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Europa vor der Wahl

Jedes Land hat da seine eigenen Partikularismen und das führt bei der polizeilichen Zusammenarbeit und bei der Terrorismusbekämpfung dazu, dass es ganz schwer ist, das einfach so zusammenzuwerfen. Und deshalb muss man manchmal auch ein bisschen um Verständnis bitten. Man ist immer ganz schnell dabei zu kritisieren und sagt, das kann alles viel schneller gehen, aber Europa wächst eben zusammen aus der Vielfalt seiner Mitgliedsstaaten, und mit den zehn neuen wird das nicht einfacher werden. Deshalb glaube ich, man braucht bei der organisierten Kriminalität, bei Europol, beim Terrorismus Geduld, und dennoch glaube ich, dass wir sehr weit gekommen sind.

Von Claudia Sanders | 12.05.2004
    Geduld? Es ist eine selten gewordenen Tugend, die Martin Schulz, der SPD-Spitzenkandidat für die Europawahlen, da fordert. Schulz kennt das Geschäft ganz genau, seit zehn Jahren ist er Abgeordneter im Europäischen Parlament, und weiß, an welchen Stellen es im Getriebe knirscht. Dennoch: Es müsse selbstverständlich sein, dass innerhalb Europas eine einheitliche Linie gefunden werde, wenn es um Verbrechen und Terrorismus gehe. Martin Schulz’ Kollege Hans-Gerd Pöttering sieht das ähnlich. Er ist der Spitzenkandidat der CDU, schon seit 25 Jahren im Straßburger Parlament vertreten – kennt die europäische Politik geradezu in– und auswendig - und ist der Vorsitzende der christdemokratischen EVP-ED-Fraktion im europäischen Parlament.

    Ich glaube, das ist nicht nur die Frage der Bekämpfung des Terrorismus, eine Frage nur der polizeilichen Maßnahmen, wobei das sehr wichtig ist. Wir brauchen da auch einen Austausch der Geheimdienstinformationen, und das sollte geschehen durch Europol. Und hier gibt es noch sehr viele Beschränkungen, und die Staaten berufen sich noch viel zu sehr bei den geheimdienstlichen Erkenntnissen auf ihre vermeintliche nationale Souveränität. Wenn wir hier nicht unsere Erkenntnisse austauschen, dann wird es sehr, sehr schwer sein, den Terrorismus zu bekämpfen.

    Um gerade dieses Manko – zu wenig Koordination der Staaten untereinander im Kampf gegen den Terrorismus – zu beseitigen, ist ein Terrorismusbeauftragter und -Koordinator ernannt worden. Und das sei doch eigentlich eine gute Sache, meint Rebecca Harms, die für Bündnis90/Die Grünen die Kandidatenliste zur Europawahl anführt:

    Es ist ja auch mit der Einsetzung von Herrn De Vriess als Terrorismusbeauftragten verbunden worden von der Europäischen Kommission, dass dieser Herr De Vriess als Hauptkoordinator jetzt in dem Bereich Innere Sicherheit den Mitgliedsstaaten dabei helfen soll, ihre Versprechungen, die sie nach dem 11. September gegeben haben, auch tatsächlich zu erfüllen.

    Was der einen jedoch sinnvoll erscheint, löst bei der anderen Stirnrunzeln aus: Silvana Koch-Mehrin zieht für die Liberalen in den Europawahlkampf. Die 33jährige Volkswirtschaftlerin hält von dieser neuen Position nicht besonders viel:

    Und das was in der letzten Regierungskonferenz beschlossen wurde, nämlich ein Koordinator für Terrorismusbekämpfung einzusetzen, dass das eigentlich der gegenteilige Weg war, auch wenn es erst mal anders erscheint, denn im Grunde gibt es ja schon einen Kommissar, der solche Koordinierungstätigkeiten machen sollte. Da braucht man nicht noch im Rat eine Person einzusetzen, die das quasi parallel koordiniert. Das führt wieder zu Kompetenzgewirr und nicht klarer Zuordnung von Verantwortlichkeiten und ist eher ein symbolischer Akt, der aber nicht wirklich was gebracht hat, und so was finde ich ausgesprochen misslich, wenn es darum geht, dass man eigentlich einen Wettlauf gegen die Zeit gewinnen muss.

