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Europas vergessene Flüchtlinge
Das Elend in den Lagern auf den griechischen Inseln

Überfüllte Flüchtlingslager, verzweifelte Migranten und hilflose Helfer: Seit drei Jahren hat sich kaum etwas verbessert an der Lage in Griechenland. Dabei hatten sowohl Verantwortliche als auch die EU Hilfen versprochen. Griechenlands Regierung lässt jedoch Kritik an sich abprallen. Und Europa schaut weg.

Von Michael Lehmann und Thomas Bormann | 11.03.2019
Menschen hinter einem Maschendrahtzaun auf der griechischen Insel Lesbos.
Flüchtlinge in einem Lager auf Lesbos protestieren gegen ihre Deportation in die Türkei. (Getty Images / Milos Bicanski)
Gut 400 Afrikaner haben an diesem Januar-Morgen am Hafen von Samos-Stadt die Straßen blockiert. Es ist ein Protest, der für Einheimische und einige Urlauber auf den ersten Blick bunt und fast fröhlich wirkt. Viele tanzen und trommeln mit leeren Plastikflaschen den Rhythmus dazu. Doch die Parolen, die sie immer wieder rufen, klingen vor allem verzweifelt:
"Wir leben unter wirklich unmenschlichen Bedingungen. Das kann so nicht weitergehen." – "Wir hören, dass es sich auf Lesbos langsam bessert. Aber hier nicht. Schauen Sie sich im Camp um. Wir bekommen extrem schlechtes Essen." – "Manche haben Angst, dass sie sterben. Nur durchnässte Zelte für mehrere tausend Menschen. Es geht uns wirklich sehr, sehr schlecht".
Tausende leben inzwischen in Notbehausungen
Ein paar hundert Meter oberhalb von Vathi, dem Hauptort der griechischen Insel Samos, liegt das Registrierungszentrum, eines von fünf in Griechenland. Diese sogenannten "Hotspots" wurden nach dem EU-Flüchtlingsabkommen mit der Türkei schnell hochgezogen. Die Kapazität des "Hot spots" auf Samos beträgt offiziell nicht einmal 700 Menschen. Doch im Laufe der letzten drei Jahre wurden neben dem engen, streng bewachten Wohn-Container-Dorf immer mehr Zelte errichtet. Mehr als 4.000 Geflüchtete leben inzwischen in den Notbehausungen. Nach mehreren kalten Nächten mit Starkregen und kräftigem Wind zeigt eine Mutter aus dem Kongo auf die durchweichte Matratze in ihrem Zelt am Hügel:
"Wenn es hier heftig regnet, können wir nicht schlafen. Wir haben Angst, dass der Wind uns das Zelt wegfegt. Dann schlafen wir alle in der Mitte in einem Bett. Medizinische Hilfe gab es für mich bisher nicht. Ich habe nur kurz mal einen Doktor gesehen. Dann bin ich zur Klinik runter in den Ort. Aber die hatten keine Zeit und keine Medikamente für mich. Sie gaben mir nur was zum Anziehen für den Sohn. Ich sollte am nächsten Tag noch einmal kommen. Andere haben sie nicht weggeschickt."
Zelte in Moria: 40 Prozent der Bewohner des Camps sind Kinder.
Zelte in Moria: 40 Prozent der Bewohner des Camps sind Kinder (Deutschlandradio / Rodothea Seralidou)
"So schlecht wie jetzt war die Situation noch nie"
Ein Problem auf Samos sind die fehlenden Helfer. Große Organisationen wie "Ärzte ohne Grenzen" oder das UN-Flüchtlingshilfswerk haben auf der Insel deutlich weniger Personal im Einsatz als auf der weiter nördlich gelegenen Insel Lesbos. Die etwa 50 Freiwilligen, die sich in der Aktion "Samos Volunteers" zusammengeschlossen haben, versuchen die Not zumindest ein wenig zu lindern, mit trockenen Räumen, einer Bücherei und Sprachkursen. Einsatzleiter Bogdan Andrei:
"Ich bin seit drei Jahren hier, aber so schlecht wie jetzt war die Situation noch nie. Das medizinische Personal ist eigentlich für die Komplettversorgung im Camp zuständig, auch für Medikamente. Aber sie haben viel zu wenige Leute: Esist gerade mal ein Arzt hier – und ein paar Pfleger – und das für mehr als 4.000 Menschen – das reicht absolut nicht."
