht erst auf.
Am Telefon ist Joseph Daul. Er ist Vorsitzender der Fraktion der Europäischen Volkspartei und Europäische Demokraten im Europäischen Parlament. Guten Morgen Herr Daul!
Joseph Daul: Guten Morgen!
Kaess: Herr Daul, die Erklärung sieht eine erneuerte gemeinsame Grundlage für die Europäische Union bis zu den Europawahlen im Jahr 2009 vor. Ist das der erste Schritt aus der Verfassungskrise?
Daul: Nein, ich glaube, das ist keine Verfassungskrise. Ich glaube, wenn auch der Name "Verfassung" nicht so gut durchgeht im Moment, ist sich doch jeder bewusst, dass wir neue Regeln haben müssen mit 27, dass also Europa weiter funktionieren soll, so wie es unsere Väter von Europa, Schumann, Adenauer und alle gewollt haben.
Kaess: Warum kommt denn das Wort "Verfassung" nicht vor?
Daul: Ja, ich glaube, das Wort "Verfassung" , das ist das Wort vom Französischen, und das spielt eine kleine Rolle. Der Name auf Französisch Traité, das ist besser angepasst gewesen im Anfang, und dann ist die Verfassung gekommen. Aber ich glaube, den Inhalt muss man sehen, nicht nur das Wort.
Kaess: Aber ist die Berliner Erklärung dann der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die EU-Staaten im Moment einigen können?
Daul: Ich weiß nicht, ob das das kleinste. Aber ich glaube, wir müssen sagen, Europa hat uns Frieden und Zusammenarbeit gebracht, und unsere Probleme, die wir heute haben, so wie Energie, Klimaschutz und Immigration für die Verteidigung, das kann nicht gehen ohne Europa. Und ich glaube, wir müssen auch, ja, eine Verfassung haben, die uns erlaubt weiterzugehen, dass wir nicht mehr die Unanimität haben mit 27. Das ist nicht mehr möglich. Das ist das große Problem.
Kaess: Und kann die Berliner Erklärung eine Plattform für eine Weiterentwicklung dieses Textes sein, der dann schließlich in einer Verfassung mündet?
Daul: Ich glaube, ja. Der Text von Europa, für ein solidarisches Europa, ich glaube, der Text mit den 27, und was letzte Woche die Regierungschefs mit der Bundeskanzlerin gemacht haben für den Klimaschutz, ich glaube, das ist schon sehr gut und sehr wichtig, und die 27 arbeiten weiter miteinander.
Kaess: Deutsche Oppositionspolitiker sind aber enttäuscht über den vagen Inhalt der Berliner Erklärung. Können Sie das nachvollziehen?
Daul: Da gibt es zwei Probleme: Einer ist pessimistisch und der andere bleibt realistisch. Ich bin eher ein Realist und sehe, was wir in 50 Jahren, was uns Europa gebracht hat, Frieden, Zusammenarbeit mit unseren Bürgern, und ich glaube, das ist schon sehr, sehr wichtig, der Frieden. Man denkt nicht genug daran an den Frieden, 60 Jahre Frieden, und auch der Euro. Die Leute sehen nur, was nicht geht. Ich bin eher positiver und sehe die Dinge, die doch ganz eng zusammen weitergehen. Europa geht weiter, und das ist die Hauptsache.
Kaess: Im Tagesgeschäft ist die EU ja zunehmend zerstritten. Wie kann man denn zu einer gemeinsamen Verfassung überhaupt gelangen, wenn man sich schon nicht darüber einigen kann, ob der Euro erwähnt werden darf oder es einen Gottesbezug geben soll?
Daul: Wissen Sie, wenn man für die Verfassung, 18 Länder haben doch schon abgestimmt, Frankreich hat Nein gesagt, ich bin ja auch Franzose, das bedaure ich sehr. Warum haben wir Nein gesagt? Nicht wegen der Verfassung. Wenn wir das Problem nehmen, was im ersten, zweiten Teil, ist gar kein Problem für die Franzosen. Das darf ich heute ganz fest sagen, und Frankreich hat auch Nein gesagt, das Referendum, die Leute haben Nein gesagt, weil sie die Verfassung nicht durchgelesen haben. Und die haben auch nicht nur über die Verfassung abgestimmt. Die haben auch über innere Probleme abgestimmt, und ich glaube, das alles zusammen hat dann die über 50 Prozent gegen die Verfassung gegeben. Aber 47 Prozent haben doch dafür gestimmt.