    Eine bessere Koordination und schnellere Reaktionen im Kampf gegen den Terrorismus, darin sind sich eigentlich alle Parteien einig, wenigstens im Groben. Im Detail sieht das dann freilich schon etwas anders aus. Rebecca Harms von Bündnis90/Die Grünen:

    Wir legen Wert darauf, dass alles, was im Bereich Innere Sicherheit passiert, gerade auch aktuell im Bereich der Terrorismusbekämpfung, dass das im Einklang passiert mit unseren Bürgerrechten, und dass die Entwicklung der Instrumente von Polizei oder auch Verfassungsschutzorganen oder den Diensten, dass die nicht dazu führt, dass Bürgerrechte geschmälert werden.

    Das Bewahren der Bürgerrechte oder die vermeintlich absolute Sicherheit: Nach dem 11. September 2001 und den Attentaten scheinen diese zwei Gegensätze gleichsam zu einem gordischen Knoten geworden zu sein. Dazu beigetragen haben auch die von der amerikanischen Regierung eingeleiteten Verschärfungen: Sie haben u.a. ihre Sicherheitsvorkehrungen auf Flughäfen drastisch erhöht. Dazu gehört auch, dass sie alle Fluggesellschaften weltweit aufforderten, die Daten ihrer Passagiere zu übermitteln, die in die USA fliegen möchten. Andernfalls werde man die Fluggäste nicht einreisen lassen. Rebecca Harms:

    Es gab ein US-europäisches Abkommen über den Austausch von Passagierdaten, und das was da die Europäische Kommission mit der Regierung der Vereinigten Staaten ausgehandelt hatte, war überhaupt nicht vereinbar mit unseren deutschen Normen für den Datenschutz. Das Europäische Parlament klagt übrigens jetzt gegen dieses Abkommen.

    Während das nun die Beziehungen der EU zu anderen Staaten betrifft, möchte Martin Schulz, dass sich wenigstens innerhalb der EU-Staaten etwas Entscheidendes ändert.

    Wir müssen unter Wahrung von datenschutzrechtlichen Grundstandards den Datenaustausch zwischen den Mitgliedsstaaten und den Behörden in den Mitgliedsstaaten beschleunigen. Da gibt es häufig sehr viel Bürokratie und bürokratische Hindernisse, die die polizeiliche Arbeit behindern.

    Und diese "polizeiliche Arbeit" soll verstärkt von Europol übernommen werden. Während Bündnis90/Die Grünen das nur mit wenig Begeisterung feststellen, sehen CDU, FDP und SPD darin eine Chance.

    Ja, Europol muss auch Ermittlungsmöglichkeiten bekommen, d.h. dass Europol durch eine stärkere Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden vor Ort auch Empfehlungen geben kann, wie man es machen möchte und auch konkret Ermittlungen vornehmen kann.

    Also wir sind da sehr stark dafür, dass die europäischen Verfahren und europäischen Initiativen miteinander koordiniert werden sollen. Wir wollen, dass Europol wirklich mit Kompetenzen ausgestattet wird, auch mit einer guten Infrastruktur auch personell vergrößert wird, wir wollen, dass der europäische Haftbefehl kommt, dass die europäische Staatsanwaltschaft kommt und wollen auch, dass die verschiedenen Landesämter stark miteinander verknüpft werden.

    Eindeutig, ich bin seit jeher jemand, der für die Übertragung von zusätzlichen Rechten auf die europäische Polizei plädiert. Es wäre gut, wenn wir, wir werden sicher kein europäisches FBI bekommen, weil die EU kein Bundesstaat ist wie die USA, aber wenn wir schon die Möglichkeit hätten, dass die Experten von Europol in bestimmten Ermittlungskomplexen auch lenkend auftreten könnten, nie die nationale Polizei ersetzend, das wird in Europa eh’ nicht gehen, aber durchaus lenkend, verknüpfend.

    Ein Punkt jedoch bereitet fast allen Europa-Spitzenkandidaten Unbehagen. Die Europol-Beamten genießen wie Abgeordnete Immunität. Wenn aber die Europol-Mitarbeiter noch mehr Befugnisse bekommen, bleiben sie dann immun?
    Dürften sie während der Dienstzeit Grenzen überschreiten, gar Straftaten begehen, ohne dass man sie belangen kann? Der Sozialdemokrat Martin Schulz:


    Ich weiß übrigens, dass die Europol-Leute selbst das gar nicht wollen, weil sie sich ja keinem Verdacht aussetzen wollen. Also ich würde sagen, wir müssen sicherlich irgendwann mal über dieses Immunitätsprotokoll reden. Man muss aber fairerweise auch sagen, warum es das überhaupt gibt. Weil Europol eben keine Organisation der EU alleine ist, also nicht angesiedelt ist im Rahmen eines europäischen Rechts, sondern weil die Europol-Beamten aus der nationalen Ebene in die EU-Ebene entsandte Beamte sind, die aber nach wie vor nationale Beamte bleiben, haben sie Diplomatenstatus. Und aus diesem Diplomatenstatus ergibt sich eine gewisse Art der Immunität.

