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Europäische Zentralbank
"Draghi ist einen Schritt zu weit gegangen"

Bislang war Peter Bofinger mit der Zinspolitik von EZB-Chef Mario Draghi zufrieden. Doch mit seiner jüngsten Entscheidung sei Draghi einen Schritt zu weit gegangen, sagte der Ökonom im DLF. Denn ein Leitzins von null Prozent werde keine weiteren Stimulierungseffekte haben. Stattdessen gefährde Draghi die internationale Reputation der EZB.

Peter Bofinger im Gespräch mit Christine Heuer | 11.03.2016
    Bofinger blickt mit ernstem Blick in die Kamera. Im Hintergrund sieht man eine grüne Zimmerpflanze.
    Peter Bofinger (picture alliance / Erwin Elsner)
    Christine Heuer: Die Deutschen sind sauer. Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank, hat gestern überraschend wirklich in die Vollen gegriffen und den Leitzins auf null gesenkt. Außerdem will die EZB jetzt auch Unternehmensanleihen kaufen. Banken müssen höhere Strafzinsen zahlen, wenn sie ihr Geld bei der Notenbank parken. All das soll Investitionen und damit die Konjunktur in Europa ankurbeln. Draghis Kritiker, von denen es in Deutschland besonders viele gibt, fürchten aber, dass diese Rechnung nicht aufgeht und dass Draghis Politik des billigen Geldes sogar kontraproduktiv ist.
    Eigentlich nicht zu diesen Kritikern gehört der Wirtschaftsweise Peter Bofinger, der uns jetzt am Telefon zugeschaltet ist. Guten Tag erst mal, Herr Bofinger.
    Peter Bofinger: Guten Tag, Frau Heuer.
    Heuer: Es hat gestern Kritik von deutschen Ökonomen vor allen Dingen gehagelt auf den EZB-Chef. Finden Sie, dass er trotzdem recht hat?
    Bofinger: Ich glaube, man muss zwei Dinge auseinanderhalten. Bisher hat Herr Draghi eine sehr gute Politik gemacht. Er hat dazu beigetragen, dass der Euro überhaupt noch da ist. Das war seine ganz eindrucksvolle Rede im Juli 2012. Und er hat auch mit seiner Politik, die er ja schon im Sommer 2014 begonnen hat, auch einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, dass wir heute keine Deflation im Euroraum haben. Er hat sehr vorausschauend mit dieser quantitativen Lockerung begonnen und insgesamt, würde ich sagen, hat er das alles sehr ordentlich gemacht. Aber ich glaube schon auch, dass mit dem Schritt, den er gestern gemacht hat, er einfach einen Schritt zu weit gegangen ist. Er ist mittlerweile in einem Bereich, wo weitere Lockerungsmaßnahmen kaum stimulierende Effekte auf die Realwirtschaft ausüben, wo diese Maßnahmen aber einfach dazu führen, dass die Irritation in der Öffentlichkeit steigt und dass auch die Reputation der Europäischen Zentralbank in Deutschland in Gefahr gerät.
    "Diese Maßnahmen verpiffen irgendwann"
    Heuer: Und weiter als null geht ja irgendwie auch nicht mehr. Hat Draghi mit gestern sein Pulver jetzt endgültig verschossen?
    Bofinger: Er kann vielleicht noch ein klein bisschen mehr in den negativen Bereich reingehen. Er kann vielleicht noch versuchen, mehr Anleihen zu kaufen. Aber man sieht ja gerade am Beispiel der japanischen Geldpolitik, wo die japanische Notenbank ja noch im sehr viel größeren Stil Anleihen gekauft hat als die EZB, dass diese Maßnahmen dann irgendwann verpuffen und einfach keine materiellen Effekte mehr entfalten.
    Mario Draghi spricht und gestikuliert mit der Hand vor einer Wand mit dem Logo der EZB.
    Umstrittene Zinspolitik: EZB-Chef Mario Draghi (dpa / Arne Dedert)
    Heuer: Niedrige Leitzinsen gibt es schon länger. Was haben sie denn aus Ihrer Sicht bislang gebracht, Herr Bofinger?
