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"Euthanasie-Anstalt" Hadamar
Schwierige Aufarbeitung der Nazi-Verbrechen

Während der NS-Zeit wurden im Rahmen sogenannter Euthanasie-Aktionen chronisch psychisch Kranke und Behinderte systematisch ermordet. 15.000 Menschen wurden allein im Hessischen Hadamar umgebracht. Im Alltag tut sich der Ort immer noch schwer damit, einen angemessenen Umgang mit den Gräueltaten zu finden.

Von Ludger Fittkau | 22.03.2018
    Die ehemalige Gaskammer im Keller der Gedenkstätte Hadamar am 22.11.2013.
    Hadamar war eine von sechs Anstalten, in denen während der NS-Zeit behinderte und psychisch kranke Menschen vergast wurden (dpa / Boris Roessler)
    Ein geräumiger Holzbau auf dem weitläufigen Gelände der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt Hadamar am Südrand des Westerwaldes. Der Holzbau sieht aus wie eine Scheune, war aber während der Nazizeit eine Busstation. Drei Busse konnten in dem fensterlosen Bau nebeneinander parken. Für die Reisenden, die diesen Fahrzeugen entstiegen, war es die Endhaltestelle. Nicht nur für eine Fahrt, sondern für immer.
    "Bei diesem Holzgebäude handelt es sich um die ehemalige Busgarage. Also die Busgarage, in der 1941 beziehungsweise während des zweiten Weltkrieges die sogenannten "grauen Busse" angekommen sind. Die grauen Busse transportierten Menschen, psychisch kranke Menschen, geistig Behinderte aus Anstalten, aus Heil-und Pflegeanstalten nach Hadamar, wo sie dann umgebracht wurden", sagt Jan Erik Schulte, ein zierlicher Mann Anfang 50.
    Vor Beruf ist er Historiker beim Landeswohlfahrtsverband Hessen- kurz LWV. Der von den hessischen Kommunen und Landkreisen getragene Verband ist einer der größten Klinikbetreiber Deutschlands. Der LWV ist heute für das Anstalts-Gelände in Hadamar zuständig, auf dem immer noch chronisch psychisch Kranke leben.
    helles Gebäude aus den 20-ger Jahren auf einem grünen Hügel
    Die Gedenkstätte Hadamar (Deutschlandradio / Ludger Fittkau)
    Spuren der Verbrechen wurden verwischt
    Jan Erik Schulte hat den Auftrag, die Erinnerung an die bis zu 15.000 psychisch Kranken und Behinderten wach zu halten, die in Hadamar ermordet wurden. Dies ist auch deswegen nicht einfach, weil in Hadamar schon früh die Spuren der monströsen Verbrechen verwischt wurden.
    Jan Erik Schulte: "Diese Busgarage oder diese ehemalige Busgarage stand im Hof der Tötungsanstalt Hadamar und wurde nach Ende des zweiten Weltkrieges auf das nahe gelegene Hofgut der Anstalt umgesetzt. Dort stand diese Halle bis vor ungefähr zehn Jahren und verrottete langsam vor sich hin. Und dann hat der Landeswohlfahrtsverband Hessen, der Träger ist dieser Gedenkstätte, diese nicht mehr benutzte Halle abbauen lassen und an diesem Ort wieder aufbauen lassen."
    Von der Busgarage aus wurden die Menschen unverzüglich in eine nur wenige Meter entfernte und eigens für die geplanten Massenmorde gebaute Gaskammer geführt und mit Kohlenmonoxyd getötet. Gleich nebenan standen zwei Brennöfen und ein weithin sichtbarer Schornstein bereit. Eine perfekte Tötungsmaschinerie.
    Auch heute noch tut sich die Stadt noch schwer
    "Ich bin Jahrgang 1934 und kann mich noch erinnern, dass diese grauen Busse die Patienten nach Hadamar in das psychiatrische Krankenhaus und in diese Anstalt geliefert haben", sagt der heute 84 Jahre alten Berthold Weikert. Es hat seine Kindheit in Hadamar verbracht.
    "Und ich kann mich auch erinnern, als ich am Sportplatz in Niederhadamar Fußball gespielt habe, dass ich von dort aus, das ist in der Nähe, die rauchenden Schornsteine gesehen habe. Und jeder in Hadamar sprach darüber, dass in diesem Haus, in dieser Anstalt Menschen, Patienten, vergast, verbrannt werden."
    Doch in den Nachkriegsjahren wurde in Hadamar nicht mehr so viel über die Massenmorde in der Anstalt über der Stadt gesprochen. Auch heute noch tut sich die Stadt noch schwer, mit dem Thema umzugehen. Vor dem Rathaus steht ein Kriegerdenkmal aus dem ersten Weltkrieg. Einen Hinweis auf die NS-Euthanasie sucht man im Ortskern vergeblich.
    Berthold Weikert: "Und es wird am Rande immer diskutiert. Und in der Bevölkerung wird akzeptiert, was war und es wird nur am Rande drüber geredet."
    Ein Foto an der Holztür der Busgarage der Gedenkstätte Hadamar (Hessen) erinnert am 22.11.2013 an eine hier 1944 ermordete Patientin. 
    In der Gedenkstätte Hadamar wird heute an ermordete Patienten erinnert (dpa / Boris Roessler)
    Die Last der Geschichte
    Helga Ortleb ist eines der Opfer von Hadamar. Sie war 17 Jahre alt, als sie von den Nazis ermordet wurde. Ihre Nichte Gisela Puschmann, eine Rechtsanwältin in Frankfurt am Main, bemüht sich seit Jahren, mehr über die Umstände der Ermordung ihrer Tante zu erfahren.
    "Ich denke, dass es für die Stadt Hadamar eine große Last ist, die sie trägt. Eine sehr große Last. Ich weiß, dass die Bürger, die heute in Hadamar leben, alle keine Schuld tragen, sie tragen aber die Last. Das ist das, was das 'Dritte Reich' übrig gelassen hat, nämlich die Belastungen zu ertragen. Wir alle können nichts dafür, wir müssen nur jetzt aufarbeiten, was uns das 'Dritte Reich' an Verwahrlosung, an Mord und an Last hinterlassen hat, das müssen wir aufarbeiten."
    Gisela Puschmann sitzt an einem Tisch und hält drei vergilbte Schwarz-weiß-Fotos in der Hand
    Gisela Puschmann ist die Nichte eines der Opfer von Hadamar (Deutschlandradio / Ludger Fittkau)
    Bis zu 50 Menschen wurden gleichzeitig vergast
    Gisela Puschmann wird niemals den Moment vergessen, als sie zum ersten Mal den Kellertrakt in Hadamar betrat, in dem sich bis heute Gaskammer befindet.
    "Und ich bin in den Keller gegangen, Ich weiß noch, dass ich sehr langsam die Treppe runtergegangen bin, das war schmerzhaft. Das war nicht einfach. Und ich bin darunter gegangen und dann stand ich vor der Gaskammer. Ich weiß nicht, wie lange ich da gestanden habe, minutenlang wohl, mir liefen die Tränen übers Gesicht."
    Wenn einer der Anstaltsärzte das Gift in den durch eine Gasschutztür luftdicht abgeschlossenen Raum leitete, erstickten dort bis zu 50 Menschen gleichzeitig. Auf zwölf Quadratmetern.
    "Und dann hatte ich das Gefühl, dass sich mir die Hand meiner Tante auf meine Schulter legt. Ich konnte wirklich die Seelen dieser Menschen hören und ich konnte sie fühlen."