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Europäische Währungspolitik

    Lange: Dieser 01. Januar 2002 war ein Tag der großen Worte. Ein Traumstart sei das gewesen für den Euro, eine logistische Meisterleistung, die größte Währungsumstellung aller Zeiten, der Beginn eines neuen Zeitalters in Europa. Und kein geringerer als der UNO-Generalsekretär Kofi Annan würdigte den Euro als eine visionäre Entscheidung für Einheit und Gegenteilung, für eine gemeinsame Zukunft und gegen eine geteilte Vergangenheit. Seit dem 01. Januar 2002, 0:00 Uhr ist der Euro das gemeinsame gesetzliche Zahlungsmittel in 12 europäischen Ländern, und je nach Temperament, nüchtern, verhalten, neugierig oder euphorisch haben sich die Bürger mit dem neuen Bargeld vertraut gemacht. Was wird diese neue Währung bringen - darüber wollen wir nun mit Christa Randzio-Plath sprechen. Sie ist die Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschafts- und Währungsfragen im Europäischen Parlament. Guten Morgen, Frau Randzio-Plath.

    Randzio-Plath: Einen wunderschönen Guten Morgen.

    Lange: Haben Sie sich schon mit dem neuen Euro-Bargeld eingedeckt?

    Randzio-Plath: Ja, sicherlich.

    Lange: Und wie finden Sie die neuen Scheine?

    Randzio-Plath: Sie fühlen sich gut an und mir gefallen nicht alle gleich gut, aber die meisten sind wirklich schön und es stellt sich ja heraus, dass das Geld in seiner Realität schöner ist als in seinen Abbildungen. Ich denke, von daher ist es kein Wunder, dass sich doch mehr und mehr Bürger und Bürgerinnen auf dieses neue Geld freuen.

    Lange: Haben Sie denn in Ihren kühnsten Träumen erwartet, dass das alles so reibungslos geht?

    Randzio-Plath: Nein, natürlich nicht. Die Vorbereitungszeit hat sehr lange gedauert. Viel zu lange. Man kann heute fragen: Warum hat eigentlich die Übergangszeit so lange gedauert? Wenn der Preis dieser langen Übergangszeit auch sehr hoch war, so meine ich, hat es sich ausgezahlt, dass es hier keine Schwierigkeiten gegeben hat. Und ich hoffe auch jetzt in den nächsten Tagen, dass der Einzelhandel nicht über Gebühr belastet ist und auch die Kunden sich nicht über längere Warteschlangen ärgern.

    Lange: Eine Währung für über 300 Millionen Menschen. Wim Duisenberg, der Präsident der Europäischen Zentralbank, meint, allein das könnte schon mit einem Prozent zum Wirtschaftswachstum beitragen. Ist das mehr als Zweckoptimismus?

    Randzio-Plath: Nun, das sind Argumente gewesen, die immer wieder im Zusammenhang mit der Frage, ein Markt und eine Währung diskutiert worden sind, und eigentlich haben alle Ökonomen auch diese Überlegung angestellt. Ob sich das direkt nachweisen lässt, ist eine Frage, und ich bin sehr vorsichtig, denn wir haben damals ja auch gesagt, dass die Einführung des europäischen Binnenmarkts mindestens fünf Millionen Arbeitsplätze mehr bringt. Das lässt sich so nicht nachweisen, aber ich denke schon, dass es einen Wachstumsschub geben wird, weil einfach endlich deutlich wird, dass Transaktionskosten und auch Wechselkursabsicherungskosten wegfallen und gerade die kleineren- und mittleren Betriebe, die bisher sehr zurückhaltend in dem grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr waren, sich doch auch überlegen, neue Märkte sich zu eröffnen.

    Lange: Die Kritiker haben ja immer die Reihenfolge bemängelt. Eine gemeinsame Währung verbietet sich solange es keine gemeinsame Wirtschaftspolitik gibt. Kann denn jetzt daraus umgekehrt aus der gemeinsamen Währung eine gemeinsame Wirtschaftspolitik wachsen?