    Bofinger: Ein wichtiger Beitrag der Politik Draghis ist ja, dass der Euro, der im Frühsommer 2014 auf die 1,40 zugesteuert ist und damit gefährliche deflationäre Effekte ausgelöst hätte und auch negative Effekte auf die Wettbewerbsfähigkeit, dass der Euro ja deutlich abgewertet worden ist und dass damit ein Wechselkurs da ist, der auch gerade den schwächeren Ländern des Euroraums die Möglichkeit gibt, wieder wettbewerbsfähig zu werden und ihre Wirtschaft auf die Beine zu bringen. Ein zweiter Effekt ist der, dass die Kreditzinsen gerade auch in den Problemländern deutlich nach unten gegangen sind, dass auch da die Unternehmen die Möglichkeit haben, sich besser zu finanzieren. Die niedrigen Zinsen helfen ja auch insgesamt den Schuldnern, ihre Schulden in den Griff zu bekommen. Damit wird natürlich auch das Finanz- und Bankensystem stabilisiert.
    Griechenland kann man alleine mit der Geldpolitik nicht wieder fit machen
    Heuer: Wieso sind Griechenland und Italien, um zwei Beispiele zu nennen, dann immer noch nicht aus dem Schneider, wenn das alles so gut war?
    Bofinger: Na ja, die Geldpolitik ist natürlich nur ein Instrument, mit dem man die Wirtschaft wieder beleben kann. Die Länder, die jetzt besonders große Probleme haben, können allein mit der Geldpolitik nicht wieder fit gemacht werden. Griechenland braucht sehr tief greifende Reformen. Griechenland braucht natürlich auch insgesamt ein umfassendes Wachstumsprogramm, und da kann die Geldpolitik allein nicht die Lösung sein.
    Heuer: Aber dann schreit jeder, wenn Griechenland Reformen abverlangt werden.
    Bofinger: Na ja. Ich glaube, Griechenland braucht ein Gesamtpaket, wozu aus meiner Sicht natürlich Reformen in Griechenland gehören. Es braucht eine Fiskalpolitik, die die Wirtschaft nicht abwürgt. Und ich glaube, was bisher völlig außer Acht gelassen worden ist, dass man sich einfach mal Gedanken machen muss, wie muss denn eine umfassende Wachstumsstrategie für Griechenland aussehen. Denn Sparen allein kann nicht die Lösung sein.
    Der Sparer steht heute immer noch besser da als in den 70er Jahren
    Heuer: Den Deutschen, die angeblich die falsche Politik machen, denen geht es eigentlich recht gut und die deutschen sind ein Volk von Sparern. Die werden jetzt von der EZB bestraft. Ist das gerecht?
    Bofinger: Ich glaube, da muss man auch ein bisschen differenziert das ansehen. Denn der Ertrag des Sparers besteht ja darin, was er an Zinsen kriegt, abzüglich der Inflationsrate. Das muss man ja immer mit berücksichtigen. Wir haben im Augenblick ja eine Inflationsrate von mehr oder weniger null. Damit steht der Sparer, der sein Geld zinslos in einer Bankeinlage hält, oder der Bargeld hält, besser da als in den letzten 20 oder 30 Jahren. Denn der Zins auf das Girokonto und aufs Bargeld ist ja nach wie vor null, aber die Inflationsrate war ja in den 70er-Jahren teilweise bei sieben Prozent. Das heißt: Der Teil, der zinslos angelegt wird - und das ist ein Fünftel der Geldersparnisse der Deutschen -, bringt nach Inflation einen Ertrag, der höher ist, als wir das seit vielen Jahrzehnten haben.
    Das EZB-Gebäude mit erleuchteten Fenstern vor dem Abendhimmel.
    Der Neubau der Europäischen Zentralbank in Frankfurt am Main. (dpa / picture-alliance / Boris Roessler)
    Heuer: Sie lassen Ihr Geld weiter auf der Bank liegen, Herr Bofinger? Verstehe ich das richtig?
    Bofinger: Absolut!
