Filmpreise sind dazu da vorzuspiegeln, es handele sich bei der Filmbranche tatsächlich um einen Industriezweig. Man sitzt da zusammen wie die Metzger-Innung, die wieder einmal die beste Blutwurst kürt, hat sich einen Conférencier eingeladen, den man aus dem Fernsehen kennt und dessen Witze sowieso niemand versteht und am Ende geht man zufrieden zum selbstgefälligen Plausch über.
Seit 1988 gibt es auch den Europäischen Filmpreis, der abwechselnd in einer möglichst abgelegenen europäischen Metropole wie La Valetta oder Tallin und dann wieder in Berlin stattfindet. In Berlin ist der Europäische Filmpreis gewissermaßen zu Hause und deswegen sitzt Wim Wenders, einer der Gründerväter dieser Einrichtung, auch stets in der ersten Reihe. Diesmal an neuem Ort im "Haus der Berliner Festspiele".
Und weil alle europäischen Filmemacher leidlich Englisch sprechen, hatte man Anke Engelke eingeladen, die Moderation zu übernehmen, weil sie mühelos auch im Englischen herumwitzeln kann. Der fade Humor der Allzweckcomedian für Preisverleihungen zündete aber auch so nicht. Und so kann man froh sein, dass der europäische Kultursender Arte heute Abend nur einen 90-minütigen Zusammenschnitt der im Original endlosen Veranstaltung ausstrahlt.
Ingmar Bergman war einst Präsident
Außerdem hat man die Kriterien der Preisvergabe so verwirrend verkompliziert, dass sie kaum jemand mehr begreift. Manche Preise werden weit im Vorfeld von diversen Gremien ausgelobt, manche per E-mail-Abstimmung vom Publikum und die wichtigsten Preise aus fünf bis sechs Nominierten von den 2900 Mitgliedern der Akademie nach dem bekannten Oscar-Verfahren ausgewählt. Man könnte noch länger herumwitzeln, wäre es nicht so traurig, dass die noch mit Ingmar Bergman als Präsident einst grandios gestartete Akademie immer größer geworden ist, sie gleichzeitig an Qualität und Einfluss aber leider immer mehr verloren hat.
Zwar kann man Catherine Deneuve immer einen Ehrenpreis verleihen, damit sie kommt. Doch das europäische Kino ist keineswegs immer mehr zusammengewachsen. Immerhin fand man in dem spanischen Filmemacher Pedro Almodóvar einen passenden Ehrenpreisträger, auch wenn der gerade mit "Fliegende Liebende" seinen mit Abstand schlechtesten Film abgeliefert hat. Das Gesamtwerk des heftig ergrauten Meisterregisseurs bleibt trotzdem prämierenswert. Und auch in seiner Dankesrede erwies sich Pedro Almodovar als Frauenregisseur und verriet nicht zum ersten Mal die Quelle seiner Inspiration:
"Ich bin aufgewachsen umgeben von Frauen in La Mancha ganz nah am Fluss, in dem meine Mutter und ihre Nachbarinnen die Wäsche wuschen. Ihnen zuzuhören war ein sehr wichtiger Teil meiner Erziehung. Diese Frauen inspirierten mich zu den Frauenfiguren in meinen Filmen."
Komödie ist die Sache der Europäer nicht
Zur besten Komödie in einer neu erfundenen Kategorie wollte man seinen Film dann doch nicht küren und zeichnete lieber Susanne Bier für ihren Film "Love is all you need" aus, bei dem man wenigstens nicht schreiend davonlaufen möchte. Komödie ist die Sache der Europäer offenbar nicht.
Eine Anerkennung ging auch an Deutschland, an Jan Ole Gerster für seine Taugenichtskomödie "Oh Boy", die als bester Erstlingsfilm ausgezeichnet wurde.
Auszug aus "Oh Boy"
"Wegen der Bank."
"Ich hab letzte Woche deinen Professor Dr. Kollert kennengelernt. Er hat mir erzählt, dass Du vor zwei Jahren Dein Studium geschmissen hast. Was um alles in der Welt hast Du zwei Jahre lang getrieben? "
"Ich hab nachgedacht."
"Und über was, wenn ich fragen darf?"
"Über mich, über dich, über alles."
Kein leichtes Jahr für den europäischen Film
Nach all den Irrungen und Wirrungen dieser kruden Preisverleihung in einem für den europäischen Film nicht ganz leichten Jahr, endete die Veranstaltung immerhin mit einem eindeutigen Sieger. Als Bester Film mit dem besten Regisseur und dem besten Hauptdarsteller war "La Grande Bellezza" von Paolo Sorrentino der umjubelte Preisträger.
Auszug aus "La Grande Bellezza":
"Meine Bestimmung war es, der Sensible zu sein. Meine Bestimmung war es Schriftsteller zu werden. Meine Bestimmung war es Jep Gambardella zu sein."
La Grande Bellezza ist ein schöner Film, aber es ist ein rückwärtsgewandter Film, der als Hommage an das italienische Kino der 1960er- und 70er-Jahre von einer nostalgischen Verklärung der Vergangenheit lebt. Insofern war es eine passende Wahl. Es war einmal europäisches Kino von Rang von Federico Fellini, von Jean-Luc Godard, von Francois Truffaut und von Werner Herzog und Wim Wenders. Eine Akademie macht noch keinen Neuanfang, aber den – das machte auch diese Preisverleihung deutlich – hat das europäische Kino bitter nötig.