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Eva Illouz: "Warum Liebe endet"
Wenn Partnerschaften scheitern

Seit Jahren erforscht Eva Illouz das Liebes- und Gefühlsleben und hält mit analytischer Schärfe fest, warum es so kompliziert geworden ist, eine vernünftige, und wohl auch einigermaßen schmerzbefreite Beziehung zu führen. Eine konzentrierte Auseinandersetzung mit der Frage "Warum Liebe endet" fehlte. Bis jetzt.

Von Antje Stahl | 28.02.2019
Cover von Eva Illouz Buch "Warum Liebe endet". Im Hintergrund ist ein zerbrochenes Herz mit Rose.
Illouz zeigt auf, wie es um Beziehungen in Zeiten von Speed-Dating, Tinder und Körperkult bestellt ist. (Suhrkamp / Unsplash / Rayul)
Auf jeder zehnten Seite tauchen sie auf: die einsamen und widersprüchlichen Figuren, die die Soziologin Eva Illouz in Cafés oder im Internet aufspürt. Und je weiter man sich durch die vier langen Kapitel ihres jüngsten Buches "Warum Liebe endet" kämpft, desto mehr möchte man diese Figuren in den Arm nehmen und sagen: "Herrje, verzweifeln Sie doch nicht an den Technologien, den Märkten und den gesellschaftlichen Ansprüchen der Gegenwart. Sie haben uns doch so viel Freiheit geschenkt".
"Gelegenheitssex", "Spontanfick", "Situationships", "Fast Romances", also all die schnellen Beziehungsformen, die rund um die sexuelle Freiheit auf- und das ist das Entscheidende: wieder abgebaut werden, könnten ja immerhin auch als feministische Errungenschaft verstanden werden. Im vergangenen Jahr drehte sich der Kulturbetrieb nämlich nicht nur um den Hashtag #metoo, den üblen Sexismus und die üble Diskriminierung von Frauen. Nein, er stellte dem weiblichen Opfer auch sein starkes Vorbild gegenüber: Die "potente Frau" nannte es die Philosophin Svenja Flaßpöhler. Die potente Frau, sie folgt selbstbewusst und unabhängig ihrer Lust und kann so alle Kontrollmechanismen des sogenannten Patriarchats außer Kraft setzen: Angefangen bei der Ehe über die Heimchen-am-Herd-Rhetorik bis hin zur Degradierung als Sexobjekt.
Gelegenheitssex sorgt für Leid
Hielte man jedoch an diesem feministischen Credo fest, würde man eben all die Menschen und auch all die Mühen ignorieren, die Eva Illouz darauf verwendet, alltägliche Beziehungserfahrungen zu verstehen. Nicht nur der "Gelegenheitssex" sorge für Leid. Jede Trennung erschüttere das Urvertrauen in soziale Bindungen und hinterlasse bei den gebrochenen Herzen Depressionen und Minderwertigkeitsgefühle. Mitunter führe der Bruch sogar zum Suizid: Illouz zitiert eine Studie, nach der "geschiedene und getrennte Personen mit mehr als doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit" Selbstmord begehen wie verheiratete Personen.
"Wie immer die Statistiken aus Auswirkungen von Trennungen effektiv aussehen mögen, eines ist klar: Ein Beziehungsende ist oft eine gravierende seelische Erfahrung, die in unseren hochgradig sexualisierten und emotional flüchtigen Kulturen inzwischen als selbstverständlich hingenommen wird."
Liebe als kapitalistische Abwägung
Was ist also los mit der Gesellschaft? Oder wenigstens mit den gesellschaftlichen Schichten des Westens, für die sich die Soziologin interessiert: Was bewegt die heterosexuellen College-Studenten in Nordamerika, wenn sie sich aus Beziehungen zurückziehen? Die Kreativen Europas? Und den Bekanntenkreis von Eva Illouz, die an der Hebräischen Universität von Jerusalem Soziologie lehrt.
"Die rasche Fluktuation der Partner impliziert die Fähigkeit und den Wunsch auf kurze Sicht zu investieren, keine Zeit zu verschwenden, den Produktionszweig schnell zu wechseln und den Wert einer Beziehung geschwind im Kopf zu überschlagen."
Als großen Freund der Trennung identifiziert die Soziologin, mit anderen Worten, den Kapitalismus. Wer ihre früheren Werke kennt, hätte damit rechnen können: Der Kapitalismus hat sich immerhin in alle Lebensbereiche hineingefressen, so dass Menschen selbst Beziehungen nach seinen Gesetzen ausrichten. Jeder benehme sich gegenüber seinem Nächsten wie ein Konsument, schmeiße weg und kaufe neu, sobald er sich mit dem Objekt seiner Begierde langweile… Dazu passen auch die digitalen Partnervermittlungsbörsen wie Tinder, eine Dating-Plattform auf der man potenzielle Spielgefährten liken und wegwischen kann wie Amazon-Produkte. Aber solche scharfsinnigen Beobachtungen, die Illouz immer und immer wieder abruft, stehen so gut wie in jeder Zeitung; ihretwegen sollte niemand Zeit in ihr neues Buch investieren.