Im Hafen der griechischen Insel Chios. Die Fähre aus Cesme legt jeden Morgen um 9 Uhr in Chios an. Von Bord gehen Dutzende Tagestouristen aus der Türkei, sie haben eine Rückfahrkarte für 40 Euro gekauft und während der einstündigen Überfahrt gemütlich eine Tasse Tee getrunken. In Chios angekommen können sie am Horizont immer noch den türkischen Fährhafen Cesme sehen - so dicht liegen die Türkei und die EU an dieser Stelle beieinander.
Tausende von Schwimmwesten, die von Flüchtlingen genutzt wurden, stapeln sich auf einer Wiese auf Lesbos. Im Vordergrund ein schmutzig-rosa Kinderschuh.
Bis zu 800 Euro zahlen Flüchtlinge an Schleuser, um von der Türkei nach Griechenland per Schlauchboot überzusetzen (dpa picture alliance / Zuma Press)
500 bis 800 Euro für eine Überfahrt in überfüllten Schlauchbooten
Diese Meerenge zieht immer wieder Flüchtlinge aus Syrien, aus Afghanistan oder aus afrikanischen Ländern an. Die Fähre bleibt für sie allerdings unerreichbar. Wer kein Visum für die EU hat, kommt gar nicht erst ins Hafengebiet des türkischen Küstenstädtchens Cesme hinein. Stattdessen kursieren unter den Flüchtlingen Handy-Nummern von Schleppern. Die kassieren 500 bis 800 Euro pro Person für eine Überfahrt in überfüllten Schlauchbooten an allen Kontrollen vorbei – meist während der Nacht. Das ist lebensgefährlich – Hunderte Flüchtlinge sind in den letzten Jahren in der Meerenge zwischen griechischen Inseln und dem türkischen Festland ertrunken. Warum nehmen die Flüchtlinge dieses Risiko auf sich? fragen sich viele Menschen in türkischen Städten wie Cesme oder Izmir. In der Türkei gebe es doch auch Hilfe:
"In unser Büro kommen jeden Tag rund 200 Flüchtlinge und suchen Rat. Wir geben ihnen auch psychologische Hilfe, vor allem Kindern und Frauen. Oder wir vermitteln ihnen einen Übersetzer, wenn sie zum Arzt oder ins Krankenhaus müssen", sagt Esra Simsir von der türkischen Hilfsorganisation ASAM. In ihrem Büro in Izmir stapeln sich Decken und warme Jacken – "die verteilen wir an besonders Schutzbedürftige", sagt sie.
In der Kinderklinik der Ärzte ohne Grenzen auf Lesbos  werden rund 100 Kinder am Tag untersucht.
In der Kinderklinik der Ärzte ohne Grenzen auf Lesbos werden rund 100 Kinder am Tag untersucht. (Deutschlandradio / Rodothea Seralidou)
3,6 Millionen Flüchtlinge allein in der Türkei
ASAM hilft Flüchtlingen in Not. Viel mehr aber kann ASAM nicht leisten. Es kann den Flüchtlingen keine Wohnung und keine Arbeit vermitteln. Die Zahl der Hilfsbedürftigen ist einfach zu hoch. Esra Simsir zitiert aus der offiziellen Statistik, wie viele Flüchtlinge allein aus dem Nachbarland Syrien in die Türkei gekommen sind:
"Drei Millionen, sechshunderttausend". Die Türkei hat demnach mehr syrische Flüchtlinge aufgenommen als alle anderen Länder der Welt zusammen.
Viele dieser 3,6 Millionen Syrer in der Türkei schlagen sich als schlecht bezahlte Hilfsarbeiter durch – auf dem Bau, in Textilfabriken oder als Hilfskellner. Der karge Lohn reicht nicht, um sich hier in der Türkei ein neues Leben aufzubauen – und – noch schlimmer - immer mehr Syrer verlieren ihre Jobs:
"Ja, es ist schwieriger geworden während des vergangenen Jahres. Es gibt noch manche Bereiche, in denen Flüchtlinge Aushilfsjobs finden. Aber seit der neuen Wirtschaftskrise in der Türkei haben die meisten jetzt große Probleme Arbeit zu finden."
So werden die Handy-Nummern der Schlepper jetzt wieder häufiger angewählt. Ganze Familien kratzen ihr Erspartes zusammen und wagen die lebensgefährliche Überfahrt. Sie sehen in der Türkei keine Zukunft für sich. Sie klammern sich an die Hoffnung, es in Europa zu schaffen, sich dort ein neues Leben aufbauen zu können. Deshalb streifen sie nachts die billigen Schwimmwesten über und steigen ins Schlauchboot – mit Kurs auf Samos, Lesbos oder Chios.