    Doch diese Immunität wird deshalb von den meisten Spitzenkandidaten kritisch bewertet, weil Europol noch nicht einer parlamentarischen Kontrolle unterliegt. Hans Gerd Pöttering von den Christdemokraten:

    Ja, das ist eine Frage, die sehr intensiver Bemühungen und Untersuchungen bedarf. Ich bin für diese Frage nicht der absolute Experte, aber wenn man Europol weiterentwickelt zu einer europäischen Behörde dann wird man sicher auch darüber nachdenken müssen, ob man die Immunität aufhebt.

    Weniger kritisch, aber vorsichtig ist Silvana Koch Mehrin von der FDP:

    Ich glaube, das muss man für die jeweiligen Bereiche sehen. Wenn man Europol mehr Befugnisse gibt, heißt das ja auch, dass es in mehr Bereichen möglicherweise aktiv wird, und ich denke, die Beamten, die an ganz brenzligen Fällen arbeiten sollten für die Zeit dann auch eine gewisse Immunität behalten. Ich glaube nicht, dass man das zum grundsätzlichen Prinzip machen sollte.

    Und geradezu empört zeigt sich Rebecca Harms von Bündnis90/Die Grünen:

    Da kann ich eindeutig sagen, ich wäre dann der Auffassung, dass wenn es diese Immunität gibt, dann muss diese Immunität wenn es Zweifel am Vorgehen der Beamten gibt, dann muss diese Immunität auch aufgehoben werden können, und das Handeln muss überprüft werden.

    Nach heutigem Sachstand ist Europol bisher im eigentlichen Sinne noch keine Institution der EU sondern ein Projekt, das einvernehmlich von allen Mitgliedsstaaten gefördert wird. In der Praxis mag das erst einmal keine Rolle spielen, tatsächlich aber sind dafür die bürokratischen Hemmnisse um so höher.

    Und wir müssen vor allen Dingen erreichen, dass Europol auch leichter in seinen Aufgaben finanziell unterstützt werden kann. Heute ist das System so, wenn Europol eine finanzielle Ausstattung bekommen soll, dann machen das die Mitgliedsstaaten und, wir wären dafür als europäischen Volkspartei als CDU in Deutschland, dass wir Europol, wie man es etwas technisch formuliert, "vergemeinschaften", d.h. dass wir durch den europäischen Gemeinschaftshaushalt Europol auch finanziell unterstützen können, so dass Europol die notwendigen Ermittlungstätigkeiten vornehmen kann, und das ist mit dem europäischen Haushalt sehr viel leichter zu gestalten, als wenn man jetzt in Zukunft alle 25 Länder dafür gewinnen muss, einen finanziellen Beitrag zu leisten.


    Die Diskussion darüber, welche Kompetenzen Europol haben sollte, dauert schon eine ganze Zeit lang an. Genaugenommen so lange, wie es Europol schon gibt. Und so langsam, meint Martin Schulz, müsse auch einmal gehandelt werden.

    Und bei der Inneren Sicherheit geht’s vor allen Dingen darum, dass bei der Bekämpfung der Schwerstkriminalität und des Terrorismus Europol, also das europäische Polizeiamt, tatsächlich auch gestärkt wird. Das darf nicht immer nur angekündigt werden, das muss auch irgendwann mal umgesetzt werden.

    Auch schon lange diskutiert wird die Frage, wie denn die europäischen Außengrenzen abgesichert sein sollten. Gerade mit der jetzt vollzogenen EU-Erweiterung ist das durchaus ein brisantes Thema, dem sich alle Parteien in ihrem EU-Wahlprogramm widmen.