Du nervst mit Deiner glutenfreien Ernährung
Ganz lustig wird es, zugegeben, wenn sie herausarbeitet, wie sehr das Konsumentenverhalten die Partnerwahl- oder eben -abwahl beeinflusst: Da trägt jemand nicht die richtigen Socken oder nervt mit seiner glutenfreien Ernährung so sehr, dass er abgeschossen wird. Aber eine Soziologie des Geschmacks und Habitus liegen uns ebenfalls bereits vor. Illouz Stärken liegen woanders.
Schon ihr Buch "Warum Liebe weh tut", das 2012 erschien, beinhaltete dieses große Versprechen: Hier wurde man endlich einmal nicht dazu angehalten, den Liebeskummer mit Wohlfühlyogitee im Bett oder im Gespräch mit der Psychologin auf der Couch zu bekämpfen. Hier durfte man die normative Gesellschaftsordnung nachvollziehen, die unsere Gefühle mit herausragend großer Wahrscheinlichkeit begründen. Ein klein wenig freut man sich deshalb, dass der Feldzug gegen die - Zitat: "Beratungs- und Lebenshilfsmaschinerie" auch in diesem Buch so viel Platz einnimmt.
"Die Aufgabe, unser Sexual- und Liebesleben zu retten, zu gestalten und anzuleiten, haben wir den Psychologen anvertraut. Die Vertreter dieser Zunft konnten uns zwar mit durchaus bemerkenswertem Erfolg davon überzeugen, dass uns ihre Techniken womöglich zu einem besseren Leben verhelfen. Für das aber, was unser Liebesleben kollektiv plagt, haben sie wenig bis gar kein Verständnis gezeigt."
Stillt diese Beziehung meine Bedürfnisse?
Im Gegenteil. Folgt man Illouz, beförderten Psychologen sogar die Trennungsbereitschaft. Nicht nur das Konsumentenverhalten und der Lebensstil entschieden heutzutage schließlich darüber, ob ein Partner für eine Beziehung geeignet sei. Die wichtigste Frage sei mittlerweile, ob eine Beziehung die eigenen Bedürfnisse stille:
"Die innere Dynamik der Konsumkultur und der Therapie berühren sich in dem Punkt, dass sie das Subjekt - und vor allem Frauen - dazu anhalten, sich auf den eigenen Willen und die eigenen Wünsche zu konzentrieren."
Daniella, zum Beispiel, einer der zahlreichen Figuren, die Eva Illouz in ihrem Buch auftreten lässt, erkannte erst in einer Therapie, dass sie die Ehe mit ihrem Mann beenden wollte:
"Unsere Ehe funktionierte. Ich meine wir hatten eine Familie, Freunde; wir unternahmen Reisen zusammen. Alles funktionierte. Irgendwann aber wollte ich eine Therapie machen. Ich traf die Entscheidung, dass ich nicht bleiben würde. Weil ich das Gefühl hatte, dass diese Beziehung einen hohen Tribut von mir forderte.
Selbstverwirklichung als Bedrohung
Anhand solcher Fallbeispiele stellt Illouz nun gleich mehrere "kulturelle Kraftfelder" heraus, die Trennungen beförderten: Erstens haben Gefühle einen höheren normativen Stellenwert erreicht als die Familie und das soziale Umfeld - eine Entwicklung, die von einem bunten Warenmarkt gesteuert wird, der vorgibt, emotionale Befindlichkeiten zu befriedigen. Und zweitens ist die Selbstbehauptung und Autonomie zu einem bestimmenden Faktor der weiblichen Identitätsbildung geworden, der alles andere weichen müsse.
Wir haben es also mit einem Dreiklang der Kritik zu tun, der den Kapitalismus, die Psychologie und den Feminismus ins Visier nimmt und ihr Zusammenspiel aufdeckt. Das macht das Buch vielleicht brisanter, als es zunächst erscheint. Ruft man sich jedenfalls all die Forderungen nach Selbstverwirklichung in Erinnerung, die Frauen spätestens seit sechziger Jahren so erreicht haben, wirkt es geradezu selbstmörderisch, sie zu dekonstruieren. Aber Illouz geht noch einen Schritt weiter. Sie stellt fest, dass der Wunsch so etwas wie emotionalen Halt zu finden, vor allem von der sexuellen Freiheit bedroht werde.
Anders als früher gehe einer Liebesbeziehung der Sex mittlerweile voraus. "Spontanfick" und "Fast Romances" gehörten zum standardisiertem Paarungsverhalten, brächten aber keine Gewissheiten mehr über die Natur oder gar Zukunft der Beziehung mit sich.
Beziehung, was für eine Beziehung?