An einem offenen Feuer wärmen sich im Flüchtlingscamp Moria einige Männer die Hände.
Unmenschliche Zustände: Im Flüchtlingscamp Moria leben fast 6000 Menschen. (imago/ZUMA Press)
In den Athener Büros des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen, des UNHCR, werden die neuesten Entwicklungen an der Grenze zur Türkei jede Woche im Team besprochen. An der Wand leuchten Diagramm und Kurven, die nach oben zeigen. 50.508 Geflüchtete, die im Jahr 2018 neu nach Griechenland kamen, hat das UNHCR offiziell erfasst. Im Jahr zuvor waren es noch 14.000 weniger. Besonders auffällig dabei ist die Zahl der Neuankünfte im Evros-Gebiet. Über den Fluss Evros, der die Grenze zur Türkei markiert im Nordosten Griechenlands, sind im vergangenen Jahr mehr als 18.000 Menschen nach Griechenland geflüchtet. Boris Cheshirkov und seinem Team beim UNHCR hat dieser überraschende Trend viel Arbeit gemacht:
"Wir haben an die griechische Regierung appelliert, dass sie genügend Platz schaffen muss, um die neu ankommenden Menschen aufnehmen zu können. Alleine im April kamen fast 3.600 Menschen über den Evros. Zum ersten Mal seit Inkrafttreten des EU-Türkei-Deals war das ein Monat mit mehr Neuankünften auf dem Landwege – auf den Inseln kamen im gleichen Monat 3.000 Menschen neu an."
Die nordöstliche Provinz Griechenlands tut sich mit der stark gestiegenen Zahl von Flüchtlingen besonders schwer, denn die Gegend ist strukturschwach, auch viele Einheimische sind von der Krise besonders hart getroffen worden. Flüchtlinge bekommen das natürlich zu spüren, sagt Boris Cheshirkov vom UNHCR:
"Hier kommen vor allem Familien an, aus Syrien, aus dem Irak und aus Afghanistan. Sie kommen aus Kriegsgebieten – mit kleinen Kindern, waren für sehr lange Zeit unterwegs. Sie hatten dann noch extreme Schwierigkeiten über den Fluss zu kommen. Dann sind sie hier und werden von der Polizei in Empfang genommen. Die Polizeireviere sind aber gar nicht auf diese Menschen, auf Asylsuchende vorbereitet."
"Wir haben tatsächlich ein massives Problem"
Inzwischen gibt es auch im Nordosten Griechenlands ein kleineres Registrierzentrum für Flüchtlinge – allerdings auch massiv Probleme mit Schleusern, die vor allem nachts die neu über den Evros geschmuggelten Menschen in Minibussen über die Autobahn unerkannt nach Thessaloniki oder gleich weiter in nördliche Länder bringen wollen. Dimitrios Palis, der Vize-Bürgermeister der griechischen Grenzstadt Orestiada sagt, dass sich viele Bewohner der strukturschwachen Region Sorgen machen:
"Wir haben tatsächlich ein massives Problem. Frontex, die europäische Grenzschutzagentur, war mit einem kleinen Kontingent hier. Jetzt ist von ihnen nichts mehr zu sehen. Griechenland ist für die meisten Flüchtlinge das erste Land in Europa, das sie erreichen. Wir müssen sie aufnehmen und irgendwie unterbringen. Die meisten, die jetzt kommen, sind aus Syrien, aus dem Irak und aus Pakistan."
Zahl türkischer Flüchtlinge steigt
Und zunehmend auch Flüchtlinge mit türkischer Staatsbürgerschaft. Im Januar 2019, so sagt es das UNHCR, kamen hauptsächlich Türken als Flüchtlinge über den Evros.
Für die Lager auf den Inseln Lesbos, Samos, Chios, Kos und Leros dürfte das auch auf längere Sicht bedeuten, dass sie heillos überfüllt sein werden, meint Boris Cheshirkov, der UNHCR-Verantwortliche für die griechischen Inseln:
"Orte wie Moria auf Lesbos sind geschaffen worden als Registrierzentren, in denen Flüchtlinge möglichst schnell erfasst werden. Aber es sind Flüchtlingsherbergen geworden. Und zusätzlich haben wir im Sommer viel mehr Neuankünfte auf den Inseln gehabt.
Viele Familien aus Kriegsgebieten – besonders schutzbedürftige Menschen sind darunter, die besondere Unterstützung bräuchten."