Kaess: Sie sprechen das Referendum in Frankreich an. Es soll über die Zukunft des Verfassungsvertrages konkret sowieso erst ab Mai beraten werden, nach den französischen Präsidentschaftswahlen also. Das Nein zur EU-Verfassung, welche Chancen sehen Sie, dass ein neuer Entwurf entweder bei der Regierung nach der Wahl oder, sollte er noch mal zur Abstimmung bei den Bürgern gestellt werden, dass diesem Entwurf zugestimmt wird?
Daul: Ja, ich glaube, und natürlich meine Partei, die UNP mit Nicolas Sarkozy, der hat das ganz gut angekündigt, hat gesagt, den ersten und zweiten Teil sofort mit dem Senat und mit dem Parlament, und über den dritten Teil können wir dann ein bisschen weiter sprechen. Das ist Nicolas Sarkozy. Natürlich, die Frau Royal, die sagt, ein Referendum. Aber ich glaube, nach den Wahlen muss man dann wieder sehen. Jeder ist in der Kampagne, aber wir werden auch wieder sehen, wie Europa weitergehen muss, und ich glaube, das ist die Hauptsache. Wir müssen Europa, und da bin ich überzeugt, da ist die ganz große Mehrheit dafür, Europa muss weitergehen.
Kaess: Kommen wir noch mal zur Berliner Erklärung: Die Verhandlungen zu dem Dokument sind geheim gehalten worden. Weder die nationalen Parlamente noch das Europaparlament ist mit einbezogen worden. Fühlen Sie sich da übergangen?
Daul: Nein, ich glaube, ich persönlich fühle mich nicht übergangen. Wir haben direkten Kontakt gehabt mit Hans-Gert Pöttering, mit seinem Kabinett, und haben da zugearbeitet. Und ich glaube, das ist noch keine Verfassung, das ist nur eine Erklärung, und wenn sie dann öffentlich über alle gehen wollen, dann kann man das nicht in einem Monat machen oder zwei Monaten. Das ist nicht möglich.
Kaess: Trotzdem ist der Prozess viel kritisiert worden, und viele sehen darin einen Beleg für die Bürgerferne und die Intransparenz, die ja der der EU so oft vorgeworfen wird.
Daul: Das sind immer wieder dieselben. Man kann ja alles kritisieren.
Kaess: Das heißt, die Kritiker haben nicht Recht?
Daul: Die haben auch Recht. Wenn ich nur auf die Kritiker höre, dann haben die Recht. Aber wenn ich sehe, wie das erarbeitet worden ist, habe ich auch Recht.
Kaess: Man muss ja neben dem Konsens der Staaten für die Berliner Erklärung auch noch die Bürger begeistern. Wie soll das funktionieren?
Daul: Ich glaube, da haben Sie Recht, das Europa der Bürger, und wissen Sie, ich sage jedes Mal, und das habe ich auch schon gesagt, ich bin in Berlin und wir sind in Arbeitsgruppen den ganzen Tag, das habe ich auch meinen Kollegen gesagt, Abgeordneten, Landespolitikern: Wenn wir morgen, jeder Politiker, der mit den Bürgern spricht, drei oder vier Sätze positiv über Europa spricht, dann können die Bürger auch besser über Europa reden. Aber wir sind auch selber ein bisschen schuld. Jedes Mal, wenn etwas nicht geht, ist es wegen Europa, und wenn etwas funktioniert, dann ist es der eigene Staat. Und ich glaube, das ist auch ein Problem der Kommunikation von uns selber, Abgeordnete und Gewählte.
Kaess: Ist die Verfassung in Frankreich und den Niederlanden vor allem deshalb gescheitert, weil man die Bürger nicht mitgenommen hat?
Daul: Man hat die Bürger mitgenommen, aber ich glaube, man hat auch die Bürger nicht schnell genug und nicht lange genug informiert. Das ist auch ein großes Problem gewesen.
Kaess: Hat die deutsche EU-Ratspräsidentschaft denn die Europäische Union vorangebracht bisher?
Daul: Ja, und das sage ich auch ganz, dann sind vielleicht auch meine Kollegen, einige, die immer alles kritisieren, nicht klug genug, um die Wahrheit zu sagen, ich sage: Die Bundeskanzlerin hat eine ganz gute Arbeit gemacht und hauptsächlich beim letzten Gipfel. Die versucht die Leute zusammen und Europa vorwärts zu bringen. Sie macht eine ganz gute Arbeit in diesen sechs Monaten.
Kaess: Heißt das, dass Sie Angela Merkel auch zutrauen, eine Lösung für die Verfassung zu finden?
Daul: Ich hoffe es. Ich wünsche es ihr und werde auch in dieser Richtung mit ihr arbeiten.
Kaess: Vielen Dank für das Gespräch.
