
Thielko Grieß: Es klingt wie eine geniale Idee, wie eine geniale Geldvermehrung. Aus 21 Milliarden öffentlicher Euro werden mehr als 300 Milliarden Euro zusammen mit privatem Kapital, und diese Summe steht dann europaweit bereit für Investitionen, die die Zukunft mit Ausrufezeichen vor sich hertragen: Verkehrsnetze! Datennetze! Erneuerbare Energien! Das ist Kern eines Investitionspakets, das die EU-Kommission entwickelt hat, und dieses Paket stand am Vormittag im Europaparlament zur Debatte.
Was ist von diesem Paket zu halten? Was bedeuten die Details? Diese Fragen stehen jetzt im Mittelpunkt eines Gesprächs mit Guntram Wolff, Direktor des Bruegel-Instituts in Brüssel, einem Institut mit ökonomischem Sachverstand. Guten Tag, Herr Wolff, nach Brüssel!
Guntram Wolff: Guten Tag!
Grieß: Bevor wir in die Details gehen, sagen Sie uns noch einmal: Was ist das Problem der Europäer, weshalb sie 315 Milliarden Euro anfassen wollen?
Wolff: Ja! Das grundsätzliche Problem ist, dass wir in der Tat in Europa eine Investitionslücke haben. Wenn wir uns einen langfristigen Trend der Investitionsausgaben, private und öffentliche zusammen, ansehen seit 1970, dann liegen wir derzeit sehr erheblich unter dem Trend, durchaus 250 Milliarden unter diesem Trend. Das zeigt doch sehr deutlich, dass wir ein Problem haben mit Investitionen, und das ist natürlich ein Problem fürs langfristige Wachstum, weil Kapitalstock wichtig ist fürs Wachstum. Aber es ist auch kurzfristig ein Problem, weil Investitionen natürlich auch ein Teil der Nachfrage sind.
Grieß: Und das betrifft die europäischen Mitgliedsstaaten sehr unterschiedlich?
Wolff: Ja. Die verschiedenen Länder sind unterschiedlich stark betroffen. Insbesondere in Italien liegen wir wirklich weit unter früheren Werten. Auch in Frankreich liegen wir darunter. Aber selbst in Deutschland haben wir jetzt gerade mal wieder das Niveau vom Beginn der Krise erreicht. Also auch da ist durchaus noch Luft nach oben für neue Investitionen.
Grieß: Es ist die Rede von 315 Milliarden Euro. Halten Sie diese Summe insgesamt für angemessen, oder zu klein, oder für zu groß?
Wolff: Ja. Wenn wir wirklich 315 Milliarden bekämen, dann wäre das schon ganz gut. Da würde ich sagen, von der Größenordnung ist das nicht schlecht. Ich würde mir eher ein bisschen mehr wünschen. Die Frage ist, ob dieses Paket, was jetzt vorgeschlagen wird, überhaupt solche Investitionsvolumina im privaten Sektor wirklich loslösen kann.
21 Milliarden können nur relativ wenig erreichen
Grieß: Was lässt Sie zweifeln, ob das klappt?
Wolff: Das Problem ist, was die Juncker-Kommission derzeit erreichen möchte ist: Sie möchte erreichen, mit relativ wenig öffentlichen Mitteln möglichst viel private Investitionen zu bekommen. Da muss man erst mal natürlich sagen, die Kommission hat wirklich nur wenig öffentliche Mittel zur Verfügung. Insofern möchte ich da jetzt nicht die Kommission kritisieren, sondern sie müssen arbeiten mit dem, was sie haben. Sie haben im Prinzip derzeit 21 Milliarden und wenn sie mit 21 Milliarden erhebliche private Investitionen haben wollen, dann hängt der Erfolg eigentlich sehr stark davon ab, inwieweit sie bereit sind, da volles Risiko zu übernehmen auf die 21 Milliarden, also im Prinzip diese 21 Milliarden Euro tatsächlich auszugeben, und inwieweit sie bereit sind, zukünftige Einkommensströme, also Erträge, die man aus diesen Investitionen haben kann, wie zum Beispiel Straßenzölle, Straßenmaut, sagen wir mal, oder zukünftige Mieteinnahmen auf diese Krankenhäuser, die der Herr Juncker angesprochen hat, die man bauen möchte, zukünftige Mieteinnahmen und all diese Dinge muss man versprechen, dass diese Dinge in der Zukunft an private Investoren gehen. Das hängt dann sehr stark davon ab, wie man diese Investitionen gestaltet, ob das überhaupt Erfolg haben kann oder nicht. Aber eins ist klar: Diese 21 Milliarden Grundgarantie können nur relativ wenig erreichen, weil Sie da doch nur relativ wenig an zusätzlicher Rendite für den Privatsektor generieren können.
Grieß: Wir haben heute Morgen hier in den "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk den Europaparlamentarier Markus Ferber von der CSU im Interview gehört, der gesagt hat, dieses Paket sehe ich kritisch, weil die Privaten ohnehin investieren würden, und jetzt mischt sich der Staat ein. Stimmen Sie da zu?