Eigentlich könnte Griechenland hart sein und alle Flüchtlinge, die in Schlauchbooten auf den Stränden der Ägäis-Inseln anlanden, sofort wieder zurückschicken in die Türkei. Einmal kurz die Fingerabdrücke abnehmen, den Namen registrieren und dann abschieben - innerhalb von drei Tagen. Ruckzuck zurück – so sollte das gehen mit dem EU-Türkei-Abkommen vom März 2016.
Doch der griechische Migrationsminister Dimítrios Vítsas winkt ab. Nein, so gehe das eben nicht. Er schüttelt den Kopf. Das verstoße gegen die Genfer Flüchtlingskonvention:
"Abschieben in die Türkei ist verboten, nicht nur nach internationalem Recht, sondern nach meiner Überzeugung auch aus humanitären Gründen. So läuft das Verfahren."
Asylverfahren sind umständlich und langwierig
Ja, jeder einzelne Flüchtling kann Asyl beantragen, über jeden einzelnen Antrag müssen die Behörden entscheiden. Das braucht zunächst einmal viel Zeit, sagt Minister Vitsas. Das Asylverfahren in Griechenland ist umständlich und langwierig. Die Beamten prüfen zunächst, ob dem Flüchtling Gefahr droht, wenn er in die Türkei zurückgebracht würde. Diese Prüfung dauert etwa vier Monate,– wenn es schnell geht. Aber auch danach wird kaum ein Flüchtling abgeschoben, denn jeder hat das Recht, Widerspruch einzulegen und - in einem weiteren Schritt – zu klagen. So kann sich die Prüfung, ob jemand in die Türkei zurückgeschickt werden darf oder nicht, über eineinhalb Jahre hinziehen.
Während dieser Zeit dürfen die Flüchtlinge die Insel nicht verlassen, sie müssen in überfüllten Wohncontainern oder durchnässten Zelten ausharren, beklagt der Jurist Robert Nestler:
"Wenn man das ganze Verfahren durchläuft, wenn man also von seinen Rechtsmitteln, die einem ja aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten zustehen, komplett Gebrauch macht, dann sitzt man hier in der Falle."
Wer das aushält, eineinhalb Jahre im Lager, und danach einen positiven Bescheid bekommt, der braucht immer noch viel Geduld:
"Sobald man dann die Entscheidung bekommen hat, dass die Türkei für einen nicht sicher ist, ist das Asylverfahren noch lange nicht vorbei. Sondern dann geht’s tatsächlich um den eigentlichen Asylantrag, dann geht es darum, ob die Person politisch verfolgt ist, oder subsidiär schutzberechtigt. Die Termine für den eigentlichen Asylantrag liegen mittlerweile im Jahr 2021."
Der Kampf gegen bürokratische Hürden
Wer nach eineinhalb Jahren Warten erfährt: Du darfst Asyl beantragen, der bekommt jetzt einen Anhörungstermin in zwei Jahren. Robert Nestler findet das alles ungerecht. Er will den Flüchtlingen helfen. Robert Nestler ist Jurist bei der Hilfsorganisation "Equal Rights Beyond Borders", übersetzt: Gleiche Rechte über alle Grenzen hinweg.
Wenn zum Beispiel ein 17-jähriger Syrer hier auf Chios festhängt und nachziehen möchte zu seiner Familie, die schon in Deutschland lebt, dann ist das ein Fall für Robert Nestler und seine Mitstreiter. Sie kämpfen gegen bürokratische Hürden, sie ziehen vor Gericht, damit Familien auch tatsächlich wieder zusammenkommen. Oft nämlich, so sagt Robert Nestler, versuchen vor allem die deutschen Behörden, Familienzusammenführung zu verhindern, selbst wenn die Betroffenen ein Recht dazu haben
Migrationsminister will die Asylverfahren beschleunigen
Der griechische Migrationsminister Vitsas findet die Zustände in den Lagern auf den Inseln auch schlimm. Er will die Asyl-Verfahren beschleunigen. Vor allem aber fordert er Solidarität von den anderen EU-Ländern. Die sollen bitte direkt aus diesen Lagern Flüchtlinge übernehmen und Griechenland mit seiner EU-Außengrenze nicht im Stich lassen. Doch die anderen EU-Länder winken ab.
Mit der Folge, dass jeder Flüchtling, der von der Türkei aus die griechische Küste erreicht, letztlich in Griechenland bleibt, so Minister Vitsas.
Und das ist das Dilemma – gleichermaßen für Griechenland und für die dort gestrandeten Flüchtlinge in den überfüllten Lagern.
