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Europawahl
"Da muss man sich auch mal freuen"

Die SPD hat bei der Europawahl so viele Stimmenzuwächse wie noch nie bundesweit verzeichnet: Dennoch seien die erreichten 27 Prozent nicht das Traumergebnis, sagte Parteivize Ralf Stegner im Deutschlandfunk. Aber die Partei müsse sich jetzt auch einmal darüber freuen, dass ihre Strategie aufgegangen sei.

Ralf Stegner im Gespräch mit Dirk Müller | 26.05.2014
    Der stellvertretende Parteivorsitzende Ralf Stegner.
    Der stellvertretende Parteivorsitzende Ralf Stegner: "Das tun, was wir vorher versprochen haben: Das ist das Rezept für die SPD, dass es weiter nach vorne geht." (dpa / Markus Scholz)
    "Natürlich war die Ausgangsbasis beschämend schlecht", sagte Stegner. "Trotzdem muss man sagen: 6,5 Prozent zugelegt, das haben wir bei nationalen Wahlen noch nie geschafft unter den Umständen. Da muss man sich auch mal freuen - wir haben das ja schon fast verlernt, uns an Wahlabenden auch richtig freuen zu können." Die deutlichen Zugewinne hätten personelle und inhaltliche Gründe, sagte der stellvertretende Parteivorsitzende im Deutschlandfunk. Die SPD habe zum einen mit Martin Schulz gegen drei Spitzenkandidaten der Union kandidiert: Angela Merkel, Jean-Claude Juncker und David McAllister. "Man wusste gar nicht genau, wer eigentlich kandidiert - da war unsere Strategie, glaube ich, deutlich besser."
    In Stimmen ausgezahlt habe sich der Widerstand gegen Marktradikale und Rechtspopulisten. "Deren Parolen" habe beispielsweise die CSU in Bayern im Wahlkampf übernommen. Hilfreich sei auch gewesen, dass die Sozialdemokraten ihre Wahlversprechen in der Bundesregierung eingelöst hätten, sagte Stegner. "Das tun, was wir vorher versprochen haben: Das ist das Rezept für die SPD, dass es weiter nach vorne geht."
    Im Streit über den EU-Kommissionspräsidenten betonte Stegner, "jetzt entscheidet das Parlament". Nicht die stärkste Fraktion bestimme den Posten, sondern eine Mehrheit mehrerer Fraktionen. "Nur Jean-Claude Juncker oder Martin Schulz können Präsident werden." Ein dritter Kandidat "wird die Politikverdrossenheit massiv befördern, das wird Frau Merkel wissen". Wichtig sei, dass der Präsident "nicht mit Extremisten" eine Mehrheit bekomme.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Die Union kommt auf 35 Prozent, die SPD erzielt 27 Prozent, legt also um sechs Zähler zu, die Grünen 10,7, die Linken 7,4, stabilisieren ihr Niveau, die FDP 3,4 Prozent, wieder ein Desaster, und die Alternative für Deutschland von null auf sieben Prozent. Die SPD legt um sechs Prozent zu, kommt auf 27 Prozent. Doch wie gut ist das Ergebnis? – Am Telefon ist jetzt der stellvertretende SPD-Vorsitzende und Twitter-Freund Ralf Stegner. Guten Morgen.
    Ralf Stegner: Guten Morgen, Herr Müller.
    Müller: Was haben Sie gegen deutsche Patrioten?
    Stegner: Überhaupt nichts. Dagegen habe ich überhaupt nichts. Die Frage, was man an einer Werbung gut findet oder nicht gut, das ist ja eine andere Frage. Wir haben plakatiert mit Martin Schulz aus Deutschland für Europa. Das war, glaube ich, eine gute Linie. Er ist ja nominiert worden von allen europäischen sozialdemokratischen und sozialistischen Parteien und deswegen ist es auch ein gemeinsamer Erfolg und wir sind auch insgesamt für eine sehr proeuropäische Strategie eingetreten. Das hat uns ja von anderen Parteien unterschieden, auch in Deutschland. Insofern: Differenzen über Werbesprüche sind das eine, die Linie insgesamt ist eine andere gewesen und das war, glaube ich, auch gut so. Anders wäre unser Erfolg auch nicht zustande gekommen.