Wolff: Ja. Ich denke, das ist ein grundsätzliches Problem. Wir müssen natürlich mit diesen 21 Milliarden zusätzliche Investitionen bekommen, zusätzliche private Investitionen, und das Risiko ist in der Tat, dass die Privatinvestoren, die sowieso schon investieren wollten, die sowieso schon vorhatten, ein neues Krankenhaus zu bauen, die sowieso schon vorhatten, vielleicht eine Straße irgendwo zu bauen gegen Gebühren, dass die einfach jetzt diese 21 Milliarden Verlustgarantie mitnehmen und ein bisschen höhere Rendite bekommen. Man muss wirklich neue Projekte bekommen und das ist natürlich jetzt die Aufgabe dieses neuen Komitees, das diese Investitionsprojekte beurteilen soll. Da braucht man einerseits die Expertise natürlich der Europäischen Investitionsbank, dass die wirklich guckt, dass das neue Projekte sind, und man braucht auf der anderen Seite natürlich Experten aus dem Privatsektor letztendlich, die wissen, was für neue Investitionsprojekte sind überhaupt interessant und wie kann man mit diesen Finanz-Zaubertricks aus 21 Milliarden auf einmal wesentlich mehr private Investitionen machen. Ich glaube, insgesamt ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass wir diese 300 Milliarden wirklich dadurch kriegen werden.
Grieß: Sie haben ja das Papier, das Konzept der Europäischen Kommission in Gänze gelesen. Haben Sie dem Konzept auch entnehmen können, dass die Kontrolle, wohin das Geld fließt, sinnvoll geregelt ist?
"Nur eine bedingte Hilfe für die Länder des Südens"
Wolff: Ja, da steht relativ wage drin, dass es dieses Komitee gibt, das das entscheidet. Da wird es dann letztlich davon abhängen, dass die Leute in dem Komitee gut und sauber arbeiten. Aber noch einmal: Ich denke, es ist wichtig, dass dort doch viele Leute aus dem Privatsektor sitzen, weil letztendlich der öffentliche Sektor das doch nur recht schwer einschätzen kann, welche neuen privaten Investitionsprojekte tatsächlich sinnvoll sind oder nicht.
Grieß: In Deutschland kennen wir auf ganz verschiedenen Ebenen, etwa in vielen Kommunen, ÖPP-Projekte, öffentlich-private Partnerschaften. Unterscheidet sich das, was jetzt in Brüssel, in Straßburg gedacht wird, im Wesentlichen von diesen Kooperationen zwischen privaten Geldgebern und öffentlichen Geldgebern, die wir aus Deutschland kennen?
Wolff: Nein, der Grundansatz ist schon relativ ähnlich. Auch bei den ÖPPs braucht man sozusagen zukünftige Einnahmen. Das sind dann typischerweise Gebühren oder so was. Wenn man zum Beispiel ein Schwimmbad in einer Stadt baut, dann gibt da der Staat Geld rein, die Stadt gibt Geld rein und die privaten Investoren geben Geld rein, und man einigt sich in einem Vertrag, dass die Gebühren, Eintrittsgebühren für dieses Schwimmbad in den nächsten 20 Jahren besonders an den Privatinvestor gehen, und gleichzeitig, falls es zu wenig Einnahmen gibt, springt dann der Staat ein über die Garantien, die ursprünglich gegeben werden. Das ist sozusagen der Grundansatz da.
Grieß: Herr Wolff, kann das das richtige Konzept und das richtige Rezept für Länder sein, die unter Armut und Arbeitslosigkeit leiden, etwa im Süden Europas?
Wolff: Ich denke, das wird nur bedingt helfen. Es ist kein Helfen, aber es wird, glaube ich, letztendlich nicht grundsätzlich diese Situation verändern. Grundsätzlich wird in diesen Ländern auch einfach zusätzliche öffentliche Nachfrage, öffentliche Investitionsprojekte benötigt, und ich glaube, man täuscht sich da, dass man mit 21 Milliarden wirklich alle Probleme lösen kann. Neben den massiven Strukturreformen, die ich hier doch auch ansprechen möchte und die auch gerade bei diesen Investitionen helfen können, weil sie Investitionen wieder attraktiver machen, brauchen wir auch öffentliche Mittel. Ich denke, es ist schon wichtig. Da möchte ich doch noch mal auch diese Strukturseite betonen. Die Deregulierung, glaube ich, ist wirklich auch wichtig. Viele Investitionen werden derzeit einfach nicht getätigt, weil es so viele Regulierung oder so viele bürokratische Hindernisse gibt, dass man das einfach nicht machen möchte. Bevor man eine Straße baut, braucht man so viele Genehmigungen, Erlaubnisse, dass es mehrere Jahre dauert, das vorzunehmen.
Grieß: Das müssen wir an anderer Stelle fortsetzen. Tut mir leid! - Guntram Wolff vom Bruegel-Institut in Brüssel. Herzlichen Dank für das Gespräch heute im Deutschlandfunk.
Wolff: Ja, vielen Dank!