Ein Leben fast ohne Perspektive
Warten und irgendwie ausharren – es ist ein Leben fast ohne Perspektive für viele tausend Menschen auf den griechischen Inseln. Es gibt Helfer, die versuchen, ihnen trotzdem ein wenig Hoffnung zu geben. Auf Lesbos hat das UNHCR zusammen mit der Insel-Verwaltung 718 Flüchtlingen eine feste Bleibe vermitteln können. Eine Wohnung zum Beispiel, wie sie der Syrer Alaheldin mit seiner Familie in Mytilini, dem Hauptort der Insel, bekommen hat:
"Wir leben im Moment von Tag zu Tag. Wir können uns selbst noch nicht genau vorstellen, was wir in ein paar Jahren tun werden. Wir können nur hoffen, dass wir weiter in Frieden und Ruhe leben können. Im Moment sind wir glücklich - und haben keine Probleme."
Theodoros Alexellis ist auf Lesbos beim UN-Flüchtlingshilfswerk für das Vermitteln von Wohnungen zuständig:
"Wenn du die Menschen aus dem Camp holst und sie hier in der Ortsmitte in guten Appartements einziehen, dann spüren sie sofort, dass sie ihre Würde zurückbekommen haben. Sie sind dann wieder selbst verantwortlich für ihr Leben. Im Camp geht es nur ums Überleben. Hier kannst du dein Leben wieder neu anpacken. Die Menschen fühlen sich gleich ganz anders."
Leider, so muss das auch das UNHCR zugeben, gibt es für die allermeisten Flüchtlinge auf den griechischen Inseln aber im Moment keine Chance auf eine eigene Wohnung. Sie müssen weiter im überfüllten Lager "Moria" außerhalb des Ortes ausharren. Vor allem für schwangere oder allein reisende Frauen ist das eine Tortur. Ihnen zu helfen, hat sich die Schweizer Hilfsorganisation SAO mit ihrem Projekt Bashira zur Aufgabe gemacht. Es ist ein kleines Wohnhaus in Mytilini auf Lesbos. Flüchtlingsfrauen bekommen darin für 20 Minuten beispielsweise ein Badezimmer für sich ganz alleine:
"Frauen aus dem arabischen Raum mit Fluchterfahrungen sind in großen Lagern wie Moria so geschockt, dass sie tagelang erst gar nicht duschen wollen. Man kann im Lager nicht darauf eingehen, was sie in ihrer Kultur gewohnt waren. Abstand halten zum Beispiel."
"Ich frage mich, wie die Frauen das aushalten"
Die Helferinnen von Bashira haben schon Hunderten von Flüchtlingsfrauen mit ihrem Haus in Mytilini wenigstens ein paar entspannte Stunden im Frauenhaus bereiten können - auch wenn sie nach ihrer Ruhezeit wieder zurück ins große Lager müssen. Sonja Andreu Barradas, die Bashira–Leiterin, findet, dass der Durchhaltewillen der meisten Frauen unglaublich stark ist:
"Ich frage mich, wie die Frauen das aushalten. Wenn sie nach unruhiger Nacht im Lager morgens aufwachen. Das muss doch verrückt machen. Das muss für sie ständig so sein als wenn ihre Albträume Wirklichkeit werden. `Willkommen in Europa`! Das war für sie die Hoffnung. Doch es gibt hier kein Willkommen für sie.".
Überfüllte Flüchtlingslager, verzweifelte Migranten und ziemlich hilflose Helfer: Seit drei Jahren hat sich kaum etwas verbessert an der Lage in Griechenland, obwohl die Regierung und obwohl viele Politiker in Europa das immer wieder gefordert und nicht wenige auch versprochen haben.
Blick auf das Flüchlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos
Das Flüchtlingslager in Moria, Griechenland (dpa / picture alliance / Markus Heine)
"Kommt nicht nach Europa, denn hier müsst ihr leiden"
Die Verantwortlichen in Griechenland, im Migrationsministerium, bei Militär und Polizei und auch bei der Grenzschutzagentur Frontex – sie lassen seit Jahren die immer gleiche Kritik genauso an sich abprallen wie die Verantwortlichen in der EU. Europa hört weg, schaut nicht hin. Nach Ansicht vieler Nicht-Regierungsorganisationen gibt es dafür einen Grund. Salam Aldeen vom dänischen "Team Humanity" formuliert es so:
"Die Flüchtlinge leiden. Warum müssen sie leiden? Die Europäische Union oder Griechenland oder – ich weiß nicht – irgendwer will, dass sie leiden. Um das Signal in die Türkei zu senden: Kommt nicht! Sonst müsst Ihr auch leiden. Kommt nicht nach Europa, hier müsst Ihr leiden."