Freitag, 19. April 2024

Europäische Betriebsräte
Der zahnlose Tiger soll ein wenig beißen können

Echte Mitbestimmung ist für Europäische Betriebsräte in transnationalen Konzernen nicht vorgesehen. Aber zumindest die Informationsrechte sollen gestärkt werden – so will es das EU-Parlament.

29.03.2023
Illustration von Menschen die Sprechblasen verbinden, die aussehen wie Puzzleteile.
Europäische Betriebsräte sind mit weniger Rechten ausgestattet als die nationalen Betriebsräte. Das soll sich nun ändern. (imago / Ikon Images / Elly Walton)
Das Europäische Parlament will die Europäischen Betriebsräte (EBR) stärken. Eine Mehrheit der Abgeordneten stimmte Anfang Februar für einen legislativen Initiativbericht. Die EU-Kommission wird darin aufgefordert, die Richtlinie für europäische Betriebsräte aus dem Jahr 2009 zu überarbeiten. Verfasser des Initiativberichts ist das EVP-Fraktionsmitglied Dennis Radtke. Dem CDU-Politiker geht es darum, "europäisches Recht zu stärken". So sollen die Strafen bei Verstoß gegen die Rechte der EBR erhöht und ein Rechtsschutz eingeführt werden.
Wie es mit den Regeln für Europäische Betriebsräte weitergeht, entscheidet sich bis Ende des Jahres. Bis dahin will die EU-Kommission, nach der Konsultation der Sozialpartner – also Gewerkschaften und Arbeitgeberverbänden –, einen Vorschlag zur Reform der Richtlinie vorlegen.

Was ist ein Europäischer Betriebsrat?

Der Europäische Betriebsrat (EBR) ist eine Arbeitnehmervertretung in grenzüberschreitend tätigen Unternehmen in der Europäischen Union bzw. im Europäischen Wirtschaftsraum. Ein EBR besitzt das Recht auf Information und Anhörung durch die Unternehmensleitung. Dies beschränkt sich indes auf Entscheidungen und Entwicklungen, die grenzüberschreitende Auswirkungen auf die Arbeitnehmer des Unternehmens haben.

Wie viele Europäische Betriebsräte gibt es und seit wann?

Es gibt etwa 1.200 Europäische Betriebsräte in Europa, vor allem in börsennotierten Unternehmen. Die meisten sind Konzerne mit Hauptsitz in Deutschland.
Die Idee zu den EBR kam bereits in den 70er- und 80er-Jahren während der zunehmenden Internationalisierung von Unternehmen auf. Doch bis Anfang der 90er-Jahre erschwerten die Europäischen Verträge die Einrichtung der EBR. Großbritannien und Portugal hatten stets blockiert. So verfolgte die britische Premierministerin Margaret Thatcher in den 80er-Jahren das Ziel, die Macht der Gewerkschaften und Arbeitnehmendenvertretungen zu schwächen.
1994 konnte die Richtlinie dann aber in Kraft treten und wurde in den folgenden Jahren in nationales Recht umgesetzt. Ein Großteil der heute existierenden Europäischen Betriebsräte wurde in dieser Anfangszeit gegründet.

Wann kann ein Europäischer Betriebsrat gegründet werden?

Gegründet werden können Europäische Betriebsräte in Unternehmen mit mehr als 1.000 Mitarbeitenden, die in mindestens zwei europäischen Ländern Standorte betreiben und dort jeweils mindestens 150 Beschäftigte haben.
Hat ein Unternehmen oder eine Unternehmensgruppe zum Beispiel 850 Beschäftigte in Deutschland und weitere 150 in Frankreich oder Schweden, dann kann in dem Land, wo die meisten Mitarbeiter angestellt sind, ein EBR auf Grundlage des jeweils vor Ort geltenden Rechts gebildet werden.

Welche Rechte haben Europäische Betriebsräte?

Anders als bei den deutschen Betriebsräten gibt es für die auf EU-Ebene keine Mitbestimmungsrechte. Unternehmensentscheidungen hängen nicht von deren Zustimmung ab. Insgesamt sind nur wenige EBRs, schätzungsweise drei Prozent, anerkannte Verhandlungspartner des Managements und haben weitergehende Befugnisse eingeräumt bekommen.
Die Rechte eines EBR beschränken sich auf Information und Anhörung durch die Firmenleitung. So muss das Gremium beispielsweise informiert werden, wenn an einem europäischen Standort Stellen abgebaut oder Produktionen verlagert werden sollen. Auch mit Themen wie Gesundheitsschutz befasst sich der EBR.
Die Rechte der EBR werden aber häufig ignoriert, denn die Sanktionsmöglichkeiten sind schlecht: Weil es in vielen EU-Staaten keine Arbeitsgerichte gibt, suchten einige EBR bis zu zwei Jahre nach einem zuständigen Gericht.

Wie sollen die Europäischen Betriebsräte gestärkt werden?

Anfang Februar hatte ein Antrag des CDU-Europa-Abgeordneten Dennis Radtke an das EU-Parlament Erfolg, die europäische Richtlinie zu EBR aus dem Jahr 2009 zu überarbeiten. Das Argument dabei ist, wegen der Europäisierung und Internationalisierung der Managemententscheidungen muss es diese auch aufseiten der EBR geben. Radtke schwebt dabei keine Superinstanz vor, die den nationalen Gremien übergeordnet ist. Es gehe ihm um eine frühzeitige Information auf nationaler und europäischer Mitbestimmungsebene.
Das Europaparlament schlägt deshalb eine Vielzahl an Änderungen vor. So sollen die Strafen bei Verstoß gegen die Rechte des EBR erhöht werden. Bislang lagen die je nach Mitgliedsstaat bei maximal rund 190.000 Euro; oftmals wurden nur einige tausend Euro fällig.
Das EU-Parlament plädiert dafür, den Bußgeldkatalog an den der Datenschutzgrundverordnung anzupassen: Zwei Prozent des globalen Jahresumsatzes als Strafe bei unabsichtlichem Verstoß, vier Prozent bei absichtlichem. Außerdem soll der sogenannte einstweilige Rechtsschutz eingeführt werden. Damit könnten EBR Vorhaben der Unternehmensleitung stoppen, bis sie vorschriftsgemäß informiert und angehört wurden.

Was halten die Unternehmen von den geforderten Reformen?

Für Arbeitgebervertreter gehen die Pläne für die Reform der EU-Richtlinie zu weit. Sie fürchten, dass Europäische Betriebsräte anders als bislang zu Gremien der echten Mitbestimmung werden. Als Argument dient die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen. So glaubt Oliver Zander, Hauptgeschäftsführer des deutschen Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, dass ein einstweiliger Rechtsschutz eine Verfügung gegen Unternehmensentscheidungen bedeuten würde.
Für den Gesamtmetall-Geschäftsführer gefährdet die geplante Reform, das Miteinander und das bislang positive Image der Europäischen Betriebsräte. Die deutschen Maßstäbe der Mitbestimmung auf gesamteuropäischer Ebene anzulegen, sei nicht ratsam.
Quellen: Deutschlandfunk, Katharina Peetz, ver.di, mick