Dienstag, 19. März 2024

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Europäische Fußball-Superliga
"Ein beispielloser Vorgang"

Mehrere europäische Topclubs haben mit konkreten Plänen für eine exklusive Superliga Aufsehen erregt. Statt sich sportlich für die Champions League zu qualifizieren, sollen nur 16 Mannschaften fix dabei sein, erklärt Sportjournalist Thomas Kistner im Dlf.

Thomas Kistner im Gespräch mit Raphael Späth | 18.04.2021
UEFA-Präsident Aleksander Ceferin und der ECA-Vorsitzende Andrea Agnelli bei einer Pressekonferenz in Brüssel am 20.11.2018
UEFA-Präsident Aleksander Ceferin und der ECA-Vorsitzende Andrea Agnelli (2018) (imago sportfotodienst)
Einen Tag vor der UEFA-Exektutivsitzung über mögliche Champions-League-Reformen hat der Chef der Club-Vereinigung ECA, Andrea Agnelli, dem europäischen Fußballverband UEFA angekündigt, dass ein Dutzend europäischer Topclubs sich mit einer eigenen Liga abspalten wollen. Darunter Agnellis eigener Club Juventus Turin. "Dieser Vorgang ist ohne Frage beispiellos", sagt Thomas Kistner von der Süddeutschen Zeitung und erklärt die Pläne genauer:
"Zu den bisherigen Abspaltern zählen die englischen Teams Liverpool, Manchester United und Manchester City, Tottenham, Chelsea und Arsenal. Aus Spanien sind Real Madrid und der FC Barcelona bereits bekannt. Hinzu kommen Italiens drei Spitzenklubs: eben Juventus, sowie die beiden Mailänder Vereine AC und Inter.
Angepeilt wird ein Wettbewerb mit 16 ständigen Mitgliedern und vier Qualifikanten. Gespielt werden soll in zwei Zehnergruppen, wobei sich die jeweils besten vier dann für eine K.O.-Phase qualifizieren. Gespielt werden soll unter der Woche, nur das Finale soll am Wochenende stattfinden. Und jedem der ständigen Mitglieder wird Dokumenten zufolge 350 Millionen Euro fix in Aussicht gestellt. Prämien kämen noch dazu."
Thomas Kistner, Sportredakteur bei der "Süddeutschen Zeitung" und Buchautor bei der Sportkonferenz "Echt Sport?!" 2012 beim Deutschlandfunk
Thomas Kistner, Sportredakteur bei der "Süddeutschen Zeitung" und Buchautor. (Deutschlandradio - Hendrik Maaßen)

Dortmund und Bayern müssen sich positionieren

Die Ablehnung der Pläne folgte prompt und zahlreich: Die UEFA drohte mit Ausschluss aus allen nationalen und internationalen Wettbewerben. Eine Drohung, die nicht nur die Vereine, sondern auch ihre Spieler und deren Engagement in Nationalmannschaften betreffen würde. Die betroffenen nationalen Verbände und Ligen schlossen sich an, ebenso die DFL und sogar der französische Präsident Macron. Auch Fanvereinigungen meldeten sich zu Wort. Für Kistner richtungsweisend, denn die Basis werde mitzuentscheiden haben. Und in Deutschland gilt für Kistner:
"Aber auch Klubs wie Bayern oder Dortmund sollten nun noch einmal klar sagen, wo sie in diesem Kampf stehen, also bei der ECA oder bei der UEFA."
Ein Ball aus der Saison 2019/20 der Champions League
Vor UEFA-Treffen - Kritik an Reform der Champions League
(Ursprünglich wollte das UEFA-Exekutivkomitee bei seiner Sitzung am Mittwoch über die umstrittene Reform der Champions-League ab 2024 abstimmen. Doch die Abstimmung wurde auf den 19. April vertagt. Der Grund ist offenbar ein Streit zwischen UEFA und der Klubvereinigung ECA.
Die UEFA habe bereits Kontakt zur EU aufgenommen, die schon zuvor Schutz für das Sportsystem zugesichert habe. Kistner erwartet nun, dass es einen Schulterschluss aller anderen Vereine mit der UEFA geben wird. Die könnte unter diesem Eindruck das Gespenst Superliga sogar langfristig vertreiben und möglicherweise die Champions League sogar weniger reformieren, als geplant.

München könnte EM-Ausrichtungsstatus verlieren

Die Verkündung der Spielorte der EM werde augrund der ECA-Ankündigung wie alle anderen Themen der UEFA-Tagung nun eher untergehen, meint Kistner. Tendenzielle könnte München den Ausrichterstatus verlieren, weil es keine Zuschauer bei den Spielen garantieren kann oder will.
Einige wenige Zuschauer im San Siro Stadion in Mailand beim Spiel gegen Mönchengladbach im Oktober 2020 mit Abstand und Mund-Nasenschutz.
Fußball-EM vor Zuschauern? - „Die Anreise ist die Krux“
Der Aerosolexperte Gerhard Scheuch ist überzeugt, dass mit Blick auf die Fußball-EM Zuschauer mit Masken im Stadion keine große Corona-Infektionsquelle darstellen. Scheuch sagte im Dlf, auch kurzzeitiger Jubel stelle keine Gefahr dar. Das große Problem seien die An- und Abreise sowie der Aufenthalt in den Innenräumen der Stadien.
Einen Sonderweg für Deutschland findet Kistner eher unwarhrscheinlich, sieht die Stimmung am UEFA-Hauptquartier in der Schweiz so:
"Wenn den Deutschen dieses Fußballturnier zu riskant ist, dann ist das mehr als verständlich. Dann brauchen sich die Deutschen da aber auch nicht mit leeren Stadien hindurchquälen. Das sind bisher die Signale in Nyon, wo auf die unterschiedlichen Situationen und Herangehensweise natürlich in verschiedenen Ländern verwiesen wird."

"Koch, ein ewiger Taktierer"

Auch über den Verbleib des Vizepräsidenten des Deutschen Fußball-Bundes im Exekutivkomitee der UEFA wird dann abgestimmt. Koch möchte wiedergewählt werden. UEFA-Chef Ceferin wolle den einzigen Deutschen im Komitee eher nicht, meint Kistner. "Rainer Koch wird dort nicht als verlässlicher Mitstreiter geschätzt. Er gilt manchen sogar als stiller Parteigänger von FIFA-Boss Gianni Infantino." Infantino wird wiederum vorgeworfen, er unterstütze eine abgespaltene europäische Superliga.
Thomas Kistner prognostiziert nun, dass Koch im Komitee bei den anstehenden, richtungsweisenden Entscheidungen wenig Einfluss nehmen wird: "Rainer Koch ist ein ewiger, im deutschen Fußball schon geradezu legendärer Taktierer. Auch deshalb darf man die Einschätzung wagen, er wird zu den Reizthemen des Weltfußballs morgen in der Schweiz nichts beisteuern. Jedenfalls nichts, was irgendwie seine eigenen persönlichen Interessen in der UEFA und in deren gut dotierten Ämtern gefährden könnte. Wie gesagt, er will wiedergewählt werden."
Auch innerhalb des DFB gerate Koch, der für den Amateurbereich zuständig ist, unter Druck, sagt Kistner: Die Amateure fordern in einem Brief einen Schnitt, benennen die Lager klar. In einem Entwurf verorten sie Koch bei Generalsekretär Friedrich Curtius und den "gestrigen" Funktionären. Die Amateure, für die Koch eigentlich stehen soll, sprächen sich dagegen für den Präsidenten Fritz Keller aus.