Am Telefon ist Joseph Daul. Er ist Vorsitzender der Fraktion der Europäischen Volkspartei und Europäische Demokraten im Europäischen Parlament. Guten Morgen Herr Daul!
Joseph Daul: Guten Morgen!
Kaess: Herr Daul, die Erklärung sieht eine erneuerte gemeinsame Grundlage für die Europäische Union bis zu den Europawahlen im Jahr 2009 vor. Ist das der erste Schritt aus der Verfassungskrise?
Daul: Nein, ich glaube, das ist keine Verfassungskrise. Ich glaube, wenn auch der Name "Verfassung" nicht so gut durchgeht im Moment, ist sich doch jeder bewusst, dass wir neue Regeln haben müssen mit 27, dass also Europa weiter funktionieren soll, so wie es unsere Väter von Europa, Schumann, Adenauer und alle gewollt haben.
Kaess: Warum kommt denn das Wort "Verfassung" nicht vor?
Daul: Ja, ich glaube, das Wort "Verfassung" , das ist das Wort vom Französischen, und das spielt eine kleine Rolle. Der Name auf Französisch Traité, das ist besser angepasst gewesen im Anfang, und dann ist die Verfassung gekommen. Aber ich glaube, den Inhalt muss man sehen, nicht nur das Wort.
Kaess: Aber ist die Berliner Erklärung dann der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich die EU-Staaten im Moment einigen können?
Daul: Ich weiß nicht, ob das das kleinste. Aber ich glaube, wir müssen sagen, Europa hat uns Frieden und Zusammenarbeit gebracht, und unsere Probleme, die wir heute haben, so wie Energie, Klimaschutz und Immigration für die Verteidigung, das kann nicht gehen ohne Europa. Und ich glaube, wir müssen auch, ja, eine Verfassung haben, die uns erlaubt weiterzugehen, dass wir nicht mehr die Unanimität haben mit 27. Das ist nicht mehr möglich. Das ist das große Problem.
Kaess: Und kann die Berliner Erklärung eine Plattform für eine Weiterentwicklung dieses Textes sein, der dann schließlich in einer Verfassung mündet?
Daul: Ich glaube, ja. Der Text von Europa, für ein solidarisches Europa, ich glaube, der Text mit den 27, und was letzte Woche die Regierungschefs mit der Bundeskanzlerin gemacht haben für den Klimaschutz, ich glaube, das ist schon sehr gut und sehr wichtig, und die 27 arbeiten weiter miteinander.
Kaess: Deutsche Oppositionspolitiker sind aber enttäuscht über den vagen Inhalt der Berliner Erklärung. Können Sie das nachvollziehen?
Daul: Da gibt es zwei Probleme: Einer ist pessimistisch und der andere bleibt realistisch. Ich bin eher ein Realist und sehe, was wir in 50 Jahren, was uns Europa gebracht hat, Frieden, Zusammenarbeit mit unseren Bürgern, und ich glaube, das ist schon sehr, sehr wichtig, der Frieden. Man denkt nicht genug daran an den Frieden, 60 Jahre Frieden, und auch der Euro. Die Leute sehen nur, was nicht geht. Ich bin eher positiver und sehe die Dinge, die doch ganz eng zusammen weitergehen. Europa geht weiter, und das ist die Hauptsache.
Kaess: Im Tagesgeschäft ist die EU ja zunehmend zerstritten. Wie kann man denn zu einer gemeinsamen Verfassung überhaupt gelangen, wenn man sich schon nicht darüber einigen kann, ob der Euro erwähnt werden darf oder es einen Gottesbezug geben soll?
Daul: Wissen Sie, wenn man für die Verfassung, 18 Länder haben doch schon abgestimmt, Frankreich hat Nein gesagt, ich bin ja auch Franzose, das bedaure ich sehr. Warum haben wir Nein gesagt? Nicht wegen der Verfassung. Wenn wir das Problem nehmen, was im ersten, zweiten Teil, ist gar kein Problem für die Franzosen. Das darf ich heute ganz fest sagen, und Frankreich hat auch Nein gesagt, das Referendum, die Leute haben Nein gesagt, weil sie die Verfassung nicht durchgelesen haben. Und die haben auch nicht nur über die Verfassung abgestimmt. Die haben auch über innere Probleme abgestimmt, und ich glaube, das alles zusammen hat dann die über 50 Prozent gegen die Verfassung gegeben. Aber 47 Prozent haben doch dafür gestimmt.
Kaess: Sie sprechen das Referendum in Frankreich an. Es soll über die Zukunft des Verfassungsvertrages konkret sowieso erst ab Mai beraten werden, nach den französischen Präsidentschaftswahlen also. Das Nein zur EU-Verfassung, welche Chancen sehen Sie, dass ein neuer Entwurf entweder bei der Regierung nach der Wahl oder, sollte er noch mal zur Abstimmung bei den Bürgern gestellt werden, dass diesem Entwurf zugestimmt wird?
Daul: Ja, ich glaube, und natürlich meine Partei, die UNP mit Nicolas Sarkozy, der hat das ganz gut angekündigt, hat gesagt, den ersten und zweiten Teil sofort mit dem Senat und mit dem Parlament, und über den dritten Teil können wir dann ein bisschen weiter sprechen. Das ist Nicolas Sarkozy. Natürlich, die Frau Royal, die sagt, ein Referendum. Aber ich glaube, nach den Wahlen muss man dann wieder sehen. Jeder ist in der Kampagne, aber wir werden auch wieder sehen, wie Europa weitergehen muss, und ich glaube, das ist die Hauptsache. Wir müssen Europa, und da bin ich überzeugt, da ist die ganz große Mehrheit dafür, Europa muss weitergehen.
Kaess: Kommen wir noch mal zur Berliner Erklärung: Die Verhandlungen zu dem Dokument sind geheim gehalten worden. Weder die nationalen Parlamente noch das Europaparlament ist mit einbezogen worden. Fühlen Sie sich da übergangen?
Daul: Nein, ich glaube, ich persönlich fühle mich nicht übergangen. Wir haben direkten Kontakt gehabt mit Hans-Gert Pöttering, mit seinem Kabinett, und haben da zugearbeitet. Und ich glaube, das ist noch keine Verfassung, das ist nur eine Erklärung, und wenn sie dann öffentlich über alle gehen wollen, dann kann man das nicht in einem Monat machen oder zwei Monaten. Das ist nicht möglich.
Kaess: Trotzdem ist der Prozess viel kritisiert worden, und viele sehen darin einen Beleg für die Bürgerferne und die Intransparenz, die ja der der EU so oft vorgeworfen wird.
Daul: Das sind immer wieder dieselben. Man kann ja alles kritisieren.
Kaess: Das heißt, die Kritiker haben nicht Recht?
Daul: Die haben auch Recht. Wenn ich nur auf die Kritiker höre, dann haben die Recht. Aber wenn ich sehe, wie das erarbeitet worden ist, habe ich auch Recht.
Kaess: Man muss ja neben dem Konsens der Staaten für die Berliner Erklärung auch noch die Bürger begeistern. Wie soll das funktionieren?
Daul: Ich glaube, da haben Sie Recht, das Europa der Bürger, und wissen Sie, ich sage jedes Mal, und das habe ich auch schon gesagt, ich bin in Berlin und wir sind in Arbeitsgruppen den ganzen Tag, das habe ich auch meinen Kollegen gesagt, Abgeordneten, Landespolitikern: Wenn wir morgen, jeder Politiker, der mit den Bürgern spricht, drei oder vier Sätze positiv über Europa spricht, dann können die Bürger auch besser über Europa reden. Aber wir sind auch selber ein bisschen schuld. Jedes Mal, wenn etwas nicht geht, ist es wegen Europa, und wenn etwas funktioniert, dann ist es der eigene Staat. Und ich glaube, das ist auch ein Problem der Kommunikation von uns selber, Abgeordnete und Gewählte.
Kaess: Ist die Verfassung in Frankreich und den Niederlanden vor allem deshalb gescheitert, weil man die Bürger nicht mitgenommen hat?
Daul: Man hat die Bürger mitgenommen, aber ich glaube, man hat auch die Bürger nicht schnell genug und nicht lange genug informiert. Das ist auch ein großes Problem gewesen.
Kaess: Hat die deutsche EU-Ratspräsidentschaft denn die Europäische Union vorangebracht bisher?
Daul: Ja, und das sage ich auch ganz, dann sind vielleicht auch meine Kollegen, einige, die immer alles kritisieren, nicht klug genug, um die Wahrheit zu sagen, ich sage: Die Bundeskanzlerin hat eine ganz gute Arbeit gemacht und hauptsächlich beim letzten Gipfel. Die versucht die Leute zusammen und Europa vorwärts zu bringen. Sie macht eine ganz gute Arbeit in diesen sechs Monaten.
Kaess: Heißt das, dass Sie Angela Merkel auch zutrauen, eine Lösung für die Verfassung zu finden?
Daul: Ich hoffe es. Ich wünsche es ihr und werde auch in dieser Richtung mit ihr arbeiten.
Kaess: Vielen Dank für das Gespräch.