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Europäische Asylreform
Dänemarks Abschottungspolitik

Bei der Entscheidung über eine mögliche europäische Asylpolitik spielen auch die einstigen liberalen Hochburgen im Norden Europas eine Rolle. Doch dort ist die Zeitenwende längst vollzogen - so schottet sich Dänemark seit Jahren gegen Asylbewerber ab. Und hat auch seine eigenen Pläne für die EU.

Von Jana Sinram | 28.06.2018
    Der dänische Ministerpräsident Lars Lokke Rasmussen steigt aus einem Auto aus.
    Der dänische Ministerpräsident Lars Lokke Rasmussen ist überzeugt, dass Europa ein völlig neues Asylsystem braucht (dpa / ETIENNE LAURENT)
    Ein sonniger Tag Anfang Juni. Dänemarks Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen steht auf einer Wiese, schwarzer Anzug, weißes Hemd, keine Krawatte. Es ist Nationalfeiertag, Rasmussen schüttelt Hände, macht Selfies mit Bürgern, sehen kann man das mit Musik untermalt in einem Video auf seiner Facebook-Seite. Der Ministerpräsident demonstriert Volksnähe – und widmet sich kurz darauf am Rednerpult den großen Fragen der europäischen Politik.
    "Als vor ein paar Jahren die Grenzen offen waren und mehr als eine Million Asylsuchende nach Europa kam, war Dänemark eines der ersten Länder, die die Flüchtlingskrise wirklich ernst genommen haben. Hier zu Hause in Dänemark, wo wir unsere Gesetze massiv verschärft haben, und auch international."
    Er sei überzeugt, dass Europa ein völlig neues Asylsystem brauche, sagt Rasmussen.
    "Selbstverständlich muss es die Möglichkeit geben, Hilfe zu bekommen, wenn man aus der Not heraus flieht. Aber das bedeutet nicht, dass Flüchtlinge frei über ihr Asylland entscheiden dürfen. Schleuser dürfen nicht darüber bestimmen, wer es nach Dänemark schafft."
    Empfangs- und Sendezentren
    Rasmussen hat einen konkreten Plan: Er will Empfangs- und Sendezentren für abgelehnte Asylbewerber einrichten. In Europa, aber außerhalb der EU – an einem "nicht sonderlich attraktiven Ort", so beschrieb es der Ministerpräsident in einem Interview. Noch in diesem Jahr will Rasmussen gemeinsam mit Österreich ein Pilotprojekt umsetzen. Auch in Sachen Grenzsicherung steht er an der Seite von Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz und der von ihm ausgerufenen "Achse der Willigen".
    Das Freiwilligenhaus der Dänischen Flüchtlingshilfe im Zentrum von Kopenhagen. Ein paar junge und viele ältere Dänen sitzen auf knallgelben Stühlen im Kreis und trinken Kaffee, am Tisch nebenan beugen sich zwei dunkelhäutige Frauen mit Kopftuch konzentriert über ein Vokabelheft.
    "Was bedeutet kämmen und wie wird das Verb gebeugt?" Das will ein junger Mann aus dem Sudan von seinem dänischen Nachhilfelehrer wissen. Im Freiwilligenhaus bekommen Asylsuchende und andere Einwanderer Hilfe beim Dänisch lernen und bei der Jobsuche, es gibt Spielenachmittage und Fahrradkurse für Frauen.
    8.000 Freiwillige engagieren sich in Projekten der Dänischen Flüchtlingshilfe, einer der größten Nicht-Regierungs-Organisationen des Landes. Unvergessen sind für viele die Bilder aus dem Jahr 2015, als Züge voller Flüchtlinge über die deutsch-dänische Grenze rollten. Etwa 21.000 Menschen beantragten damals Asyl in Dänemark. Dieses Jahr erwartet die Regierung in Kopenhagen nur noch etwa 1.000 neue Asylanträge.
    Differenz zwischen Diskurs und Realität
    Sie könne sich daran nicht erinnern, dass die Zahl jemals so niedrig gewesen sei, sagt Annette Christoffersen, Integrationsdirektorin bei der Dänischen Flüchtlingshilfe. In der politischen Debatte spiegele sich der Rückgang allerdings nicht – im Gegenteil: "Es wird weiter als großes Problem dargestellt, als gäbe es immer noch diesen riesigen Druck an den dänischen Grenzen. Es gibt eine erhebliche Differenz zwischen der Realität und dem politischen Diskurs."
    Man sieht dänische Polizisten am Grenzübergang Harrislee in Schleswig-Holstein.
    Dänemark kontrolliert Einreisenden aus Deutschland an der Grenze. (picture-alliance / dpa / Benjamin Nolte)
    89 Verschärfungen im Asyl- und Einwanderungsrecht hat die rechtsliberale dänische Minderheitsregierung seit ihrem Amtsantritt 2015 durchgesetzt. Das verkündet ein grellblauer Zähler auf der Internetseite des Integrationsministeriums. Ministerin Inger Støjberg formuliert sehr deutlich, was sie damit erreichen will: Dänemark soll möglichst unattraktiv für Flüchtlinge werden. "Wir haben die finanzielle Unterstützung für Asylbewerber halbiert und außerdem das Recht auf Familienzusammenführung für die meisten Flüchtlinge ausgesetzt."
    Das sind aus Støjbergs Sicht die wichtigsten der 89 Änderungen. Frühestens drei Jahre nach einem abgeschlossenen Asylverfahren dürfen Flüchtlinge mit einem temporären Schutzstatus in Dänemark einen Antrag auf Familiennachzug stellen. Hilfsorganisationen wie die Dänische Flüchtlingshilfe kritisieren das Gesetz scharf, Støjberg verteidigt es als dringend notwendig:
    "Denn habe keinen Zweifel daran, dass die Zahl der Neuankömmlinge eine Bedeutung hat. Es ist entscheidend, wie viele Menschen mit einer ganz anderen Kultur in ein Land kommen. Mein Ziel ist ganz klar, dass künftige Generationen noch das Dänemark mit dem Wertesystem erleben, das wir heute kennen."
    Einfache Mehrheitsfindung
    Politische Mehrheiten für ihre harte Linie hat die rechtsliberale Minderheitsregierung in den vergangenen Jahren problemlos gefunden. Neben den drei bürgerlichen Koalitionspartnern und der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei stimmten zuletzt häufig auch die Sozialdemokraten für Verschärfungen.
    Liberalismus, Freiheit und Gemeinschaft, zählt Ministerpräsident Rasmussen in seiner Rede zum Nationalfeiertag auf. Diese drei Werte hielten die Dänen zusammen – und sie gerieten zunehmend unter Druck, wenn zu viele Migranten aus nicht-westlichen Ländern kämen. Deshalb werde er sich allen politischen Widrigkeiten zum Trotz für eine rasche Reform des europäischen Asylsystems einsetzen, versprach der Ministerpräsident: "Denn wenn wir unsere Werte erhalten wollen, müssen die Dänen spüren, dass wir für sie kämpfen. Für die Dänen und für unsere Werte. Denn sonst verlieren wir den Rückhalt für unsere offene Gesellschaft und den Glauben an die Zukunft."