    Müller: Und es ist auch einfach, Wahlsiegern zu verzeihen?
    Stegner: Wahlerfolg ist insbesonders Martin Schulz zu verdanken
    Stegner: Das hat doch gar nichts damit zu tun. Der Martin Schulz hat einen hervorragenden Wahlkampf gemacht und er ist nun unbestritten alles andere als ein Nationalist. Das ist ein europäischer Politiker, der für eine Stärkung von Europa seit Jahrzehnten eintritt, und es hat sich gezeigt, dass wir gut personalisieren konnten, denn Martin Schulz hat ja im Grunde genommen in Deutschland gegen drei Spitzenkandidaten der Union kandidiert: Frau Merkel, Herrn Juncker und Herrn McAllister. Man wusste gar nicht so genau, wer von denen eigentlich kandidiert. Da war unsere Strategie, glaube ich, deutlich besser und der Erfolg ist, glaube ich, insbesondere einer von Martin Schulz.
    Müller: Sechs Prozent sind dazugekommen. Das Ausgangsniveau 21 Prozent. Das war ja eher, so haben das Kritiker damals ja geschrieben, vernichtend, beschämend für die SPD. Sind 27 Prozent für eine SPD in Deutschland wirklich gut?
    Stegner: "Glaubwürdigkeit hilft"
    Stegner: Nein. Insgesamt ist das nicht das, was man sich erträumt. Und natürlich war die Ausgangsbasis wirklich beschämend schlecht. Trotzdem muss man sagen, sechseinhalb Prozent zugelegt, das haben wir bei nationalen Wahlen noch nie geschafft unter den Umständen. Da muss man sich auch mal freuen. Wir haben das ja schon fast verlernt, uns an Wahlabenden auch mal richtig freuen zu können. Das können wir diesmal schon, finde ich. Wir haben kräftig zugelegt und das ist insgesamt so und das zeigt meiner Meinung nach erstens, dass es gut war, sich für ein soziales Europa einzusetzen und den Marktradikalen und den Rechtspopulisten auch konsequent Widerstand entgegenzusetzen. Andere haben das ja anders gemacht, die haben teilweise deren Parolen übernommen, wie man bei der CSU in Bayern ja sehen kann am Ergebnis. Wir haben auf was anderes gesetzt und Glaubwürdigkeit hilft. Da hat uns auch die Bundesregierung geholfen, dass wir konsequent beim Mindestlohn, bei Rente geblieben sind, nach der Wahl das tun, was wir vorher versprochen haben. Das ist das Rezept für die SPD, dass es weiter nach vorne geht.
    Müller: Ich weiß nicht, ob das seriös ist. Mir ist es dennoch gerade eingefallen. Deswegen möchte ich Sie das fragen. Wenn Martin Schulz gegen Jean-Claude Juncker verlieren sollte, nicht Kommissionspräsident wird, dann könnte er Kanzlerkandidat der SPD werden.
    Stegner: "Ich hoffe, dass es für Martin Schulz noch reicht"
    Stegner: Schöne Idee, aber wir haben noch lange keine Wahl. Und im Übrigen, ob das so kommt, das weiß man ja gar nicht, denn jetzt entscheidet das Parlament darüber, wer dort eine Mehrheit bekommt. Das ist sehr unklar. Es geht ja nicht darum, wer da stärkste Fraktion ist, sondern wer eine Mehrheit zusammenkriegt im Parlament. So ist das, auch im Deutschen Bundestag ist das so. Nur Jean-Claude Juncker oder Martin Schulz können Präsident werden. Ich hoffe, dass es für Martin Schulz noch reicht.
