Europawahl in Deutschland
Mit Sonnenschein und ohne Hürden

Soviel zumindest ist sicher: Dem nächsten EU-Parlament werden mehr als die bisherigen sechs Parteien aus Deutschland angehören - wegen des Wegfalls der Sperrklausel. Nicht jeder in Berlin freut sich darüber. Unterdessen entfaltet sich eine Debatte über die Wahlberechtigung von Demenzkranken.

Von Gudula Geuther |
    Ein Wahlhelfer in bayerischer Tracht mit Hut verfolgt am 25.05.2014 in Deining (Bayern) in einem Wahllokal den Einwurf eines Wahlzettels in die Wahlurne.
    Ein Wahlhelfer im bayerischen Deining. (Tobias Hase/dpa)
    Strahlender Sonnenschein am Wahltag nützt konservativen Parteien. Was noch vor Jahren als Binsenweisheit galt, stellen Wahlforscher heute infrage. Letztlich gesichert ist nicht einmal der Einfluss des Wetters auf die Wahlbeteiligung. Die lag bei der letzten Wahl zum Europäischen Parlament 2009 bei 43,3 Prozent, etwas über europäischem Schnitt, aber annähernd dreißig Prozent unter den Beteiligungszahlen bei Bundestagswahlen. Aufgerufen sind in Deutschland knapp 62 Millionen Bundesbürger, die Zusammensetzung des achten Europäischen Parlaments zu bestimmen. Dazu kommen um die zwei Millionen EU-Bürger in der Bundesrepublik. Sie können selbst entscheiden, ob sie ihre Stimme in Deutschland oder im Land ihrer Staatsangehörigkeit abgeben, nach den jeweils geltenden Regeln. 96 Sitze sind für Deutschland zu vergeben. Über eintausend Kandidaten aus 25 Parteien und politischen Vereinigungen bewerben sich darauf.
    Jetzt schon kann als sicher gelten: Von diesen Parteien werden mehr vertreten sein als 2009. Damals galt eine Fünfprozenthürde, übersprungen wurde sie von den Parteien, die damals auch im Bundestag vertreten waren, CDU und CSU, SPD, Grüne, FDP und Linkspartei. Ein europäisches Wahlrecht gibt es nicht, jedes Land bestimmt die Regeln der Stimmabgabe und Wertung selbst. In Deutschland kippte das Bundesverfassungsgericht 2011 die Sperrklausel von fünf Prozent für die Europawahl, in diesem Februar ließen die Richter auch den Versuch des Bundestages scheitern, stattdessen eine Dreiprozenthürde einzuführen. Das bedeutet im Ergebnis: Je nachdem, ob man die abgegebenen Stimmen oder die Zahl der Wahlberechtigten betrachtet, genügt für einen Sitz in Brüssel und Straßburg nun ein halbes bis ein Prozent. Legt man das Ergebnis von 2009 zugrunde bedeutet das: Es wären sieben Parteien mehr ins Parlament eingezogen, sechs davon mit einem einzelnen Sitz. Als Basis für die Prognose taugen die Zahlen allerdings nicht. Denn vor allem die kleinen Parteien argumentieren, ohne Hürde entfiele die Angst des Wählers, dass seine Stimme unter den Tisch falle, sie erhoffen sich Zuwächse. Erfahrungswerte gibt es nicht. Solche Überlegungen dürften für die EU-kritische AfD ohne Belang sein. Sie lag zuletzt in Umfragen bei bis zu sieben Prozent. Ihr Abschneiden wird mit besonderer Spannung erwartet. Eine Partei rechts von der Union war aus Deutschland zuletzt vor 25 Jahren, 1989, mit den Republikanern ins EU-Parlament eingezogen.
    Erste Prognosen sollen wie üblich nach 18 Uhr veröffentlicht werden, später auch Hochrechnungen. Die ersten amtlichen Ergebnisse werden dagegen auch für Deutschland erst nach 23 Uhr bekannt gegeben, dann haben auch in Italien die Wahllokale geschlossen.
    Unmut im Bundestag über Wegfall der Sperrklausel
    Gewählt wird heute auch in vielen Städten und Gemeinden. In zehn Bundesländern entscheiden die Wähler über die Zusammensetzung der Kommunalparlamente, in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, in Hamburg und im Saarland.
    Für diese Wahlen stellt sich die Frage der Sperrklauseln schon länger nicht mehr, auch das zum Teil als Folge von Gerichtsentscheidungen. Was das EU-Parlament betrifft, so herrscht zwar im Bundestag verbreiteter Unmut über den Wegfall der Hürde, angesichts des zweimaligen Scheiterns in Karlsruhe gibt es aber zumindest keine konkreten Pläne, die Frage nochmals anzugehen. Überlegungen, das Wahlrecht zu ändern, gibt es dagegen in einem anderen Punkt: Beim Umgang mit Demenzkranken. Sie sind von der Wahl ausgeschlossen, wenn für sie Betreuung in allen Angelegenheiten angeordnet ist, die sogenannte Totalbetreuung. Vor allem die Grünen halten das für einen Verstoß gegen die UNO-Behindertenrechtskonvention und hatten schon in der vergangenen Legislaturperiode einen Gesetzentwurf vorgelegt, ähnlich dachten auch Teile von SPD und Linken und in anderer Form auch der FDP. Nach Schätzungen sind etwa zwei Prozent der Demenzkranken betroffen. Jetzt geht die Diskussion allerdings auch in die gegenteilige Richtung: In der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" fragen Politiker von Union und SPD, ob nicht ein weitergehender Ausschluss sinnvoll wäre. In einem Jahr will eine Expertengruppe im Auftrag dreier Ministerien Ergebnisse vorlegen.
    Die Europawahl 2014 in Zahlen und Fakten: