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Eurozone
"Grexit ist nur vorübergehend vom Tisch"

Nach der Gipfel-Einigung hält Matthias Kullas vom Zentrum für Europäische Politik einen Grexit immer noch für möglich. Die Gefahr bleibe bestehen, dass Europa wieder in alte Muster verfalle und Griechenland einfach Reformen beschließe, sie aber nicht oder nur widerwillig umsetze.

Matthias Kullas im Gespräch mit Gerd Breker | 14.07.2015
    Alexis Tsipras kehrt in Athen in sein Büro zurück. Man sieht ihn von hinten, seine Jacke hängt über der Schulter.
    Alexis Tsipras bei seiner Rückkehr in sein Athener Büro. (Alexandros Vlachos, dpa picture-alliance)
    Gerd Breker: Am Telefon sind wir nun verbunden mit Matthias Kullas vom Zentrum für Europäische Politik in Freiburg. Guten Abend, Herr Kullas.
    Matthias Kullas: Guten Abend, Herr Breker.
    Breker: Ist denn der Grexit nun endgültig vom Tisch, oder hat man sich lediglich wieder für teures Geld Zeit gekauft?
    Kullas: Das ist eine Frage, die wird man erst in einigen Jahren beantworten können. Ich halte beides für möglich. Dass der Grexit ganz vom Tisch ist, ich glaube es leider nicht. Ich denke, er wird jetzt vorübergehend vom Tisch sein, aber die Gefahr, dass wir einfach wieder in der alten Schleife drin sind, dass die alten Muster wiederkommen, dass Griechenland einfach Reformen beschließt, sie nicht umsetzt oder auch nur widerwillig beschließt, die Gefahr ist natürlich gegeben.
    Breker: Weil die Regierung Tsipras so viel Vertrauen verspielt hat und alle Vorgängerregierungen auch, muss Griechenland nun in Vorleistung gehen. Sind denn die Kontrollmechanismen, die man diesmal verabredet hat, ausreichend?
    Kullas: So stark muss ja Griechenland gar nicht in Vorleistung gehen. Dass man jetzt sofort irgendwelche Reformen machen muss, das ist ja nur deswegen, weil es eine Brücken-, eine Zwischenfinanzierung geben soll, und das war in der Vergangenheit auch so, dass man einfach Reformen machen musste und dann, wenn man diese Reformen gemacht hat, gab es Geld. Das ist jetzt nicht viel anders. Neue Mechanismen, auch neue Kontrollmechanismen hat man eigentlich kaum geschaffen. Das einzige, was mir da neu ist, ist der Fonds, in den diese Privatisierungserlöse fließen sollen, aber ob der dann auch das hält, was er verspricht, auch da habe ich mehr Zweifel.
    Breker: Sie haben es erwähnt: Für die Privatisierung wird ein Treuhand-Fonds eingerichtet. Der wird ja sozusagen fremdbestimmt, auch irgendwo ein Beleg des Misstrauens der Geldgeber gegenüber den Griechen.
    Kullas: Ja, ein Stück weit klar. Ich meine, das Vertrauen ist weg. So fremdbestimmt ist der ja nicht. Der soll schon von einer griechischen Behörde geleitet werden. Der ist in Griechenland unter Aufsicht von EU-Institutionen. Aber so ganz aus dem Spiel sind die Griechen bei dem Fonds nicht.
    Breker: Er soll auf 50 Milliarden Euro ausgerichtet sein. Ist das eine realistische Summe überhaupt?
    Kullas: Das ist schwer vorherzusagen. Es ist sehr viel Geld, 50 Milliarden, und ich habe auch da Zweifel, ob das wirklich so viel werden wird. Was hinzukommt, was problematisch ist, ist, dass es dafür keinen Zeitplan gibt, in dem der Fonds befüllt werden soll und in dem das Ganze dann wieder privatisiert werden soll. Da hat man ja bewusst auf irgendwelche Vorgaben verzichtet und auch da sehe ich ein Schlupfloch.
    "Griechenland ist schon sehr, sehr weit unten"
    Breker: Man verlangt von Griechenland Reformen. Nur Reformen, Herr Kullas, wie etwa die des Steuersystems, die dauern ja Zeit, bevor sie sich auszahlen. Müssen wir davon ausgehen, dass Griechenland insgesamt durch ein langes, tiefes Tal gehen muss?
    Kullas: Ich hoffe nicht. Ich denke, Griechenland ist schon sehr, sehr weit unten. Die Banken sind geschlossen, die Wirtschaft steht still. Viel schlimmer kann es eigentlich für Griechenland nicht kommen. Ich denke, dass auch diese Reformen, wenn sie denn jetzt mal angepackt werden, wenig negative Wirkung im ersten Moment haben, sondern dass dann, weil Griechenland einfach schon so weit unten ist, eher die positiven Wirkungen überwiegen. Und man muss ja auch sehen: Griechenland bekommt jetzt Geld erst mal, womit man dort auch die Konjunktur ein Stück weit glätten kann. Ein Investitionsprogramm ist da auf dem Tisch für 35 Milliarden. Das wird dort die Konjunktur ein Stück weit am Leben erhalten.
    Breker: Hat denn die Bundeskanzlerin grundsätzlich recht, wenn sie sagt, die Vorteile überwiegen die Nachteile, ein Grexit wäre uns viel teurer gekommen?
    Kullas: Das ist eine schwierige Frage. Man weiß es einfach nicht. Ich bin der Meinung, es kann durchaus eine politische Ansteckung geben. Wir wissen nicht, was passiert, wenn ein Land austritt, ob die Kapitalmärkte dann anfangen, zu spekulieren, welches Land ist das nächste. Wir wissen nicht, wie die Wähler reagieren in einem Land, wenn sie merken, na ja, Griechenland tritt aus und plötzlich nach einem halben Jahr geht es Griechenland gut, ob dann die Wähler in anderen Ländern auf die gleiche Idee kommen. Das sind alles Risiken, die wir überhaupt nicht einschätzen können, und das Risiko mit Griechenland ist mit dem Geld geben, mit dem Reformprogramm ein Stück weit eher kalkulierbar.
    Breker: Was bedeutet überhaupt dieses Krisenmanagement für Europa? Rückt Europa nun enger zusammen, oder driftet Europa doch klammheimlich auseinander?
    Kullas: Bis gestern hätte ich gesagt, wir rücken eher zusammen, weil die Eurostaaten doch sehr eng beieinander standen und ziemlich klar gesagt haben, was sie von Griechenland verlangen, nämlich Einsparungen und Strukturreformen, und das haben alle eigentlich unterstützt. Jetzt beim Grexit, der Diskussion gestern, da gab es ja dann doch Risse. Da hat Frankreich plötzlich eine andere Position vertreten als Deutschland und da sind wieder Risse zu erkennen. Aber ich glaube, im Großen und Ganzen ist der Weg zumindest, dass wir jetzt keine Transferunion wollen, wie die Eurozone in Zukunft auszusehen hat, klarer geworden.
    "Natürlich geht ohne Deutschland in der Eurozone, in Europa nichts"
    Breker: Wenn wir die Rolle der Deutschen betrachten, Herr Kullas, muss man dann sagen, die Bundeskanzlerin, Angela Merkel, sie dominiert Europa, sie führt Europa?
    Kullas: Ein klares Jein. Natürlich ist Deutschland wichtig. Natürlich geht ohne Deutschland in der Eurozone, in Europa nichts. Trotzdem glaube ich, dass sich da einige wiederfinden in diesem Programm, nicht nur Deutschland. Die Portugiesen haben ja gesagt, von ihnen stammt der Vorschlag, wie man diesen Treuhand-Fonds umgestalten kann. Hollande hat ja immer wieder vermittelt in diesen Pausen zwischen Merkel und Tsipras und hat sich da eingebracht. Die Niederländer haben ihren Vorschlag da drin, dass Tsipras die Gesetze, die er erlassen hat in den ersten Monaten, wieder zurücknehmen muss, oder durch andere Maßnahmen kompensieren muss. Von daher glaube ich dass sich da viele wiederfinden.
    Breker: Hat Deutschland mit der Lösung dieser Krise, sofern es denn eine ist, Sympathiepunkte in Europa erworben?
    Kullas: Das hängt davon ab bei wem. Wir haben einige Unterstützung, glaube ich, von Finnland, von Holland, von den osteuropäischen Staaten, Estland, Lettland, Litauen, Slowakei, Slowenien. In anderen Ländern, gerade Frankreich und Italien, die sehen das anders. Da hat Deutschland zukünftig wenig Unterstützung gewonnen.
    Breker: Geht da eine Grenze zwischen Nord- und Südeuropa?
    Kullas: Nord und Süd glaube ich gar nicht, weil wie gesagt, da sind ja auch Länder wie Slowenien, die Slowakei drin. Aber es gibt eine Grenze, ich sage mal, ein Stück weit zumindest Italien und Frankreich sind da anderer Meinung. Portugal, Spanien, Irland sind auch wieder andere Beispiele, weil die ja selber auch Reformen machen mussten und die ein Stück weit auch der deutschen Position zuneigen. Ich denke, Italien und Frankreich sind die, die wirklich anders unterwegs sind, die, glaube ich, nichts gegen eine Transferunion hätten.
    Breker: Die Einschätzung von Matthias Kullas vom Zentrum für Europäische Politik.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.