    Jetzt stellt sich die Frage: Können wir Finnland damit alleine lassen oder muss das nicht die EU insgesamt machen. Denn für die Finnen alleine, die schützen ja die Deutschen, Franzosen, Spanier, die Portugiesen, wen auch immer, man kann diese Last nicht alleine einem Land zurechnen, das gleiche gilt für Italien, für Frankreich und Spanien, denken Sie mal an die Straße von Gibraltar, überhaupt an die Mittelmeerküste, was Spanien jedes Jahr für Aufwendungen leisten muss um da die Grenze zu schützen. Besser wäre es also, man lässt es nicht den Staaten alleine sondern man macht es im Verbund der EU.

    Nicht einer alleine solle agieren, sondern dies sei eine Gemeinschaftsaufgabe, meint auch Hans-Gerd Pöttering (CDU):

    Hier müssen wir eine gemeinsame Grenzsicherung zu diesen Drittstaaten machen, und hier wird es notwendig sein, einen solchen europäischen Grenzschutz zu haben, also einen Grenzschutz der besteht aus Angehörigen mehrerer Nationen, die dann die Grenzsicherung gemeinsam vornehmen, weil das ja auch eine gemeinsame Außengrenze für viele Staaten der EU ist, und ich bin sehr angetan, welche Bemühungen die Länder, gerade auch die baltischen Länder machen, wo ich kürzlich gewesen bin, und wie mir dort von den verantwortlichen Politikern und Sicherheitsleuten bestätigt worden ist, dass sie alles tun, die Grenzen dort sicherer zu machen im Rahmen dieses so genannten Schengener Systems, das wir ja in der EU entwickelt haben.

    Und Silvana Koch-Mehrin formuliert aus, was auch SPD und CDU in ihren Wahlprogrammen festgeschrieben haben:

    Man sollte erreichen, dass es eine gemeinsame europäische Grenzpolizei gibt und auch wirklich gute koordinierte Tätigkeiten.

    Und wie solch eine Grenzpolizei in Zukunft arbeiten könnte, weiß Martin Schulz schon recht genau:

    Ja, auf Dauer wird das gar nicht anders gehen. Es wird auf Dauer dazu kommen müssen, dass die Mitgliedsländer selbst nach wie vor ihre Polizeitruppen da im Einsatz haben. Die italienische Küstenwache wird die italienische Küstenwacht bleiben, aber sie wird sicherlich unter dem Schirm einer europäischen Organisation dann arbeiten und vor allen Dingen die Lasten, die damit verbunden sind, finanzielle Lasten vor allen Dingen aber auch die gesetzgeberischen Regeln, die dazu notwendig sind, die werden verteilt werden müssen und werden organisiert werden müssen unter allen Mitgliedsstaaten.

    Bündnis90/Die Grünen stehen solchen Gedanken jedoch weniger positiv gegenüber. Sie befürchten, dass es nicht nur bei "einfachen" Grenz-Kontrollen bleiben wird:

    Also, wir sind der Auffassung, dass die Europäische Union auf keinen Fall sich entwickeln darf zu einem Raum der sich international abschottet. .....Ich habe immer wieder in den letzten Wochen darüber diskutiert, wie sich die neuen Grenzen der EU entwickeln und ich glaube, dass wir einen großen Fehler machen wenn wir tatsächlich so eine Militarisierung an den Außengrenzen etablieren.

    Während bei diesen Themen noch mehr oder minder Einigkeit zwischen den Parteien herrscht, sieht das bei der Zuwanderung schon ganz anders aus. Wie in der deutschen Innenpolitik wird auch auf europäischer Ebene heftig diskutiert, wie die Zuwanderung in die Europäischen Union gesteuert werden kann

    Uns ist wichtig, dass das ganze Thema diskutiert wird auf Grundlage von Menschenrechten, dass es nicht darum geht, dass sich Europa abschottet und eine Bastion gegen Menschen wird, die hierher kommen wollen, sondern dass Regeln gefunden werden, die eine Zuwanderung, die Asylbewerber und Flüchtlinge hier adäquat berücksichtigen.

    Der Christdemokrat Hans Gerd Pöttering möchte als Grundlage dieser Debatte aber noch etwas anderes berücksichtigt wissen:

    Und was die Länder angeht, aus denen Menschen zu uns strömen wollen, so würde ich es moralisch nicht in Ordnung finden, wenn wir die gutausgebildeten Menschen aus den Ländern der Dritten Welt beispielsweise zu uns nach Europa holen, in die BRD holen, denn dann würden wir diesen Ländern auch Entwicklungschancen nehmen. Das ist natürlich jetzt eine Betrachtung, die sich sehr nach den Kriterien orientiert, was richtig und was nicht richtig ist. Natürlich gibt es auch immer Zwischenlösungen, über die kann man natürlich reden, aber generell möchte ich schon in aller Klarheit und Deutlichkeit sagen, dass Zuwanderung weder die Probleme bei uns löst noch in den Ländern der dritten Welt.


