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Europaspiele in Belarus
Chance auf Wandel?

Umstritten waren die Europaspiele in Minsk. Ein Vorwurf: Solche Spiele würden nur dem Autokraten Lukaschenko nützen, der damit sein Image aufpolieren könne. Befürworter sahen die Spiele als Möglichkeit, eine Öffnung des Landes und eventuell sogar Reformen anzustoßen.

Von Gesine Dornblüth | 30.06.2019
GRODNO REGION, BELARUS - MAY 21, 2019: A person dressed as Lesik the Baby Fox, the official mascot, outside the Mir Castle hosting a ceremony to unveil the medals ahead of the 2019 Europaspiele scheduled to start in Minsk on June 21. Natalia Fedosenko/TASS PUBLICATIONxINxGERxAUTxONLY TS0AC171
Das Maskottchen der Europaspiele in Minsk (Imago)
Auf Youtube ist ein Boykottaufruf zu sehen: Drei Füchse, Maskottchen der Europaspiele in Belarus, halten Pappschilder in den Händen. Darauf steht: "Belarus ist eine Diktatur" und "Belarus ist ein Polizeistaat". Dann die Forderung: "Spiel nicht mit einem Diktator". Produziert haben das Video belarussische Anarchisten. Mikola Dziadok aus Minsk ist Anarchist [*]. Die Erwartung, dass die Europaspiele zu einer Öffnung und zu Reformen im Land beitragen könnten, hielt er von Anfang an für Unsinn.
"Es gibt keinen Grund, das zu glauben. In Belarus gab es schon mehr als ein internationales Ereignis, zur Eishockey-WM 2014 sind zig mal mehr Leute gekommen als zu den Europaspielen, und nichts hat sich geändert. Und wo bitte soll überhaupt der Zusammenhang sein zwischen einer Vielzahl ausländischer Besucher und politischem Tauwetter? Das Problem ist doch nicht mangelnder kultureller Kontakt der Belarussen mit Europa. Man kriegt hier leicht ein Schengen-Visum. Das nutzen auch sehr viele Leute."
Dziadok ist ehemaliger politischer Gefangener
Mikola Dziadok ist einer der ehemaligen politischen Gefangenen in Belarus, die Staatschef Lukaschenko 2015 begnadigte. Fünf Jahre hat er abgesessen, wegen angeblichen Rowdytums. Heute ist er 30. Die Freilassung der politischen Häftlinge 2015 war Anlass für die EU gewesen, auf Belarus zuzugehen. Zu Unrecht, meint Dziadok, denn seitdem habe sich nur die Art der Repressionen geändert. Sie richteten sich nicht mehr gegen oppositionelle Parteien, denn die spielten ohnehin kaum noch eine Rolle, sondern gegen subkulturelle Jugendbewegungen wie die Anarchisten. Dziadok selbst wurde seit 2015 erneut wiederholt festgenommen und zu Geldstrafen und mehrtägigen Gefängnisaufenhalten verurteilt, wegen fragwürdiger Anschuldigungen wie angeblich extremistischer Facebookposts.
Allerdings räumt Dziadok ein: Im Vorfeld und während der Europaspiele habe es - anders als noch vor der Eishockey-WM 2014 - keine politischen Repressionen gegeben. "Vor der Eishockey-WM 2014 wurden mehr als 40 Aktivisten unserer Bewegung festgenommen, die saßen während der gesamten WM in Haft. Die Machthaber wollten keine Protestaktionen. Wir hatten so etwas auch vor den Europaspielen erwartet, aber es ist nicht passiert. Das ist sehr gut, es zeigt, dass unser Regime Angst hat vor dem Westen: Wenn Repressionen öffentlich werden, macht es das Image von Belarus noch schlechter, als es heute schon ist."
"Ausländische Besucher tun Weißrussland gut"
Yauheni Preiherman sieht die Rolle der Europaspiele positiver. Der 32jährige arbeitet beim Minsker Dialog, einem eher regierungsnahen Thinktank. Er freut sich über die Infrastruktur, die entstanden ist. Die ausländischen Besucher täten Weißrussland gut. Das habe sich schon während der Eishockey-WM gezeigt. "Natürlich ist die Wirkung nicht vergleichbar mit dem Effekt der Fußball-Weltmeisterschaft in Russland. Die Zahl der Besucher ist ja auch nicht vergleichbar. Aber sogar 5.000 Fans sind schon sehr gut. Wenn du vor sieben bis acht Jahren mal Englisch auf der Straße gehört hast, war das, als hättest du einen Dinosaurier getroffen. Heute ist es normal. Belarus wird internationaler, und große Sportereignisse sind ein Weg, das zu erreichen."
Die Frage, ob Lukaschenko die Spiele genutzt habe, um sein angeschlagenes Image aufzubessern, findet Preiherman zweitrangig. Jeder Präsident profitiere doch von internationalen Großveranstaltungen, autoritäre Herrscher erst recht.
"Zuallererst muss man sich doch fragen, ob etwas gut für ein Land ist oder nicht. Wir aber diskutieren, ob es gut für Lukaschenko ist. Mir scheint, Belarus, die Machthaber und die Opposition, und auch die internationale Gemeinschaft, sollten in dieser Hinsicht erwachsen werden. Erwachsen bist du, wenn du deinen Interessen entsprechend handelst, selbst, wenn deine Eltern das von dir wollen. Solche Spiele helfen Belarus, und wenn das mit den Interessen eines sagen wir autoritären Staatschefs zusammenfällt, dann ist das eben so."
[*] Anmerkung der Redaktion: An dieser Stelle wurde eine Formulierung präzisiert.