    Randzio-Plath: Nun, der Druck existiert einfach, und es hat sich ja schon in den letzten Jahren gezeigt, dass sich die Koordinierung der Wirtschaftspolitiken in der Europäischen Union verbessert hat. Es ist noch keine gemeinschaftliche Wirtschaftspolitik daraus geworden, aber der Euro hat schon eine gewisse Hebelwirkung darauf, dass stärker abgestimmt werden muss, und das ist natürlich für einen gemeinsamen Markt eine richtige Entscheidung. Auch ich hätte mir eigentlich immer gewünscht, dass es erst die politische Union und dann das gemeinschaftliche Geld gibt. Aber auf der einen Seite ist das gemeinschaftliche Geld schon ein Stückchen politische Union und zum anderen haben Regierung und Völker anders entschieden und insofern wird es einen anderen Weg gehen, der es uns eben auch möglich macht, tatsächlich diesem Wirtschaftsraum auch ein soziales- und beschäftigungspolitisches Profil zu geben.

    Lange: Was folgt denn aus dem allem für das Europäische Parlament? Wird der Ausschuss, dem sie vorstehen, jetzt automatisch an Gewicht gewinnen oder werden Sie sich dieses Gewicht holen?

    Randzio-Plath: Wir haben ja schon durch die Währungsunion, die seit dem 01.01.1999 existiert, ein größeres Gewicht bekommen. Auch wenn die Menschen oder viele es nicht gemerkt haben, war ja die Politik der Europäischen Zentralbank eine Realität, die unseren Alltag und auch unsere Wirtschaften geprägt hat. Und unser Ausschuss ist zuständig für den monetären Dialog in der Europäischen Währungsunion, d.h. also der europäische Zentralbankpräsident muss vor unserem Ausschuss Rechenschaft über die geldpolitischen Entscheidungen und ihre Hintergründe ablegen. D.h. also wir haben auch eine neue politische Kultur in der Euro-Zone entwickelt, die es so in dem Europa der 15 vor dem Beginn der Währungsunion nicht gab, nur in den USA.

    Lange: Viele sind ja mit der Rolle der EZB in den letzen Jahren nicht so recht zufrieden. Immer nur auf die amerikanische Notenbank starren und dann reagieren. Muss die EZB jetzt offensiver und eigenständiger werden?

    Randzio-Plath: Die Europäische Zentralbank hat Eigenständigkeit gezeigt, auch wenn ihre Entscheidungen nicht immer so verstanden worden sind, wie die manchmal sehr schwierig formulierten Sätze von Alan Greenspan, dem amerikanischen Zentralbankpräsidenten. Aber ich denke, dass die Währungsunion zeigen wird, dass Europa eine eigenständige Geldpolitik betrieben hat und auch betreibt, wenngleich auch wir ein Interesse haben müssen, in ganz bestimmten Situation unsere Geldpolitik auch mit anderen Weltregionen abzustimmen.

    Lange: Es könnte ja jetzt aus der gemeinsamen Währung auch eine politische Legitimation entstehen, sich sehr viel stärker in die Wirtschaftspolitik der Nachbarn auch dann einzumischen. Würden Sie soweit gehen, dass man das auch in Zukunft dann braucht?

    Randzio-Plath: Was sicherlich richtig ist, dass man ganz scharf guckt, wie der andere Staat seine Wirtschaftspolitik gestaltet und welche Auswirkungen das auch hat. Das passiert heute ja schon in dem Bereich der Finanzpolitik, wo die Finanzminister seit dem 01.01.1999 auf die Stabilitätsprogramme gucken und auch auf ihre Umsetzung, weil heute die Finanzminister sehr klar wissen, dass die Finanzpolitik in einem anderen Staat eben auch Auswirkungen auf die eigenen Situation haben kann. Von daher ist das Gefühl, wir sitzen in einem Boot, sehr viel stärker in den letzten Jahren geworden und von daher gibt es eben heute nicht mehr diese Vorbehalte gegenüber einer Koordinierung der Wirtschaftspolitik, aber sie ist weit davon entfernt, vollkommen zu sein und den Ansprüchen zu genügen, die man an eine Koordinierung einer Wirtschaftspolitik stellen muss.

    Lange: Gilt das, was Sie gerade gesagt haben, auch für die Sozialpolitik oder würde Ihnen das zu weit gehen?

    Randzio-Plath: Nun, hier sind wir ja wirklich noch weit davon entfernt, aber wir sehen, dass die Herausforderungen z.B. der Überalterung der Gesellschaft sich ja nicht nur auf die private Situation von Bürgern und Bürgerinnen auswirkt, sondern auch auf die Haushaltslage der Staaten, und von daher finden wir in allen Staaten Überlegungen, wie die drei Säulen der Altersversorgung tatsächlich gesichert und gestaltet werden können. Hier gibt es ja deswegen nicht nur eine Beschäftigung der Finanz- und Sozialminister oder auch der Arbeits- und Wirtschaftsminister mit diesem Thema, sondern hier haben sich sogar deswegen auch die europäischen Staats- und Regierungschefs einen Bericht erstellen lassen, um also auch hier deutlich zu machen, das ist ein Thema, eine Herausforderung, die in Europa alle angeht, natürlich mit Ausnahme von Irland, das natürlich das jüngste Land von der Bevölkerungsstruktur in der Europäischen Union ist.

    Lange: Frau Randzio-Plath, was erwarten Sie denn für die EU-Länder, die den Euro jetzt noch nicht haben? Großbritannien, Schweden, Dänemark. Ist das jetzt alles nur noch eine Frage der Zeit?

    Randzio-Plath: Nun, die Stimmung, z.B. in Schweden, hat sich ja schon verändert und wenn Briten, Dänen und Schweden in diesem Jahr in einem Euro-Land Urlaub gemacht haben, wird sich dort sicher auch die Stimmung verändern. Und nur wenn die Stimmung sich verändert hat, wird auch bei den Regierungen die Bereitschaft da sein, tatsächlich eine Abstimmung durchführen zu lassen. Also, von daher, erhoffe ich mir eine Schubkraft. Für mich wäre es einfach ein großer Wunsch, der in Erfüllung gehen würde, wenn vor dem Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten auch die drei Länder, die heute nicht Mitglied der Euro-Zone sind, Teil der Währungsunion sind.

    Lange: Was passiert denn mit den Ländern und Regionen, die bisher mehr oder weniger offiziell, die DM als Hauptwährung haben. Ich denke da an den Kosovo, Montenegro. Werden die jetzt einfach so in den Euro-Raum miteinbezogen?

    Randzio-Plath: Nein, sie sind ja nicht in die Euro-Zonen miteinbezogen, weil sie nicht Mitglied der Währungsunion sind, auch wenn sie den Euro für sich selber gebrauchen werden.

    Lange: Also, die können ganz normal ihre Währung auch umstellen, ohne dass sie irgendwie Einfluss auf die Geldpolitik hätten?

    Randzio-Plath: Ja, es darf nicht verwechselt werden: Wenn ein Land einseitig erklärt, es will den Euro nutzen, so wie es ja auch Staaten gibt, die einseitig erklärt haben, sie nutzen und gebrauchen den Dollar, so sind sie nicht Teil der Euro-Zone. Kein Staat kann Mitglied der Euro-Zone werden und Einfluss auf die Geldpolitik haben, der nicht vorher bewiesen hat, dass er auch die Stabilitätskultur hat, die die Länder haben, die in einer unkündbaren Solidargemeinschaft, einer Währungsunion zusammengebunden sind.

    Lange: Bisher hat der Euro, was den Außenwert angeht, die Erwartungen nicht so ganz erfüllt. Wagen Sie eine Prognose, wo der Euro am Jahresende stehen wird im Verhältnis zum Dollar?

    Randzio-Plath: Nun, es gibt viele, die sich wünschen, das Verhältnis wäre eins zu eins - das macht das Leben oft sehr viel einfacher -, aber wir sollten nicht die Stabilität im Inneren und stabile Wechselkurse verwechseln. Stabile Wechselkurse waren im Vertrag von Maastricht zu Recht nicht versprochen, weil darauf die Regierungen auch gar keinen Einfluss nehmen wollten. Sie wollten garantieren, dass wir in der Euro-Zone niedrige Inflationsraten haben, und das ist etwas, was der Euro tatsächlich gebracht hat, wenn wir uns die letzten Jahr angucken und sie vergleichen mit den letzen Jahrzehnten der DM-Zeit.

    Lange: In den Informationen am Morgen war das Christa Randzio-Plath. Sie ist die Vorsitzende des Wirtschafts- und Währungsausschusses im Europäischen Parlament. Vielen Dank für das Gespräch und Auf Wiederhören.

    Randzio-Plath: Ich danke Ihnen.