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Europäischer Klimabericht
Wetterrekorde und eine düstere Prognose

Das heiße und trockene Wetter des vergangenen Jahres in Mitteleuropa sei "ungewöhnlich lange stabil" gewesen, sagen die Autoren des Europäischen Klimaberichts. Das Phänomen könnte immer häufiger auftreten und größere Flächen treffen - mit drastischen Folgen für die Nahrungsmittel-Versorgung.

Von Dagmar Röhrlich | 10.04.2019
21.07.2018, Brandenburg, Worin: Ein Mähdrescher erntet Winterroggen auf einem Feld des Präsidenten des Landesbauernverbandes Brandenburg, Wendorff (Luftaufnahme mit einer Drohne). Brandenburgs Landwirte haben sich nach der wochenlangen Hitze und der andauernden Trockenheit erste Überblicke über Ernteschäden verschafft. «Unsere Befürchtungen haben sich bestätigt», sagte Wendorff. Stellenweise liege der Ertrag bei nur noch 50 Prozent eines normalen Jahres. Die Verluste auf den Äckern in der «märkischen Streusandbüchse» mit humusarmen sandigen Böden seien nach ersten Befragungen immens.
Die hohen Temperaturen über einen langen Zeitraum im vergangenen Jahr haben Landwirte in Deutschland und Europa vor Herausforderungen gestellt (dpa / Patrick Pleul)
2018 war extrem: In der Schweiz transportierten Armee-Helikopter Wasser auf die Almen, damit die Kühe nicht verdursteten. In Deutschland mussten Tausende Milchkühe notgeschlachtet werden, da es kein Futter mehr gab. In Schweden wüteten Wald- und Moorbrände. Die Flüsse Nordeuropas führten über Monate hinweg so wenig Wasser, wie es sonst selbst in extremen Jahren nur an wenigen Tagen der Fall ist, erläutert Freja Vamborg vom Copernicus-Climate Change Service am Europäischen Zentrum für mittelfristige Wettervorhersage in Reading:
"Das heiße und trockene Wetter in Mittel- und Nordeuropa war ungewöhnlich lange stabil. In Südeuropa sahen wir hingegen viel mehr Regen als im langjährigen Mittel, allerdings war die Wetterlage dort nicht ganz so stabil. Der Kontrast zwischen beiden Gebieten war jedoch sehr stark."
Eine Art Teufelskreis
Zwischen Frühling und Herbst lagen die Temperaturen in Mittel- und Nordeuropa um 1,2 Grad über dem langjährigen Mittel - betrachtet man Mitteleuropa allein, waren es sogar um rund 2,5 Grad. Gleichzeitig fielen zwischen Frühling und Herbst in Mitteleuropa nur rund 80 Prozent des üblichen Regens:
"Wir haben diese Dürre mit anderen verglichen. 1976 gab es eine ähnlich lang andauernde Dürre, die ebenfalls im Frühling begann. Sie ist durchaus vergleichbar mit der im vergangenen Jahr, doch 2018 war ein größeres Gebiet betroffen."
Hinter diesem ungewöhnlichen Wetter steckte eine sogenannte Blockadelage: Ein mächtiges Hochdruckgebiet leitete die Regen bringenden Tiefdruckgebiete nach Süden um, während die Sonne in Mittel- und Nordeuropa die Böden austrocknete. Je trockener die Böden wurden, desto mehr heizte sich die Luft auf, um so schlimmer die Dürre und desto stabiler das Hochdruckgebiet: Es erhielt sich sozusagen selbst. Jean-Noel Thépaut, Leiter des Copernicus-Climate Change Service.
"Wenn sich ein extremes Wetterereignis auf ein ohnehin erwärmtes Klima aufsattelt, kann alles noch extremer werden. In Europa sind die Durchschnittstemperaturen in den vergangenen Jahrzehnten gestiegen. Deshalb konnte sich diese spektakuläre und in diesem Ausmaß bislang ungekannte Wetterlage entwickeln."
Folgen für die Versorgung der Menschen
Die Größe des von der Hitzewelle betroffenen Gebiets und ihre Dauer über Monate hinweg lässt sich nach Ansicht von Klimaforschern der ETH-Zürich nur durch den menschengemachten Klimawandel erklären. Außerdem war nicht nur Europa von ausgedehnten Hitzewellen betroffen, sondern auch andere Regionen der Nordhalbkugel: Kanada und USA, Russland, Japan und Südkorea:
"Wenn wir uns die Hitzewellenfläche anschauen von 2018 in der nördlichen Hemisphäre, in Regionen, die dicht besiedelt sind oder die wichtig sind für die Landwirtschaft, dann finden wir, dass ungefähr 22 Prozent dieser Region gleichzeitig von extremer Hitze betroffen war."
Auf der Nordhalbkugel sind so großflächige und lang andauernde Hitzewellen ein neues Phänomen: Es tauche 2010 erstmals in den Daten auf, dann erneut 2012 und im vergangenen Jahr wieder, erklärt ETH-Klimaexpertin Martha Vogel. In ihren Simulationen zeichnet sich ab, dass dieses Phänomen mit fortschreitendem Klimawandel immer häufiger auftreten und immer größere Flächen treffen wird: Und das hätte - wie 2018 bereits drastisch vor Augen führte - erheblichen Folgen für die Versorgung der Menschen: "Wenn wir verschiedene Regionen haben, in denen gleichzeitig Ernteausfälle stattfinden würden, kann das dramatische Konsequenzen haben."