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Europäischer Tag der Meere
WWF: Schutz muss vor Nutzung gehen

Die Umweltorganisation WWF fordert mindestens zehn Prozent wirksame Schutzgebiete für Meere. Empfindliche Lebensräume müssten vor ökonomischem Nutzen geschützt werden, sagte Stephan Lutter im Deutschlandfunk. So sei die Nordsee inzwischen ein Industriepark mit vielen Öl- und Gasanlagen, aber wenigen Schutzgebieten, ergänzt er.

Stephan Lutter im Gespräch mit Ursula Mense | 16.05.2014
    Ursula Mense: In Bremen steigt am Sonntag die ganz große Party. Mit einem Bürgerfest begrüßt die Stadt die Teilnehmer der Veranstaltung "Europäischer Tag der Meere", eine zweitägige Konferenz, die zum ersten Mal in Deutschland stattfindet. Die EU lädt ein zu dieser Veranstaltung, bei der es um die Meereswirtschaft geht, um Wachstum und Beschäftigung in Europa und um das Auskommen derer, die davon abhängen. Das sind natürlich eine ganze Menge: neben der Fischereiwirtschaft und den Aquakulturen die Gas- und Ölindustrie, die Windkraftanlagenbetreiber mit ihren Offshore-Anlagen oder auch die Schifffahrt.
    Und nun wird auch noch die Erkundung und Förderung von mineralischen Ressourcen forciert, ziemlich viel Abhängigkeit also. Kein Wunder, dass die EU-Kommission 2012 ihre Strategie "Blaues Wachstum" verabschiedete mit Schwerpunkt auf der ökonomischen Chance. Weil aber damals der Schutz der Meere nach Ansicht vieler Umweltschützer zu kurz kommt, haben verschiedene Organisationen für heute eine Art Gegenkonferenz mit dem Titel "Ein anderes Meer ist möglich" organisiert. Der WWF ist auch dabei und mit einem ihrer Vertreter, Stephan Lutter, konnte ich vor Beginn sprechen.
    Stephan Lutter: Uns geht es darum, dass die EU-Konferenz zum blauen Wachstum, also maritimem Wirtschaftswachstum, auch auf die Umweltvorgaben der EU achten muss, und das muss auch die Kommission, denn wir haben eine Meeresschutzrichtlinie seit 2008, die den guten Umweltzustand vorschreibt. Der muss bis 2020 erreicht werden in unseren Meeresgewässern. Wir haben aber auch schon viel länger Naturschutzrichtlinien, die Sie vom Lande kennen, Naturschutzgebiete werden ausgewiesen. Leider sieht es im Meer damit noch sehr dürftig aus. Knapp vier Prozent der EU-Gewässer stehen bisher unter Schutz.
    Mense: Das heißt, Unterschutzstellung von wesentlich mehr Gebieten wäre zum Beispiel eine Lösung?
    Lutter: Ja. Wir halten zusammen mit vielen Wissenschaftlern, aber auch mit der UNO im Grunde, denn dort gibt es schon Beschlüsse, zehn Prozent wirksame Schutzgebiete für mindestens notwendig. Und wenn Sie sich die Nordsee anschauen, dann ist das eigentlich inzwischen ein Industriepark mit vielen Öl- und Gasanlagen, aber nur mit sehr wenigen Schutzgebieten, vor allem weiter draußen auf See, weg von den Küsten gelegen. Und wo es diese gibt – Deutschland ist vorbildlich und hat viele Schutzgebiete ausgewiesen, aber Deutschland hat zum Beispiel keinerlei Schutzmaßnahmen in diesen Gebieten bisher verabschiedet.
    Mense: Klar ist ja, wir muten dem Meer ziemlich viel zu: Plastikmüll, Verklappung, Überfischung, Offshore-Parks – das sind ja nur einige Punkte. Würde denn ein unter Schutz stellen von zehn Prozent all diese Bereiche auch wesentlich berühren?
    Lutter: Würde es auf jeden Fall. Wir haben aber durchaus die Möglichkeit zu sagen, hier sind Nutzungen sinnvoll. Natürlich wollen wir Offshore-Windanlagen, um unabhängig zu werden von Öl und Gas, aber auch, um das Klima zu schützen vor allem. Wir können sagen, hier sind Vorranggebiete für Nutzung und dort sind Vorranggebiete für die Natur. Das ist auch in der deutschen Meeresraumplanung so der Fall. Es ist aber in anderen Staaten noch lange nicht.
    Mense: Sie sehen schon, dass damit auch eine Möglichkeit geschaffen würde, eben das Meer, was ja auch Nahrungsquelle ist und Wirtschaftsraum, der Arbeitsplätze schafft, weiterhin auch so zu nutzen? Man braucht ja im Grunde Gleichgewicht zwischen Ökologie und Ökonomie.
    Lutter: Selbstverständlich. Doch der Wettlauf ist ein ungleicher. Das maritime Wirtschaftswachstum geht viel schneller voran als die Umsetzung der Schutzvorgaben, die wir eigentlich auch schon haben in der EU. Ein Mitgliedsstaat gibt eher eine Lizenz für Tiefsee-Fischerei, oder die EU-Kommission in diesem Fall heraus, als dass empfindliche Kaltwasser-Korallenriffe in der Tiefsee als Schutzgebiete definiert werden.
    Mense: Ein Thema, was nun immer stärker in den Vordergrund rückt, ist der Bergbau in der Tiefsee. Da gibt es sogar eine Art Goldgräberstimmung inzwischen, weil es natürlich besonders interessant ist, Erze, Mineralien und so weiter zu verkaufen. Es wird viel Geld dafür bezahlt. Können Sie mal kurz erklären, Herr Lutter, wie das überhaupt abgehen soll?
    Lutter: Es geht dabei um die seltenen Erden und um Kobalt und Nickel, auch Gold kommt vor in Ablagerungen, zum Beispiel um die heißen Tiefsee-Quellen oder an den Gipfeln der Seeberge, und da haben wir schon den Konflikt, denn dort ist sehr viel empfindliches Meeresleben. Es geht auch außerhalb Europas um die Mangan-Knollen. Das ist wahrscheinlich die bekannteste Quelle von Tiefsee-Mineralien im Pazifik.
    Für die Hohe See, die internationalen Gewässer, macht die UNO dort Vorgaben und es darf bisher auch nur erkundet und noch nicht ausgebeutet werden. In EU-Gewässern ist dies aber bisher nicht festgelegt und jetzt sind die ersten Anträge eingelaufen, zum Beispiel bei der Regionalregierung der Azoren, wo man natürlich heiße Tiefsee-Quellen und solche Ablagerungen hat und internationale Industrie-Konsortien wollen dort schürfen.
    Mense: Was erwarten Sie denn jetzt von der Konferenz nächste Woche, wo ja immerhin aus Politik, Wirtschaft und auch den Umweltverbänden Vertreter zusammenkommen? Das wäre ja auch die Chance für einen echten Dialog. Gehen Sie da mit bestimmten Forderungen rein?
    Lutter: Ja, der Dialog findet natürlich statt. Wir möchten aber auch ein klares Bekenntnis, dass zunächst Schutz vor Nutzung gehen muss, dass wir zum Beispiel beim Tiefsee-Bergbau ein Moratorium brauchen, ein Stopp solcher Aktivitäten, bevor nicht festgelegt ist, wo empfindliche Lebensräume sind, die unbedingt davor geschützt werden müssen.
    Mense: Stephan Lutter vom WWF über den noch dürftigen Meeresschutz anlässlich der Europäischen Konferenz "Tag der Meere" ab Montag in Bremen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.