    Konkrete, bis ins Detail ausgearbeitete Pläne zu einer zukünftigen Zuwanderungspolitik fehlen in allen Parteiprogrammen. Das Grundsätzliche hingegen nicht. Rebecca Harms von Bündnis90/Die Grünen:

    Wir sind der Auffassung, dass die Armutsbekämpfung und die Konfliktverhütung und auch dann der Aufbau und die Festigung demokratischer Strukturen da, wo die Ursachen für Flucht und dann den Asylantrag in Europa dann passieren, also in den Ländern, in denen die Verfolgung ihre Ursache hat, dass das Grundlage von Sicherheitspolitik sein muss.

    Ausführlicher sind dagegen die Programme, wenn es um das Thema Asyl geht. Hans-Gerd Pöttering:

    Also wir brauchen sicher gemeinschaftsweite, also EU-weite Regelungen, und wir haben ja in der BRD was die Asylverfahren angeht und das Herkommen von asylbegehrenden Ausländern, in denen geordnete rechtsstaatliche Verhältnisse anzutreffen sind, eine vernünftige Regelung, insofern wäre eine europäische Regelung in diesem Sinne sehr akzeptabel.

    Bündnisgrüne und FDP möchten dagegen gerne noch die Liste der möglichen Asylgründe erweitern. Rebecca Harms und Silvana-Koch Mehrin:

    Das ist eine ganz alte Forderung von uns Grünen, weil es eben auch diese geschlechtsspezifische Verfolgung gibt, von der wir meinen, dass sie unbedingt als Fluchtgrund anerkannt werden muss, als Flucht- und Asylgrund anerkannt werden muss.

    Also es gibt ja schon einen Richtlinienbeschluss hinsichtlich des Flüchtlingsstatus, den begrüßen wir auch, haben allerdings Fragezeichen, was die genaue Definition z.B. der Verfolgung aufgrund von Geschlecht angeht, da ist uns die Begrifflichkeit noch viel zu schwammig und haben da die Befürchtung, dass das eine Auslegung ergeben könnte, die dazu führt, dass solche Flüchtlinge dann doch nicht anerkannt werden. Also hier wollen wir, dass das präziser gemacht wird, d.h. was heißt genau Verfolgung wegen Geschlecht.

    Und dazu ist auf europäischer Ebene auch einiges in Bewegung. Denn nicht nur die Gründe, warum jemand Asyl beantragt, spielen eine Rolle. Auch von wo jemand einreist ist wesentlich. Und das wird mit der so genannten Drittstaatenregelung festgeschrieben, die schon in Deutschland praktiziert wird. Sie soll nun auch europaweit angewendet werden, das heißt, wer über ein "sicheres" Land in die EU einreist, muss dorthin wieder zurückkehren.

    Was das Thema Asyl angeht, da ist schon eine politische Entscheidung zwischen den Innenministern erzielt worden, und da wird es möglicherweise so sein, dass eine der deutschen Regeln diese sicher Drittstaatenregel auf europäischer Ebene übernommen wird, und da haben wir die große Befürchtung, dass aber nicht gleichzeitig die Voraussetzung, dass die Genfer Flüchtlingskonvention nicht nur anerkannt und unterzeichnet, sondern auch wirklich berücksichtigt wird.

    Während Hans-Gerd Pöttering die Drittstaatenregelung vernünftig findet, hat sein sozialdemokratischer Kollege Martin Schulz da allerdings noch einige Bedenken:

    Das ist ein extrem schwieriges Problem. Die Drittstaatenregelung ist hochumstritten, sie ist auch im Europäischen Parlament umstritten, sie ist auch quer durch alle Parteien umstritten. Ich persönlich habe unter ganz bestimmten Kriterien, die diese Drittstaaten zu erfüllen haben, keine Bedenken gegenüber der Drittstaatenregelung. Mein Problem liegt nur darin, dass man sehr genau definieren muss, welche Standards muss ein so genanntes sicheres Drittland tatsächlich erfüllen, damit es den Status eines solchen auch bekommen kann....
    Und da liegen, glaube ich, ein paar Probleme, dass in der Liste der Drittstaaten Länder sind, die hart am Rande dessen operieren, was man akzeptieren kann.