    Heuer: Die EZB möchte ja, dass mehr Kredite vergeben werden, Kredite, die mit der Realwirtschaft aber kaum noch etwas zu tun haben. Die führen hin und wieder mal zu Blasen und dann möglicherweise zum nächsten großen Crash. Wie gefährlich ist die Zinspolitik von Mario Draghi jetzt in der letzten Drehung, die ja auch Sie gerade kritisiert haben?
    Keine Immobilienblase in Deutschland
    Bofinger: Wir haben ja gelernt aus der Finanzkrise bis 2008, dass die größte Gefahr in der Tat aus einer exzessiven Kreditentwicklung hervorkommt. Bisher ist die Kreditentwicklung im Euroraum ja sehr, sehr verhalten. Wir haben Wachstumsraten von irgendwo bei einem Prozent. Das heißt, da zeichnet sich sehr, sehr wenig ab bisher. Selbst in Deutschland bin ich der Auffassung, dass wir beim Immobilienmarkt, wenn man den als Ganzes betrachtet und wenn man die Finanzierung der Immobilien in Deutschland ansieht, auch nicht von einer Blase sprechen können.
    Heuer: Da geben Sie auch den Anlegern, den deutschen Sparern Entwarnung, denen, die vielleicht jetzt in Immobilien investieren wollen. Wir müssen uns unterm Strich trotzdem keine Sorgen machen. So schlimm ist das alles nicht, auch nicht das, was die EZB beschlossen hat?
    "Problem für die private Altersvorsorge"
    Bofinger: Jetzt will ich das ganz so nicht stehen lassen. Das fundamentale Problem, das sich aus dem Ganzen ergibt, ist natürlich ein Problem für die private Altersvorsorge. Die beruht ja nicht auf Bargeld oder auf Sichteinlagen, sondern vor allem auf längerfristigen Anlagen in Wertpapieren. Da ist ein fundamentales Problem, dass jetzt auch langfristige Wertpapiere keine Verzinsung mehr bringen. Das heißt, man muss sich natürlich Gedanken machen, wie kann man die private Altersvorsorge, die gerade auf diesen sicheren langfristigen Anlagen traditionell beruht, wie kann man die in dieser Situation verbessern. Ich glaube, da ist aber auch die Politik gefordert. Denn Herr Schäuble spart ja jedes Jahr riesige Milliardenbeträge durch die niedrigen Zinsen. Es gäbe ja die Möglichkeit, dass die Bundesregierung die private Altersvorsorge besser, stärker fördert, als das bisher der Fall ist. Dass sie die Einsparungen, die sie durch die Draghi-Politik erzielt, teilweise wieder an die Sparer zurückgibt, etwa höhere Sparerfreibeträge. Man könnte bei Riester die Beträge erhöhen. Ich habe auch schon mal in die Diskussion gebracht, dass ja Herr Schäuble auch Anleihen ausgeben könnte, die zwei Zinspunkte mehr bringen, wenn das tatsächlich dann von Sparern für die Altersvorsorge eingesetzt wird. Da kann die Politik auch ein bisschen innovativ sein.
    Schäuble spricht im Bundestag, in seinem Rollstuhl sitzend.
    Sollte nach Auffassung Bofingers die Deutschen bei der privaten Altersvorsorge besser unterstützen: Bundesfinanzminister Schäuble. (dpa/picture alliance/Wolfgang Kumm)
    Heuer: Ja genau. Das heißt aber, Herr Bofinger, letzte Frage, der Draghi greift in die linke Tasche der deutschen Sparer und der Schäuble soll in die rechte Tasche dann noch ein bisschen mehr Geld reinstecken. Der Staat zahlt schon!
    Bofinger: Es wäre grundsätzlich möglich und ich denke wie gesagt, private Altersvorsorge ist etwas Fundamentales. Die gesetzliche Rente bringt immer weniger und die Bundesregierung muss sich dringend Gedanken machen, wie kann man dafür sorgen, dass die Altersvorsorge in solchen Zeiten dann nicht unter die Räder kommt.
    Heuer: Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger war das im Interview mit dem Deutschlandfunk. Herr Bofinger, vielen Dank für das Gespräch.
    Bofinger: Ja gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.