    Ob das so ist, werden wir sehen. Ich hoffe jedenfalls, dass die Regierungschefs nicht glauben, sie können da nur noch sich irgendeinen Dritten da herausmauscheln. Das wird nicht gehen, sondern man wird einen zum Präsidenten machen müssen, der auch dafür kandidiert hat. Wir hoffen, dass es für Martin Schulz noch reicht, aber das werden die nächsten Tage zeigen.
    Müller: Das sind klare Worte von Ihnen jetzt mit Blick auf einen möglichen dritten Kandidaten. Sigmar Gabriel hat das auch so angedeutet. Die Kommissionsfrage aus den Reihen des Parlaments heraus, die Kommissionspräsidentenfrage, das ist auch eine Koalitionsfrage?
    Stegner: Natürlich, denn wir können doch nicht in einem Europawahlkampf werben für einen Spitzenkandidaten und nachher spielt das keine Rolle. Das würde die Politikverdrossenheit massiv befördern, das wird Frau Merkel wissen. Im Übrigen kann man ja niemandem empfehlen, einen Kandidaten vorzuschlagen, der am Ende im Parlament keine Mehrheit bekommt. Das wäre nicht besonders schlau. Mal sehen, was herauskommt.
    Müller: Herr Stegner, Sie sind stellvertretender SPD-Vorsitzender. Sie gelten als Linker in diesem sozialdemokratischen Spektrum. Sie wollen auch die Linkspartei stärker mit einbinden, damit Sie irgendwann auch mal wieder die Perspektive haben, vielleicht ohne die Union zu regieren. Wäre das jetzt in Europa eine Gelegenheit, auf die Linken zuzugehen und zu sagen, kommt, macht mal mit?
    "Was man nicht macht ist, dass man mit Extremisten Mehrheiten bildet"
    Stegner: Na ja, im Europäischen Parlament sind die Dinge komplizierter, gleichzeitig vielleicht auch ein bisschen entspannter als in Deutschland. Da sind ja unterschiedlichste Gruppierungen, die da eine Rolle spielen, und am Ende muss man sehen, wofür eine Mehrheit zusammenzukriegen ist. Ich wüsste nicht, was dagegen spricht.
    Was man nicht macht ist, dass man mit Extremisten Mehrheiten bildet. Ich hoffe also sehr, dass auch die Konservativen im Europäischen Parlament nicht etwa auf Rechtspopulisten und Europafeinde setzen. Die gibt es ja da auch.
    Müller: Das ist so einfach zu trennen, Linksmoderate sind auf keinen Fall Linksextremisten?
    Stegner: Im Europäischen Parlament ist es, glaube ich, sehr komplex. Da gibt es sowohl moderate Kräfte als auch Extremisten. Und es darf nicht so sein, dass ein Kommissionspräsident von Extremisten gewählt wird. Das gilt auf beiden Seiten.
    Müller: Wir berichten gleich, Herr Stegner, im Anschluss hier noch ausführlich über die Kommunalwahlen, nicht so gut für die SPD. Wie passt das zusammen, Europawahl gut, Kommunalwahl nicht so gut?
    Stegner: Na ja, nach den Zahlen, die ich jetzt gesehen habe, haben wir auch da zugelegt, je nachdem, wie das Ausgangsniveau ist. Ich kann mich nicht beschweren. In meinem eigenen Bundesland Schleswig-Holstein, da haben wir überdurchschnittlich zugelegt. Da hatten wir keine Kommunalwahlen, aber bei der Europawahl war das so.
    Die Wahlbeteiligung hat übrigens auch zugenommen, was auch gut für uns ist. Ich glaube, am Ende ist es gut, wenn man eine konsequente Linie hat. Wir hatten die: sozial für Europa, gegen die Populisten. Das hat sich ausgezahlt. Dass Kommunalwahlergebnisse höchst unterschiedlich sind, ist immer so, und das kann man nicht einem allgemeinen Trend zuordnen.
    Müller: SPD-Parteivize Ralf Stegner bei uns im Deutschlandfunk. Danke für das Gespräch, auf Wiederhören nach Berlin.
    Stegner: Sehr gerne. Tschüss!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.