Lange vor der sexuellen Revolution nämlich, Mitte des 19. Jahrhunderts, wurden noch Briefe in Schönschrift verfasst, erfährt man bei der Lektüre, um sich für eine vermeintliche Taktlosigkeit im Umgang mit der Dame zu entschuldigen. Da gestand ein Mann einer Frau noch vor einem Treffen seine Liebe, gestattete ihren Eltern einen Besuch ab und unterbreitete Geschenke, die seine hehren Absichten vor aller Augen manifestierten. Wurden Beziehungen ausgenutzt, wurde ein Mann von Ehre von seinem Umfeld sanktioniert. Auf diese normativen, existenziellen, emotionalen oder prozeduralen Gewissheiten müsse die Gesellschaft mittlerweile verzichten, beklagt Illouz. Anhand eines Dialogs aus dem Roman "The Big Love" von Sarah Dunn illustriert sie, wie sich das auf die Kommunikation auswirkt. Die Hauptfigur Alison schläft zwei Mal mit ihrem Chef:
"Ob wir uns wohl kurz über unsere Beziehung unterhalten könnten?", fragte ich.
"Beziehung?", wiederholte Henry, der sich immer noch mit seinen Papieren beschäftigte. "Was für eine Beziehung?"
"Du weißt schon", sagte ich. "Unsere."
Henry sah von seinen Papieren auf.
"Was ist?", fragte ich.
"Ähm, mir war wohl schlicht nicht bekannt, dass wir eine Beziehung haben", sagte Henry.
Unklare Verhältnisse bringen das Gefühlsleben jedoch durcheinander: Beim Geschlechtsverkehr ohne gesicherte Liebesbeziehung stehen allein der Körper, seine Schönheit und Leistungsfähigkeit zur Disposition. Um die Sicherung des individuellen Werts müssen sich die Subjekte selber kümmern. Besonders Frauen würden ständig überprüfen müssen, ob sie sich gesehen und respektiert oder unsicher und schlecht fühlen. Läuft irgendetwas schief, ruft der Auserwählte einmal nicht zurück oder überhört eine Sorge, wird er aussortiert. Der Rückzug, das Ende der Beziehung, sei der naheliegende Schritt, um eine Verletzung des Selbstwertgefühls abzuwehren. Das schlussfolgert Eva Illouz.
Auf zu neuen Ufern
Was bedeutet das konkret? Dass Gefühle lügen? Dass sie langen Beziehungen im Weg stehen? Dass Frauen keinen Sex mehr vor der Ehe haben sollten? Illouz schreibt, wie sie selbst betont, keine Ratgeber, daher bleiben diese Fragen offen. Ein wenig diffus wirkt auch die Rolle, die Männer in dieser haltlosen Welt spielen.
Die Sexualisierung wirkt sich zwar auf unserer aller Ausstiegs-Verhalten aus: Etwa wenn der Partner, vielleicht weil er gerade eine Diät gemacht hat und sich plötzlich attraktiv fühlt, zu neuen Ufern aufbrechen muss. Aber es fällt schon auf, wie sehr Illouz die alt vertraute Opferrolle der Frau umschifft und zugleich natürlich extrem darauf bedacht ist, sie nicht zu kreuzen.
Selbst für ökonomisch unabhängige Frauen stellt die sexuelle Freiheit ihrer Feldforschung nach keinen Befreiungsschlag mehr gegen bürgerliche Moralvorstellungen dar, da sie zu einem kulturellen Imperativ der kapitalistischen Gesellschaft geworden sei. Und der unersättliche und nach wie vor männlich dominierte Markt, verdamme vor allem das weibliche Geschlecht zur Selbst-Kommodifizierung. Wie sehr die Soziologin sich für die Begründung dieser These alter Rollenbilder bedient, wird nur leider auch deutlich.
Selbstverwirklichung und Konsumverhalten
Angie, eine 26-jährige Filmassistentin aus Berlin, will sich nicht länger auf der Dating-Plattform-Tinder herumtreiben. Sie bekomme noch vor einer Verabredung, Zitat: "Schwanzbilder" zugeschickt und fühle sich von dieser zeitgenössischen Version des Hofmachens erniedrigt, auch wenn ihr das als Feministin nichts ausmachen sollte. Illouz erklärt:
"Das Schwanzbild lädt Frauen zu einer Art von Interaktion ein, bei der die Männer die Mächtigeren sind, weil sie eine größere Fähigkeit zur Distanzierung haben."
Ob das auf all die Männer zutrifft, die vielleicht nicht über das schönste und beste Stück verfügen, sollte dringend erforscht werden. Womöglich beklagen mehr Menschen den Verlust von Werten, die nichts mit Sex, Selbstverwirklichung, Konsum- und Konsumentenverhalten zu tun haben, als eine Dating-Plattform wie Tinder erahnen lässt.
Eva Illouz: "Warum Liebe endet - Eine Soziologie negativer Beziehungen"
aus dem Englischen von Michael Adrian
Suhrkamp Verlag, Berlin. 447 Seiten, 25 Euro